CSDDD: zivilrechtliche Haftung

Am Mittwoch den 28.02. steht die EU-Lieferkettenrichtlinie CSDDD zur Abstimmung im Rat EU-Mitgliedstaaten. Strittig ist insbesondere die zivilrechtliche Haftung bei Verstößen, die der Richtlinienentwurf vorsieht. Dr. Malte Stübinger erläutert in diesem Gastbeitrag, wie weit die Haftung gehen würde.

Die mögliche europäische Lieferkettengesetzgebung erhitzt derzeit massiv die Gemüter in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Für den heutigen Mittwoch den 28.02. steht die Abstimmung, die zunächst verschoben wurde, noch einmal auf der EU-Tagesordnung. Nachdem Deutschland aufgrund Uneinigkeit innerhalb der Bundesregierung angekündigt hat, sich bei der entscheidenden Abstimmung im Rat zu enthalten, droht das gesamte Gesetzesvorhaben zu scheitern – nicht zuletzt aufgrund der herannahenden Europawahl. Diese führt zwar anders als Wahlen auf bundesdeutscher Ebene formell nicht dazu, dass begonnene, aber nicht fertiggestellte Gesetzgebungsentwürfe verworfen werden (sog. Diskontinuität), faktisch ist aber nach der Wahl mit neuen politischen Prioritäten zu rechnen, was eine Verabschiedung unwahrscheinlich erscheinen lässt. Die Blockade ist, da der aktuelle Entwurfstext das Ergebnis eines langwierigen Trilogs aus Parlament, Kommission und Rat unter Beteiligung von Unterhändlern auch aus Deutschland ist, einigermaßen ungewöhnlich. Deutschland steht politisch als europäischer Partner aufgrund mangelnder Verlässlichkeit in der Kritik.

Mit dem Entwurf sind derzeit Interessenverbände aus beiden Richtungen, Wirtschaft wie auch NGOs, unzufrieden. Die Industrie befürchtet erheblichen bürokratischen Mehraufwand für die Umsetzung der Vorgaben und lehnt insbesondere die geplanten Regelungen zu einer zivilrechtlichen Haftung als zu weitgehend und uferlos ab. Menschenrechtsaktivisten und Klimaschützern gehen die Regelungen nicht weit genug. Aber worum geht es eigentlich inhaltlich bei der zivilrechtlichen Haftung, und wie ist diese zu bewerten?

Von Sorgfalts- und Reaktionspflichten zur zivilrechtlichen Haftung

Ziel der Richtlinie ist insgesamt die Verbesserung von Menschenrechts- und Umweltschutzstandards entlang von Produktionsketten. Sie soll sicherstellen, dass in der EU angebotene Güter nicht auf eine Art und Weise produziert werden, die gegen als elementare Mindeststandards geltende Schutzbedingungen für Mensch und Umwelt verstoßen. Mit einer Nutzung der Vorteile globaler Lieferketten, so die Idee, gehe für Europäische Unternehmen die Verpflichtung einher, diese nicht zulasten eines grundlegenden Schutzniveaus für alle Beteiligten zu nutzen.

Art. 7 und 8 des Richtlinienentwurfs sehen ein zweistufiges System von Prävention und Beendigung von Verstößen gegen Menschenrechts- und Umweltschutz-Mindeststandards vor: Art. 7 sieht vor, dass Unternehmen über geeignete Maßnahmen aktiv verhindern und Risiken minimieren, dass ihre Produkte unter Begehung von Menschenrechts- oder Umweltschutzverstößen hergestellt oder gefördert werden. Dies umfasst etwa eine strikte Due Diligence neuer und bestehender Zulieferer entlang der Lieferkette, sowie eine gestufte Pflicht zur vertraglichen Verpflichtung der eigenen unmittelbaren Zulieferer, selbst auch die jeweiligen Lieferanten und Partner zu verpflichten, ebenfalls wesentliche Mindeststandards zu beachten. Art. 8 ergänzt dies um flankierende Verpflichtungen zum aktiven Tätigwerden für den Fall, dass ein Unternehmen bei seinen Zulieferern Missstände feststellt, von Mahnungen und Audits in der Produktionskette bis hin zu einer Pflicht, die bestehende Geschäftsbeziehung zu beenden. Das nationale Recht soll dafür explizit sicherstellen, dass Unternehmen die Möglichkeit haben, aufgrund derartiger Verstöße entlang der Lieferkette wirksam kündigen zu können, und muss hierfür gegebenenfalls angepasst werden.

Verstößt ein Unternehmen gegen diese Sorgfalts- und Reaktionspflichten, sieht der Entwurf zudem neben verschiedenen Sanktionsmöglichkeiten der zuständigen Aufsichtsbehörden eine zivilrechtliche Haftung der fehlverhaltenden Unternehmen für den durch die Verletzungen entstandenen Schaden vor. Dies ist einer der wesentlichen politischen Streitpunkte und ein Hauptgrund für die Uneinigkeit innerhalb der Regierungskoalition. Das bereits seit 2023 geltende deutsche Lieferkettensorgfaltsgesetz schließt eine solche privatrechtliche Haftung auch ausdrücklich aus.

Wie weit gehen die Vorgaben zur zivilrechtlichen Haftung?

Zunächst zeigt ein Blick in die Vorgaben zur zivilrechtlichen Haftung: Der Haftungsmaßstab ist keineswegs allzu ausufernd ausgestaltet. Ohne Verantwortlichkeit und Vorwerfbarkeit hinsichtlich des konkreten Verstoßes soll es keine (verschuldensunabhängige) Haftung geben. Ein Schadensersatzanspruch soll ausdrücklich voraussetzen, dass das Unternehmen schuldhaft gegen die Überwachungs- und Reaktionsverpflichtungen aus Art. 7 oder 8 verstoßen hat und es hierdurch zu einer Verletzung von Schutzstandards und einem Schaden entlang der Lieferkette gekommen ist.

Art. 22 des Entwurfs sieht ausdrücklich vor, dass etwa die Haftung für Rechtsverletzungen indirekter Lieferanten ausgeschlossen ist, wenn und soweit das Unternehmen zeigen kann, dass es sich im angemessenen Umfang um die Kontrolle der eigenen Lieferkette bemüht hat und keine vernünftigen Gründe hatte, daran zu zweifeln, dass die geforderten Mindestmaßstäbe eingehalten werden.

Auch ordnet der Entwurf an, dass bei der Bemessung des ersatzfähigen Schadens das redliche Bemühen des Unternehmens zu berücksichtigen ist, dass es in der eigenen Lieferkette nicht zu entsprechenden Menschen- oder Umweltrechtsverletzungen kommt.

Der Entwurf macht zur konkreten Berechnung des Schadens keine konkreten Vorgaben, sodass insoweit die jeweiligen Grundsätze in den Mitgliedsstaaten gelten. Das heißt auch: Es gibt keine punitive damages oder treble damages nach anglo-amerikanischem Vorbild. Vielmehr sehen die Schadensrechtsordnungen der meisten EU-Mitgliedstaaten ein grundsätzlich striktes System der Kompensation vor, das darauf zielt, den tatsächlich entstandenen Schaden zu ersetzen. Klageberechtigt soll grundsätzlich jeder Geschädigte entlang der Produktionskette sein.

Hier setzt einer der fundamentalen Kritikpunkte an der geplanten Regelung seitens der Industrievertreter an. Die zivilrechtliche Haftung führe zu massiven, unberechenbaren und uferlosen Haftungsrisiken für Unternehmen und verlagere die Verantwortung für die Durchsetzung von gewollten Mindeststandards unsachgemäß von der politischen Ebene auf die Wirtschaft.

Uferlose Haftungsrisiken? Zwei Punkte, die dagegen sprechen

Erstens ist es völlig unstrittig, dass die EU-Staaten, die zu den höchst entwickelten Volkswirtschaften dieses Planeten gehören, von der globalen Arbeitsteilung, einschließlich extremen Unterschieden in Lohn- und Produktionskosten sowie dem divergenten Schutzniveau in Sachen Arbeitssicherheit und Umweltschutz, in hohem Maße profitieren. Zweifellos bringen mehr Handel und mehr internationale Arbeitsteilung auch potenziell ein Mehr an Wohlstand und Entwicklung entlang der Lieferkette mit sich und können helfen, viele Menschen durch Arbeit aus der Armut in einen bescheidenen Wohlstand zu befördern. Gleichzeitig profitieren wir von günstigen Gütern und zugleich kann gerade die Suche nach den aus der Sicht produzierender Unternehmen „attraktivsten“ Produktionsbedingungen zu einem gefährlichen race to the bottom unter solchen Staaten führen, die ihr Geschäfts- und Wachstumsmodell darin erkannt haben, als Produktionsstätten unserer Konsumgüter zu fungieren. Dieses Rennen geht in aller Regel zulasten der Schwächsten in der Produktionskette aus: Die Leidtragenden sind die Näherinnen, Bergbauarbeiter und Produktionshelfer im Bereich der low skilled Tätigkeiten. Diese Menschen haben selten eine Lobby, ihre Arbeit wird aus Perspektive des fertigen Produkts als reiner Kostenfaktor gesehen, der möglichst niedrig gehalten werden soll. Menschenrechte, Arbeitssicherheit, angemessene Entlohnung von Arbeitern, Verzicht auf den Einsatz von Kinderarbeit und Umweltgifte – das alles kostet Geld. Bislang konnten sich Unternehmen hier häufig mit dem Argument der rechtlichen und öffentlichen Verantwortung entziehen, dass dies ja nicht die eigenen Vertragspartner betreffe, sondern lediglich Lieferanten weiter zurück in der Produktionskette. Diese moralische Verantwortungslücke soll auch durch eine zivilrechtliche Haftung geschlossen werden.

Zweitens ist mittlerweile gut erforscht und empirisch belegbar, dass das Risiko einer zivilrechtlichen Haftung von Unternehmen bei typischen „heimlichen“ Verstößen gegen Sorgfalts- und Verhaltensstandards positiv verhaltenssteuernd wirkt. Gerade etwa im Bereich der Kapitalmarktinformationspflichten oder des Kartellrechts kommt dem Haftungsrisiko aufgrund möglichen private enforcement eine wesentliche Funktion bei der Prävention verbotener Verhaltensweisen zu. Dies haben Gesetzgeber und Gerichte, sowohl auf nationaler wie auch europäischer Ebene, wiederholt festgestellt und können sich hierbei auf belastbare empirische Forschungsergebnisse stützen. Da Aufsichtsbehörden stets mit dem Problem knapper Ressourcen – in personeller und finanzieller Hinsicht – konfrontiert sind und nur selektiv Unternehmen prüfen und überwachen können, ist der Abschreckungseffekt rein behördlicher Kontrolle und Überwachung häufig nur unzureichend. Steht dagegen auch zivilrechtliche Haftung im Raum, steigt die faktische Kontrolldichte und die Wahrscheinlichkeit, dass Verstöße aufgedeckt werden und Verletzte versuchen werden, erlittene Schäden ersetzt zu bekommen. Anders gewendet und zugespitzt: Das Risiko zivilrechtlicher Haftung hat das Potenzial, die Regelung vom reinen Papiertiger zu einem schlagkräftigen Instrument zur Verbesserung der Produktionsbedingungen für Mensch und Umwelt werden zu lassen.

Politisch ist unklar, wie es nun weitergeht

Der Entwurf steht am Mittwoch den 28.02. noch einmal zur Abstimmung im Rat der EU-Mitgliedsländer. Der Ausgang der Abstimmung gilt als völlig offen. Entscheidend dürfte die Position Italiens sein, nachdem Deutschland angekündigt hat, sich bei der Abstimmung zu enthalten. Hinter den Kulissen wird wohl auch noch um eine für alle Beteiligten gesichtswahrende Lösung gerungen. Ob dies aber angesichts der Zerstrittenheit der deutschen Bundesregierung in den Einzelfragen zum Entwurf realistisch ist, steht auf einem anderen Blatt. Wünschenswert wäre es.

Update 28.02.:

Nach der Abstimmung im Ausschuss der Ständigen Vertreter steht das EU-Lieferkettengesetz vorerst vor dem Aus. Es gab keine qualifizierte Mehrheit für die CSDDD.

Die belgische Ratspräsidentschaft kommentierte dazu: „Wir müssen nun den Stand der Dinge prüfen und werden sehen, ob es möglich ist, die von den Mitgliedstaaten vorgebrachten Bedenken in Absprache mit dem Europäischen Parlament auszuräumen.“