Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung eines Schriftsatzes als Nichtzulassungsbeschwerde

 

Leitsatz (NV)

Bei mißverständlicher Fassung einer prozessualen Erklärung ist darauf abzustellen, was dem wirklichen Willen und dem Ziel des Erklärenden bei verständiger Würdigung am besten entspricht. Hat das FG in seinem Urteil die Revision nicht zugelassen und wird vom Prozeßbevollmächtigten des Klägers innerhalb der Rechtsmittelfrist mit einem beim FG eingereichten Schriftsatz geltend gemacht, er benötige eine klare Stellungnahme des FG, ob einer Revision zugestimmt wird, so ist dieser Schriftsatz als Nichtzulassungsbeschwerde auszulegen, auch wenn in einem nachfolgenden Schriftsatz der Begriff der Revisionsbegründung verwendet wird.

 

Normenkette

FGO § 115 Abs. 3 S. 1

 

Tatbestand

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist Eigentümerin eines 1 000 qm großen Flurstücks in A, das bei der Hauptfeststellung des Grundbesitzes auf den 1. Januar 1964 als land- und forstwirtschaftliches Vermögen bewertet worden war. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) bewertete das Grundstück der Klägerin mit Bescheid vom 23. November 1995 im Wege der Nachfeststellung auf den 1. Januar 1991 als unbebautes Grundstück, da es vorwiegend der Freizeitgestaltung diene und nicht mehr landwirtschaftlich genutzt werde.

Die hiergegen gerichtete Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) vertrat die Auffassung, daß das FA das Grundstück gemäß § 68 Abs. 1 i.V.m. § 33 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) zutreffend dem Grundvermögen zugerechnet habe. Das Urteil enthält keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision.

Mit dem nach Zustellung des Urteils innerhalb der Monatsfrist am 3. September 1997 beim FG eingegangenen Schriftsatz des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin vom 24. Juli 1997 macht dieser am Ende seiner verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Ausführungen geltend, er benötige "eine klare Stellungnahme des Finanzgerichts, ob einer Revision zugestimmt wird". Das FG hat deshalb diesen Schriftsatz als Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgelegt, hat jedoch der Beschwerde mit seinem Beschluß vom 4. September 1997 nicht abgeholfen. Mit einem weiteren Schriftsatz vom 1. November 1997, der am 6. November 1997 beim FG eingegangen ist, beantragt die Klägerin "Revision gemäß § 120 FGO i.V.m. § 115 FGO, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und das Urteil des Finanzgerichts … von einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs in gleicher Angelegenheit abweicht (Urteil vom 4. März 1987 II R 8/86, BStBl 1987 II vom 12.6.87 Nr. 10, Vorinstanz FG Baden-Württemberg (EFG 1986, 273)". In den sich daran anschließenden Ausführungen verweist der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin darauf, daß sich die "nachstehende Revisionsbegründung" in vollem Umfang auf seinen Schriftsatz vom 24. Juli 1997 stütze.

 

Entscheidungsgründe

II. Zwar verwendet der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin in seinem Schriftsatz vom 1. November 1997 (auch) den Begriff der Revision. Doch ist bei mißverständlicher Fassung einer prozessualen Erklärung darauf abzustellen, was dem wirklichen Willen und dem Ziel des Erklärenden bei verständiger Würdigung am besten entspricht (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 23. November 1978 I R 56/76, BFHE 126, 366, BStBl II 1979, 173, m.w.N.). Da das FG in seinem Urteil die Revision nicht zugelassen hat, sieht der Senat deshalb in dem Schriftsatz vom 24. Juli 1997 eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 115 Abs. 3 Satz 1 FGO. Der erkennende Senat hat deshalb verfügt, daß die ursprünglich als Revision unter dem Az. II R 72/97 registrierte Sache in den Registern des BFH gelöscht wird und nunmehr als Nichtzulassungsbeschwerde zu registrieren ist (Az. II B 73/99).

Diese wurde allerdings nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist von einem Monat seit Zustellung des Urteils, sondern erst mit Schreiben vom 1. November 1997 und damit nicht mehr fristgemäß begründet. Der Senat läßt dahingestellt, ob dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin insoweit wegen einer bevorstehenden Operation Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO gewährt werden könnte. Denn die Nichtzulassungbeschwerde ist schon deshalb unzulässig, weil ihre Begründung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO entspricht.

Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht schlüssig dargelegt.

Eine Sache hat grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, wenn eine Entscheidung durch den BFH aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder der Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt (BFH-Beschluß vom 27. Juni 1985 I B 27/85, BFHE 144, 137, BStBl II 1985, 625). Die grundsätzliche Bedeutung muß gemäß § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO in der Beschwerdeschrift dargelegt werden. Dazu reicht die bloße Behauptung, die Streitsache habe grundsätzliche Bedeutung, nicht aus. Erforderlich ist vielmehr die schlüssige und substantiierte Darlegung der bezeichneten Voraussetzungen für das Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung. Dabei muß der Beschwerdeführer konkret auf die Rechtsfrage und ihre Klärungsbedürftigkeit sowie auf ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingehen. Soweit der BFH sich bereits mit der Rechtsfrage befaßt hat, ist darzulegen, weshalb weiterer Klärungsbedarf besteht und worin sich etwa der Streitfall in den schon entschiedenen Fällen unterscheidet (vgl. BFH-Beschluß vom 15. Februar 1995 II B 118/94, BFH/NV 1995, 810).

Dies ist im Streitfall nicht geschehen. Statt dessen hat sich der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin in der Art einer Revisionsbegründung mit verfahrensrechtlichen und materiell-rechtlichen Fragen auseinandergesetzt. Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache wurde hierdurch jedoch nicht dargetan.

Auch die geltend gemachte Divergenz ist nicht schlüssig dargelegt.

Eine Divergenz gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO ist nur dann in einer § 115 Abs. 3 Satz 3 FGO genügenden Form gerügt, wenn einem tragenden abstrakten Rechtssatz einer genau bezeichneten Entscheidung des BFH oder des Bundesverfassungsgerichts ein ebenfalls abstrakter tragender Rechtssatz aus der Vorentscheidung gegenübergestellt und daraus eine Abweichung erkennbar wird (vgl. BFH-Beschlüsse vom 20. September 1993 V B 80/93, BFH/NV 1995, 512, sowie vom 31. August 1994 II B 58/94, BFH/NV 1995, 240).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Zwar hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin ein BFH-Urteil zitiert, von dem das angegriffene Urteil des FG abweichen soll. Er hat jedoch weder dem BFH-Urteil noch dem Urteil der Vorinstanz abstrakte tragende Rechtssätze entnommen, die einander widersprechen. Auch insoweit genügt es für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht, wenn der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin dem FG fehlerhafte Rechtsanwendung vorwirft.

 

Fundstellen

Haufe-Index 302476

BFH/NV 1999, 1499

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