Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsätze über Feststellungslast gelten auch im AdV-Verfahren; auch im AdV-Verfahren richtet sich der Umfang der Ermittlungspflicht nach dem Ausmaß der Mitwirkung des Antragstellers

 

Leitsatz (NV)

1. Beruft sich ein Steuerpflichtiger zur Begründung der Rechtswidrigkeit eines Steuerbescheids auf einen die Steuer mindernden Sachverhalt und läßt sich nicht klären, ob dieser vorliegt, so gereicht dies dem Steuerpflichtigen zum Nachteil. Er trägt insoweit die Feststellungslast.

2. Dieser das Hauptsacheverfahren beherrschende Grundsatz gilt entsprechend im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung, wobei das Aussetzungsverfahren von der Besonderheit gekennzeichnet ist, daß einerseits nur präsente Beweismittel zu berücksichtigen sind, andererseits aber nicht der volle Beweis der behaupteten Tatsachen erbracht werden muß.

3. Die Verpflichtung des Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, gilt unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten grundsätzlich auch für das Aussetzungsverfahren. Sie findet - ebenso wie im Hauptsacheverfahren - ihre Grenze dort, wo es sich um Verhältnisse handelt, die ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten ermittelt werden können. Dabei ist zu beachten, daß bei Auslandsbeziehungen eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Antragstellers besteht.

 

Normenkette

AO 1977 § 90 Abs. 2; FGO §§ 69, 76

 

Verfahrensgang

FG Baden-Württemberg

 

Tatbestand

Der Antragsteller, Beschwerdegegner und Anschlußbeschwerdeführer (Antragsteller) war bis Ende des Jahres 1982 selbständig tätig. Im Jahre 1978 erwarb er im ausländischen Staat A ein bebautes Grundstück. Dieses wurde nach dem Einsturz des Gebäudes im Jahre 1979 mit einem Verkaufsstand bebaut. Im Jahre 1980 wurden die restlichen Gebäudeteile sowie der Verkaufsstand abgerissen, um ein Gebäude für Bürozwecke zu errichten. Das Gebäude wurde offenbar in den Jahren 1980 bis 1982 zu wesentlichen Teilen errichtet. Der Antragsteller trägt vor, sich im Jahre 1982 entschlossen zu haben, das noch nicht fertiggestellte Gebäude als Hotel auszubauen, weil er aufgrund der wirtschaftlichen Lage einen erheblichen Leerstand der Büroflächen befürchtete. Nach Fertigstellung veräußerte der Antragsteller das Gebäude im Jahre 1983.

In seinen Einkommensteuererklärungen 1978 bis 1981 ordnete der Antragsteller die aus dem Grundstück erzielten Verluste den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zu. Für die Jahre 1982 und 1983 erklärte er sie als Einkünfte aus Gewerbebetrieb. Der vom Antragsteller für das Jahr 1983 erklärte, offenbar durch einen Notverkauf des Objekts verursachte Verlust überstieg die übrigen Einkünfte des Antragstellers.

Der Antragsgegner, Beschwerdeführer und Anschlußbeschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) ließ bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 1983 den Auslandsverlust unter Hinweis auf § 2 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) 1983 (i. d. F. des Art. 1 Nr. 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 1983, BGBl I 1982, 1857) unberücksichtigt (Einkommensteuerbescheid 1983 vom 20. Juni 1985). Bei der geänderten Veranlagung zur Einkommensteuer 1982 wurde kein Verlustrücktrag aus 1983 angesetzt (Einkommensteuerbescheid 1982 vom 18. Juni 1985). Über die Einsprüche des Antragstellers, mit denen er die Verfassungswidrigkeit des § 2 a EStG geltend machte, wurde noch nicht entschieden.

Nach erfolglosem Antrag beim FA begehrte der Antragsteller beim Finanzgericht (FG) die Aussetzung der Vollziehung. Er trug vor, er habe in den Streitjahren aus dem Grundstück negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Gegen Ende des Jahres 1981 habe sich abgezeichnet, daß die ursprüngliche Planung, ein Bürogebäude zu bauen und zu vermieten, wegen des bereits vorhandenen Überangebots an Büroflächen in A ein Fehlschlag gewesen sei. Ein deshalb eingeholtes Gutachten vom 8. Dezember 1981 habe ergeben, daß in dem Gebäude ein kleineres Hotel ohne Restaurant durchaus rentabel geführt werden könne. Er habe sich daraufhin entschlossen, in dem Gebäude im eigenen Namen und auf eigene Rechnung ein Hotel zu betreiben. Im Jahre 1982 habe er dem Bauunternehmer und Architekten den Auftrag erteilt, das Gebäude entsprechend umzugestalten. Außerdem habe er eine Innenarchitektin beauftragt, Vorschläge über die Ausstattung und Möblierung der Zimmer und der Empfangshalle zu machen. Mit diesen vorbereiteten Maßnahmen habe seine gewerbliche Tätigkeit begonnen. Das Grundstück und das Gebäude seien als notwendiges Betriebsvermögen zu den in § 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG bestimmten Werten eingelegt worden. Es sei ihm zwar noch gelungen, das Gebäude fertigstellen zu lassen, nicht aber, die zwischenzeitlich stark gestiegenen Baukosten aufzufangen. Deshalb habe er im Jahre 1983 das Grundstück mit dem Gebäude kurzfristig veräußern müssen. Dabei habe er einen Verlust erlitten, der zu seinem finanziellen Ruin geführt habe. Insgesamt sei ihm im Jahre 1983 ein Verlust von . . . DM entstanden.

Nach Ausgleich mit positiven Einkünften von . . . DM hätte das zu versteuernde Einkommen 1983 null DM betragen. Bei Rücktrag des Restbetrags von . . . DM nach 1982 hätte sich für dieses Jahr ebenfalls keine Steuerschuld ergeben. § 2 a EStG 1983, wonach der Verlustausgleich und -rücktrag bei Auslandsverlusten untersagt werde, verletze die Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 3 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) und sei deshalb nichtig.

Das FG entsprach dem Antrag im wesentlichen Punkt. Es setzte die Vollziehung der Einkommensteuerbescheide 1982 in Höhe von . . . DM und 1983 in Höhe von . . . DM gegen Sicherheitsleistung aus. Den geltend gemachten Verlust sah es in voller Höhe als glaubhaft an. Der Verlustberücksichtigung stehe § 2 a EStG nicht entgegen, da gegen diese Vorschrift erhebliche verfassungsrechtliche Zweifel bestünden, deren Beurteilung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben müsse.

Mit der Beschwerde macht das FA geltend, daß der Antragsteller bisher im Rahmen einer zur Zeit laufenden Außenprüfung keine Unterlagen und Beweismittel vorgelegt habe, die die Höhe der geltend gemachten Verluste bestätigten. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen werde somit der größte Teil der beantragten negativen Einkünfte aus der Besteuerungsgrundlage ausgeschlossen.

Das FA beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben und den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.

Der Antragsteller beantragt die Zurückweisung der Beschwerde. Mit unselbständiger Anschlußbeschwerde beantragt er zudem, die Vollziehung ohne Sicherheitsleistung auszusetzen.

Zur Verlustfrage führt er aus, daß er zwar bisher dem Außenprüfer nicht alle von diesem gewünschten Unterlagen habe vorlegen können, daß der Verlust aber gleichwohl in der behaupteten Höhe entstanden sei. Hinsichtlich der Sicherheitsleistung trägt er vor, daß Sicherheit von ihm nicht verlangt werden könne, weil ihm die entsprechenden Mittel zur Beibringung der Sicherheiten fehlten.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des FG und zur Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung. Die auf eine Aussetzung der Vollziehung ohne Sicherheitsleistung gerichtete Anschlußbeschwerde des Antragstellers ist unbegründet.

Der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, daß ihm im Zusammenhang mit dem Erwerb und der Wiederveräußerung eines Grundstücks in A negative Einkünfte - sei es aus Gewerbebetrieb, sei es aus Vermietung und Verpachtung - entstanden sind.Gemäß § 69 Abs. 2, 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll die Vollziehung eines Verwaltungsakts ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts bestehen, wenn bei seiner überschlägigen Prüfung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung der Tatfragen bewirken (vgl. u. a. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 10. Februar 1967 III B 9/66, BFHE 87, 447, BStBl III 1967, 182). Die Tat- und Rechtsfragen brauchen nicht abschließend geprüft zu werden.

Beruft sich ein Steuerpflichtiger zur Begründung der von ihm behaupteten Rechtswidrigkeit eines Steuerbescheids auf einen die Steuer mindernden Sachverhalt und läßt sich nicht klären, ob dieser Sachverhalt in der behaupteten Weise vorliegt, so gereicht dies dem Steuerpflichtigen zum Nachteil. Er trägt insoweit die Feststellungslast (vgl. u. a. Urteil des Senats vom 19. November 1985 VIII R 4/83, BFHE 145, 375, 379 a. E., BStBl II 1986, 289). Dieser das Hauptsacheverfahren beherrschende Grundsatz gilt entsprechend im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung (vgl. u. a. BFH-Urteil vom 17. Oktober 1979 I R 74/78, nicht veröffentlicht - NV -), wobei das Aussetzungsverfahren von der Besonderheit gekennzeichnet ist, daß einerseits nur präsente Beweismittel zu berücksichtigen sind (vgl. u. a. BFH-Urteile vom 14. Juli 1976 I R 138/74, BFHE 119, 373, BStBl II 1976, 682; vom 23. Juli 1985 VIII R 210/84, BFH/NV 1986, 167, und Beschluß vom 25. August 1986 IV B 76/86, NV), andererseits aber nicht der volle Beweis der behaupteten Tatsachen erbracht werden muß. Es genügt vielmehr deren Glaubhaftmachung (vgl. BFH-Beschluß vom 21. Juni 1972 II B 44/71, BFHE 112, 74, sowie Urteil vom 17. Oktober 1979 I R 74/78, NV). Die sich aus § 76 FGO ergebende Verpflichtung des Gerichts, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln, gilt unter Berücksichtigung dieser Besonderheiten (nur präsente Beweismittel, nur Glaubhaftmachung) grundsätzlich auch für das Aussetzungsverfahren. Allerdings findet die Ermittlungspflicht - ebenso wie im Hauptsacheverfahren - ihre Grenze dort, wo es sich um Verhältnisse handelt, die ohne Mitwirkung des Steuerpflichtigen nicht oder nur unter unverhältnismäßigen Schwierigkeiten ermittelt werden können (Urteil vom 17. Oktober 1979 I R 74/78, NV).

Soweit es sich um Auslandssachverhalte handelt, besteht gemäß § 90 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Antragstellers (vgl. auch BFH-Urteile vom 17. Juli 1968 I 121/64, BFHE 93, 1, BStBl II 1968, 695, und vom 21. Januar 1976 I R 234/73, BFHE 118, 553, BStBl II 1976, 513, sowie für das Aussetzungsverfahren Beschluß vom 25. August 1986 IV B 76/86, NV).

Bei Anwendung der dargestellten Grundsätze auf den vorliegenden Fall kann Aussetzung der Vollziehung nicht gewährt werden. Die sich aus den Akten und den von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen ergebenden Tatsachen reichen nicht aus, um negative ausländische Einkünfte des Antragstellers hinreichend glaubhaft zu machen. Es mangelt insbesondere schon an einer schlüssigen Darlegung gewichtiger objektiver Umstände, die klar und eindeutig die Aufnahme des Betriebs eines Hotelgewerbes oder entsprechende Vorbereitungshandlungen erkennen lassen (vgl. Urteile des BFH vom 13. November 1973 VIII R 157/70, BFHE 110, 556, BStBl II 1974, 161, und vom 30. November 1977 I R 115/74, BFHE 124, 52, BStBl II 1978, 193). Die bloße Rentabilitätsberechnung, die sich bei den Akten befindet, macht für sich genommen noch nicht den Entschluß des Antragstellers deutlich, das Objekt auch tatsächlich zu einem Hotel umzugestalten und dieses Hotel in eigener Regie führen zu wollen. Sie kann lediglich als Grundlage einer möglichen Entscheidungsfindung angesehen werden. Hinzu kommt, daß der Antragsteller im Januar 1983 dem FA mitgeteilt hat, daß er im Jahre 1982 seinen Wohnsitz aus Krankheitsgründen (schwere Arthrose) in seine Eigentumswohnung nach B verlegt habe.

Selbst wenn man der bloßen Behauptung des Antragstellers folgend die Begründung einer gewerblichen Betätigung bejahen könnte, bliebe offen, wann (im Jahre 1982 oder im Jahre 1983 und ggf. in welchem Monat?) dies geschehen sein könnte. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß der Antragsteller in der ,,Anlage A" zur Einkommensteuererklärung 1982 vom 15. November 1984 dem FA u. a. mitteilte, infolge der Rezession ,,mußte sich nach Fertigstellung, die 1983 erfolgte, ein erheblicher Leerstand der Büroflächen ergeben. Aus diesem Grunde wurde die Umstrukturierung des Gebäudes als Hotelgebäude vorgenommen." Diese Darstellung deutet darauf hin, daß allenfalls erst 1983, d. h. nur wenige Monate vor der Veräußerung des Objekts, der Entschluß zum Betrieb eines Hotels gefaßt worden war. Diese Umstände in Verbindung mit der vom Antragsteller behaupteten starken Rezession in A lassen es als völlig unklar erscheinen, zu welchem Wert der Gebäudekomplex in das Betriebsvermögen eingelegt worden sein könnte. Es erscheint fraglich, ob ein Gebäude, das Mitte 1983 nur mehr für 600 000 DM (einschließlich Grund und Boden?!) verkauft werden konnte, nur einige Monate zuvor noch einen Teilwert (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG) von 1 775 000 DM gehabt haben kann. Zum Einlagewert des Grund und Bodens und den hierauf entfallenden Erlös enthält der Antrag zudem keinerlei Ausführungen.

Angesichts dieser Ungereimtheiten und der Außergewöhnlichkeit des behaupteten Geschehens hätte es zur Glaubhaftmachung der Verluste einer viel stärker ins einzelne gehenden Darlegung der Bau- und Umbaumaßnahmen und der Gebäudenutzungsversuche einschließlich der Erläuterungen des zeitlichen Ablaufs bedurft. Die einschlägigen Unterlagen wären vorzulegen gewesen.

Soweit der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung hilfsweise auf die Entstehung negativer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gestützt wird, gilt Entsprechendes. Dem Antrag sind keinerlei Belege über die entstandenen Zinsen sowie über Grund und Höhe der Flugkosten beigefügt. Auch zur Höhe der dem Grunde nach geltend gemachten Absetzungen für Abnutzung (AfA) fehlen Angaben; insbesondere zum genauen Zeitpunkt der Fertigstellung (frühestmöglicher AfA-Zeitpunkt), die nach eigener Darstellung des Antragstellers in der ,,Anlage A" zur Einkommensteuererklärung 1982 erst im Jahre 1983 erfolgte.

Im Hinblick auf diese zahlreichen Unklarheiten ist es dem Senat nicht möglich, die Höhe der etwaigen Werbungskosten aus Vermietung und Verpachtung auch nur annähernd zu ermitteln und einer teilweisen Aussetzung der Vollziehung zugrunde zu legen.

Infolge der Ablehnung des Antrags auf Aussetzung der Vollziehung erübrigen sich Ausführungen zu der auf die Sicherheitsleistung begrenzten Anschlußbeschwerde des Antragstellers.

 

Fundstellen

BFH/NV 1987, 44

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