Entscheidungsstichwort (Thema)

Vollmachtsvorlage-Ausschlußfrist - kein absoluter Revisionsgrund

 

Leitsatz (NV)

Wird ein Steuerberater mit der Führung eines Steuerprozesses beauftragt und reicht er die bereits vor Klageerhebung unterzeichnete Prozeßvollmacht dem Gericht erst nach der gemäß Art. 3 § 1 VGFGEntlG gesetzten Ausschlußfrist ein, so beruht das Urteil des FG, mit dem die Klage als unzulässig abgewiesen wird, nicht auf dem (absoluten) Revisionsgrund des § 119 Nr. 4 FGO (gesetzeswidrige Vertretung).

 

Normenkette

FGO §§ 62, 119 Nr. 4; VGFGEntlG Art. 3 § 1

 

Verfahrensgang

FG Köln

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat durch den Steuerberater H, den Prozeßbevollmächtigten erster Instanz, Klage erhoben. Nach erfolgloser Aufforderung zur Klagebegründung und Nachreichung der Prozeßvollmacht hat der Berichterstatter durch zwei Verfügungen den Steuerberater H nach Art. 3 § 3 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der VerVertungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) und Art. 3 § 1 VGFGEntlG aufgefordert, innerhalb eines Monats nach Zustellung dieser Verfügungen die klagebegründenden Tatsachen mitzuteilen und die Prozeßvollmacht vorzulegen.

Da die Prozeßvollmacht erst nach Ablauf dieser Frist eingereicht wurde, hat das Finanzgericht (FG) nach Durchführung der mündlichen Verhandlung die Klage als unzulässig abgewiesen und dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.

Mit der hiergegen erhobenen Revision beruft sich der Kläger ausschließlich auf eine Verletzung von § 119 Nr. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Zwar bestreitet er nicht mehr, daß die Ausschlußfrist des Art. 3 § 1 VGFGEntlG wirksam gesetzt worden sei und die Vollmachtsvorlage deshalb verspätet erfolgte. Da er aber bereits vor Klageerhebung den Steuerberater H mit der Durchführung des Klageverfahrens beauftragt sowie die Vollmachtsurkunde unterzeichnet habe und ihm demgemäß zu diesem Zeitpunkt die fehlerhafte Prozeßführung nicht habe bekannt sein können, sei - entgegen der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) - mit der nachträglichen Vollmachtsvorlage auch keine Genehmigung der Prozeßführung im Sinne von § 119 Nr. 4 FGO verbunden gewesen. Die Annahme einer solchen Genehmigung widerstreite auch dem Interesse des Klägers, mit den Kosten des von einem nicht legitimierten Vertreter geführten Rechtsstreits nicht belastet zu werden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

1. Da das Urteil der Vorinstanz den Beteiligten vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Beschleunigung verwaltungsgerichtlicher und finanzgerichtlicher Verfahren vom 4. Juli 1985 (BGBl I, 1 274, BStBl I, 496) zugestellt wurde (vgl. Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs - BFHEntlG -) und der Wert des Streitgegenstandes 10 000 DM übersteigt, war die Revision nach § 115 Abs. 1 FGO i. V. m. Art. 1 Nr. 5 BFHEntlG in der bis zum 16. Juli 1985 geltenden Fassung statthaft (sog. Streitwertrevision).

2. Der Senat braucht für das anhängige Verfahren nicht darauf einzugehen, ob die Anforderungen, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) an die Umgehung des § 99 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) zu stellen sind (vgl. Urteil vom 16. Dezember 1975 VI ZR 202/74, Juristische Rundschau - JR - 1976, 246), vorliegen und ob diese Rechtsprechungsgrundsätze auf die für das finanzgerichtliche Verfahren geltende Regelung des § 145 Abs. 1 FGO zu übertragen sind. Denn die Revision erweist sich bereits deshalb als unzulässig, weil sie nicht ordnungsgemäß begründet wurde (§ 120 Abs. 2 Satz 2 FGO).

a) Da der Kläger seine Revision ausschließlich auf das Vorliegen eines Verfahrensmangels nach § 119 Nr. 4 FGO gestützt hat, hätte er innerhalb der Revisionsbegründungsfrist die Tatsachen vortragen müssen, aus denen sich - ihre Richtigkeit unterstellt - der genannte Verfahrensmangel schlüssig ergibt (BFH-Urteil vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568; BFH-Beschlüsse vom 5. März 1970 V R 135/68, BFHE 98, 239, BStBl II 1970, 384; vom 26. November 1987 III R 80/87, BFH /NV 1988, 321).

b) Der Kläger hat in seiner Revisionsbegründungsschrift vorgetragen, daß die schriftliche Vollmacht zwar unstreitig nach Ablauf der Ausschlußfrist des Art. 3 § 1 VGFGEntlG vorgelegt worden sei; da er die Vollmachtsurkunde jedoch bereits vor Klageerhebung unterzeichnet habe, könne in ihrer verspäteten Einreichung keine Genehmigung der Prozeßführung durch den Steuerberater H gesehen werden. Der absolute Revisionsgrund im Sinne von § 119 Nr. 4 FGO sei daher gegeben.

Diese Rüge ist nicht schlüssig.

aa) Läßt sich ein Beteiligter im Prozeß vor dem FG durch einen Bevollmächtigten vertreten, so hat er schriftlich Vollmacht zu erteilen (§ 62 Abs. 3 Satz 1 FGO). Wird die Vollmachtsurkunde nicht vorgelegt, fehlt es an einer Sachentscheidungsvoraussetzung mit der Folge, daß die Klage - ungeachtet dessen, ob die Vollmachtsvorlage unterblieb, obwohl eine Vollmacht vorhanden war, oder ob die Vollmacht nicht vorgelegt wurde, weil sie nicht erteilt war - durch Prozeßurteil als unzulässig abzuweisen ist (BFH-Urteil vom 11. Januar 1980 VI R 11/79, BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229).

Nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG kann der Vorsitzende oder der von ihm bestimmte Richter neben oder anstelle der Regelung des § 62 Abs. 3 Satz 2 FGO eine Frist für die Einreichung der Vollmacht mit ausschließender Wirkung setzen. Geschieht dies und geht die Vollmacht nicht vor Ablauf der wirksam gesetzten Frist ein, so vermag die später vorgelegte Vollmacht - vorbehaltlich der Geltendmachung von Wiedereinsetzungsgründen - zwar nicht mehr die Sachentscheidungsvoraussetzung der rechtzeitig eingereichten Prozeßvollmacht ,,rückwirkend" zu schaffen (BFH-Urteile vom 15. Mai 1981 VI R 212/78, BFHE 133, 344, BStBl II 1981, 678; vom 4. Juli 1984 II R 188/72, BFHE 142, 3, BStBl II 1984, 831; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Präklusionswirkung vgl. Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 14. April 1988 1 BvR 1 580/87, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK -, Gesetz zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit, Rechtsspruch 42), sie ist jedoch gleichwohl nicht ohne prozessuale Wirkung. Denn zum einen kann der Bevollmächtigte nach der Vollmachtsvorlage nicht mehr als vollmachtsloser Vertreter angesehen werden (Urteile in BFHE 129, 305, BStBl II 1980, 229; vom 11. Februar 1981 II R 140/79, nicht veröffentlicht - NV -; BFH-Beschluß vom 20. Dezember 1985 VI B 35/85, BFH / NV 1986, 689); zum anderen steht mit der Einreichung der Vollmacht nach der Rechtsprechung des BFH fest, daß der Vertretene der Prozeßführung des bis dahin prozessual vollmachtslosen Vertreters entweder nachträglich zugestimmt (Genehmigung) oder in diese bereits vor Klageerhebung eingewilligt hat (§ 89 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 155 FGO) und demgemäß - auch für die Frage, ob im Hinblick auf die verspätete Vollmachtsvorlage nach Art. 3 § 1 Satz 2 VGFGEntlG i. V. m. § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist (BFH im nicht veröffentlichten Teil seines Urteils vom 15. Mai 1981 VI R 212/78) - gegen sich gelten lassen muß (BFH-Urteil vom 1. April 1971 IV R 208/69, BFHE 102, 442, BStBl II 1971, 689; vgl. auch Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 17. April 1984 GmS-OGB 2/83, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1984, 389).

Da aber nach dem Vorbringen der Revision bereits vor Klageerhebung mit dem Prozeßbevollmächtigten erster Instanz ein Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 des Bürgerlichen Gesetzbuches; Thomas /Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 15. Aufl., 1987, vor § 78 Anm. 2) geschlossen und die Vollmachtsurkunde unterzeichnet wurde, der Kläger mit anderen Worten seine Einwilligung zur Durchführung des finanzgerichtlichen Verfahrens erklärt hat, kommt es somit für die Wirksamkeit der Prozeßführung des zunächst nicht legitimierten Vertreters gegenüber dem Kläger auf die in der Revisionsbegründungsschrift problematisierte Frage, ob in der nachträglichen Vorlage der Prozeßvollmacht nur dann eine Genehmigung im Sinne von § 89 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 155 FGO gesehen werden kann, wenn der Vertretene über das bisherige Prozeßgeschehen im einzelnen unterrichtet war (verneinend: BGH-Beschluß vom 2. Juli 1953 IV ZR 49/53, BGHZ, 10, 147, auf das im Urteil in BFHE 102, 442, BStBl II 1971, 89 Bezug genommen wird), nicht mehr an.

bb) Hieraus ergibt sich weiterhin, daß ein absoluter Revisionsgrund im Sinne von § 119 Nr. 4 FGO nicht vorliegt.

Dabei braucht der Senat nicht darauf einzugehen, ob ein Fall der gesetzeswidrigen Vertretung nach § 119 Nr. 4 FGO - entsprechend dem Zweck dieser mit den §§ 551 Nr. 5 ZPO, 138 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung übereinstimmenden Regelung, die sicherstellen will, daß der Beteiligte seinen Standpunkt im finanzgerichtlichen Verfahren selbst oder wenigstens durch einen hierzu berufenen Vertreter geltend machen kann (vgl. Grunsky in Stein / Jonas, Kommentar zur Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., 1972, § 551 Anm. II 5) - bereits zu verneinen ist, wenn eine Ausschlußfrist nach Art. 3 § 1 VGFGEntlG wirksam gesetzt und die Klage wegen Fristüberschreitung durch Prozeßurteil abgewiesen wird. Denn jedenfalls läge im Streitfall deshalb eine Zustimmung zur Prozeßführung des H im Sinne von § 119 Nr. 4 FGO vor, weil dieser - wovon im Rahmen der Schlüssigkeitsprüfung der Revisionsrüge auszugehen ist - von Anfang an mit Einverständnis des Klägers handelte und die bereits vor Klageerhebung unterzeichnete Vollmachtsurkunde dem Gericht einreichte.

 

Fundstellen

BFH/NV 1990, 252

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