Resilienz im Automobilsektor: Controlling bei BENTELER als Erfolgsfaktor


Resilienz im Automobilsektor: Controlling als Erfolgsfaktor

Der Automobilmarkt befindet sich im Umbruch. Globale Krisen, volatile Märkte, hohe Kostenbelastungen und ein verschobenes Kräfteverhältnis zwischen OEMs und Zulieferern prägen die aktuelle Realität. Tim Harrenkamp erläuterte, wie sich das Familienunternehmen BENTELER in diesem schwierigen Umfeld strategisch neu aufstellt und welche Schlüsselrolle das Controlling dabei spielt.

Ein neuer Status quo: Unsicherheit als Dauerzustand

Die Zeiten planbarer und stabiler Abrufzahlen gehören laut Harrenkamp der Vergangenheit an. Seit der COVID-19-Pandemie haben sich Unsicherheit und Volatilität zum Dauerzustand entwickelt. Kurzfristige Auftragsschwankungen und ein unberechenbarer Ausblick auf die Fahrzeugproduktion zwingen Unternehmen, ihre bisherigen Steuerungsmechanismen zu hinterfragen. Gleichzeitig hat sich die Kostenlast von den Automobilherstellern (OEMs) zunehmend auf die Zulieferer verlagert. Die Margen geraten massiv unter Druck.

Steuerung der Volatilität im neuen Status-quo

BENTELER reagiert darauf mit drei zentralen Handlungsfeldern:

  1. Resilienz stärken,
  2. Organisation neu ausrichten und
  3. Risikomanagement weiterentwickeln

Gerade das Controlling ist in dieser Transformation ein zentraler Enabler – es liefert die nötige Transparenz, sorgt für schnelle Reaktionsfähigkeit und trägt zur Zukunftssicherung des Unternehmens bei.

Stärkung der Resilienz

Das umfassende Resilienzprogramm basiert auf vier Säulen (vgl. folgende Abbildung): 

  • Liquiditätssteuerung, 
  • operative Verbesserungen, 
  • systematisches Kostenflexing und 
  • integriertes Monitoring.

Die 4 Säulen des BENTELER Resilienz Programms

Dabei sind sind hervorzugeben:

  • Cash-Fokus und integriertes Reporting: 13-Wochen-Liquiditätsplanung inklusive Szenarien Planung, die Daten werden direkt aus dem ERP-System integriert
  • Working-Capital-Optimierung durch bessere Planung von Lagerbeständen und Produktion
  • Kostenflexibilisierung: Identifikation variabler Kostenarten, Zielvorgaben, z. B. Abbau temporärer Arbeitskräfte, Blockabschaltungen, Messung der Zielerreichung
  • Steigerung der Resilienz mit dem 3PO-Tool welches Produktion, Beschaffung, Pricing und Overheads transparent macht

Ein zentrales Instrument ist die 13-Wochen-Liquiditätsplanung, die in Echtzeit auf ERP-Daten zugreift und eine präzise Steuerung erlaubt – inklusive Szenarioanalysen und kurzfristiger Gegenmaßnahmen bei Liquiditätsengpässen. Im Gegensatz zu klassischen Planungsansätzen basiert das Modell nicht auf starren Vorgaben, sondern auf laufend aktualisierten Ist-Daten, die direkt aus dem ERP-System eingespeist werden. Das ermöglicht eine realitätsnahe Vorschau auf die kommenden drei Monate – inklusive aller bekannten Zuflüsse und Abflüsse, tagesaktueller Veränderungen sowie neuer Einschätzungen aus den Fachbereichen.

Ein weiteres zentrales Element ist das sogenannte 3PO-Tool, das unternehmensweit Kostensenkungsmaßnahmen in den Bereichen Produktion, Einkauf (Purchase), Pricing und Overhead (daher: 3PO) verfolgt. Ziel ist es, nicht nur Maßnahmen zu erfassen, sondern deren Umsetzung zu überwachen, Fortschritte zu quantifizieren und flexibel auf neue Anforderungen reagieren zu können. Die Idee: Frühzeitig Maßnahmen identifizieren, als "Puffer" einplanen und in den Budgetprozess integrieren.

Ein zusätzliches wichtiges Steuerungsfeld in Zeiten volatiler Märkte ist das Working Capital Management. Kurzfristige Abrufschwankungen – etwa durch pandemiebedingte Störungen, geopolitische Krisen oder die Halbleiterknappheit – führen zu erheblichen Lagerauf- und -abbauten. Bei BENTELER wurde die Steuerung des Working Capitals daher gezielt verbessert: Durch eine neue Produktions- und Schichtplanung, frühzeitige Platzierung von Kundenforderungen bei kurzfristigen Stornierungen und eine vorausschauende Materialbeschaffung konnte der Kapitalbedarf im Umlaufvermögen deutlich reduziert werden.

Ergänzend dazu setzt BENTELER auf systematisches Kostenflexing, um auf Nachfrageänderungen schnell reagieren zu können. Im Fokus stehen dabei variable Kostenbestandteile wie Leiharbeit, temporäre Produktionsstillstände oder die Anpassung von Dienstleistungsverträgen. Ziel ist es, Flexibilitätsfaktoren für unterschiedliche Kostenarten zu definieren, Maßnahmen zu katalogisieren und deren Fortschritt kontinuierlich über das 3PO-Tool zu tracken. So wird sichergestellt, dass auch in einem schwierigen Marktumfeld keine unnötigen Fixkostenblöcke aufgebaut werden – ein entscheidender Hebel für kurzfristige Resilienz und langfristige Wettbewerbsfähigkeit.

Organisatorische Neuausrichtung

Die strategische Neuausrichtung bei BENTELER ist weit mehr als ein Reagieren auf kurzfristige Störungen. Sie ist ein grundlegender organisatorischer Wandel, der auf langfristige Resilienz abzielt. Angesichts zunehmend fragmentierter Märkte und beschleunigter Entscheidungszyklen hat das Unternehmen eine konsequente Dezentralisierung und Straffung der Strukturen vorgenommen. Lokale Geschäftsbereiche und Marktorganisationen wurden gestärkt, Entscheidungsprozesse verschlankt, globale Funktionen gezielt zentralisiert.

Besonders im Fokus sind Empowerment des lokalen Managements und die Reduktion unnötiger Abstimmungsschleifen. Investitionsentscheidungen, die früher in bis zu fünf Gremien diskutiert wurden, werden heute in der Hälfte der Zeit und mit deutlich weniger Instanzen getroffen. In der neu geschaffenen BAM-Division wurde dieser Wandel sogar "grünfeldartig" umgesetzt – mit flachen Hierarchien, klaren Verantwortlichkeiten und einer Struktur, die auf Schnelligkeit und Kundennähe ausgelegt ist.

Das Ergebnis: Mehr Nähe zum Markt, höhere Umsetzungsgeschwindigkeit und bessere Abstimmung zwischen operativen Einheiten und Controlling. Der Wandel ist noch nicht abgeschlossen, aber erste messbare Erfolge zeigen: Die Organisation ist auf dem richtigen Weg.

Weiterentwickeltes Risikomanagement

Früher oft als "Papiertiger" belächelt, hat das Risikomanagement bei BENTELER eine tiefgreifende Transformation durchlaufen und sich zu einem echten Steuerungsinstrument entwickelt. Statt rein reaktiver Risikoerfassung steht heute eine proaktive Risikooptimierung im Vordergrund. Drei Leitfragen bilden das Rückgrat des neuen Ansatzes: 

  1. Wie groß ist unser finanzieller Spielraum? 
  2. Welche Risiken existieren konkret? 
  3. Und wie lassen sie sich wirtschaftlich sinnvoll mitigieren?

Herzstück des Systems ist die Bestimmung des finanziellen Headrooms – also des Puffers zwischen den aktuellen Kennzahlen und den vertraglich vereinbarten Finanzkennziffern (Covenants) (vgl. nachfolgende Abbildung). Auf dieser Basis wird das Gesamtrisiko des Konzerns mithilfe einer Monte-Carlo-Simulation aggregiert. Das Ergebnis, der sogenannte Value@Risk (VaR) 5%, gibt an, wie wahrscheinlich es ist, dass Risiken den finanziellen Spielraum übersteigen.

Ist das Risiko zu hoch, werden gezielt Maßnahmen zur Risikominderung mit der höchsten Wirksamkeit ("marginal utility") identifiziert und umgesetzt, wie etwa Kostenreduktionen, operative Puffer oder Vertragsabsicherungen. So wird aus einer einst administrativen Funktion ein hochrelevantes Führungsinstrument, das in Echtzeit zur finanziellen Stabilität und strategischen Ausrichtung beiträgt.

Weiterentwicklung des Risikomanagements bei BENTELER

Fazit: Wandel mit System – Wie BENTELER den neuen Herausforderungen begegnet

BENTELER zeigt eindrucksvoll, wie ein global aufgestellter Automobilzulieferer auf tiefgreifende Marktveränderungen reagieren kann, und zwar nicht mit Aktionismus, sondern mit einer strukturierten, langfristigen Transformationsagenda. Die Kombination aus finanzieller Resilienz, organisatorischer Agilität und strategischem Risikomanagement bildet das Rückgrat der unternehmerischen Antwort auf ein zunehmend unsicheres Umfeld.

Die konsequente Verzahnung von operativen Maßnahmen, wie der 13-Wochen-Liquiditätsplanung oder dem 3PO-Tool, mit strategischer Steuerung und dezentraler Entscheidungsfähigkeit macht deutlich, wie tiefgreifend der Wandel bei BENTELER ist. Das Unternehmen hat verstanden: Zukunftssicherung heißt heute nicht Stabilität um jeden Preis, sondern Anpassungsfähigkeit mit System. Die präsentierten Maßnahmen sind kein einmaliger Kraftakt, sondern Ausdruck einer lernenden Organisation, die auch unter schwierigen Bedingungen handlungsfähig bleibt.


Referent: Tim Harrenkamp, Vice President Corporate Controlling, BENTELER International AG

Über das Unternehmen: Die BENTELER International AG ist ein weltweit tätiger Automobilzulieferer mit Sitz in Salzburg, Österreich. Neben der Automobiltechnik ist das Unternehmen in den Bereichen Stahl- und Rohrproduktion und Maschinenbau tätig. Im Jahr 2024 erwirtschaftete BENTELER einen Umsatz von 8,2 Milliarden Euro und beschäftigte 20.000 Mitarbeitende an 90 Standorten in 24 Ländern.


Buchtipp: Controlling im Zeitalter geopolitischer Spannungen

Die makroökonomischen Veränderungen im Spannungsfeld von Globalisierung und Deglobalisierung erfordern strategische Neuausrichtungen der Unternehmenssteuerung. Dazu werden zunächst die geopolitischen Veränderungen analysiert und Auswirkungen auf die Unternehmen in der EU abgeleitet. Konkret empfohlen wird der Auf- und Ausbau der Steuerungsgrundlage ReProFlex. Dazu werden für jede Dimension, Resilienz, Prognosefähigkeit und Flexibilität, die Rolle des Controllings, die Weiterentwicklung etablierter Konzepte sowie die Integration in das Risikomanagement erarbeitet.

Herausgeber: Internationaler Controller Verein

Bestell-Nr.: E01401_47

ISBN: 978-3-648-18512-4

Umfang: 131 Seiten

Einband: Broschur

Preis: 34,95 € inkl. MwSt.


Weitere Informationen:  Controlling im Zeitalter geopolitischer Spannungen - Resilienz, Prognosefähigkeit und Flexibilität als Steuerungsgrundlage