Zwischen Ungetüm und unbedingt notwendig: Reaktionen auf die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie

„Wir freuen uns sehr, dass die wirklich massiven Anstrengungen der Dunklen Seite der Macht nicht gefruchtet haben“, sagt Dr. Katharina Reuter, Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft (BNW). „Es war ungesund und unfair, in anonymen globalisierten Lieferketten zu produzieren. Man kann heute nicht mehr sagen: ‚Das ist mir doch egal, unter welchen Bedingungen mein Vorprodukt hergestellt wurde‘.“ Mit der „Dunklen Seite der Macht“ meint Katharina Reuter etliche Wirtschafts- und Lobbyverbände, die in Brüssel alle Hebel in Bewegung setzen, um die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie deutlich abzuschwächen.
Stattdessen stimmte die weit überwiegende Mehrheit des Europäischen Parlaments am 1. Juni sogar für eine Position zur Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD), die noch deutlich schärfer ist als von der EU-Kommission vorgeschlagen. Wird diese Position umgesetzt, würde die CSDDD strenger ausfallen als das deutsche Lieferkettengesetz. „Unternehmensverbände sind entsetzt“, schrieb das Handelsblatt. In der Tat fielen die Reaktionen der Verbände drastisch aus.
Rechtsunsicherheit, Bürokratie, unkalkulierbare Risiken
Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), kritisierte laut dpa, dem Gesetzesentwurf fehle es an Praxistauglichkeit, Verhältnismäßigkeit und Rechtssicherheit. „Das Lieferkettengesetz bürdet den Unternehmen ein neues und unkalkulierbares Haftungsrisiko auf: Von ihnen wird eine Kontrolle erwartet, die außerhalb ihrer eigenen Einflussmöglichkeiten liegt“.
Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), moniert: „Diese Entscheidung des Europäischen Parlaments bringt für Handwerksbetriebe große Rechtsunsicherheit und Bürokratie und setzt sie unkalkulierbaren Risiken aus.“
Und Marie-Christine Ostermann, Präsidentin des Verbands Die Familienunternehmer, ist überzeugt: „Das nun vorliegende Ungetüm eines Lieferkettengesetzes ist ein abschreckendes Beispiel für eine Europäische Union. Es führt keine Verbesserungen herbei, sondern zwingt Europas fortschrittliche Wirtschaft über grauenhafte Bürokratismen in die Knie.“ Man darf wohl sagen: In dieser Debatte schenken Befürworter und Ablehner sich nichts.
Zustimmung, Aufgeschlossenheit, pragmatische Umsetzung
Dabei gibt es Indizien dafür, dass die Ablehnung bei den Verbänden deutlich höher ist als bei den Unternehmen, die sie vertreten. So unterzeichneten laut einem Artikel im Handelsblatt unter anderem Hapag-Lloyd, Epson, Ericsson, Danone und IKEA schon im vergangenen Jahr einen Aufruf des Business & Human Rights Resource Centre, der die strengeren Regeln der EU-Kommission unterstützt, „inklusive zivilrechtlicher Haftung“.
Schon als es 2021 um das – ebenfalls von Verbänden heftig kritisierte – deutsche Lieferkettengesetz ging, hatten sich viele renommierte Unternehmen, darunter zahlreiche Mittelständler, in einem gemeinsamen Statement für strengere Sorgfaltspflichten ausgesprochen.
Die Hamburger Stiftung für Wirtschaftsethik hat die Haltung kleiner und mittelständischer Unternehmen zum Lieferkettengesetz genauer untersucht. Das Ende Mai veröffentlichte Ergebnis: Die befragten 39 Unternehmen stehen der raschen Einführung einer CSDDD positiv gegenüber.
In der offiziellen Mitteilung heißt es: „Die grundsätzliche Aufgeschlossenheit der Unternehmen dem nationalen und dem EU-Gesetz gegenüber ist überraschend, nachdem die politische Diskussion um den Geltungsbereich des LkSG sehr kontrovers geführt worden war. Sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene hatten die Verbände während der gesamten Debatte darauf verwiesen, dass eine gesetzliche Regelung schon angesichts des hohen bürokratischen Aufwands und der zusätzlichen finanziellen Belastung zur Überforderung des Mittelstands führen würde.“ Die Unternehmensrealität sehe aber offenbar vollkommen anders aus, so Dr. Miriam Putz, eine der Autorinnen der Studie: „Statt über Mehrbelastungen zu klagen, reagieren die Unternehmen pragmatisch und passen bestehende Systeme meist aus dem ökologischen Bereich bestmöglich an die neuen Anforderungen an.“ Das gelte selbst für aufgrund ihrer Größe gar nicht vom Gesetz betroffene Betriebe, denn auch sie sähen sich aufgrund von Kundenanforderungen längst damit konfrontiert, ihren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten nachkommen zu müssen.
Allerdings monieren die befragten Unternehmen die Umsetzung des deutschen Lieferkettengesetzes und die damit einhergehende Rechtsunsicherheit. Zudem beklagen sie insbesondere mit Blick auf China hohe Hürden bei der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten.
Noch ist nichts entschieden
Ob die geplante CSDDD tatsächlich so umgesetzt wird, wie vom Europäischen Parlament befürwortet, steht in den Sternen. Als nächstes stehen sogenannte Trilog-Verhandlungen zwischen Parlament, Mitgliedstaaten und Kommission an. Der Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft erwartet schwierige Gespräche: „In der Ausgestaltung der CSDDD wird nun mit der Argumentation ‚nicht machbar’ versucht werden, die Fragen rund um Haftung, Beweispflicht, Reichweite aufzuweichen“, sagt BNW-Chefin Katharina Reuter. Dabei sei die Umsetzung kein Hexenwerk und überfordere die Unternehmen auch finanziell nicht: „Wenn sich alle zusammentun, dann wird es für alle günstiger und einfacher. In der Einführungsphase geht es zunächst darum, dass Unternehmen überhaupt bemerken, wenn etwas in ihrer Lieferkette nicht stimmt, sie müssen also Strukturen schaffen.“ Das gehe nicht von heute auf morgen. Langfristig, so die Position des BNW, gehe kein Weg an strengen Sorgfaltspflichten vorbei: „Wir sind überzeugt, dass es eine moderne Business-Disziplin ist, wenn Unternehmen für ihre Lieferkette geradestehen.“
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