Leitsatz (amtlich)

Wird der Beschluß, durch den einem Zeugen gemäß § 82 FGO i.V.m. § 380 Abs.1 ZPO die durch sein Ausbleiben verursachten Kosten und ein Ordnungsgeld auferlegt wurden, auf die durch eine nach Art.1 Nr.1 BFHEntlG vertretungsberechtigte Person eingelegte Beschwerde des Zeugen aufgehoben, so fallen die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers der Staatskasse zur Last.

 

Orientierungssatz

1. Bei einem Beschwerdeverfahren, durch das sich ein Zeuge gegen Maßnahmen des Gerichts i.S. von § 82 FGO, § 380 Abs. 1 ZPO wendet, handelt es sich um ein selbständiges Zwischenverfahren, bei dem auch gemäß § 143 Abs. 1 FGO über die Kosten dieses Verfahrens zu entscheiden ist (Literatur).

2. NV: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Dem Beschwerdeführer konnte nicht als Verschulden angelastet werden, daß er für die Zeit seiner fünfwöchigen, kurbedingten Abwesenheit keine Vorkehrungen getroffen hatte, um von Zustellungen, die Fristen in Lauf setzen, Kenntnis zu erhalten. Im Streitfall ließ auch die vorhergehende urlaubsbedingte Abwesenheit des Beschwerdeführers von zwei Monaten nicht den Schluß zu, daß die Abwesenheit in seiner Wohnung die Ausnahme darstellte und ihm deshalb besondere Vorkehrungen zuzumuten gewesen wären (vgl. BFH-Urteil vom 8.10.1981 IV R 108/81).

 

Normenkette

FGO §§ 82, 135 Abs. 1, § 143 Abs. 1, § 56 Abs. 1; ZPO § 380 Abs. 1, § 401; ZuSEG § 11; OWiG § 46; StPO § 467; BFHEntlG Art. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Durch Beschluß vom 29.Oktober 1984 hat das Finanzgericht (FG) dem Beschwerdeführer die durch sein Ausbleiben als Zeuge in der mündlichen Verhandlung vom 23.Oktober 1984 verursachten Kosten auferlegt sowie ein Ordnungsgeld von 100 DM, ersatzweise Ordnungshaft von zwei Tagen festgesetzt. ++/ Gegen den Beschluß legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 11. Dezember 1984, der am 14. Dezember 1984 beim FG einging, Beschwerde ein. Mit dieser beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist, da er sich vom 30. Oktober 1984 bis 4. Dezember 1984 in Kur befunden habe und erst am 5. Dezember 1984 den Beschluß bei der Post habe abholen können. Zur Begründung macht er geltend, daß er sein Nichterscheinen in der Verhandlung vom 23. Oktober 1984 schon vor Erlaß des angegriffenen Beschlusses entschuldigt habe; denn er habe dem FG mit Schreiben vom 8. August 1984 mitgeteilt, daß er bereits fest einen Urlaub geplant habe, auf den er als Schwerkriegsbeschädigter angewiesen sei. Er habe sich am 18. August 1984 auf der Fahrt nach Spanien befunden. Die Benachrichtigung über die Ladung, die am 23. August 1984 bei der Post niedergelegt worden sein solle, habe er bei seiner Rückkehr aus Spanien Mitte Oktober 1984 nicht mehr in seinem Briefkasten vorgefunden. Dieser sei zwischenzeitlich offensichtlich von anderen Hausbewohnern und dem Hausmeister von Werbematerial geleert worden. /++

Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluß aufzuheben.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig.

++/ Nach § 129 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Beschwerde beim FG innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung einzulegen. Der angefochtene Beschluß wurde dem Beschwerdeführer lt. Postzustellungsurkunde durch Niederlegung bei der Postanstalt am 10. November 1984 zugestellt (§ 53 Abs. 2 FGO i.V.m. § 3 des Verwaltungszustellungsgesetzes --VwZG--, § 182 der Zivilprozeßordnung --ZPO--). Die Frist für die Einlegung der Beschwerde endete am Montag, dem 26. November 1984 (§ 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 Abs. 1 und 2 ZPO, § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches --BGB--). Die am 14. Dezember 1984 eingelegte Beschwerde ist verspätet.

Dem Beschwerdeführer wird aufgrund seines fristgerecht gestellten Antrags (§ 56 Abs. 2 FGO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist gewährt, da er ohne Verschulden verhindert war, die Beschwerdefrist einzuhalten (§ 56 Abs. 1 FGO). Wie er durch Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung glaubhaft dargelegt hat, befand er sich vom 30. Oktober 1984 bis 4. Dezember 1984 zur Kur. Die Angabe der Kurdauer vom "30.10. bis 04.10.84" enthält hinsichtlich der Monatsangabe im letzteren Datum offensichtlich einen Schreibfehler; denn Anfang Oktober 1984 befand sich der Beschwerdeführer --wie er glaubhaft gemacht hat-- noch in Spanien.

Dem Beschwerdeführer kann nicht als Verschulden angelastet werden, daß er für die Zeit seiner kurbedingten Abwesenheit keine Vorkehrungen dafür getroffen hat, um von Zustellungen, die Fristen in Lauf setzen, Kenntnis zu erhalten. Die fünfwöchige Abwesenheit war nur vorübergehend und relativ kurzfristig, und der Beschwerdeführer brauchte während dieser Zeit mit fristauslösenden Zustellungen zu rechnen (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 8.Oktober 1981 IV R 108/81, BFHE 134, 388, BStBl II 1982, 165, mit weiteren Rechtsprechungshinweisen). Die vorhergehende urlaubsbedingte Abwesenheit des Beschwerdeführers von Mitte August bis Mitte Oktober 1984 läßt nicht den Schluß zu, daß die Anwesenheit in seiner Wohnung die Ausnahme darstellt und ihm deshalb besondere Vorkehrungen zuzumuten gewesen wären. /++

Die Beschwerde ist begründet.

++/ Nach § 82 FGO i.V.m. § 381 Abs. 1 ZPO ist die Festsetzung von Ordnungsmitteln aufzuheben, wenn der Zeuge nachträglich glaubhaft macht, daß ihm die Ladung nicht rechtzeitig zugegangen ist oder wenn sein Ausbleiben genügend entschuldigt ist.

Die nach § 82 FGO i.V.m. § 377 ZPO ordnungsgemäße Ladung zum Termin am 23. Oktober 1984 ist dem Beschwerdeführer durch Niederlegung bei der Postanstalt am 27. September 1984 wirksam zugestellt worden (§ 82 FGO i.V.m. § 377 Abs. 1 Satz 2 und § 182 ZPO). Er hat jedoch glaubhaft dargetan, daß er hiervon unverschuldet keine Kenntnis erlangt hat. Nach der zur Vorlage beim BFH abgegebenen eidesstattlichen Erklärung der Frau X, die den Beschwerdeführer auf seiner Reise in den Urlaub in Spanien begleitete, hielt sich der Beschwerdeführer vom 19. August 1984 bis Mitte Oktober 1984 nicht an seinem Wohnsitz auf. Zwar mag der Beschwerdeführer ein Interesse daran gehabt haben, nicht vor dem FG als Zeuge erscheinen zu müssen. Es sind aber keine hinreichenden Anhaltspunkte gegeben, an der Richtigkeit der Behauptung des Beschwerdeführers zu zweifeln, daß er die Benachrichtigung über die Niederlegung der Ladung bei seiner Rückkehr aus Spanien nicht in seinem Briefkasten vorgefunden habe. Die am 27. September 1984 niedergelegte Ladung wurde nach Ablauf der Abholfrist Ende Dezember 1984 an das FG zurückgeschickt.

Da der Beschwerdeführer somit sein Ausbleiben genügend entschuldigt hat, war der angefochtene Beschluß aufzuheben. /++

Da es sich bei einem Beschwerdeverfahren, durch das sich ein Zeuge gegen Maßnahmen eines Gerichts i.S. von § 82 FGO, § 380 Abs.1 ZPO wendet, um ein selbständiges Zwischenverfahren handelt, hat der Senat auch gemäß § 143 Abs.1 FGO über die Kosten dieses Verfahrens zu entscheiden (vgl. Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 11.Aufl., § 143 FGO Tz.1).

Eine Entscheidung über die Gerichtskosten entfällt (Anlage 1 zu § 11 Abs.1 des Gerichtskostengesetzes --GKG--). Nach § 135 Abs.1 FGO trägt der unterliegende Beteiligte die Kosten des Verfahrens. Beteiligter im vorliegenden Beschwerdeverfahren ist aber nur der beschwerdeführende Zeuge, der obgesiegt hat.

Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers hat auch nicht der im Hauptverfahren unterliegende Beteiligte nach § 135 Abs.1, § 139 Abs.1, § 82 FGO i.V.m. § 401 ZPO zu tragen; denn die Kosten der Beschwerde eines Zeugen gegen die Auferlegung der durch sein Ausbleiben verursachten Kosten und einer Ordnungsstrafe sind nicht nach § 11 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (ZSEG) erstattungsfähig (anderer Meinung Beschluß des Oberlandesgerichts --OLG-- Düsseldorf vom 17.September 1984 21 W 28/84, Monatsschrift für Deutsches Recht --MDR-- 1985, 60; Hartmann, Kostengesetze, 21.Aufl., § 11 ZSEG Anm.D; Meyer/Höver, ZSEG, 15.Aufl., § 11 Tz.331, jeweils mit weiteren Hinweisen).

Außer in den durch §§ 9 und 10 ZSEG geregelten Fällen werden dem Zeugen nach § 11 ZSEG die Auslagen ersetzt, "soweit sie notwendig sind". Dies gilt besonders für die Kosten einer notwendigen Vertretung und für die Kosten notwendiger Begleitpersonen (Satz 2). Zwar sind die Kosten der Beschwerde eines Zeugen dadurch veranlaßt, daß er vom Gericht als Zeuge zu Beweiszwecken herangezogen worden ist. Dem Beschwerdeführer entstanden die außergerichtlichen Kosten auch zwangsläufig, da er sich nach Art.1 Nr.1 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFHEntlG) vor dem BFH durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer als Bevollmächtigten vertreten lassen mußte (vgl. BFH-Beschluß vom 16.Januar 1984 GrS 5/82, BFHE 140, 408, BStBl II 1984, 439). Die Kosten sind jedoch nicht notwendig i.S. des § 11 ZSEG. Sie werden nicht aufgewendet, um der Verpflichtung nachzukommen, als Zeuge vor Gericht zu erscheinen. Daß nur diese Aufwendungen von § 11 Satz 1 ZSEG erfaßt werden, ergibt sich nach Auffassung des Senats aus dem Sinn und Zweck des ZSEG und aus dem Zusammenhang von § 11 Satz 1 mit den §§ 9 und 10 ZSEG sowie aus § 11 Satz 2 ZSEG. Nach den letztgenannten Vorschriften werden nur die Auslagen ersetzt bzw. der Aufwand entschädigt, der dadurch entsteht, daß der Zeuge den Termin wahrnimmt. Im übrigen hielte es der Senat auch für nicht gerechtfertigt, daß der im Hauptverfahren unterliegende Beteiligte bei einer erfolgreichen Beschwerde des Zeugen dessen außergerichtliche Kosten zu tragen hätte. Eine unrichtige Sachbehandlung i.S. des § 8 GKG mit der Folge, daß diese Kosten von dem im Hauptverfahren unterliegenden Beteiligten nicht erhoben werden würden, kann in Fällen der vorliegenden Art, in denen das Ausbleiben des Zeugen nachträglich entschuldigt wird, nicht angenommen werden.

Die Kostenregelung der FGO erweist sich mithin für den Fall des Obsiegens des beschwerdeführenden Zeugen als planwidrig unvollständig. Nach Auffassung des Senats ist diese Regelungslücke durch Anwendung des in § 46 Abs.1 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten i.V.m. § 467 der Strafprozeßordnung zum Ausdruck gekommenen Rechtsgedankens, daß dann, wenn es nicht zu einer Verurteilung kommt, die Kosten des Betroffenen der Staatskasse zur Last fallen, auszufüllen (vgl. auch Zöller/Stephan, Zivilprozeßordnung, 14.Aufl., § 380 Anm.10, und Thomas/Putzo, Zivilprozeßordnung mit Nebengesetzen, 13. neu bearbeitete Aufl., § 380 ZPO Tz.3, mit weiteren Hinweisen); denn das unentschuldigte Fernbleiben vor Gericht gehört seinem Wesen nach zu den Ordnungswidrigkeiten (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs zum Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch, BTDrucks 7/550, Nr.12 S.195).

Der I. und VIII.Senat des BFH haben der Abweichung von ihren Entscheidungen vom 8.Januar 1975 I B 61/74 (BFHE 114, 404, BStBl II 1975, 305) bzw. vom 19.Juni 1980 VIII B 26/79 (BFHE 131, 265, BStBl II 1981, 57) und vom 22.Juni 1984 VIII B 122/83 (nicht veröffentlicht) zugestimmt.

 

Fundstellen

BStBl II 1986, 270

BFHE 145, 314

BFHE 1986, 314

BB 1986, 587-587 (ST)

DB 1986, 786-786 (ST)

HFR 1986, 247-247 (ST)

DStZ/E 1986, 174-174 (ST)

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