Entscheidungsstichwort (Thema)

Aussetzung der Vollziehung wegen Vorsteuerabzugs

 

Leitsatz (NV)

1. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes bestehen, wenn bei summarischer Prüfung anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (Anschluß an BFH-Beschlüsse vom 12. November 1992 XI B 69/92, BFHE 170, 106, BStBl II 1993, 263; vom 16. Oktober 1991 I B 227/90, I B 228/90, BFH/NV 1992, 341).

2. Ein Unternehmer, der den Vorsteuerabzug begehrt und damit einen Anspruch auf Minderung seiner USt-Zahllast geltend macht, trägt die objektive Beweislast (Feststellungslast) für das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Diese Grundsätze gelten auch im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung (Anschluß an BFH-Urteil vom 7. Juli 1983 VII R 43/80, BFHE 138, 527, BStBl II 1983, 760; BFH-Beschluß vom 15. Oktober 1986 VIII B 30/86, BFH/NV 1987, 44). Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer hat daher die den Vorsteuerabzug begründenen Tatsachen, soweit seine Mitwirkungspflicht reicht, im Aussetzungsverfahren glaubhaft zu machen.

 

Normenkette

FGO § 69 Abs. 2-3, § 155; ZPO § 294; UStG 1980 § 15 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

1. Die Antragstellerin, Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) betreibt ein Landschafts- und Gartenbauunternehmen. Sie übernimmt hauptsächlich die landschaftsgärtnerische Ausgestaltung von Autobahnabschnitten und Landstraßen. Zur Erledigung ihrer Aufträge beschäftigt sie eine Vielzahl von Subunternehmern.

In ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für Mai 1992 machte die Antragstellerin Vorsteuern in Höhe von ... geltend und fügte Kopien von Eingangsrechnungen der betreffenden Subunternehmer bei. Unter anderen waren dies Rechnungen eines B (ausgewiesene Umsatzsteuer ... DM), einer P-GmbH (P) (ausgewiesene Umsatzsteuer ... DM und ... DM) und eines W (ausgewiesene Umsatzsteuer ... DM). Im Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für Mai 1992 kürzte der Antragsgegner, Beschwerdegegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt - FA -) die Vorsteuern um die in diesen Rechnungen ausgewiesenen Beträge in Höhe von insgesamt ... DM mit der Begründung, daß nicht nachgewiesen sei, daß die Aussteller die in Rechnung gestellten Leistungen tatsächlich erbracht hätten. Das FA setzte die Umsatzsteuer-Vorauszahlung auf ... DM fest. Mit ihrem Einspruch gegen diesen Bescheid beantragte die Antragstellerin die Aussetzung der Vollziehung in Höhe von ... DM. Dem ist das FA nicht nachgekommen.

2. Das Finanzgericht (FG) gab dem Antrag teilweise statt und setzte die Vollziehung des Bescheides in Höhe eines Betrages von ... DM bis einen Monat nach Bekanntgabe einer Entscheidung über den eingelegten Einspruch aus. Es führte aus, ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids bestünden zwar nicht hinsichtlich der Nichtanerkennung der Vorsteuer aus der Rechnung des B. Ein Abrechnungspapier als Grundlage für den Vorsteuerabzug müsse Angaben zur Identifizierung der abgerechneten Leistung, aber auch des Leistenden als bestimmtem Unternehmer enthalten. Das erfordere auch die Möglichkeit der Feststellung, daß der Leistende die Unternehmereigenschaft besitze. Der Vorsteuerabzug aus den Rechnungen des B scheitere im übrigen daran, daß auf dessen Rechnungen eine unzutreffende Anschrift angegeben gewesen sei. Anders sei dagegen der Vorsteuerabzug aufgrund der Rechnungen der P-GmbH und des W zu beurteilen. Die Darlegung des FA, wonach die P-GmbH an dem in der Rechnung angegebenen Ort nicht gemeldet gewesen sei, sei nicht hinreichend belegt worden. Auch hinsichtlich des W seien ausreichende Ermittlungen nicht angestellt und Unterlagen nicht vorgelegt worden, um den durch Vorlage einer Rechnung begründenden Anschein ihrer Ordnungsmäßigkeit zu widerlegen.

Änderungsanträgen beider Beteiligter nach § 69 Abs. 3 Satz 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) a.F. hat das FG nicht entsprochen.

3. Gegen die Vorentscheidung wenden sich sowohl die Antragstellerin als auch das FA mit der - vom FG zugelassenen - Beschwerde.

a) Zum Vortrag der Antragstellerin im allgemeinen und zur Person des B wird auf den Senatsbeschluß vom heutigen Tage XI B 81/93 verwiesen.

Die Antragstellerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und dem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung stattzugeben.

Das FA beantragt, die Beschwerde der Antragstellerin als unbegründet zurückzuweisen.

b) Mit seiner Beschwerde beantragt das FA, die Vorentscheidung aufzuheben und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung als unbegründet abzulehnen.

Zum Vortrag des FA im allgemeinen und zur Person des B wird ebenfalls auf den Senatsbeschluß vom heutigen Tage XI B 81/93 verwiesen.

Weiter trägt das FA vor, die P-GmbH habe ausweislich der vorgelegten Rechnungen trotz ihrer Hauptaktivitäten in Raum G ihren Sitz in H gehabt. Sie sei allerdings im August 1991 vor einem Notar im Raum G gegründet worden. Alleiniger Gesellschafter sei P gewesen, wohnhaft in J. Das Unternehmen sei im Januar 1992 mit dem Gewerbegegenstand Hoch-, Tief- und Landschaftsbau beim Landratsamt ... mit Sitz in J angemeldet worden. Gegenüber dem für H zuständigen FA K sei demgegenüber als Beginn der gewerblichen Tätigkeit März 1992 erklärt worden. Eine Anfrage bei der ebenfalls für H zuständigen Stadtverwaltung L habe ergeben, daß dort weder eine P-GmbH noch P gemeldet gewesen seien. P sei auch in J nie gemeldet gewesen. Nach Auskunft des Hauseigentümers sei dort lediglich ein Briefkasten der P-GmbH installiert worden. Er habe die Post nach H weitergeleitet. Eine P-GmbH könne auch nach Auskunft des FA K in J nie existiert haben. Auch an der in den Rechnungen angegebenen Adresse in H habe nach Auskunft des Hauseigentümers gegenüber der Steuerfahndung ein Geschäftsbetrieb nicht bestanden. Es sei dort lediglich ein Raum von einem Ausländer angemietet gewesen, der sich mit P vorgestellt habe, allerdings älter als P gewesen sei. In dem Raum habe sich lediglich ein Tisch mit einem Telefon, Faxgerät und Anrufbeantwortet befunden. Die Post sei jeweils abgeholt worden. W sei im November 1991 bei einer Kontrolle der Autobahnpolizei auf einer Baustelle der Antragstellerin angetroffen worden. Er habe angegeben, seit einem Monat bei der Antragstellerin beschäftigt zu sein. An diesem Tag habe W - vermutlich in deren Auftrag - Arbeitskräfte für die Antragstellerin angeworben und Tageslöhne ausgezahlt. Er habe die Arbeitskräfte auch mit einem LKW der Antragstellerin befördert.

Die Antragstellerin beruft sich demgegenüber auf die Begründung der Vorentscheidung.

 

Entscheidungsgründe

1. Die Beschwerde der Antragstellerin ist nicht begründet und daher zurückzuweisen. Insoweit wird auf den Senatsbeschluß vom heutigen Tage XI B 81/93 verwiesen.

2. Die Beschwerde des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, soweit das FG die Vollziehung ausgesetzt hat, und zur Ablehnung des Antrags insoweit.

Das FG hat die Voraussetzungen einer teilweisen Aussetzung der Vollziehung zu Unrecht bejaht. Auch soweit das FA Vorsteuern aus den Rechnungen der P-GmbH und des W nicht berücksichtigt hat, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids.

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines angefochtenen Verwaltungsaktes i.S. des § 69 Abs. 2 und 3 FGO bestehen, wenn bei summarischer Prüfung anhand des aktenkundigen Sachverhalts neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Verwaltungsakt als rechtswidrig erweisen könnte (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 12. November 1992 XI B 69/92, BFHE 170, 106, BStBl II 1993, 263; vom 16. Oktober 1991 I B 227/90, I B 228/90, BFH/NV 1992, 341).

a) In rechtlicher Hinsicht bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides. Gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1980 kann ein Unternehmer die in Rechnungen gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen oder sonstige Leistungen als Vorsteuer abziehen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind. Da Voraussetzung für den Vorsteuerabzug die Erbringung von Lieferungen oder sonstigen Leistungen durch einen Unternehmer ist, muß feststellbar sein, daß der in der Rechnung Bezeichnete die Lieferung oder Leistung tatsächlich erbracht hat. Ein Abrechnungspapier muß daher solche Angaben über den tatsächlich leistenden Unternehmer enthalten, die dessen Identifizierung ermöglichen (BFH-Urteil vom 17. September 1992 V R 41/89, BFHE 169, 540, BStBl II 1993, 205). Auf diesen Grundsätzen beruht der Bescheid des FA, dem folgt auch die Vorentscheidung. Ob der Rechtssache insoweit grundsätzliche Bedeutung zukommt, kann unentschieden bleiben, denn der Senat ist an den Zulassungsbeschluß des FG gebunden (BFH-Urteil vom 27. März 1991 VI R 51/88, BFHE 164, 75, BStBl II 1991, 575).

b) Auch in tatsächlicher Hinsicht bestehen im Streitfall keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides. Ein Unternehmer, der den Vorsteuerabzug begehrt und damit einen Anspruch auf Minderung seiner Umsatzsteuer-Zahllast geltend macht, trägt die objektive Beweislast (Feststellungslast) für das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen hierfür (BFH-Urteil vom 7. Juli 1983 VII R 43/80, BFHE 138, 527, BStBl II 1983, 760). Diese Grundsätze gelten auch im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung (BFH-Beschluß vom 15. Oktober 1986 VIII B 30/86, BFH/NV 1987, 44). Der den Vorsteuerabzug begehrende Unternehmer hat daher die diesen Vorsteuerabzug begründenden Tatsachen im Aussetzungsverfahren glaubhaft zu machen (§ 155 FGO i.V.m. § 294 der Zivilprozeßordnung - ZPO -).

Das FA hat - wie die Aktenlage ergibt - das Ergebnis seiner Ermittlungen vorgetragen, daß die von der Antragstellerin benannten Subunternehmer vielfach nicht über einen hinreichenden Geschäftsbetrieb verfügten, um die abgerechneten Leistungen erbringen zu können, und Erbringer der Leistungen nicht die Aussteller der Rechnungen, sondern ein Dritter gewesen ist.

Zur P-GmbH hat das FA unter Vorlage von Unterlagen das Ergebnis weiterer Ermittlungen dargelegt, wonach sich weder am eingetragenen Sitz in J, noch an dem in den Rechnungen ausgewiesenen Ort eine hinreichende Geschäftstätigkeit entwickeln konnte. Daraus ergeben sich hinlängliche Zweifel, daß die P-GmbH die abgerechneten Leistungen tatsächlich erbracht hat. Entsprechende Darlegungen liegen zwar zu W nicht vor. Dennoch hat das FA auf polizeiliche Ermittlungen verwiesen, nach denen W in den Monaten zuvor nicht Unternehmer, sondern Angestellter der Antragstellerin war und für sie Arbeitnehmer angeworben und ausbezahlt hat. Außerdem wurde für W unter dessen ... Anschrift vom Arbeitsamt keine Betriebsnummer vergeben. Damit hat das FA zwar nicht den Nachweis seiner Behauptung erbracht, W hätte die in Rechnung gestellten Leistungen nicht erbracht. In Verbindung mit seinen sonstigen Darlegungen hat es aber auch insoweit substantiiert und schlüssig die Möglichkeit dargetan, daß W die streitigen Leistungen nicht als Unternehmer erbracht hat.

Angesichts der allgemeinen und der Feststellungen des FA zur P-GmbH und zu W konnte sich die Antragstellerin nicht auf den Hinweis beschränken, Rechnungen mit den in § 14 Abs. 1 Satz 2 UStG 1980 vorgesehenen Angaben vorgelegt zu haben. Entgegen der Vorentscheidung hat sie im Rahmen der ihr obliegenden Darlegungslast vielmehr glaubhaft zu machen, daß die P-GmbH und W die abgerechneten Leistungen tatsächlich erbracht haben.

Allerdings ist auch im Aussetzungsverfahren der Grundsatz zu beachten, daß das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen hat (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das gilt auch im Beschwerdeverfahren, in dem das Beschwerdegericht die Vorentscheidung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht voll überprüft (BFH-Beschluß vom 16. Dezember 1987 V B 40/85, BFH/NV 1988, 675). Die Verpflichtung zur Amtsermittlung endet aber dort, wo es sich um Verhältnisse handelt, die ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten ermittelt werden können (BFH-Beschluß in BFH/NV 1987, 44). Dabei kann sich ein summarisches Verfahren wie das Aussetzungsverfahren nur auf die Würdigung präsenter Beweismittel erstrecken (BFH-Beschluß vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182).

Der Hinweis der Antragstellerin, daß die Rechnungen die Unterschriften der jeweiligen Aussteller tragen, reicht nicht für die Glaubhaftmachung aus, daß diese die Leistungen tatsächlich erbracht haben. Dies gilt aufgrund des Vortrags des FA und der Aktenlage auch für eine zusätzliche schriftliche Bestätigung eines Rechnungserstellers, Leistender gewesen zu sein. Ebensowenig vermag der Hinweis der Antragstellerin darauf, daß die Arbeiten von einem ihrer Arbeitnehmer überwacht und die Baustellen vom zuständigen Landschaftsverband als Auftraggeber überprüft worden sind, die Erbringung der Leistungen durch die P-GmbH und W glaubhaft zu machen. Eine Überwachung von Arbeiten und Baustellen ist nicht mit hinreichend sicheren Erkenntnissen über die Identität des Leistenden und vor allem des Ausstellers späterer Rechnungen verbunden. Die Antragstellerin hat im übrigen auch nicht dargelegt, welche Aussagen von den betreffenden Personen im einzelnen zu erwarten gewesen wären. Letztlich sagen Unbedenklichkeitsbescheinigungen von Finanzbehörden nichts über die eigentliche Geschäftstätigkeit des Unternehmes aus und sind vor allem nicht als Nachweis dafür geeignet, daß die jeweiligen Unternehmer ihre in Rechnung gestellten Leistungen tatsächlich erbracht haben. Im übrigen ist die Unbedenklichkeitsbescheinigung des FA, W betreffend, erst im Juni 1992 und damit nach der Rechnungserteilung durch W ausgestellt worden. Nach ihrem Vortrag hat sich die Antragstellerin derartige Bescheinigungen vor der Erteilung von Aufträgen vorlegen und ihre Echtheit bestätigen lassen.

Zu den geschäftlichen Beziehungen zur P-GmbH und W selbst und deren Ausgestaltung hat die Antragstellerin ihrerseits nichts vorgetragen. Sie hat lediglich die Behauptungen des FA bestritten. Insoweit sind daher weitere Sachverhaltsermittlungen nicht geboten.

Nach dem Stande des Verfahrens erscheint im Hauptverfahren eine weitergehende Klärung des Sachverhalts zugunsten der Antragstellerin wenig wahrscheinlich.

3. Gründe für eine Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte hat die Antragstellerin nicht vorgetragen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 833

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