Entscheidungsstichwort (Thema)

Beschwerde gegen Einstellungsbeschluß

 

Leitsatz (NV)

1. Gegen einen Einstellungsbeschluß gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Beschwerde, mit der Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht wird, statthaft.

2. Die Bekanntgabe eines Einstellungsbeschlusses mit einfachem Brief setzt die Beschwerdefrist nicht in Lauf.

3. Zum Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde.

4. Zur Begründetheit der Beschwerde gegen einen Einstellungsbeschluß.

 

Normenkette

FGO § 53 Abs. 1-2, § 56 Abs. 3, § 72 Abs. 2-3, § 128 Abs. 1-2; GKG § 8 Abs. 1 S. 1; VwZG § 9 Abs. 1-2

 

Verfahrensgang

FG Münster

 

Tatbestand

Mit Schriftsatz vom 6. August 1984 erklärte der Kläger (Kl.) gegenüber dem FG, er ziehe seine Klage, betreffend USt-Vorauszahlungen für das dritte und vierte Kalendervierteljahr 1983, auf Anraten seines Steuerberaters zurück. Das FG stellte daraufhin durch Beschluß das Verfahren gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO ein.

Gegen den Beschluß hat der Kl. Beschwerde eingelegt. Er macht geltend, er müsse auf Durchführung des Klageverfahrens bestehen. Die Rechtslage habe sich für ihn nach eingehender Beratung durch weitere Sachkundige anders dargestellt.

Das FG hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

 

Entscheidungsgründe

Auf die zulässige und begründete Beschwerde wird der Einstellungsbeschluß aufgehoben; die Sache wird an das FG zurückverwiesen.

1. Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere fehlt es nicht an der Statthaftigkeit und am Rechtsschutzbedürfnis.

a) Gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Sätze 2 und 3 FGO kann ein Kl. seine Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Wird die Klage zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein. Wird nachträglich die Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht, gilt § 56 Abs. 3 FGO sinngemäß.

b) Gegen einen Einstellungsbeschluß gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO ist die Beschwerde, mit welcher Unwirksamkeit der Klagerücknahme geltend gemacht wird, statthaft (Beschlüsse vom 9. Mai 1972 IV B 99/70, BFHE 105, 246, BStBl II 1972, 543, und vom 30. Januar 1980 VI B 116/79, BFHE 129, 538, BStBl II 1980, 300; vgl. Beschluß vom 19. Januar 1972 II B 26/69, BFHE 104, 291, BStBl II 1972, 352). Die Statthaftigkeit folgt aus § 128 Abs. 1 FGO, wonach gegen Entscheidungen des FG, die nicht Urteile oder Vorbescheide sind, den Beteiligten die Beschwerde an den BFH zusteht, soweit in der FGO nichts anderes bestimmt ist. Eine die Statthaftigkeit ausschließende Bestimmung ist in der FGO nicht enthalten, insbesondere nicht in deren § 128 Abs. 2.

c) Die Statthaftigkeit der Beschwerde wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß das FG den Einstellungsbeschluß den Beteiligten durch einfachen Brief übermittelt hat. Nach § 53 Abs. 1 und 2 FGO sind Entscheidungen, durch welche Fristen in Lauf gesetzt werden, den Beteiligten zuzustellen, wobei die Zustellung von Amts wegen nach den Vorschriften des VwZG zu geschehen hat. Die Gerichte haben sich dabei der Zustellungsarten aus dem VwZG zu bedienen, zu denen nicht mehr die Übersendung mit einfachem Brief gehört (vgl. hierzu Tipke/Kruse, Abgabenordnung, 11. Aufl., Vorbem. vor § 1 VwZG Rdnr. 2 und § 53 FGO Rdnr. 2). Ein Verstoß gegen diese Regelung hat gemäß § 9 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 VwZG zur Folge, daß die entsprechende Rechtsmittelfrist nicht zu laufen beginnt. Er schließt dagegen nicht aus, die unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften bekanntgegebene Entscheidung mit Rechtsbehelfen anzufechten.

d) Das Rechtsschutzbedürfnis ist gegeben. Nach der Rechtsprechung des BFH (vgl. die zuvor genannten Beschlüsse II B 26/69, IV B 99/70 und VI B 116/79) kann die mit der Rüge, die Klagerücknahme sei unwirksam, erhobene Beschwerde gegen den Einstellungsbeschluß - nur - dazu führen, daß der Einstellungsbeschluß aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen wird. Das FG hat sodann im Urteilsverfahren entweder sachlich über die Klage zu entscheiden oder auszusprechen, daß die Klage zurückgenommen ist. Damit stellt die Beschwerde ein geeignetes Mittel dar, das Verfahren in Gang zu setzen, in dem über die geltend gemachte Unwirksamkeit der Klagerücknahme entschieden werden kann.

2. Die Beschwerde ist begründet. Der Kl. hat erklärt, er bestehe auf einer Durchführung des Klageverfahrens. Damit hat er sinngemäß geltend gemacht, daß die Klagerücknahme unwirksam sei und einer Fortsetzung des Klageverfahrens nicht im Wege stehe. Demzufolge war der Einstellungsbeschluß aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens wird dem FG übertragen (§ 143 Abs. 2 FGO). Ggf. könnte zu prüfen sein, ob gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 GKG von Kostenerhebung für das Beschwerdeverfahren abzusehen ist.

 

Fundstellen

BFH/NV 1986, 99

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