Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässige Beschwerde gegen Zurückweisung eines Gesuchs auf Richterablehnung nach Nichtabhilfebeschluß über Nichtzulassungsbeschwerde

 

Leitsatz (NV)

Eine Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Gesuchs auf Ablehnung von Richtern, die gemäß § 130 Abs. 1 FGO an einem Nichtabhilfebeschluß über eine Nichtzulassungsbeschwerde mitgewirkt haben, ist mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig, weil es gegen den Nichtabhilfebeschluß kein selbständiges Rechtsmittel- oder Wiederaufnahmeverfahren gibt.

 

Normenkette

FGO §§ 51, 130

 

Verfahrensgang

Hessisches FG

 

Tatbestand

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhob unter dem 3. August 1989 Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 1988 vom 18. Juli 1989 mit der Begründung, daß § 32b des Einkommensteuergesetzes (EStG) verfassungswidrig angewendet und der Grundfreibetrag zu niedrig angesetzt worden sei. Außerdem beanstandete sie die Adressierung des Bescheides. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt -FA -) hat - soweit bekannt - bis heute über den Einspruch noch nicht entschieden. Er wartet Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ab.

Die Klägerin erhob mit Schriftsatz vom 24. Juni 1991 Untätigkeitsklage gemäß § 46 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das Finanzgericht (FG) anberaumte mündliche Verhandlung auf den 2. Oktober 1991. Die Ladung dazu wurde dem Prozeßbevollmächtigten am 4. September 1991 zugestellt. Er beantragte Vertagung wegen beruflicher Verhinderung und im übrigen Akteneinsicht. Den Vertagungsantrag lehnte der Vorsitzende Richter am FG X durch Beschluß vom 24. September 1991 ab. Gleichzeitig stellte er dem Prozeßbevollmächtigten anheim, Akteneinsicht an Gerichtsstelle zu nehmen. Das FG führte die mündliche Verhandlung am 2. Oktober 1991 durch. An ihr nahm weder die Klägerin noch ihr Prozeßbevollmächtigter teil. Die Klage wurde als unzulässig abgewiesen. Das FG ließ die Revision nicht zu. An der Entscheidung wirkten als Berufsrichter der Vorsitzende Richter am FG X und die Richter am FG Y und Z mit.

Die Klägerin legte gegen das Urteil Nichtzulassungsbeschwerde ein, die beim erkennenden Senat anhängig ist. In der Beschwerdeschrift lehnte die Klägerin für die nach § 130 Abs. 1 FGO zu treffende Entscheidung des FG die Richter X, Y, Z und A ab. Der Richter am FG A müßte im Falle des Ausscheidens eines der drei übrigen Richter zuständigkeitshalber an der Entscheidung gemäß § 130 Abs. 1 FGO mitwirken. Zur Begründung ihres Ablehnungsgesuches berief sich die Klägerin auf ein beim BFH anhängig gewesenes Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde eines anderen Steuerpflichtigen (III B 76/91), die gegen die Abweisung einer vergleichbaren Untätigkeitsklage durch das FG gerichtet war. In bezug auf dieses Verfahren behauptete die Klägerin in ihrem Ablehnungsgesuch, die Richter X, Y und Z hätten den III.Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) gedrängt, ,,schnellstmöglich eine im Sinne" des FG ,,positive und damit für die Klägerin negative Entscheidung" zu fällen.

Weiterhin begründete die Klägerin ihr Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden Richter am FG X und die Richter am FG Y und Z damit, daß der Vorsitzende Richter am FG X in der Zeit vom 30. September 1991 bis zum 3. Dezember 1991 unter Duldung der beiden anderen Richter 247 Termine zur mündlichen Verhandlung in Parallelsachen anderer Steuerpflichtiger unter Beteiligung des Prozeßbevollmächtigten des Klägers anberaumt habe. Für jeden Termin seien nur etwa fünf Minuten verblieben, so daß die mündlichen Verhandlungen zur Farce geworden seien. Außerdem macht die Klägerin geltend, in ihrem Verfahren sei ihr vom FG die Akteneinsicht verweigert worden und der Termin zur mündlichen Verhandlung trotz Verhinderung ihres Prozeßbevollmächtigten nicht aufgehoben worden. Daraus schloß die Klägerin, daß es den Richtern X, Y und Z um die Herausdrängung ihres Prozeßbevollmächtigten aus dem Verfahren gegangen sei. Dies ergebe sich aus dem Verhalten der Richter in Parallelverfahren, in denen ihr Prozeßbevollmächtigter für andere Steuerpflichtige auftrete.

Das Ablehnungsgesuch gegen den Richter A stützte die Klägerin auf die Behauptung, dieser Richter sei vorsorglich bei allen vergleichbaren Klagesachen in der mündlichen Verhandlung anwesend gewesen, um bei Ablehnung eines primär zuständigen Richters durch den Prozeßbevollmächtigten an einer schnellen Entscheidung über das Ablehnungsgesuch mitwirken zu können. Der Richter A habe sich zudem in einem zufällig von dem Prozeßbevollmächtigten angehörten Gespräch gegenüber Richterkollegen zuversichtlich zu der Möglichkeit geäußert, den Prozeßbevollmächtigten ,,los zu werden". Da sich dieser Richter dabei auch auf die Auffassungen der Richter X, Y und Z bezogen habe, ergebe sich daraus ein weiterer Grund für die Ablehnung dieser drei Richter.

Das FG verwarf das Ablehnungsgesuch insgesamt als unzulässig. Dienstliche Äußerungen der abgelehnten Richter hielt das FG nicht für erforderlich. Der Beschluß wurde von den Richtern X, Y und Z gefaßt. In derselben Besetzung half das FG am gleichen Tage der Nichtzulassungsbeschwerde nicht ab.

Das FG vertrat die Auffassung, die Einbeziehung des Richters A in das Ablehnungsgesuch sei schon deshalb unzulässig, weil dieser Richter an dem Beschluß über die Frage der Abhilfe der Beschwerde nicht beteiligt sei. Gegen die übrigen Richter seien Ablehnungsgründe entweder nicht substantiiert vorgetragen oder sie seien in einem falschen Sachzusammenhang gestellt worden. Darüber hinaus habe das Ablehnungsgesuch fast ausschließlich verunglimpfenden Charakter und verfolge offensichtlich verfahrensfremde Zwecke wie die Verzögerung des Verfahrens.

Gegen die Verwerfung des Ablehnungsgesuchs richtet sich die Beschwerde der Klägerin. Sie vertritt die Auffassung, daß die von ihr mit der Nichtzulassungsbeschwerde geltend gemachten Ablehnungsgründe die Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter rechtfertigten. Sie beruft sich im Beschwerdeverfahren zudem auf weitere Umstände für eine Besorgnis der Befangenheit der abgelehnten Richter.

Das FG hat durch den Vorsitzenden Richter am FG X und die Richter am FG Y und Z der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unzulässig.

Wie jede Rechtsverfolgung vor Gericht setzt auch das Beschwerdeverfahren vor dem BFH ein Rechtsschutzinteresse voraus (vgl. Beschluß vom 28. Juni 1990 X B 163/88, BFH/NV 1991, 325). Daran fehlt es bei der von der Klägerin eingelegten Beschwerde.

1. Ausgangspunkt der Prüfung des Rechtsschutzinteresses muß im Streitfall die Tatsache sein, daß die Beschwerde zu einem Zeitpunkt eingelegt worden ist, als die Instanz, auf die sich das Ablehnungsgesuch bezog, durch eine Entscheidung in der Hauptsache beendet war. Dabei kann offenbleiben, ob die Beendigung der Instanz bereits in dem die Klage abweisenden Urteil des FG liegt, gegen das die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt hat. In diesem Fall wäre schon das Ablehnungsgesuch als solches mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig, da es erst nach Verkündung des Urteils eingereicht worden ist (vgl. Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 51 Rdnr.3).

Selbst wenn man wegen der von der Klägerin eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde und der deshalb gebotenen Entscheidung des FG über eine etwaige Abhilfe in dem angegriffenen Urteil noch keine Beendigung der Instanz sieht, ist im Streitfall die Instanz jedenfalls durch die Nichtabhilfeentscheidung des FG vom 19. Dezember 1991 betreffend die Nichtzulassungsbeschwerde beendet worden. Die Beschwerde der Klägerin gegen die Verwerfung ihres Ablehnungsgesuchs ist erst danach eingelegt worden.

2. Im Zivilprozeßrecht, auf das die FGO hinsichtlich der Ablehnung von Richtern im finanzgerichtlichen Verfahren verweist, ist umstritten, ob nach der Beendigung der Instanz überhaupt noch ein Rechtsschutzinteresse für ein Beschwerdeverfahren gegen die Zurückweisung eines Gesuchs auf Ablehnung von Richtern der beendeten Instanz bestehen kann (vgl. Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, Zivilprozeßordnung, 50. Aufl., § 46 Anm.2 B d, m.w.N.). Der Große Senat des BFH hat für das finanzgerichtliche Verfahren grundsätzlich ein solches Rechtsschutzinteresse bejaht (Beschluß vom 30. November 1981 GrS 1/80, BFHE 134, 525, BStBl II 1982, 217). Danach dient das Beschwerdeverfahren nach Beendigung der Instanz dazu, in einem selbständigen Zwischenverfahren zu klären, ob an der Entscheidung, welche die Instanz beendet hat, ein Richter mitgewirkt hat, der vorher zu Recht abgelehnt worden ist. Bei einem erfolgreichen Ausgang des Zwischenverfahrens ist dann die Entscheidung des FG in der Hauptsache im Rahmen eines gegen sie gerichteten Rechtsmittelverfahrens (§§ 116 Abs. 1 Ziff.2 und 119 Ziff.2 FGO) oder eines Nichtigkeitsverfahrens aufzuheben (§ 134 FGO i.V.m. § 579 Abs. 1 Ziff.3 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; dazu eingehend Zöller/Vollkommer, Zivilprozeßordnung, 17. Aufl., § 47 Rdnr.6).

3. Soweit im Streitfall die Beschwerde die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs gegen den Richter A betrifft, scheiden die genannten Gesichtspunkte für ein Rechtsschutzbedürfnis schon deshalb aus, weil dieser Richter an der Entscheidung, auf die sich das Ablehnungsgesuch bezog, nicht mitgewirkt hat. Der Beschluß über die Nichtabhilfe der Nichtzulassungsbeschwerde ist von den Richtern X, Y und Z gefaßt worden. Nur in bezug auf diese Richter kann sich also in vorliegendem Beschwerdeverfahren herausstellen, daß sie zu Unrecht an der Nichtabhilfeentscheidung hinsichtlich der Nichtzulassungsbeschwerde mitgewirkt haben.

4. Aber auch in bezug auf diese drei Richter besteht im Streitfall kein Rechtsschutzbedürfnis für das Beschwerdeverfahren. Das Rechtsschutzbedürfnis setzt nach obigen Ausführungen nämlich voraus, daß die im Beschwerdeverfahren durchgesetzte Ablehnung der Richter in ein Rechtsmittelverfahren oder ein Nichtigkeitsverfahren gegen die Entscheidung in der Hauptsache eingebracht werden kann, an der die abgelehnten Richter mitgewirkt haben. Diese Voraussetzung ist im Streitfall nicht gegeben, da die Richter nur für die Entscheidung über die Abhilfe der Nichtzulassungsbeschwerde abgelehnt worden sind.

Der im Streitfall getroffene Nichtabhilfebeschluß hinsichtlich der Nichtzulassungsbeschwerde ist nämlich nach allgemeiner Meinung nicht selbständig anfechtbar (vgl. u.a. BFH-Beschluß vom 26. April 1972 II B 31/72, BFHE 105, 333, BStBl II 1972, 575; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 130 FGO Rdnr.15). Die Klägerin kann vielmehr mit Rechtsmitteln nur gegen die ursprüngliche Entscheidung (hier das die Untätigkeitsklage abweisende Urteil des FG) vorgehen. Für diese ursprüngliche Entscheidung sind die Richter aber nicht abgelehnt worden. Die Klägerin kann deshalb über eine Ablehnung der Richter für die Nichtabhilfeentscheidung nicht rückwirkend eine Ablehnung für das klageabweisende Urteil erreichen.

Die Nichtanfechtbarkeit des Nichtabhilfebeschlusses hinsichtlich der Nichtzulassungsbeschwerde führt zwar allein noch nicht zu einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses für das Beschwerdeverfahren gegen die Zurückweisung des Richterablehnungsgesuchs. Denn bei unanfechtbaren Entscheidungen kann die im Beschwerdeverfahren durchgesetzte Richterablehnung nach § 134 FGO i.V.m. § 579 Abs. 1 Ziff. 3 ZPO grundsätzlich in einer Nichtigkeitsklage oder einem Nichtigkeitsantrag geltend gemacht werden. Doch auch diese Möglichkeit kommt bei einem im Rahmen eines Verfahrens über eine Nichtzulassungsbeschwerde ergangenen Nichtabhilfebeschluß nicht in Betracht. Nach § 134 FGO ist ein Nichtigkeitsverfahren nur gegen solche Entscheidungen zulässig, die ein Verfahren rechtskräftig beenden. Der Nichtabhilfebeschluß ist aber nicht der Rechtskraft fähig, da bei einer etwaigen Zurücknahme oder Erledigung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht der Nichtabhilfebeschluß, sondern das ursprüngliche Urteil in Rechtskraft erwächst. Außerdem beendet der Nichtabhilfebeschluß kein Verfahren, sondern führt zu einer Weiterführung des Verfahrens über die Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BFH.

Ein erfolgreicher Ausgang des vorliegenden Beschwerdeverfahrens über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs gegen die Richter X, Y und Z könnte daher keine Wirkung in bezug auf den Nichtabhilfebeschluß über die Nichtzulassungsbeschwerde, an dem diese Richter mitgewirkt haben, entfalten. Der BFH könnte den Nichtabhilfebeschluß über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht aufheben. Da es kein selbständiges Rechtsmittel- oder Wiederaufnahmeverfahren gegen den Nichtabhilfebeschluß des FG gibt, ist auch kein Raum für ein selbständiges Zwischenverfahren über die Richterablehnung für den Nichtabhilfebeschluß.

 

Fundstellen

BFH/NV 1993, 252

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