Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung - Mitwirkung des abgelehnten Richters bei Entscheidungen

 

Leitsatz (NV)

Ist ein Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit eines Richters offensichtlich unzulässig, dann ist es nicht zu beanstanden, wenn der abgelehnte Richter bei der Entscheidung über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch mitwirkt, keine dienstliche Äußerung gemäß § 51 FGO i. V. m. § 44 Abs. 3 ZPO abgibt und nach Ablehnung des Ablehnungsgesuchs an der Entscheidung des Gerichts mitwirkt.

 

Normenkette

FGO § 51; ZPO §§ 44-45

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Streitig ist im Hauptverfahren wegen Einkommensteuer 1984 und 1985 die Berechtigung des beklagten Finanzamts (FA) zur Änderung von Einkommensteuerbescheiden gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).

Nach Eröffnung der mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) am 30. Januar 1991 erklärte der Prozeßbevollmächtigte der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Kläger), daß er den Richter am FG X wegen Besorgnis der Befangenheit in diesem Verfahren ablehne.

Zur Begründung seines Gesuchs legte der Prozeßbevollmächtigte einen Schriftsatz vom 6. August 1990 an den Bundesfinanzhof (BFH) vor. Darin wird zunächst für drei andere Beschwerdeverfahren beantragt, die Kosten der Staatskasse aufzuerlegen. Zum anderen wird in einer Reihe wiederum anderer Verfahren gerügt, der abgelehnte Richter habe Anträge und Ausführungen nicht protokolliert, mehrfach keine Akteneinsicht gewährt, einen Termin nicht antragsgemäß verlegt, den Prozeßbevollmächtigten von Telefongesprächen mit dem beklagten FA nicht informiert und schließlich in einem Schreiben vom 27. September 1989 in der Sache Z sich wie folgt geäußert: ,,Sofern Sie auch künftig keine Rechtsgrundlage nennen, gehe ich davon aus, daß Ihre Meinung nicht dem geltenden Verfahrensrecht entspricht".

Nach Beratung wies das Gericht den Antrag als rechtsmißbräuchlich ab. Es seien keinerlei Gründe vorgetragen, die einen Schluß auf eine unsachliche Einstellung des abgelehnten Richters gegenüber den Klägern erkennen ließen.

Gegen diese Entscheidung legte der Prozeßbevollmächtigte namens der Kläger Beschwerde ein, die er wie folgt begründete:

Die Befangenheit werde nicht aus der besonderen - bisher nicht erkennbar gewordenen - Einstellung des Richters X gegenüber den Klägern hergeleitet, sondern aus Gesamtzusammenhängen, wie sie in Beschlüssen des BFH vom 21. September 1977 I B 32/77 (Betriebs-Berater - BB - 1978, 33) und des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 21. November 1974 1 Z 102/74 (Neue Juristische Wochenschrift - NJW - 1975, 699) als ausreichend angesehen worden seien.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Es hat die mündliche Verhandlung fortgesetzt und im Anschluß daran die Klage abgewiesen. Mit einem an den BFH gerichteten Schriftsatz vom 31. Januar 1991 rügen die Kläger, daß der abgelehnte Richter bei der Entscheidung über seine Ablehnung sowie über die Abhilfe der Beschwerde mitgewirkt habe.

In einem weiteren Schriftsatz vom 31. Januar 1991 begründen die Kläger die vorliegende Beschwerde sowie weitere beim BFH anhängige Beschwerden.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig.

Das Rechtsschutzbedürfnis der Kläger ist entgegen der Auffassung des FA nicht weggefallen, weil das FG unter Mitwirkung des abgelehnten Richters in der Hauptsache entschieden hat. Die Entscheidung des BFH, auf die sich das FA beruft (Beschluß vom 2. März 1978 IV R 120/76, BFHE 125, 12, BStBl II 1978, 404) ist insoweit durch den Beschluß des Großen Senats vom 30. November 1981 GrS 1/80 (BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217) überholt.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

1. Es ist nicht zu beanstanden, daß der abgelehnte Richter an der Entscheidung über die Klage mitgewirkt hat, nachdem das Gericht das Ablehnungsgesuch abgelehnt hat (vgl. BFH in BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217).

2. Es ist hier auch nicht zu beanstanden, daß der abgelehnte Richter bei der Entscheidung über das ihn betreffende Ablehnungsgesuch mitgewirkt und darüber hinaus auch keine dienstliche Äußerung (§ 51 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 44 Abs. 3 der Zivilprozeßordnung - ZPO -) abgegeben hat. Das ist dann rechtmäßig, wenn das Ablehnungsgesuch offensichtlich unzulässig ist (vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 22. Februar 1960 2 BvR 36/60, BVerfGE 11, 1, 3; BFH-Beschlüsse vom 2. Juli 1976 III R 24/74, BFHE 119, 227, BStBl II 1976, 627; vom 25. Oktober 1991 III S 5-6/91, nicht veröffentlicht - NV -). Das ist hier der Fall.

Dabei ist in diesem Verfahren Gegenstand der Prüfung nur die Begründung der Ablehnung, die vom FG vorgetragen worden ist. Mit der Beschwerde gegen den einen Befangenheitsantrag ablehnenden Beschluß des FG können keine neuen Ablehnungsgründe vorgebracht werden, weil der Vortrag neuer Tatsachen und Beweismittel im Beschwerdeverfahren nur im Rahmen des Verfahrensgegenstandes der angefochtenen Entscheidung zulässig ist. Gegenstand der Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch gemäß § 51 FGO i. V. m. § 45 ZPO ist jedoch ausschließlich die behauptete Befangenheit des abgelehnten Richters aus den im Ablehnungsgesuch genannten Gründen (BFH-Beschluß vom 24. Juli 1990 X B 115/89, BFH/NV 1991, 253).

3. Die offensichtliche Unzulässigkeit des Ablehnungsgesuchs ergibt sich einmal aus dem Mangel jeglicher Glaubhaftmachung der im vorgelegten Schreiben vom 6. August 1990 vorgetragenen Behauptungen (§ 51 FGO i. V. m. § 44 Abs. 2 ZPO).

Fast alle vorgetragenen Behauptungen entbehren zudem der Substantiierung.

Als substantiiert kann allenfalls die Bezugnahme auf das Schreiben des abgelehnten Richters vom 27. September 1989 angesehen werden. Hier wie in allen anderen Fällen bezieht sich das vorgeworfene Verhalten des abgelehnten Richters aber auf die Person des Prozeßbevollmächtigten und nicht auf die Partei. Aus dem Vorbringen des Prozeßbevollmächtigten ergibt sich nicht, ob und welche Folgerungen aus dem Verhalten des abgelehnten Richters in den angeführten Verfahren ihm - dem Prozeßbevollmächtigten - gegenüber für das Verhalten des Richters gegenüber der vom Prozeßbevollmächtigten vertretenen Partei zu ziehen sein sollen. Ein gespanntes Verhältnis zwischen dem Prozeßbevollmächtigten und einem Richter kann nur ausnahmsweise die Ablehnung dieses Richters durch die Partei begründen, und zwar dann, wenn die ablehnende Einstellung des Richters auch im Verhältnis zu der allein ablehnungsberechtigten Partei in Erscheinung getreten ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 30. Oktober 1991 III B 95/90, NV; vom 26. September 1989 VII B 75/89, BFH/NV 1990, 514). Dazu ist nichts vorgetragen.

 

Fundstellen

Haufe-Index 418372

BFH/NV 1992, 619

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