Nachhaltigkeit im Kerngeschäft von Unternehmen – Interview

Katharina Reuter ist seit 2014 Geschäftsführerin im Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft (BNW e.V.). Der Unternehmensverband setzt sich seit 1992 für eine nachhaltige Wirtschaft ein. Im Interview spricht sie darüber, wie Unternehmen authentisch nachhaltig wirtschaften können.

Regelmäßig spricht Katharina Reuter auf Podien und in Keynotes darüber, wie Unternehmen Nachhaltigkeit in ihrer DNA verankern können. Wir sprachen mit ihr über die Rolle von Unternehmen in der nachhaltigen Transformation, Imperfektion und Nachhaltigkeitsberichterstattung:


Frau Reuter, braucht es heute überhaupt noch einen ökologischen Unternehmensverband?

Den braucht es gerade heute immer noch, weil die Politik Rückendeckung für Transformationsvorhaben braucht. Dafür braucht sie Unternehmen, die heute schon zeigen, dass es funktioniert. Und sie braucht Unternehmen, die sagen „her mit Gesetzen, her mit Ordnungsrecht, damit wir ein Level Playing Field für ökologische und soziale Nachhaltigkeit bekommen.“

„If all you do is taxonomy, it’s greenwashing“ – das sagten Sie bei Ihrem Vortrag auf dem Nachhaltigkeitskongress 2022. Wie können Unternehmen es schaffen, dahingegen authentisch nachhaltig zu wirtschaften?

Für ein authentisches Nachhaltigkeitsengagement ist wichtig, dass man es eng an der Unternehmensleitung ansiedelt. Wenn ein Unternehmen sagt: „Wir haben jetzt auch einen Nachhaltigkeitsbeauftragten, der sitzt bei uns im Marketing“, dann hat es noch nicht verstanden. Der zweite wichtige Aspekt ist: Nachhaltigkeit ist immer ein Prozess. Wenn man transparent kommuniziert welche Ziele man sich setzt und mit welchen Meilensteinen man vorankommen will, dann ist das für Stakeholder, für Kundinnen und Kunden total in Ordnung. Aber diese kontinuierliche Verbesserung muss auch wirklich mit drin sein. Deswegen bin ich ein Fan des Umweltmanagementsystems EMAS: Es beinhaltet nicht nur, dass man sich die Zahlen genau anschaut. Sondern man muss mit jeder Zertifizierung nochmal eine Verbesserung aufzeigen.

Nachhaltigkeit muss im Kerngeschäft verankert werden

Sollten Unternehmen sich stärker trauen aufzuzeigen, wo sie noch nicht perfekt sind?

Ja. Und ich glaube, das ist total okay. Es ist allemal besser, als sich durch einzelne Schaufensterprojekte das grüne Mäntelchen umzuhängen. Wichtig ist auf jeden Fall, dass die Vermeidung von Schäden an erster Stelle steht, das gilt beim Reduzieren von CO2-Emissionen ebenso wie bei der sozialen Nachhaltigkeit. Erst nachgelagert spielt Wohltätigkeit eine Rolle.

Natürlich kann man CSR-Maßnahmen um das eigentliche Engagement herum machen, die Nachhaltigkeit muss aber im Kerngeschäft verankert werden.

Nachhaltigkeit im Kerngeschäft, genau das ist ein Kriterium dafür, ob ein Unternehmen Mitglied im BNW wird. Das schränkt Ihre Zielgruppe noch sehr ein, oder?

Ja, genau das macht uns aus! Dass bei uns die Unternehmen versammelt sind, für die Nachhaltigkeit nicht nur nice to have, sondern Kern ist. Der Rat für Nachhaltige Entwicklung kam in einer Studie auf eine doch recht deprimierende Zahl: Nur 0,15 Prozent der deutschen Unternehmen wirtschaften „ganzheitlich“. Das sind dann so viereinhalbtausend Unternehmen in ganz Deutschland – aber es werden immer mehr. Daran kann man ablesen, wohin sich unser Verband in den nächsten Jahren entwickeln kann.

Der BNW ist politisch sehr aktiv. Was sind aktuell die wichtigsten Themen für Sie?

Wir begleiten unter anderem den Entwurf für die nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie. Diese wird vom BMUV vorgestellt, das ein starkes Interesse daran hat, das Thema Kreislaufwirtschaften voranzutreiben.

In der Verbindung aus Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft ist viel Musik drin.

Das deutsche Lieferkettengesetz ist etwas, was wir mit Blick auf soziale Nachhaltigkeitsprojekte lange gefordert hatten – und nun ja auch haben. Es geht uns aber noch nicht weit genug. Wir schauen daher auf das kommende europäische Lieferkettengesetz und erwarten, dass dieses ambitionierter beschlossen wird.

Inwieweit sollte das europäische Lieferkettengesetz im Vergleich zum deutschen LkSG nachschärfen?

Im deutschen Lieferkettengesetz ist das ganze Thema „Umweltrisiken“ nicht drin. Das würde im europäischen Lieferkettengesetz stärker beachtet. Der andere wichtige Unterschied ist die Haftungsfrage. Der Richtlinienentwurf sieht eine zivilrechtliche Haftung der Unternehmen vor, diese fehlt im deutschen Gesetz.

Reportingpflicht als Hygienefaktor

Ein anderes Thema, an dem Nachhaltigkeitsverantwortliche aktuell nicht vorbeikommen, ist die CSRD. Was erwarten Sie sich davon – ist sie dazu geeignet, Nachhaltigkeit in der Wirtschaft wesentlich voranzutreiben?

Die Reportingpflicht ist ein Stück weit ein Hygienefaktor. Die Berichterstattung über soziale und ökologische Nachhaltigkeitsleistungen kommt erstmal nur für größere Unternehmen. Das wird aber eine Ausstrahlwirkung haben, einen Trickle-Down-Effekt auf die kleineren Unternehmen. Das ist auch richtig, da sich meiner Meinung nach alle Unternehmen damit beschäftigen müssen.

Die Richtlinie ist sicherlich nicht der ganz große Durchbruch. Sie ist aber eine wichtige Grundlage, um dem Thema in den Unternehmen mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Diese Aufmerksamkeit entsteht nicht zuletzt, da der Bilanzeid des Vorstands auf das Nachhaltigkeitsreporting ausgeweitet wird.

Was würden Sie Unternehmen empfehlen, die sich gerade auf die Berichtspflicht vorbereiten?

Der erste Schritt ist, sich zu überlegen, was alles in den Bericht gehört. Mit der CSRD kommt die „doppelte Wesentlichkeit“. Das heißt Unternehmen müssen einerseits prüfen, wo sie selbst einen Impact auf Umwelt und Soziales haben. Andererseits müssen sie umgekehrt schauen, welche Auswirkungen zum Beispiel die Klimakrise auf ihr Geschäftsmodell und ihren Firmenstandort hat. Eine Reporting-Zahl die wichtig und vergleichsweise leicht zu erheben ist, ist die der Treibhausgas-Emissionen. Mit einer CO2-Bilanz können Unternehmen sehen, wo die meisten Emissionen anfallen und wo man zuerst reduzieren kann. Im Bereich der sozialen Nachhaltigkeit wird beispielsweise Transparenz rund um die Lieferkette wichtiger. Unternehmen müssen sich fragen: „Wie gut kennen wir unsere Partner? Wie sind die Produktionsbedingungen dort?“ Außerdem sollten Unternehmen sich das Thema Diversity stärker anschauen. Hier gibt es firmenintern Handlungsmöglichkeiten, zum Beispiel beeinflusst die Formulierung von Stellenausschreibungen, wie divers die eingehenden Bewerbungen sind.

Herzlichen Dank für das Gespräch!