Entscheidungsstichwort (Thema)

Übergehen eines Streitpunktes in den Urteilsgründen

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Urteil ist nicht mit Entscheidungsgründen versehen, wenn es überhaupt nicht oder nicht rechtzeitig oder nur mit Gründen versehen worden ist, die einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergehen, sofern es sich dabei um einen wesentlichen Streitpunkt vor dem FG gehandelt hat (st. Rspr. des BFH).

2. Selbständig ist ein Angriffs- und Verteidigungsmittel, wenn es einen eigenständigen Klagegrund darstellt oder den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bildet (st. Rspr. des BFH).

3. Der Vortrag, das Investitionsobjekt stelle gewillkürtes Betriebsvermögen dar, ist kein selbständiges Angriffsmittel.

 

Normenkette

FGO § 105 Abs. 1 Nr. 5, § 116 Abs. 1 Nr. 5; InvZulG 1982 § 4b Abs. 1

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der Inhaber mehrerer Gewerbebetriebe ist, errichtete ein Wohn- und Geschäftszentrum mit Eigentumswohnungen, die er verkaufte, sowie mit Läden, Kino, Gaststätten, Bowlingbahn u. a. nicht Wohnzwecken dienenden Räumlichkeiten, die er vermietete oder verpachtete. Für diesen Teil des Gebäudes beantragte er eine Investitionszulage nach § 4b des Investitionszulagengesetzes 1982 (InvZulG 1982). Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) lehnte den Antrag ab. Zur Begründung seiner nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage trug der Kläger u. a. vor, entgegen der Auffassung des FA erziele er mit dem Geschäftszentrum keine Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, sondern aus Gewerbebetrieb; selbst wenn aber die Einkünfte -- isoliert betrachtet -- solche aus Vermietung und Verpachtung seien, könnten sie von denen aus gewerblicher Veräußerung der Eigentumswohnungen nicht getrennt werden. Nur vorsorglich und hilfsweise werde auf die Tatsache hingewiesen, daß das ganze Objekt in den Steuererklärungen als Betriebsvermögen behandelt worden und damit mindestens gewillkürtes Betriebsvermögen des gewerblichen Grundstückshandels sei.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab und führte u. a. aus: Eine Investitionszulage könne nur gewährt werden, wenn die mit dem gewerblichen Teil des Objekts erzielten Einkünfte als solche gewerblicher Art einzustufen wären. Das sei nicht der Fall. Um die Vermietung und Verpachtung abweichend vom Grundsatz als gewerbliche Tätigkeit zu qualifizieren, müßten zu der bloßen Nutzungsüberlassung eine fortgesetzte Tätigkeit des Vermieters oder ins Gewicht fallende Sonderleistungen hinzukommen. Derartige zusätzliche Umstände seien im Streitfall nicht gegeben. Der Auffassung des Klägers, infolge der durch den Verkauf der Eigentumswohnungen erzielten gewerblichen Einkünfte seien auch die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung als gewerbliche einzustufen, sei nicht zu folgen. Denn die einzelnen Tätigkeitsbereiche seien getrennt zu erfassen, weil sie nichts miteinander zu tun hätten und selbständig für sich allein ausgeübt werden könnten. Auch die weiteren unternehmerischen Tätigkeiten des Klägers wie die Schreinerei und die ... - Bau führten nicht zu einer Umqualifizierung der Tätigkeit, da deren Selbständigkeit dadurch nicht berührt werde.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers, mit der gerügt wird, das Urteil sei nicht mit Gründen versehen. In der Vorinstanz sei dargelegt worden, daß das Investitionsobjekt gewillkürtes Betriebsvermögen des Gewerbebetriebs Grundstückshandel sei, weil der Kläger es in zulässiger Weise dem Gewerbebetrieb Grundstückshandel gewidmet habe und ein objektiver Zusammenhang mit diesem Gewerbebetrieb bestehe. Die Einstufung des streitgegenständlichen Wirtschaftsgutes als gewillkürtes Betriebsvermögen sei ausschlaggebend für die Entscheidung des Rechtsstreits gewesen. Das FG habe auf sie eingehen müssen. Denn die Entscheidungsgründe müßten nach § 105 Abs. 2 Nr. 5 der Finanzgerichtsordnung (FGO) erschöpfend sein. Dem Urteil des FG fehlten wesentliche Teile der zur Ableitung der konkreten Rechtsfolge aus dem Gesetz erforderlichen Erwägungen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist gemäß §§ 124 Abs. 1, 126 Abs. 1 FGO durch Beschluß zu verwerfen, weil sie unzulässig ist. Die Revision findet nach Art. 1 Nr. 5 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs vom 8. Juli 1975 (BGBl I, 1861), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Dezember 1993 (BGBl I, 2236), nur statt, wenn das FG oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision der Bundesfinanzhof (BFH) sie zugelassen hat. Ohne Zulassung ist die Revision nur dann zulässig, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i. S. von § 116 Abs. 1 FGO gerügt werden.

Das FG hat die von dem Kläger eingelegte Revision nicht zugelassen und der BFH hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision mit Beschluß vom heutigen Tage als unbegründet zurückgewiesen.

Die Revision ist auch nicht ohne Zulassung statthaft. In der Revisionsbegründung sind keine Tatsachen bezeichnet, aus denen sich einer der in § 116 FGO aufgeführten Verfahrensmängel ergeben kann. Ein solcher Verfahrensmangel ist nur dann bezeichnet, wenn er schlüssig gerügt wird, d. h., wenn die zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachen -- ihre Richtigkeit unterstellt -- einen der in § 116 Abs. 1 FGO genannten Mängel ergeben (BFH-Beschluß vom 21. April 1986 IV R 190/85, BFHE 146, 357, BStBl II 1986, 568). Der Vortrag des Klägers ergibt nicht schlüssig den vom Kläger gerügten Verfahrensmangel, daß das Urteil des FG nicht mit Gründen versehen sei (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO).

Nach der Rechtsprechung des BFH fehlen die Entscheidungsgründe im Sinne dieser Vorschrift zwar nicht nur dann, wenn die Entscheidung überhaupt nicht oder nicht rechtzeitig mit Gründen versehen worden ist. Diese Voraussetzung ist vielmehr bereits dann erfüllt, wenn das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat, der selbständige Anspruch oder das selbständige Angriffs- oder Verteidigungsmittel in dem Verfahren vor dem FG geltend gemacht worden ist und es sich um einen wesentlichen Streitpunkt gehandelt hat (Beschluß des Senats vom 12. April 1991 III R 181/90, BFHE 164, 179, BStBl II 1991, 638 m. w. N.). Unter Angriffs- und Verteidigungsmitteln sind dabei -- entsprechend § 282 Abs. 1 der Zivilprozeßordnung (ZPO) -- insbesondere die zur Begründung des Sachantrags vorgebrachten tatsächlichen und rechtlichen Behauptungen, Einwendungen, Bestreiten, Einreden und Beweisanträge, nicht jedoch allgemeine Rechtsausführungen zu verstehen (Zöller/Greger, Zivilprozeßordnung, 19. Aufl., § 282 Rz. 2). Selbständig ist ein Angriffs- und Verteidigungsmittel -- entsprechend § 146 ZPO --, wenn es einen eigenständigen Klagegrund darstellt oder den vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestatteten Rechtsnorm bildet (BFH-Beschlüsse vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351; vom 8. November 1993 X R 7/93, BFH/NV 1994, 491, und vom 30. Juli 1990 V R 49/87, BFH/NV 1991, 325).

Hingegen kann eine Revision nach § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht erfolgreich damit begründet werden, daß ein Urteil lückenhaft sei und daß das FG auf Einzelheiten des Sachverhalts, auf einzelne Tatbestandsmerkmale und rechtliche Gesichtspunkte oder auf einzelne Argumente der Beteiligten nicht eingegangen sei (vgl. z. B. BFH- Urteil vom 20. Mai 1994 VI R 10/94, BFHE 174, 391, BStBl II 1994, 707; BFH-Beschlüsse vom 9. November 1990 X R 67/89, BFH/NV 1991, 546, und in BFH/NV 1991, 325). Denn diese Rügen richten sich gegen die unrichtige Anwendung des materiellen Rechts (BFH-Beschlüsse vom 18. Februar 1993 VI R 23/92, BFH/NV 1993, 552, und in BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351); sie bezeichnen keinen Verfahrensmangel.

Die Revision trägt vor, daß in der Vorinstanz in dem Schriftsatz vom 5. Februar 1993 auf den rechtlichen Gesichtspunkt hingewiesen worden sei, die Investitionen in den gewerblichen Teil des vom Kläger errichten Objekts seien -- jedenfalls -- deshalb zulagefähig, weil dieser Teil gewillkürtes Betriebsvermögen des vom Kläger betriebenen gewerblichen Grundstückshandels darstelle. Es kann dahinstehen, ob aufgrund dieses "vorsorglich und hilfsweise" angebrachten "Hinweises" die Bewertung des Investitionsobjektes als gewillkürtes Betriebsvermögen im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung als wesentlicher Streitpunkt anzusehen ist, den das FG in den Entscheidungsgründen nach § 105 Abs. 1 Nr. 5 FGO abhandeln mußte. Denn auch dann wäre der geltend gemachte Verfahrensmangel des § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO nicht schlüssig vorgetragen.

Der Vortrag, das Investitionsobjekt stelle gewillkürtes Betriebsvermögen des gewerblichen Grundstückshandels dar, ist zwar ein Angriffsmittel; denn er schließt die Rechtsbehauptung ein, das Wirtschaftsgut sei dem Gewerbebetrieb des Klägers in zulässiger Weise zugeordnet worden. Er ist jedoch kein selbständiges Angriffsmittel. Der Tatbestand der vom Kläger für seinen Investitionszulagenantrag in Anspruch genommenen Rechtsnorm, nämlich § 4b Abs. 1 Satz 1 InvZulG 1982, verlangt, daß die begünstigten Investitionen in einem Betrieb oder in einer Betriebstätte im Inland vorgenommen werden. Der Vortrag des Klägers, er habe das Investitionsobjekt durch Ausübung eines ihm zustehenden Wahlrechts dem Gewerbebetrieb Grundstückshandel zugeordnet, enthält lediglich eine Begründung dafür, weshalb die Investitionen als "in einem Betrieb" vorgenommen anzusehen sind. Das FG konnte diese Argumentation des Klägers ohne ausdrückliche Erörterung in den Entscheidungsgründen verwerfen, ohne sich damit dem Vorwurf auszusetzen, seine Entscheidung nicht mit Gründen versehen zu haben. Denn weshalb seiner Ansicht nach das Tatbestandsmerkmal "in einem Betrieb" -- das im übrigen nicht den vollständigen Tatbestand der den Kläger begünstigenden Rechtsnorm ausmacht -- nicht erfüllt ist, hat das FG in seinem Urteil eingehend dargelegt.

Sollte im übrigen aus dem stillschweigenden Übergehen des Vortrages, das Investitionsobjekt sei als gewillkürtes Betriebsvermögen dem Grundstückshandel zuzuordnen, zu schließen sein, daß das FG die rechtliche Bedeutung dieses Gesichtspunkts nicht erkannt hat, würde sich daraus lediglich ein materiell-rechtlicher Mangel der angefochtenen Entscheidung ergeben, mit dessen Rüge die zulassungsfreie Revision nicht schlüssig begründet werden kann.

 

Fundstellen

Haufe-Index 421077

BFH/NV 1996, 480

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