Tz. 6

Stand: EL 45 - ET: 11/2021

Ein qualifizierter Vermögenswert (qualifying asset) ist ein Vermögenswert, für den ein beträchtlicher Zeitraum erforderlich ist, um ihn in seinen beabsichtigten gebrauchs- oder verkaufsfähigen Zustand zu versetzen (IAS 23.5). Für diese Vermögenswerte ist eine Aktivierung von Fremdkapitalkosten grundsätzlich Pflicht. Als Beispiele werden aufgeführt (IAS 23.7):

  • Vorräte, deren Verkaufsfähigkeit erst nach einer beträchtlichen Zeit gegeben ist, zB aufgrund langfristiger Lagerung (zu Ausnahmen vgl. Tz. 3f.);
  • komplette Fabrikationsanlagen, zB Gebäude, technische Anlagen, Betriebs- und Geschäftsausstattung, Bürogebäude;
  • Energieversorgungseinrichtungen;
  • immaterielle Vermögenswerte;
  • als Finanzinvestitionen gehaltene Grundstücke und Bauten (aber zu mit dem beizulegenden Zeitwert angesetzten Vermögenswerten siehe die Ausnahmeregelung oben, vgl. Tz. 4).
 

Tz. 7

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Gemeinsames Merkmal dieser Vermögenswerte ist, dass sie über einen beträchtlichen Zeitraum keinen Beitrag zum betrieblichen Erfolg leisten und dass Vorbereitungen getroffen werden, damit sie zukünftig im Rahmen des betrieblichen Leistungsprozesses genutzt bzw. verkauft werden können. Das bloße Fehlen des Leistungsbeitrags über einen beträchtlichen Zeitraum begründet alleine keinen qualifizierten Vermögenswert. Entscheidend ist, dass sich der Vermögenswert in diesem Zeitraum in einem Transformationsprozess befindet, dh. sein Zustand geändert wird. Vermögenswerte, die wegen Unbrauchbarkeit, Unterauslastung oder wegen Reparaturarbeiten über einen längeren Zeitraum nicht im Betriebsprozess eingesetzt werden, gelten daher nicht als qualifizierte Vermögenswerte.

IAS 23.5 normiert keinen genau bestimmten Zeitraum, ab dessen Überschreiten ein "beträchtlicher Zeitraum" vorliegt. Daher hat das bilanzierende Unternehmen entsprechend ein Ermessen bei der Entwicklung einer entsprechenden Bilanzierungs- und Bewertungsmethode auszuüben (zu sich hieraus ggf. ergebenden Angabepflichten vgl. Tz. 50). Aus den Begriffen "notwendigerweise" und "beabsichtigt" in der Definition eines qualifizierten Vermögenswertes in IAS 23.5 ergibt sich, dass hierbei einerseits die Art des Vermögenswerts und andererseits die Absicht des Unternehmens hinsichtlich der Verwendung des Vermögenswerts zu berücksichtigen sind (vgl. Tz. 9). Die Abgrenzung der qualifizierten Vermögenswerte sollte hierbei entsprechend den wirtschaftlichen Gegebenheiten im Unternehmen oder der Branche vorgenommen werden, wobei das IDW eine ausschließliche Orientierung an branchenüblichen Gegebenheiten ablehnt (vgl. IDW, 2016, Tz. 4).

Obgleich IAS 23.5 keinen definitiven Grenzwert vorsieht, besteht jedoch nach Auffassung des IDW die widerlegbare Vermutung, dass ein beträchtlicher Zeitraum vorliegt, wenn der Erwerb, Bau oder die Herstellung des Vermögenswertes voraussichtlich mehr als ein Jahr erfordern wird, wobei für diese Beurteilung der Aktivierungszeitraum relevant ist (vgl. IDW, 2016, Tz. 5; ähnlich ("wahrscheinlich") Deloitte 2019, Chapter A18.4.1–1; ("normalerweise") PWC, 2021, S. 22012). Nach einer anderen in der Literatur vertretenen Auffassung soll der Zeitraum weit über sechs Monate hinaus betragen (vgl. KPMG, 2020 S. 1300). Dies bedeutet aber auch, dass Zeiträume von weniger als einem Jahr als "beträchtlicher Zeitraum" einzustufen sein können. Im Übrigen indiziert der Begriff "notwendigerweise", dass, wenn der Prozess, einen Vermögenswert in seinen beabsichtigten gebrauchs- oder verkaufsfähigen Zustand zu versetzen, nur aufgrund von Ineffizienzen einen beträchtlichen Zeitraum benötigt, dieser Vermögenswert keinen qualifizierten Vermögenswert darstellt (vgl. KPMG, 2020, S. 1300).

 

Tz. 8

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Alle Vermögenswerte (insb. Vorräte), die über einen kurzen Zeitraum gefertigt oder auf andere Weise hergestellt werden (unabhängig davon, ob wiederholt in großen Mengen oder nur in Einzelfertigung) oder die bereits bei Erwerb in ihrem beabsichtigten gebrauchs- oder verkaufsfähigen Zustand sind, sind keine qualifizierten Vermögenswerte (IAS 23.7). Bei Vorräten, die wiederholt in großen Mengen, deren Herstellung aber einen längeren Zeitraum beansprucht (zB Flugzeuge), kann, obgleich sie qualifizierte Vermögenswerte darstellen, auf eine Aktivierung von Fremdkapitalkosten verzichtet werden (IAS 23.4; vgl. Tz. 3f.).

Finanzielle Vermögenswerte stellen ebenfalls keine qualifizierten Vermögenswerte (IAS 23.7) dar, da die Finanzierungskosten bereits aus der Entstehungsursache heraus (Entstehung zB durch Ausnutzung des Leverage-Effekts) nicht den Charakter von Anschaffungskosten haben; dies gilt bspw. auch für nach der Equity-Methode einbezogene Unternehmen.

Ein typischer Anwendungsfall für qualifizierte Vermögenswerte sind bei den immateriellen Vermögenswerten selbst erstellte immaterielle Vermögenswerte, insb. aktivierte Entwicklungskosten. Ein weiteres prominentes Beispiel stellt der Erwerb von Mobilfunklizenzen dar; diese sind als qualifizierte Vermögenswerte einstufen...

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