Haftungsprivilegierung sperrt auch ein Hinterbliebenengeld

Die innerbetriebliche Haftungsprivilegierung nach §§ 104, 105 SGB VII sperrt auch die Ansprüche auf ein Hinterbliebenengeld nach § 844 BGB. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat nun diese lange umstrittene Frage entschieden und grenzt sie damit von seiner Rechtsprechung zur unbeschränkten Haftung für Schockschäden ab. Hinterbliebene hätten Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung und seien somit in auch deren System einbezogen.

Der Fall: Tod beim Baggereinsatz

Eine Frau verlangte von ihrem Sohn und seiner Kfz-Haftpflichtversicherung Hinterbliebenengeld nach dem Tod ihrer Schwiegertochter. Die beiden Frauen betrieben zusammen mit dem Ehemann einen Bauernhof. Beim Aufstellen eines neuen Weidezauns hielt die Schwiegertochter die Pfähle fest und der Mann versenkte sie dann mit der Greifschaufel des Traktors im Boden. Dabei löste sich die Schaufel vom Baggerarm und tötete seine Ehefrau.

Die Berufsgenossenschaft wertete dieses Unglück als landwirtschaftlichen Arbeitsunfall im Rahmen einer sog. "Wie-Beschäftigten" (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII). Das LG Koblenz wies die Klage der Mutter auf ein Hinterbliebenengeld nach § 844 Abs. 3 BGB ab (Urteil vom 24.04.2020, Az. 12 O 137/19). Es greife hier der Haftungsausschluss für Betriebsangehörige nach §§ 104 und 105 SGB VII. Das OLG Koblenz entschied das anders: Nach der bisherigen Rechtsprechung des BGH, der Schockschäden Dritter vom Haftungsprivilegierung ausgenommen habe, gelte diese Ausnahme auch für Ansprüche auf das Hinterbliebenengeld (Urteil vom 21.12.2020, Az. 12 U 711/20).

BGH: Haftungsausschluss gilt auch für das Hinterbliebenengeld

Dem erteilte der BGH mit einem aktuellen Urteil nun eine Absage (Urteil vom 08.02.2022, Az. 6 ZR 3/21) und bestätigte die auch von der überwiegenden Literatur vertretene Anwendbarkeit des Haftungsausschlusses auf das Hinterbliebenengeld.

Die Grundsätze der Schockschadenshaftung passten, so der BGH, nicht auf das Hinterbliebenengeld. Der Wunsch des Gesetzgebers, innerbetriebliche Streitigkeiten über die Schuld am Unfall zu vermeiden und den Betriebsfrieden zu wahren, sei nur ein Aspekt der Haftungsprivilegierung der §§ 104, 105 SGB VII. Beim Hinterbliebenengeld kämen zudem zwei weitere Aspekte zum Tragen: Der soziale Schutz und die Ersetzung einer Haftung durch Versicherungsleistungen.

Hinterbliebene könnten grundsätzlich Leistungen aus der Gesetzlichen Unfallversicherung (Sterbegeld oder Hinterbliebenenrente) erhalten, so dass sie, anders als bei den Schockschadensfällen, in das System eingebunden seien. Der BGH betonte dabei, diese Sperre setze nicht voraus, dass die Leistungen der Unfallversicherung und des Hinterbliebenengelds vollständig deckungsgleich sein müssten.

Wichtige Klärung für die Praxis

Der BGH klärt nun eine Frage, die lange umstritten war: Haben Angehörige eines tödlich Verunfallten die Möglichkeit, über die Leistungen für Hinterbliebene (Sterbegeld und Hinterbliebenenrente) der Gesetzlichen Unfallversicherung hinaus, Ansprüche nach § 844 Abs. 3 BGB geltend zu machen? Das lehnt der BGH nun ab: Systematisch handele es sich bei § 844 um eine Ersatznorm zugunsten nur mittelbar geschädigter Personen. Die bisherige Rechtsprechung zu den Schockschäden des BGH sei schon gar nicht vergleichbar, weil die Voraussetzung für den dortigen Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB eine eigene Rechtsgutsverletzung des Anspruchstellers sei. § 844 Abs. 3 BGB stelle dagegen einen immateriellen Ersatzanspruch eigener Art dar, vor dem der unfallversicherte Arbeitgeber und seine Mitarbeiter ebenfalls zu schützen sei.

Damit ist nun geklärt, dass selbst bei Unfällen dieser Art der Unfallverursacher das Haftungsprivileg der Gesetzlichen Unfallversicherung für sich in Anspruch nehmen kann und dieses nicht „über den Umweg“ der Regulierung in § 844 BGB ausgehebelt werden kann.