Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterwechsel als Verfahrensmangel

 

Leitsatz (NV)

1. Eine zulassungsfreie Revision i.S. von § 116 FGO ist nur zulässig, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i.S. von § 116 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 FGO schlüssig gerügt werden. Eine schlüssige Rüge setzt voraus, daß die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - den behaupteten Verfahrensmangel ergeben.

2. Wird als wesentlicher Mangel des Verfahrens i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO gerügt, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil an den Terminen zur mündlichen Verhandlung jeweils unterschiedliche ehrenamtliche Richter teilgenommen haben, gehört zur schlüssigen Darlegung dieser Verfahrensrüge auch die Darlegung konkreter Tatsachen, aus denen sich ergibt, daß im zweiten Termin lediglich die nach dem ersten Termin unterbrochene mündliche Verhandlung fortgesetzt wurde. Denn bei mündlicher Verhandlung an mehreren Sitzungstagen ist ein Richterwechsel nach Vertagung einer mündlichen Verhandlung unschädlich.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nr. 1

 

Tatbestand

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) erhob wegen einer Grunderwerbsteuerfestsetzung des Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA -) in Höhe von ... DM am 2. April 1991 Klage vor dem Finanzgericht (FG). Dieses führte am 28. Juni 1991 eine mündliche Verhandlung durch, an deren Ende das Gericht im allseitigen Einverständnis den Beschluß verkündete, einschlägige Akten des Bauordnungsamtes... beizuziehen. Ferner wurde mitgeteilt, daß neuer Termin von Amts wegen anberaumt werden solle. Am 18. Dezember 1991 beschloß das FG, Beweis durch Vernehmung verschiedener Zeugen zu erheben. Mit der Durchführung der Beweisaufnahme wurde der Berichterstatter beauftragt, der am selben Tage einen Erörterungstermin durchführte und die Zeugen vernahm. Am 18. Februar 1992 führte das FG erneut eine mündliche Verhandlung durch, an deren Ende der Beschluß verkündet wurde, eine Entscheidung werde am Schluß der Sitzung verkündet werden. Am Schluß der Sitzung wurde ein klageabweisendes Urteil verkündet. Das FG hat die Revision nicht zugelassen.

Mit der vorliegenden Revision rügt die Klägerin, das FG sei in der mündlichen Verhandlung vom 18. Februar 1992 und bei der Urteilsberatung und Urteilsfindung nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen. Es läge ein Verstoß i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vor. Aus den Sitzungsprotokollen der mündlichen Verhandlungen vom 28. Juni 1991 und vom 18. Februar 1992 ergebe sich, daß jeweils unterschiedliche ehrenamtliche Richter teilgenommen hätten. Dies sei unzulässig. Die mündliche Verhandlung sei als rechtliche Einheit anzusehen, und zwar auch dann, wenn sie sich über mehrere Verhandlungstage erstrecke. Ein ehrenamtlicher Richter sei gesetzlicher Richter i.S. von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG), und zwar für einen bestimmten Fall und nicht bloß für einen bestimmten Verhandlungstag.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig und deshalb durch Beschluß zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO).

Da das FG die Revision nicht zugelassen hat und auch die Beschwerde der Klägerin wegen der Nichtzulassung der Revision in dem finanzgerichtlichen Urteil durch Senatsbeschluß vom heutigen Tage erfolglos geblieben ist (s. Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs), kommt nur eine zulassungsfreie Revision i.S. von § 116 FGO als statthaft in Betracht. Diese ist aber nur zulässig, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i.S. von § 116 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 FGO schlüssig gerügt werden. Eine schlüssige Rüge setzt voraus, daß die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - den behaupteten Verfahrensmangel ergeben. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Die Klägerin hat den von ihr behaupteten Mangel der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO) nicht schlüssig in diesem Sinne gerügt.

Soweit die Klägerin lediglich darauf verweist, daß an den beiden mündlichen Verhandlungen, die in der Streitsache vor dem FG durchgeführt wurden, unterschiedliche ehrenamtliche Richter teilgenommen haben, enthält dieser Vortrag keine schlüssige Verfahrensrüge.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs - BFH - (vgl. Urteile vom 10. Januar 1978 VII R 106/76, BFHE 124, 305, BStBl II 1978, 311; vom 23. Januar 1985 I R 30/81, BFHE 143, 117, BStBl II 1985, 305, 306 sowie vom 26. März 1991 VII R 72/90, BFH/NV 1992, 115 m.w.N.) bezieht sich das Tatbestandsmerkmal dem Urteil zugrunde liegenden Verhandlung, das nach § 103 FGO den gesetzlichen Richter bestimmt, nur auf die letzte mündliche Verhandlung vor dem Urteil. Daraus wird gefolgert, daß bei mündlicher Verhandlung an mehreren Sitzungstagen ein Richterwechsel nach Vertagung einer mündlichen Verhandlung unschädlich ist. Das gilt jedoch nicht für den Fall der Unterbrechung einer mündlichen Verhandlung, wenn sich ein und dieselbe mündliche Verhandlung über mehrere Verhandlungstage (Sitzungstage) hinzieht (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 15. März 1977 VII R 122/73, BFHE 121, 392, BStBl II 1977, 431, 432).

Wird als wesentlicher Mangel des Verfahrens i.S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO gerügt, das erkennende Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil an den Terminen zur mündlichen Verhandlung jeweils unterschiedliche ehrenamtliche Richter teilgenommen haben, gehört deshalb zur schlüssigen Darlegung dieser Verfahrensrüge auch die Darlegung konkreter Tatsachen, aus denen sich ergibt, daß im zweiten Termin lediglich die nach dem ersten Termin unterbrochene mündliche Verhandlung fortgesetzt wurde.

Derartige Umstände hat die Klägerin nicht schlüssig dargelegt.

 

Fundstellen

BFH/NV 1994, 880

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