The Week: Wie Unternehmen Gespräche über Nachhaltigkeit anzetteln
Sicherheitshinweis: Die Filme können für manche erschreckend sein. Frédéric Laloux und seine Frau Helen sitzen nebeneinander am Küchentisch. Sie reden über ihre Erfahrungen mit dem Klimawandel und die Folgen – ganz so, als säße der Zuschauer oder die Zuschauerin ihnen in den eigenen vier Wänden gegenüber. Umweltkatastrophen, Hitzewellen, Hungersnöte – los geht‘s mit der Realität und der konkreten Vorstellung, wie die persönliche Zukunft und die der nächsten Angehörigen im Jahr 2050 aussehen könnte, wenn die Menschen nichts verändern. Neben der Küchentischszene wechseln sich Fakten und Geschichten weiterer Personen aus verschiedenen Ländern ab, die selbst von ihren Klima-Erlebnissen erzählen.
Raum für Gespräche über Nachhaltigkeit
Die Idee: Teilnehmende schauen zusammen mit Familie, Freunden oder Arbeitskolleg:innen in einer Woche drei einstündige Filme, über die sie gemeinsam diskutieren. Denn viele Menschen erkennen zwar, dass der Klimawandel bedrohlich ist und möchten etwas tun. Aber im Alltag scheinen andere Dinge trotzdem wichtiger. Das Format soll Menschen in ihrem sozialen Umfeld mobilisieren und sie gegenseitig in nachhaltigem Handeln bestärken. Didaktisch orientiert sich das Ganze an der Theorie U von Otto Scharmer: Folge 1 widmet sich der aktuellen Situation und was passiert, wenn alles weiterläuft wie bisher, Folge 2 erklärt die Zusammenhänge und Folge 3 konzentriert sich auf das Tun.
Jeder kann einfach starten: Es gilt, eine Gruppe zusammenzustellen – drei bis acht Personen ist die offizielle Empfehlung – und in einer Woche dreimal Termine von mindestens 90 Minuten anzusetzen, besser zwei Stunden. Die Filme dauern knapp eine Stunde, aber es braucht auch Zeit für den Austausch. Nach der Anmeldung auf der Website sind die Videos verfügbar. Es gibt Versionen für Home, Work, Campus und Faith (für die Teilnahme mit Menschen aus einer Glaubensgemeinschaft). Auf der Website finden Teilnehmende zusätzlich Aktionslisten, Hinweise auf Initiativen und Tools, Erklärungen und Hintergründe zum Film sowie Kontakte für emotionalen Support und Infos zu Umweltangst.
Wissen trennt, Persönliches verbindet
„Die Magie liegt nicht in den Filmen, sondern in den Gesprächen“, erklärte Frédéric Laloux Anfang dieses Jahres auf der „ Teal around the World“. Rhea Ong Yiu von der Unternehmensberatung LiveSciences hat die internationale Online-Konferenz mitgegründet. Über die Zeit ist eine Freundschaft mit Frédéric Laloux entstanden. Sie verfolgte die Entwicklung von „The Week“ von Anfang an, LiveSciences gehörte zu den Unterstützenden in der Crowdfundingphase. Das Format durchlief die Beraterin schon dreimal – in Gruppen von acht bis 18 Personen, im Freundes- und Kollegenkreis und zuletzt mit Frédéric Laloux sowie einigen Nachhaltigkeitsfachleuten. „Es handelt sich dabei nicht um Wissensvideos“, sagt sie. Der wirkungsvollste Teil sei die persönliche und emotionale Ebene. „Auf der Sachebene trennt uns das Wissen, das wir über Nachhaltigkeit haben. Die persönliche Ebene hingegen verbindet uns“, so Rhea Ong Yiu. Selbst Menschen, die sich schon lange mit Nachhaltigkeit beschäftigen und eine hohe Expertise haben, könnten von der Teilnahme profitieren, wenn sie sich keinen fachlichen Wissenszuwachs davon versprechen und sich nicht in Fachdiskussionen verheddern. Wichtig sei auch, sich ganz auf das Format zu fokussieren und nichts nebenher zu machen.
Dem pflichtet ihre Kollegin Britta Butz bei, die ihren Doktor an der RWTH Aachen mit Schwerpunkt Corporate Social Responsibility gemacht hat. In kleineren Gruppen – sie hat Erfahrung mit Runden von vier bis sechs Personen – komme man leicht auf eine persönliche Ebene, auch ohne Moderation. „Es geht darum, das Verbindende zu suchen, nicht mit dem Finger auf andere zu zeigen oder Schuld zuzuweisen.“ Je nach Lebensphase könne „The Week“ unterschiedliche Perspektiven zutage fördern. Wer das Format mehrmals durchlaufe, hole so immer etwas anderes heraus.
Moderationsanforderung: Emotionen auf den Tisch bringen
The Week ist nicht darauf ausgerichtet, konkrete Tipps zu nachhaltigem Verhalten zu sammeln, meint Prof. Susanne Blazejewski von der Alanus Hochschule. Sie hat mit Studierenden des Fachs „Sustainable Organiziation and Work Design“ das Format mehrfach ausprobiert. Über ihre Forschung zu Netzwerken von Mitarbeitenden, die sich neben ihrer Jobrolle für Nachhaltigkeit einsetzen, kam der Kontakt zu den Telekommunikationsunternehmen Vodafone und Wetell zustande. Gemeinsam haben sie im Sommer eine Runde „The Week“ organisiert – online und mit einer vergleichsweise großen Gruppe von fast 30 Personen. Der Austausch fand in Breakout-Sessions mit je sechs Teilnehmenden statt.
Schon allein die Zusammensetzung war darauf angelegt, Barrieren zu überwinden. Studierende der Generation „Fridays for Future“ und Mitarbeitende in Unternehmen konnten dabei direkt miteinander ins Gespräch kommen. „Entscheidend ist, sich gegenseitig wahrzunehmen – mit dem eigenen Engagement, aber auch mit den Ängsten und Zweifeln. Dann kann Verbindung entstehen, in der wir uns wechselseitig stärken.“ The Week stellt einen Moderationsleitfaden bereit. Ein Moderator oder eine Moderatorin müssten allerdings darauf achten, dass die Emotionalität auch wirklich auf den Tisch kommt. Das sei mehr oder weniger einfach – je nachdem, wie gut die Teilnehmenden darin geübt sind, ihre wahren Bedürfnisse und Blockaden wahrzunehmen und zu beschreiben. Meistens kämen Menschen zusammen, die dafür offen sind. Viele hätten dann im Anschluss auch selbst andere Gruppen organisiert, in ihrem Arbeitsumfeld oder in der Familie.
Vodafone: Graswurzelbewegungen und Multiplikationseffekte
Einen derartigen Multiplikationseffekt hat auch Andrea Scholz, Senior Manager Consumer Business Sustainability von Vodafone, beobachtet. Sie verantwortet im Geschäftsbereich Privatkunden übergreifend den Fokus Kreislaufwirtschaft für die Vodafone-Geräte und engagiert sich auch darüber hinaus für Klimaschutz – beruflich und privat. Vor etwa viereinhalb Jahren gründete sie bei Vodafone mit Kolleg:innen ein „Green Team“, eine Art Graswurzelinitiative, um den Beschäftigten Mut zum Klimaschutz zu machen, aber auch die Führungsebene zu challengen. The Week hat sie von Anfang an berührt, da sie ihre persönliche Reise wiedererkannte: Die Geburt ihrer Tochter und die Erkenntnis, was auf sie zukommt, die gefühlte Ohnmacht angesichts der Entwicklungen, dann die Suche nach Erklärungen, schließlich die Hoffnung und die Handlungsoptionen, kleine Dinge, die man tun kann und die doch einen Dominoeffekt für eine lebenswertere Welt auslösen könnten.
„Das Format vermittelt wissenschaftlich fundiert in kürzester Zeit die Grundlagen für einen Ausweg – und zwar auf eine sympathische und menschliche Art und Weise“, meint Andrea Scholz. The Week erleichtere den Kontakt mit Menschen, die sich auch engagieren wollen, aber an einem anderen Punkt stehen und verschiedene Wissensstände mitbringen, findet die Sustainability-Managerin von Vodafone. In der Gruppe mit der Alanus Hochschule und dem auf Nachhaltigkeit fokussierten Telekommunikationsanbieter Wetell wurde die Vielfalt der Perspektiven deutlich – und dass man in jeder Situation etwas tun kann, ob in einem Konzern oder in einem Purpose-Start-up. „Das ist nicht wie eine Doku, die man schaut und sich eine Woche später fragt, ‚wie war das nochmal?‘. Die Teilnahme wirkt bei vielen nach.“ Zum Beispiel hat eine ihrer Freundinnen nach Durchlaufen des Formats selbst ein „Green Team“ in ihrem Unternehmen gegründet.
The Week skalieren: Chancen und Herausforderungen
Nun möchten Andrea Scholz und die Beteiligten im Green Team von Vodafone „The Week“ nutzen, um noch mehr Reichweite für ihr Anliegen zu erreichen. Kräfte bündeln und die Bewegung anschieben ist ein Ziel – gerade laufen Gespräche in viele Richtung. So gibt es auch Ideen in Zusammenarbeit mit HR, das Format ins Talentmanagement und Weiterbildungsprogramm zu integrieren – auf Freiwilligenbasis. Dafür sind aber noch ein paar Hürden zu überwinden, zum Beispiel in einer Woche drei Termine zu finden, in der die gesamte Gruppe Zeit hat. Damit sich die Teilnehmenden vorstellen können, dass sie eine wertvolle Erfahrung erwartet, braucht es einen guten Pitch, der Interesse für das Format weckt.
„The Week hat sich schon relativ organisch in deutschen Unternehmen verbreitet“, so Carolin Goethel, Germany Activation Lead von „The Week“. Sie ist seit Kurzem dafür zuständig, Arbeitgebende in Deutschland zu unterstützen, die den filmbasierten Austausch kennenlernen und weiterverbreiten wollen. Bisher ist sie neben Vodafone und Wetell zum Beispiel mit Ikea, Roche, Elis, BSHG, PwC, dem Bayerischer Rundfunk und dem KASO-Netzwerk (ein seit 2017 bestehendes Netzwerk aus über 250 Mitgliedern von über 90 Konzernen) in Kontakt.
Globales „Activiation Team“ nun auch in Deutschland aktiv
Geplant sind regelmäßige Community Calls für diejenigen in Unternehmen, die das Format organisieren – vor allem über einen Slack Space, wo die Formatverantwortlichen auch Updates posten. Außerdem ist ein Ambassador-Toolkit mit Einladungstexten, Templates und weiterem Material in Arbeit. Es sollen Fallstudien entstehen, etwa mit dem Chemievertriebsunternehmen Grolman Group, das „The Week“ als Basis eines dreitägigen Visions- und Strategieworkshops mit 42 Führungskräften nutzte, um daraus gemeinsam weitere Schritte in für die Transformation zur Kreislaufwirtschaft zu planen.
Die Website von „The Week“ in Deutschland ist noch nicht online, der Launch steht für Oktober an. Eine Gruppe von Freiwilligen organisiert eine Crowdfunding- Kampagne für die Synchronisierung der Filme ins Deutsche. „Wenn alles gut läuft, sollten diese Anfang nächsten Jahres verfügbar sein“, meint Carolin Goethel. Das globale „Activation Team“ macht sich zudem gerade Gedanken über eine Nachbegleitung. Während die private Nutzung kostenfrei ist, fällt im Unternehmenskontext eine Gebühr an, die neben Spenden die Kosten des gemeinnützigen Projekts decken soll: 20 Euro pro Person. Wenn Unternehmen „The Week“ allen Mitarbeitenden in der Organisation zugänglich machen sind es 10 Euro. Dieser Betrag ist auch vorgesehen, wenn Mitarbeitende die Kosten selbst tragen. Für Personen, die „The Week” für Coaching, Beratung, Trainings oder Facilitation nutzen, sind 10 Prozent des Honorars abzugeben. Die Bezahlung funktioniert auf Vertrauensbasis.
Nur Hoffnungsschimmer oder nachhaltige Wirkung?
Bei LiveSciences, die international agierende Beratung hat etwa zehn Mitarbeitende, achten alle in gewissem Maß schon auf Nachhaltigkeit. Nachdem einige Beschäftigte „The Week“ mitgemacht haben, verstärkte das nach ihrer Wahrnehmung das Nachhaltigkeitsbewusstsein. Alle nutzen möglichst nur noch öffentliche Verkehrsmittel anstatt Auto oder Flugzeug. Das Unternehmen hat zudem einen Kanal für den Austausch von Ideen zu nachhaltigem Verhalten im privaten Umfeld eingerichtet. „Wir versuchen nochmal stärker, Nachhaltigkeit in Projekten zu platzieren, auch wenn Kunden eigentlich ein anderes Kernthema haben“, erzählt Britta Butz.
Wie nachhaltig „The Week“ wirken kann, lässt sich momentan aber noch schwer absehen. Das Format könne nur ein Baustein sein, um wirklich etwas zu verändern, meint Susanne Blazejewski. Die Forschung zeigt laut der Professorin, dass Emotionen wie Verbundenheit, Stolz oder Schuldgefühle Menschen durchaus in ihrem Handeln beeinflussen und Nachhaltigkeitsverhalten situativ stärken. Um Nachhaltigkeitsprojekte im Unternehmen auf Dauer durchzuhalten, auch gegen mögliche Widerstände, brauche es aber zudem starke eigene Normen und Werte sowie das Zutrauen, tatsächlich etwas bewirken zu können. Deshalb sollte man die Wirkung der Filme nicht überschätzen. Was „The Week“ aber sicherlich erzeugen könne, seien Gänsehaut- und Empowermentgefühle: „Was ich persönlich da rausnehme, ist: Ich bin nicht die Einzige, die hier etwas macht. Wir sind nicht wenige. Wir sind viele.“ Für diesen Herbst hat sie schon wieder eine neue Runde mit ihren Studierenden und Personen aus ihrem Unternehmensnetzwerk angesetzt.
Informationen über „The Week“ sind unter www.theweek.ooo verfügbar.
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