Einkaufscontrolling - durch Lieferfähigkeit Umsätze sichern

Fast alle Unternehmen aus Handwerk, Produktion und Handel berichten aktuell über Materialknappheit, Lieferengpässe und kurzfristige, teils erhebliche Preissteigerungen. Wie sollte das Working Capital Management damit umgehen? Neben neuen Prioritäten in der Einkaufspolitik gibt es ein Dutzend praktischer Maßnahmen, um Abhilfe zu schaffen.

Es gibt Unternehmen, die trotz voller Auftragsbücher Kurzarbeit anmelden müssen, weil sie nicht in der Lage sind, wegen fehlender Materialien zu fertigen oder zu liefern. Prognosen, wie es in den kommenden Wochen und Monaten weitergeht, lassen sich kaum seriös treffen. Einige Experten rechnen damit, dass die Probleme Ende 2022 behoben sind, andere gehen davon aus, dass die Phase noch mehrere Jahre anhält. Damit sind die meisten Unternehmen gezwungen, "auf Sicht" zu fahren. Das bedeutet auch, dass man bisherige Strategien und Vorgehensweisen im Working Capital Management prüfen und ggf. anpassen muss.

Bisher häufig praktizierte Strategien und Vorgehensweisen

Beim Working Capital war – und ist es teilweise immer noch - in den Bereichen Vorräte und Lieferanten so, dass man versucht hat, die Kapitalbindung so weit es geht zu reduzieren, sprich die Lagerbestände gering zu halten. Schließlich stehen die für die Finanzierung von Vorräten oder Waren benötigten Finanzmittel nicht mehr für andere Dinge, etwa Investitionen, zur Verfügung. Und jeder Euro, der für Vorräte und Waren ausgegeben wird, belastet zunächst Liquidität und Gewinn. Außerdem bedeuten hohe Lagerbestände auch Risiken in Sachen Schwund, Diebstahl oder Überalterung. Hinzu kommen höhere Kosten für Versicherungen und Lagerung.

Daher wurden im Bereich Vorräte von vielen Unternehmen u.a. Just-in-Time-Lieferungen mit niedrigen Lager- und Sicherheitsbeständen angestrebt. Mit Lieferanten wurde neben Qualität und Lieferterminen hart um niedrige Preise und Zahlungskonditionen mit langen Zahlungsfristen gerungen. In Vor-Corona-Zeiten hat das in den meisten Fällen funktioniert und die Vertragsparteien waren überwiegend zufrieden. Um weiter Kosten zu sparen wurden zudem Logistikkapazitäten oft kurzfristig preiswert eingekauft, statt eigene Fuhrparks aufzubauen oder zumindest langfristige Verträge mit Logistikern abzuschließen.

Aktuelle Risiken und möglicher Kundenverlust

In Zeiten mit Materialengpässen, Preissteigerungen und langen Lieferzeiten bergen die bisher meist erfolgreichen Strategien einer geringen Lagerhaltung oder Just-in-Time-Lieferungen Risiken und Gefahren, die im besten Fall zu niedrigeren Gewinnen und einer Belastung der Liquidität führen. Denn wenn es nur geringe Sicherheitsbestände gibt und sich Material nicht kurzfristig oder nur zu exorbitant hohen Preisen bekommen lässt, ist zunächst die Produktion und dann auch der Verkauf gefährdet.

Wenn Aufträge nicht erledigt werden können, droht der Verlust von Kunden. Es entstehen Imageschäden, weil sich herumspricht, dass der eigene Betrieb unzuverlässig ist. Wie sensibel der gesamte Prozess ist, erfahren Unternehmen u.a. dann, wenn sich ein Lkw mit Material aufgrund eines Staus deutlich verspätet. Unter Umständen muss dann die Produktion temporär gestoppt werden, was ärgerlich ist, aber meist nicht zu nachhaltigen Folgeproblemen führt. Die Kosten, die durch Lagerbestände und Vorräte entstehen, lassen sich in der Regel gut erfassen und auswerten. Ob Kunden abspringen, wenn man ihnen mitteilt, dass man aktuell nicht lieferfähig ist, kann man hingegen nur näherungsweise bestimmen, da es meist keine wirklich eindeutigen Signale gibt.

Führt der Kunde aus, dass er in ein paar Tagen noch einmal nachfragt, ist das keine Garantie, dass er tatsächlich wiederkommt. Im Gegenteil wird er oft versuchen, einen Artikel beim Wettbewerb oder im Internet zu bekommen. Und ist der Kunde einmal verloren, sinkt die Chance, dass er irgendwann dennoch wieder kauft, deutlich.

Lieferanten erfüllen nicht immer ihre Zusagen

Aktuell zusätzlich brisant: Auch wenn man bestehende Verträge hat und einem eine Lieferung zugesichert wurde, bedeutet das nicht zwingend, dass man die Waren tatsächlich erhält. Die Meldungen, dass Lieferanten Produkte, die sie schon verkauft haben, trotzdem an andere Interessenten liefern, weil diese einen höheren Preis zahlen, häufen sich seit einiger Zeit.

Knappe Transportkapazitäten

Hinzu kommt, dass die Transportkapazitäten immer knapper werden, u.a. weil Fahrer fehlen. Das führt dazu, dass Lieferungen nur mit Verzögerung ankommen und dass man selbst seine Kunden ebenfalls nur verzögert beliefert werden können. Oder man muss auch hier bereit sein, mehr oder weniger hohe Preissteigerungen in Kauf zu nehmen. Die gewichteten Frachtraten für einen 40-Fuß-Container auf wichtigen Ost-West-Schiffsverbindungen sind seit Anfang 2020 von rund 2.000 US-Dollar auf fast 10.000 US-Dollar im November 2021 gestiegen.

Maßnahmen im Working Capital Management

Die derzeitige Lage zwingt Unternehmen also dazu, bisher gültige Vorgehensweisen zumindest in Teilen zu überdenken. Im Fokus muss derzeit die Aufrechterhaltung der Produktion und der Lieferfähigkeit gegenüber Kunden stehen. Dazu kommen u.a. folgenden Möglichkeiten in Betracht:

  • Stärkere Bündelung von Bestellungen, um in größerem Umfang ordern zu können. Für Lieferanten ist das nach wie vor attraktiver als Kleinaufträge, weil sie hier mit der Lieferung größerer Mengen mehr verdienen können (Stichwort u.a. Reduzierung der Anzahl Lieferungen und von Arbeitszeiten).
  • Bessere Pflege der Lieferantenbeziehungen, etwa besonders pünktliche Begleichung von Rechnungen, Erteilung von Lastschriften oder Verzicht auf "Nachverhandlungen", um als zuverlässiger Kunde wahrgenommen zu werden.
  • Kontinuierliches Scannen der Märkte und Angebote von Lieferanten sowie kurzfristige Bestellung verfügbarer Waren, auch wenn sie erst in ein paar Wochen oder Monaten benötigt werden. Faustregel: Je nach Situation eines Unternehmens oder der Branche sollte man möglichst 50-60% des voraussichtlichen Materialbedarfs für die kommenden 12 Monate vorrätig halten.
  • Prüfung, ob man Material und Waren besser im (EU-)Ausland erhalten kann, soweit die Lage dort noch günstiger ist als in Deutschland.
  • Prüfung, ob Finetrading, die Vorfinanzierung von Umlaufvermögen bis zu 120 Tagen als Möglichkeit genutzt werden kann, um die Liquidität zu schonen bzw. auch temporäre Liquiditätsengpässe zu vermeiden. Ein weiterer Vorteil: Da Lieferanten vom Finetrader immer pünktlich bezahlt werden, erwirbt man sich den Ruf eines zuverlässigen Partners. Mögliche Nachteile: Bei Finetrading fallen oft effektive Kosten um 10% und mehr an und Voraussetzung für eine Teilnahme unter günstigen Bedingungen ist eine gute Bonität.
  • Nutzung von Internet-Plattformen wie z.B. Materialschuppen oder LEG-Plattform als Unterstützung bei Lieferengpässen und Materialknappheit Digital Zentrum Ilmenau, auf denen Nachfrage und Anbieter zusammenkommen können. Hintergrund: Oft gibt es in einigen Regionen Engpässe, in anderen hingegen ein zumindest ausreichendes Angebot.
  • Prüfung, ob man mit befreundeten Unternehmen selber eine - regionale – Plattform entwickeln und betreiben kann.
  • Prüfung, ob es möglich ist, gebrauchte Waren aufzukaufen, und sie in der Produktion einzusetzen. Hier gibt es z.B. bereits Konzepte von Sportartikelherstellern wie Decathlon. Auch Versender wie Hermes und andere verkaufen zurückgesendete Waren je nach Zustand zu günstigeren Preisen oder schlachten z.B. Elektrowaren aus und verkaufen die Einzelteile als Ersatzteile. Firmen wie Fashion Logistics bereiten vor allem Textilwaren auf. Ähnliche Angebote finden sich, wenn man mit Begriffen wie "Second Hand" und den gesuchten Waren googelt. Zudem gibt es virtuelle Auktionshäuser, wie z.B. Zoll-Auktion, die von Bund, Ländern und Kommunen betrieben werden, und auf denen man u.a. günstig Fahrzeuge, Werkzeuge oder Maschinen finden kann. Alternativ / Ergänzend: Rücksendungen und Retouren wieder neu verpacken und verkaufen ggf. mit reduziertem Preis.
  • Prüfung, ob man auf andere Waren und Materialien mit einer besseren Verfügbarkeit ausweichen kann, ohne Qualitätsverluste zu erleiden.
  • Prüfung, ob man Materialreste doch noch einsetzen oder sie gegen andere Teile mit befreundeten Unternehmern tauschen kann.
  • Wo immer (noch) möglich: Abschluss langfristiger Verträge mit Logistikpartnern, um den pünktlichen Transport von Waren gewährleisten zu können. Das erhöht zwar die Kosten, schafft aber zumindest etwas Planungssicherheit.

Preiserhöhungen gegenüber Kunden prüfen

Um Gewinnrückgänge und Liquiditätsprobleme möglichst gering zu halten oder zu vermeiden, ist es in vielen Fällen unabdingbar, zu prüfen, ob und in welchem Umfang sich die Preise für die Kunden erhöhen lassen. Da sich die Probleme inzwischen sowohl bei Unternehmen als auch bei Privatkunden herumgesprochen haben, ist eine Preisanhebung oft einfacher umzusetzen als bisher. Und viele Kunden werden auch trotz intensiver Suche keine Alternativen mit deutlich besseren Konditionen finden.

Fingerspitzengefühl und Augenmaß sind bei Preiserhöhungen wichtig

Dennoch sollte man möglichst nicht einfach unangekündigt die Preise anheben. Vor allem Betriebe, mit vielen langjährigen Stammkunden sollten mit diesen über die Ursachen und auch über die geplante Höhe der Preisanhebungen sprechen. So lässt sich in der Regel verhindern, dass Kunden verärgert werden und, wenn sich die Zeiten wieder normalisieren, zum Wettbewerb abwandern.

Um mögliche größere Preissteigerungen etwas abzumildern, kann u.a. überlegt werden, Kunden eine Zahlung in Raten oder eine einmalige spätere Zahlung anzubieten. Alternativ kann man Kunden auch signalisieren, dass sie bis zu einem bestimmten Zeitpunkt Waren noch zum alten Preis bestellen können, auch wenn die Lieferung nicht sofort umzusetzen ist. Hierdurch stabilisiert sich die Auftragslage und wenn es gelingt, zumindest einen Teil des Preises vorab zu erhalten (Voraus- / Abschlagszahlung), schont das auch die Liquidität. Die Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass Kunden, die Beweggründe meist gut nachvollziehen können. Und wenn sie ehrlich informiert werden, honorieren sie es auch und bleiben dem eigenen Betrieb dauerhaft treu.

Praxis-Tipp: Falls möglich, sollte geprüft werden, ob man Verträge mit Preisgleitklauseln abschließen kann. Auch hier ist es wichtig, dass die Kunden offen informiert werden und die Klauseln nicht im Vertrag oder den AGB "versteckt" werden.

Fokus auch auf eigene Abläufe und Organisation richten

Um die Probleme weiter zu minimieren, sollte der Fokus nicht "nur" auf der reinen Beschaffung oder Preisanhebungen bei Endprodukten liegen. Vielmehr muss man parallel prüfen, ob und welche Möglichkeiten bestehen, die Situation durch Verbesserung der eigenen Abläufe und Prozesse zu entschärfen. Dabei geht es nicht "nur" um das Thema Digitalisierung, sondern auch um die Veränderung der Organisation. Einige Beispiele:

  • Konzeption eines zentralen Einkaufs mit klar geregelten Verantwortlichkeiten und Einkaufsrichtlinien, um Bestellungen zu bündeln und zu vermeiden, dass jeder Mitarbeiter für sich kleine Bestellungen aufgibt, was zu noch höheren Kosten und Aufwand führt. Weiterer positiver Nebeneffekt: Es kommt weniger dazu, dass Bestellungen doppelt erfolgen oder vergessen werden. Zusätzlich sollte eine Person benannt werden, die regelmäßig Kontakt zu den wichtigsten Lieferanten hält und sich mit diesen über die eigenen Planungen und den Bedarf der kommenden Monate abstimmt.
  • Bessere und regelmäßige Abstimmung von Verkaufs-, Produktions- und Beschaffungsplanung, um den Bedarf genauer bestimmen zu können.
  • Möglichst Nutzung integrierter IT-Systeme, in denen Änderungen eines Bereiches automatisch anderen Abteilungen zur Verfügung stehen.
  • Prüfung, ob und in welchem Umfang man Varianten reduzieren kann. Je mehr Standardisierung, desto größer können Bestellungen ausfallen und desto attraktiver ist das Volumen für einen Lieferanten.
  • Grundsätzlich: Verbesserung der Kommunikation und Koordination der Abteilungen, etwa gemeinsame Monatsbesprechungen von Verkauf, Produktion und Einkauf, um die Planungen und Aufträge genauer aufeinander abzustimmen.

Fazit und Ausblick

Die aktuelle Materialknappheit und ständige Preissteigerungen stellen viele Unternehmen vor Probleme. Nicht nur die Kosten steigen, auch Produktion und Verkauf sind latent gefährdet. Und ob bzw. wann sich die Lage verbessert, lässt sich im Moment nicht seriös vorhersagen.

Zwar gibt es keinen "Königsweg" aus der Misere, aber doch einige Möglichkeiten, die Probleme zu entschärfen. Dazu ist allerdings die Bereitschaft notwendig, bisher bewährte Konzepte wie Just-in-Time-Beschaffung oder harte Verhandlungen mit Lieferanten auf den Prüfstand zu stellen. Ziel muss es bis auf Weiteres sein, die Lieferfähigkeit sicherzustellen und höhere Lagerbestände sowie "Spontankäufe" für mehrere Monate bei entsprechender Verfügbarkeit von Materialien vorzunehmen. Außerdem sollten wo immer möglich Abläufe und Organisation angepasst und die Preissteigerungen an die Kunden weitergegeben werden. Gleichzeitig muss versucht werden, über ein verbessertes Forderungsmanagement die Liquidität zu sichern.