Leitsatz (amtlich)

Wird ein Rechtsanwalt zu einem Termin zur Beweisaufnahme als Zeuge geladen und teilt er dem Gericht mit, daß er durch die Wahrnehmung von Terminen für seine Auftraggeber verhindert sei, im Termin zur Beweisaufnahme zu erscheinen, so ist sein Ausbleiben genügend entschuldigt, wenn das Gericht nicht den Versuch gemacht hat, einen anderen Termin zur Beweisaufnahme unter Berücksichtigung der sonstigen Termine des Rechtsanwalts zu bestimmen.

 

Normenkette

FGO § 82; ZPO §§ 380-381; BRAO §§ 1, 43

 

Tatbestand

In einem Rechtsstreit erließ das FG am 10. Oktober 1973 einen Beweisbeschluß, den es am 28. März 1974 ergänzte. Der Termin zur Beweisaufnahme vor dem beauftragten Richter wurde auf den 13. Mai 1974 anberaumt. Zu diesem Termin wurde der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt, als Zeuge durch Postzustellungsurkunde vom 3. April 1974 ordnungsmäßig geladen. Mit Schreiben vom 27. April 1974 teilte der Beschwerdeführer mit, er könne zu dem Termin zur Beweisaufnahme nicht erscheinen, weil er vor dem Arbeitsgericht eine Sache zu vertreten habe. Mit Schreiben vom 30. April 1974 teilte der Vorsitzende des Senats des FG dem Beschwerdeführer mit, er könne diesen von seiner Erscheinungspflicht zum Vernehmungstermin am 13. Mai 1974 nicht entbinden. Daraufhin schrieb der Beschwerdeführer am 7. Mai 1974 an das FG, er könne zum Termin zur Beweisaufnahme nicht erscheinen, weil er an diesem Tage außerdem noch zwei Sachen vor dem Amtsgericht zu vertreten habe. Wenn er sich in allen drei Sachen von einem anderen Rechtsanwalt vertreten lasse, werde er die drei Mandanten verlieren.

Nach den Feststellungen des FG sind die Ladungen des Beschwerdeführers zum Termin vor dem Arbeitsgericht am 19. April 1974 und die Ladungen zu den Terminen vor dem Amtsgericht am 3. Mai 1974 ergangen.

Der Beschwerdeführer erschien zum Termin zur Beweisaufnahme am 13. Mai 1974 nicht. Das FG hat ihn daher durch Beschluß vom 8. Juli 1974 in die durch das Ausbleiben verursachten Kosten sowie zu einer Ordnungsstrafe von 50 DM und - für den Fall, daß diese nicht beigetrieben werden kann - zur Strafe der Haft von zwei Tagen verurteilt.

Gegen diesen Beschluß hat der Zeuge Beschwerde eingelegt. Zur Begründung trägt er vor, die öffentlich-rechtliche Pflicht zur Zeugnisablegung sei zweitrangig im Verhältnis zu den Rechtsgütern seiner drei Auftraggeber, die er vor dem Arbeitsgericht und vor dem Amtsgericht zu vertreten gehabt habe. Er, der Beschwerdeführer, lasse sich grundsätzlich nicht von einem anderen Anwalt vertreten. Eine Vertretung durch andere Anwälte sei auch von seiten seiner Auftraggeber unerwünscht. Ebenso reagierten seine Auftraggeber, wenn sie Kläger seien, auf eine Terminsverlegung äußerst empfindlich.

Der Auftraggeber des Beschwerdeführers, der vor dem Arbeitsgericht zu vertreten war, hat an den BFH einen Brief geschrieben, in dem er erklärt, daß er mit einer Verlegung seines Termins vor dem Arbeitsgericht nicht einverstanden gewesen sei und auch in Zukunft jeder Terminsverlegung widerspreche. Auch wünsche er nicht, daß der Beschwerdeführer einen Vertreter zu dem Termin schicke. Eine ähnliche Erklärung hat einer der Auftraggeber des Beschwerdeführers, der im Termin vor dem Amtsgericht zu vertreten war, abgegeben.

Der Beschwerdeführer beantragt, den Beschluß des FG aufzuheben.

 

Entscheidungsgründe

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Die Beschwerde ist zulässig (§ 128 FGO) und begründet. Der Beschwerdeführer hat sein Ausbleiben im Termin zur Beweisaufnahme vom 13. Mai 1974 genügend entschuldigt (§ 82 FGO, §§ 380, 381 ZPO).

Unrichtig ist allerdings die Auffassung des Beschwerdeführers, die öffentlich-rechtliche Pflicht des Zeugen, zum Termin zur Beweisaufnahme zu erscheinen, sei zweitrangig gegenüber der Pflicht des Rechtsanwalts, seine Auftraggeber in Terminen vor den Gerichten zu vertreten. Andererseits brauchen aber auch die Pflichten des Rechtsanwalts gegenüber seinem Auftraggeber nicht in jedem Fall hinter der Pflicht, als Zeuge zu erscheinen, zurückzutreten. Im allgemeinen gehen zwingende öffentlich-rechtliche Pflichten den privatrechtlichen Pflichten vor. Aber die privatrechtlichen Pflichten des Rechtsanwalts gegenüber dem Auftraggeber sind öffentlich-rechtlich verstärkt durch §§ 1, 43 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Nach diesen Vorschriften hat der Rechtsanwalt als unabhängiges Organ der Rechtspflege die - öffentlich-rechtliche - Pflicht, seinen Beruf gewissenhaft auszuüben. Verletzt er schuldhaft seine Verpflichtungen gegenüber dem Auftraggeber, so macht er sich nicht nur zivilrechtlich schadensersatzpflichtig (§§ 675, 611, 276 BGB), sondern setzt sich auch der Gefahr einer ehrengerichtlichen Fahndung aus (§ 113 BRAO).

Bei dieser Rechtslage besteht für den Rechtsanwalt, der am selben Tag und zur gleichen Zeit einen Termin als Zeuge und einen Termin als Vertreter einer Partei wahrzunehmen hat, ein Interessenwiderstreit. Der Rechtsanwalt kann zwar zur Wahrnehmung des Termins seines Auftraggebers einen Vertreter bestellen (§ 52 BRAO, § 81 ZPO). Gegen den Willen des Auftraggebers darf er sich aber grundsätzlich nicht vertreten lassen, unbeschadet der Wirksamkeit der Handlungen des Vertreters nach außen (§ 81 ZPO). Im Streitfall hat der Beschwerdeführer glaubhaft dargelegt, daß seine Auftraggeber grundsätzlich nicht damit einverstanden gewesen wären, wenn er einen Vertreter bestellt hätte. Unter diesen Umständen hätte der Interessenwiderstreit in der Person des Beschwerdeführers nur dadurch beseitigt werden können, daß das FG den Termin zur Beweisaufnahme verlegt und dabei auf die Termine, die der Beschwerdeführer für seine Auftraggeber wahrzunehmen hatte, Rücksicht genommen hätte. Wäre es allerdings auf diese Weise nicht möglich gewesen, in nächster Zeit einen Termin zur Beweisaufnahme zu bestimmen, so hätte letztlich die Pflicht des Beschwerdeführers zur Vertretung seiner Auftraggeber hinter seiner Pflicht, als Zeuge zu erscheinen, zurücktreten müssen. Denn die Pflicht, als Zeuge zu erscheinen und auszusagen, ist unübertragbar, die Vertretung der Auftraggeber kann dagegen übertragen werden (§ 52 BRAO, § 81 ZPO). Das private Interesse des Auftraggebers daran, daß ihn der Rechtsanwalt in Person vertritt, steht in diesem Fall hinter dem öffentlichen Interesse an einer geordneten Rechtspflege und damit auch an dem Erscheinen des Rechtsanwalts als Zeugen zurück. Zu diesem Konflikt kann es aber nur kommen, nachdem das Gericht versucht hat, den Termin zur Beweisaufnahme so zu legen, daß er sich nicht mit anderen Terminen des Rechtsanwalts, der als Zeuge geladen werden soll, überschneidet. Diesen Versuch hat das FG im Streitfall nicht gemacht. Der Beschwerdeführer ist daher entschuldigt, der angefochtene Beschluß des FG ist aufzuheben (§ 82 FGO, § 381 ZPO).

Für das Beschwerdeverfahren werden Gerichtskosten nicht erhoben (§ 46 Abs. 2 des GKG, § 140 FGO). Andererseits kann auch keine Erstattung der außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers angeordnet werden, da nur der Beschwerdeführer Beteiligter am Beschwerdeverfahren ist (§ 57 FGO).

 

Fundstellen

Haufe-Index 71090

BStBl II 1975, 305

BFHE 1975, 404

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