Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde betr. Verhängung von Ordnungsmitteln gegen einen ausgebliebenen Zeugen

 

Leitsatz (NV)

1. Einem ausgebliebenen und mit Ordnungsgeld belegten Zeugen stehen für die nachträgliche Geltendmachung von Entschuldigungsgründen sowohl die nachträgliche Entschuldigung bei Gericht (§ 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO) als auch die Beschwerde an den BFH (§ 380 Abs. 3 ZPO; §§ 128 ff. FGO) zur Verfügung.

2. Bei nachträglicher genügender Entschuldigung werden die gegen den Zeugen verhängten Ordnungsmittel wieder aufgehoben (§ 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

3. Eine genügende Entschuldigung liegt bei solchen Umständen vor, die das Ausbleiben des Zeugen nicht als pflichtwidrig erscheinen lassen, z. B. eigene Erkrankung, Betriebsstörung von Verkehrsmitteln sowie schwere Erkrankung oder Tod nächster Angehöriger.

4. Zur Kostenentscheidung bei erfolgreicher Beschwerde gegen die Verhängung von Ordnungsmitteln gegen einen ausgebliebenen Zeugen.

 

Normenkette

FGO § 82 ff., § 128 ff.; GKG KV; ZPO § 380f

 

Verfahrensgang

Niedersächsisches FG

 

Tatbestand

In einem seinerzeit vor dem Niedersächsischen FG anhängigen Rechtsstreit sollte laut Beweisbeschluß vom 23. August 1985 der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt, als Zeuge gehört werden. Hierzu wurde er mit der am 30. August 1985 durch PZU bekanntgegebenen Ladung vom 22. August 1985 auf den 23. September 1985, 11 Uhr, geladen.

Der Beschwerdeführer blieb dem Termin ohne Angabe von Gründen durch ihn selbst fern. Jedoch teilte der Prozeßbevollmächtigte der Klin. des Hauptverfahrens dem Gericht im Beweistermin mit, der Beschwerdeführer könne nicht erscheinen, weil er am Vortage auf der Rückfahrt von einem Kuraufenthalt in der Schweiz aufgrund eines Motorschadens auf der Autobahn bei Worms ,,hängengeblieben" sei.

Das FG erlegte dem Beschwerdeführer daraufhin mit Beschluß vom 23. September 1985 gemäß § 82 FGO i.V.m. § 380 Abs. 1 ZPO ein Ordnungsgeld von 500 DM auf, ersatzweise zwei Tage Haft. Zur Begründung hat das FG u.a. ausgeführt, der angeblich an seinem PKW aufgetretene Motorschaden könne den Beschwerdeführer nicht entlasten; es gebe keinen einleuchtenden Grund für die Annahme, daß der Beschwerdeführer deswegen nicht zum angegebenen Termin hätte erscheinen können.

Hiergegen hat der Beschwerdeführer Beschwerde eingelegt, der vom FG nicht abgeholfen worden ist. Er beantragt, den Beschluß aufzuheben. Zur Begründung macht er geltend, das Fernbleiben im Termin sei nicht unentschuldigt; er habe überdies, wie im angefochtenen Beschluß erwähnt, das Gericht rechtzeitig über den Verhinderungsgrund unterrichtet. Am Sonntag, dem 22. September 1985, dem Vortage des Termins zur Beweisaufnahme, sei sein Kfz gegen 15 Uhr infolge eines Lichtmaschinenschadens auf der Autobahn in der Nähe von Worms liegengeblieben. Erst gegen 16.30 Uhr sei er nach Worms in eine Werkstatt abgeschleppt worden. Dort sei eine Reparatur noch im Verlaufe desselben Tages (Sonntag) nicht möglich gewesen. Angesichts dessen sei ihm das Erscheinen zum Termin mindestens nicht zumutbar gewesen. Mit dem Zug habe er über X, seinen Wohnort und den Sitz seiner Kanzlei, wo sich auch die den Prozeß betreffenden Unterlagen befunden hätten, Hannover nicht mehr rechtzeitig erreichen können. Eine direkte Zugfahrt von Worms nach Hannover wäre sinnlos und überdies nicht zumutbar gewesen. Ohne seine Unterlagen aus X hätte er Aussagen zum Beweisthema nicht machen können. Außerdem hätte er unter diesen Umständen nach Worms zurückfahren müssen, um das Auto dort reparieren zu lassen und es sodann nach X zu überführen. Dies habe durch seine ihn begleitende Ehefrau nicht besorgt werden können. Nur er sei aufgrund seiner Spezialkenntnisse - es handle sich um einen Y-Sportwagen aus dem Jahre 1971 - in der Lage gewesen, die Reparatur anzuleiten und das Auto später wieder zu fahren. Im übrigen sei er der Meinung gewesen, daß der Termin aufgehoben und seine Vernehmung verschoben würden. Er habe nämlich am 19. September 1985 vom Prozeßbevollmächtigten der Klin. des Hauptprozesses erfahren, daß der andere geladene Zeuge erkrankt sei und deshalb eine Terminsverlegung beantragt worden sei, was nach gerichtlicher Praxis im allgemeinen zur Verlegung des Termins führe.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet; der angefochtene Bescheid war aufzuheben.

1. Die Beschwerde ist statthaft und auch sonst zulässig.

Nach § 82 FGO sind, von den hier - nicht einschlägigen - abweichenden Regelungen in §§ 83 bis 89 FGO abgesehen, auf die Beweisaufnahme im finanzgerichtlichen Verfahren u.a. die §§ 380 f. ZPO sinngemäß anzuwenden. Daraus ergibt sich, daß einem ausgebliebenen und mit Ordnungsgeld belegten Zeugen für die nachträgliche Geltendmachung von Entschuldigungsgründen nicht nur der Rechtsbehelf der nachträglichen Entschuldigung bei dem Gericht, das die Festsetzung ausgesprochen hat (§ 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO), sondern auch die Beschwerde an den BFH (§ 380 Abs. 3 ZPO, §§ 128 ff. FGO) zur Verfügung steht (BFH-Beschluß vom 12. Juni 1969 V B 6/69, BFHE 96, 17, BStBl II 1969, 526; vgl. auch BFH-Beschluß vom 16. Januar 1984 GrS 5/82, BFHE 140, 408, BStBl II 1984, 439).

Die Beschwerde ist mithin statthaft. Gegen die Zulässigkeit im übrigen ergeben sich keine Bedenken.

2. Die Beschwerde ist begründet. Der Beschwerdeführer hat sein Ausbleiben im Termin zur Beweisaufnahme inzwischen genügend entschuldigt (§ 82 FGO, §§ 380 f. ZPO).

Die öffentlich-rechtliche Pflicht des Zeugen, zum Termin der Beweisaufnahme zu erscheinen (vgl. BFH-Beschluß vom 8. Januar 1975 I B 61/74, BFHE 114, 404, BStBl II 1975, 305), führt im Falle des Ausbleibens u.a. zur Festsetzung eines Ordnungsgeldes, ersatzweise von Ordnungshaft (§ 380 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Die Festsetzung eines Ordnungsmittels unterbleibt u.a., wenn das Ausbleiben genügend entschuldigt ist (§ 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Bei nachträglicher genügender Entschuldigung werden die gegen den Zeugen getroffenen Anordnungen wieder aufgehoben (§ 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO). Dementsprechend ist in einschlägigen Fällen der Erfolg einer gegen die Anordnung gerichteten Beschwerde darauf abzustellen, ob sich das Ausbleiben als genügend entschuldigt ansehen läßt.

Das Gesetz sagt nicht ausdrücklich, was unter genügender Entschuldigung zu verstehen ist. Der BFH hat hierzu jedoch entschieden, daß eine genügende Entschuldigung bei solchen Umständen vorliegt, die das Ausbleiben des Zeugen nicht als pflichtwidrig erscheinen lassen, wie z. B. im Falle eigener Erkrankung, der Betriebsstörung von Verkehrsmitteln sowie im Falle schwerer Erkrankung oder des Todes nächster Angehöriger (BFH-Beschlüsse vom 3. August 1977 I B 41/77, BFHE 123, 120, BStBl II 1977, 842; vom 9. Januar 1987 III B 82/86, BFH/NV 1987, 381; vgl. auch BFH-Beschluß vom 19. Juni 1980 VIII B 26/79, BFHE 131, 265, BStBl II 1981, 57).

Derartige Gründe waren beim Beschwerdeführer nach dessen Vorbringen vorhanden. Wie der Beschwerdeführer zur Überzeugung des Senats dargelegt hat, trat am Vortage vor dem Terminstag gegen 15 Uhr auf der Autobahn in der Nähe von Worms ein Defekt am Pkw des Beschwerdeführers auf, so daß dieser die Rückfahrt an den Ort seines Wohnsitzes und seiner Kanzlei nicht mehr fortsetzen konnte. Dies allein würde den Beschwerdeführer im Hinblick auf die verbliebene Zeitspanne bis zum Termin der Beweiserhebung allerdings nicht genügend entschuldigt haben, wenn angenommen werden könnte, daß der Beschwerdeführer bei alsbaldiger Reparatur oder einem Wechsel des Verkehrsmittels noch rechtzeitig zum Beweistermin am Folgetag um 11 Uhr hätte erscheinen können. Hierzu hat der Beschwerdeführer dargelegt, es sei ihm erst gegen 16.30 Uhr gelungen, von der Autobahn nach Worms abgeschleppt zu werden, wo jedoch eine Reparatur am selben Tage (Sonntag) nicht mehr möglich gewesen sei. Eine Fahrt mit dem Taxi und mit dem Zug über seinen Wohnort, an dem sich auch seine Kanzlei mit den für die Aussage erforderlichen Unterlagen befinde, sei im Hinblick auf die Fahrplanverhältnisse nicht fristgerecht möglich gewesen. Nach seinem weiteren Vorbringen ist vom Beschwerdeführer auch die Möglichkeit bedacht worden, von Worms aus unmittelbar mit der Bahn - ohne die erforderlichen Unterlagen für die Aussage an seinem Wohnsitz zu beschaffen - nach Hannover an den Sitz des FG zu reisen. Hierzu hat der Beschwerdeführer u.a. vorgebracht, er habe hiervon insbesondere im Hinblick darauf abgesehen, daß er ohne seine Unterlagen nicht imstande sein würde, eine Aussage zum Beweisthema zu machen. Insoweit liegt zwar im strengen Sinne des Wortes in Beziehung auf das Erscheinen zur Beweisaufnahme keine Unmöglichkeit vor. Aber angesichts der widerstreitenden Interessen (öffentlich-rechtliche Pflicht des Zeugen einerseits - privates Interesse daran andererseits, nicht unter Zurücklassung des defekten Pkw`s eine Bahnreise bei Nacht unternehmen zu müssen, die unter Umständen noch nicht einmal die Vernehmung gewährleistet) sowie im Hinblick auf die für eine Entscheidung zur Verfügung stehende kurze Zeitspanne kann es dem Beschwerdeführer nicht als Pflichtwidrigkeit angelastet werden, wenn er sich dafür entschieden hat, nicht zum Termin der Beweisaufnahme zu erscheinen.

Mithin ist schon deswegen die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses gerechtfertigt. Angesichts dessen braucht auf die übrigen Ausführungen des Beschwerdeführers zu seiner Entschuldigung nicht mehr eingegangen zu werden.

3. Eine Entscheidung über die Gerichtskosten entfällt (Anl. 1 zu § 11 Abs. 1 GKG). Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last (vgl. BFH-Beschluß vom 10. Januar 1986 IX B 5/85, BFHE 145, 314, BStBl II 1986, 270).

 

Fundstellen

BFH/NV 1988, 388

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