Entscheidungsstichwort (Thema)

Unvollständige Würdigung des klägerischen Vorbringens und Wechsel des Berichterstatters wesentliche Verfahrensmängel im Sinne von § 116 Abs. 1 Nr. 1 und 5 FGO?

 

Leitsatz (NV)

Eine unvollständige Würdigung des Vortrags der Beteiligten ist kein Verfahrensmangel im Sinn von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO.

Ein auf unsachlichen Gründen beruhender Berichterstatterwechsel kann ein Verfahrensmangel im Sinn von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO (nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts) sein. Zur schlüssigen Rüge des Verfahrensmangels gehört in einem solchen Fall die Darlegung, daß die Streitsache abweichend von der internen Geschäftsverteilung des Senats aus unsachlichen Gesichtspunkten auf einen anderen Richter zur Bearbeitung übertragen worden ist.

 

Normenkette

FGO § 116 Abs. 1 Nrn. 1, 5

 

Nachgehend

BVerfG (Beschluss vom 20.02.1991; Aktenzeichen 2 BvR 39/91)

 

Tatbestand

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erhob im Mai 1982 beim Finanzgericht (FG) Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1979. Die Klage wurde beim 1. Senat anhängig. Zum Berichterstatter wurde Richter am FG A bestellt.

Im Mai 1987 wurde - laut den dem Bundesfinanzhof (BFH) vorliegenden Geschäftsverteilungsplänen des FG - dem bis dahin aus dem Vorsitzenden Richter am FG B und den Richtern C und A bestehenden 1. Senat als dritter beisitzender Richter der Richter am FG D zugeteilt. Lt. Vorblatt in der FG-Akte wurde Richter am FG D statt Richter am FG A Berichterstatter. Ab Mai 1987 hat Richter am FG D auch die Aktenverfügungen unterzeichnet.

Im April 1987 hatte der Kläger außerdem Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1980 erhoben, die beim . . Senat des FG anhängig wurde. Gemäß Anmerkung . . . des Geschäftsverteilungsplans des FG wurde die Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1980 durch Beschluß vom 15. Oktober 1987 mit der Klage gegen den Einkommensteuerbescheid 1979 verbunden und ging auf den 1. Senat über.

Der 1. Senat wies die Klage durch Urteil vom 13. Juni 1989 ab unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am FG B, des Richters am FG D sowie der Richterin am FG E, die dem 1. Senat seit 1988 statt Richter am FG C angehörte.

Die Revision wurde nicht zugelassen.

Mit der Revision nach § 116 der Finanzgerichtsordnung (FGO) macht der Kläger geltend:

Das Urteil sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO).

Ferner sei der 1. Senat des FG bei der Entscheidung nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO). Zum Berichterstatter sei lt. FG-Akte Richter am FG A bestellt worden. Er habe am Urteil nicht mitgewirkt, obwohl er am Tag der Verhandlung und Entscheidung noch dem Senat angehört habe. Weder Richter am FG D noch Richterin am FG E seien gemäß § 79 FGO zum Berichterstatter bestellt worden. Dieses Unterbleiben der Bestellung eines an der Urteilsfindung mitwirkenden Richters sei ein schwerer Verfahrensfehler. Der zum Berichterstatter bestimmte Richter am FG A sei, ,,weil in dieser Sache unerwünscht, ohne seine Bestellung zu widerrufen, ausgeschaltet" worden. Richter am FG A habe ihm - dem Kläger - 1985 bei einem Telefonat erklärt, er halte die Besteuerung des Klägers wegen Verstoßes gegen das Verfassungsgebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit für verfassungswidrig und werde deshalb seinen Kollegen die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorschlagen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist unzulässig.

Die zulassungsfreie Revision ist nur statthaft, wenn wesentliche Mängel des Verfahrens i. S. von § 116 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 FGO - schlüssig - gerügt werden. Eine schlüssige Rüge setzt voraus, daß die zur Begründung vorgetragenen Tatsachen - ihre Richtigkeit unterstellt - den behaupteten Verfahrensmangel ergeben. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

1. Der Kläger trägt vor, das Urteil sei nicht mit Gründen versehen (§ 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO). Ein Mangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO ist nach der Rechtsprechung jedoch nur gegeben, wenn die Begründung überhaupt fehlt oder das FG einen selbständigen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (z. B. BFH-Beschlüsse vom 9. Februar 1977 I R 136/76, BFHE 121, 298, BStBl II 1977, 351, m. w. N., und vom 17. September 1987 IV R 161/85, BFH/NV 1989, 245). Eine lediglich unvollständige Würdigung des Vortrags der Beteiligten - wie sie der Kläger geltend macht - ist hingegen kein Verfahrensmangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 5 FGO. Wird geltend gemacht, das FG habe bei seiner Würdigung des Sachverhalts rechtliche Gesichtspunkte übergangen oder das rechtliche Vorbringen der Beteiligten in den Urteilsgründen nicht erschöpfend abgehandelt, handelt es sich nicht um eine Verfahrensrüge, sondern um die Rüge unrichtiger Anwendung sachlichen Rechts, die eine zulassungsfreie Revision nicht begründen kann (z. B. BFH-Beschluß vom 18. April 1989 VII R 14/88, BFH/NV 1990, 169).

2. Der Mangel der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO) ist ebenfalls nicht schlüssig gerügt.

Ein Mangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO liegt vor, wenn bei der Zusammensetzung des Gerichts § 5 Abs. 3, §§ 14 bis 27 FGO nicht beachtet wurden oder wenn gegen die Vorschriften des § 4 FGO i. V. m. §§ 21e bis g des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) oder gegen den Geschäftsverteilungsplan des Gerichts verstoßen wurde (Gräber / Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2. Aufl., § 119 Rdnr. 4). Kein solcher Verfahrensmangel folgt aus dem Vortrag des Klägers, aus den Akten ergebe sich weder die Bestellung des Richters D oder der Richterin E zum Berichterstatter noch ein Widerruf der Bestellung des Richters A als Berichterstatter.

Nach § 4 FGO i. V. m. § 21 g Abs. 2 GVG bestimmt der Vorsitzende vor Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer, nach welchen Grundsätzen die Mitglieder an den Verfahren mitwirken; diese Anordnung kann nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung, ungenügender Auslastung, Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Mitglieder des Spruchkörpers nötig wird. Aus der Gerichtsakte selbst ist im allgemeinen nicht zu ersehen, warum ein Berichterstatter bestellt oder warum ein anderer zum Berichterstatter ernannt worden ist. In der Gerichtsakte ist in der Regel nur der Name des Berichterstatters vermerkt. Geht die Bearbeitung eines Falles auf einen anderen als den ursprünglich bestimmten Berichterstatter über, weil - wie z. B. im Streitfall - dem Senat ein zusätzlicher Richter zugeteilt wird und daher ein Teil der anhängigen Fälle auf den neuen Richter zu übertragen ist, muß sich dies nicht aus der Gerichtsakte ergeben. Der Übergang vollzieht sich aufgrund der allgemeinen Bestimmung des Vorsitzenden über die Geschäftsverteilung im Senat. Ein Mangel i. S. von § 116 Abs. 1 Nr. 1 FGO könnte zwar dann vorliegen, wenn der Berichterstatterwechsel nicht auf sachlichen Gründen beruht hätte, sondern darauf - wie der Kläger wohl andeuten will -, daß der ursprüngliche Berichterstatter eine dem Vorsitzenden oder den übrigen Mitgliedern des Senats mißliebige Meinung vertreten hat. Wenn der Kläger dies schlüssig hätte rügen wollen, hätte er aber vortragen müssen, nach welchen Gesichtspunkten im 1. Senat die Geschäfte verteilt worden sind und daß bei Bestellung des Richters D zum Berichterstatter aus unsachlichen Gründen davon abgewichen worden ist.

3. Der Mangel der Verletzung rechtlichen Gehörs ist in § 116 Abs. 1 FGO nicht aufgeführt. Die diesbezügliche Rüge des Klägers kann daher nicht zu einer zulassungsfreien Revision führen.

 

Fundstellen

BFH/NV 1991, 546

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