Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde gegen einen Beschluß entsprechend § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO

 

Leitsatz (NV)

1. Wird gegen einen entspr. § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO ergangenen Einstellungsbeschluß des FG Beschwerde eingelegt, mit der die Unwirksamkeit der Rücknahme eines Antrags auf Aussetzung der Vollziehung geltend gemacht wird, so hat das FG das Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO fortzusetzen. Es hat durch Beschluß entweder zu entscheiden, daß der Antrag zurückgenommen ist, oder aber in der Sache zu entscheiden.

2. Setzt das FG auf die Beschwerde das Verfahren nicht fort, hebt der BFH den entspr. § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO ergangenen Beschluß auf.

 

Normenkette

FGO § 72 Abs. 2 S. 2

 

Tatbestand

Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) hatten gegen den Einkommensteuerbescheid 1988 Klage erhoben und Aussetzung der Vollziehung durch das Finanzgericht (FG) beantragt.

Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) wies darauf hin, daß dieser Antrag nach Art. 3 § 7 Abs. 1 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit (VGFGEntlG) unzulässig sei, weil er nicht zuvor bei der Behörde gestellt worden sei. Die Aussetzung der Vollziehung sei inzwischen von Amts wegen verfügt worden.

Der Berichterstatter des FG fragte daraufhin beim Bevollmächtigten der Antragsteller an, ob er den Antrag zurücknehme.

Mit Schriftsatz vom 1. August 1991 äußerte sich der Bevollmächtigte wie folgt:

,, . . . wird der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung vor dem FG zurückgenommen und beantragt, sämtliche entstandenen Gerichtskosten dem Beklagten gem. § 138 Abs. 1 FGO aufzuerlegen."

Den ,,Kostenantrag" begründete der Bevollmächtigte damit, daß das FA habe erkennen lassen, es werde die Vollziehung während des Klageverfahrens nicht erneut aussetzen.

Das FG stellte das Verfahren durch Beschluß in entsprechender Anwendung des § 72 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein. Dem Beschluß war eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, in der auf die Zulässigkeit der Beschwerde hingewiesen wurde.

Mit ihrer Beschwerde machen die Antragsteller geltend, ihr Schriftsatz vom 1. August 1991 sei nicht als Antragsrücknahme, sondern als Erledigung der Hauptsache auszulegen.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und sie dem Bundesfinanzhof (BFH) zur Entscheidung vorgelegt.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des Einstellungsbeschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.

1. Gegen einen Einstellungsbeschluß gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Beschwerde, mit der die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht wird, statthaft (BFH-Beschlüsse vom 19. Januar 1972 II B 26/69, BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352; vom 9. Mai 1972 IV B 99/70, BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543; in BFH/NV 1987, 524; in BFH/NV 1988, 459). Die Statthaftigkeit folgt aus § 128 Abs. 1 FGO, wonach gegen Entscheidungen des FG, die nicht Urteile oder Vorbescheide sind, den Beteiligten die Beschwerde an den BFH zusteht, soweit in der FGO nichts anderes bestimmt ist. Entsprechendes gilt, wenn mit dem angefochtenen Beschluß ein Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO eingestellt wird (BFH-Beschluß vom 3. August 1967 IV S 3/67, BFHE 90, 10, BStBl III 1967, 730).

2. Die Beschwerde ist auch nicht mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Allerdings wird im Einstellungsbeschluß nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO nicht über die Wirksamkeit einer Antragsrücknahme entschieden (Beschluß in BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543). Das Begehren der Antragsteller läßt jedoch erkennen, daß sie sich mit einem Abschluß des Verfahrens durch einen Einstellungsbeschluß nicht abfinden wollen. Sie sind demnach durch den Einstellungsbeschluß in ihren Rechten formell beeinträchtigt. Die Antragsteller können ihr Ziel nur durch Fortsetzung des Verfahrens nach § 69 Abs. 3 FGO erreichen.

3. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann der Streit über die Antragsrücknahme nicht im Beschwerdeverfahren gegen den Einstellungsbeschluß entschieden werden. Vielmehr muß das FG der Beschwerde abhelfen und im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO entweder sachlich über den Antrag entscheiden, aussprechen, daß der Antrag zurückgenommen ist oder eine Kostenentscheidung nach § 138 FGO treffen (vgl. hierzu BFH-Beschluß in BFH/NV 1988, 459). Demgemäß muß der BFH, wenn das FG der Beschwerde nicht abhilft, den Einstellungsbeschluß aus Gründen der Rechtsklarheit aufheben und die Sache an das FG zurückverweisen, damit es das Verfahren in einer der genannten Weisen durch Beschluß abschließt (Beschlüsse in BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352; BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543; vom 30. Januar 1980 VI B 116/79, BFHE 129, 538, BStBl II 1980, 300; in BFH/NV 1986, 99; in BFH/NV 1987, 524; vom 28. März 1990 II B 163/89, BFHE 159, 486, BStBl II 1990, 503).

4. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Entscheidung des FG im Verfahren nach § 69 Abs. 3 FGO vorbehalten (§ 143 Abs. 2 FGO). Das FG wird dabei auch prüfen müssen, ob von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren gemäß § 8 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes abzusehen ist, weil solche Kosten bei der gebotenen Abhilfe der Beschwerde vermieden worden wären (vgl. BFH/NV 1988, 459).

 

Fundstellen

BFH/NV 1992, 681

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