Interview: „Wirtschaftliches Handeln ist immer politisch“

Am Arbeitsplatz kommen Menschen mit verschiedenen politischen Überzeugungen zusammen. Doch mit dem Aufwind der AfD steigt die Wahrscheinlichkeit, dass einige sich außerhalb des demokratischen Spektrums bewegen. Wie Nomos Glashütte, ein Hersteller mechanischer Armbanduhren mit Produktionssitz in Sachsen, damit umgeht, erklärt Geschäftsführerin Judith Borowski im Interview.

Frau Borowski, Sie stehen öffentlich für demokratische Werte ein – auch oder gerade in Ihrer Funktion als geschäftsführende Gesellschafterin und Mitinhaberin von Nomos Glashütte. Warum? 

Judith Borowski: Nomos Glashütte wurde 1989 gegründet. Das Unternehmen hätte es ohne den Mauerfall nicht gegeben. Wir fühlen uns deshalb der Demokratie besonders verpflichtet – gerade jetzt, da sie angegriffen wird. Ich hätte mir früher nicht vorstellen können, dass das Wort Demokratie einmal nicht mehr rundweg positiv besetzt sein könnte und dass manche es sogar als Schimpfwort verwenden. Wir möchten im Rahmen unserer Möglichkeiten alles dafür tun, dass sie erhalten bleibt.

Geht es Ihnen dabei mehr um den Schaden, den Parteien wie die AfD in Unternehmen anrichten würden, oder eine Ablehnung von Rassismus und Ausgrenzung aus menschlicher Sicht?

Das eine wie das andere ist wichtig: Neben unserer Verantwortung für die Demokratie möchten wir unseren Kundinnen und Kunden und den anderen Stakeholdern unseres Unternehmens zeigen, dass wir für Weltoffenheit und Toleranz stehen. Wir verkaufen unsere Uhren in die ganze Welt. Unsere Haltung passt nicht zu den Werten der AfD. Aus unserer Sicht kommt diese Partei gerade mit demokratischen Mitteln stückchenweise an die Macht, scheint aber nicht dazu angetreten zu sein, die Demokratie in die Zukunft tragen.

Am 1. September wird in Sachsen der Landtag neu gewählt. Laut Wahlprognosen könnte die AfD stärkste Kraft werden. Inwiefern ist es für Sie wichtig, was Ihre Mitarbeitenden wählen?

Es muss uns egal sein, ob sie rot, grün, schwarz oder gelb wählen, und ist es auch. Die AfD aber steht für uns außerhalb des demokratischen Spektrums, ist sichtbar keine Freundin unserer Verfassung. Diese Partei gesondert zu betrachten, hier eine Grenze zu ziehen, scheint uns politisch richtig und menschlich wichtig. Doch selbst, wenn auch wir ein paar AfD-Sympathisanten im Unternehmen haben mögen: Wichtig ist uns vor allem, dass bei Nomos ein Klima der Toleranz und der Weltoffenheit gelebt wird. Dass niemand Opfer von Hass und Gewalt wird, dass wir Diversität als Vorteil begreifen.

Das können sicherlich nicht alle Geschäftsführer, denn nicht alle haben hier unseren Freiheitsgrad: Wir sind ein inhabergeführtes Unternehmen, das sechs Gesellschafterinnen und Gesellschaftern gehört. Der angestellte Manager eines Konzerns könnte dies vermutlich nicht.

"Wirtschaftliches Handeln ist ja ohnehin immer politisch“

Viele Unternehmen verstanden den Arbeitsplatz bisher als einen geschützten Raum, in dem Menschen mit verschiedenen politischen Einstellungen zusammenkommen und zusammenarbeiten. Erkennen Sie darin nicht einen Wert, den man erhalten sollte?

Doch, klar – genau richtig. Wie gesagt: Genau diese Diversität macht unsere Unternehmen besser, resilienter. Was die einzelnen Parteien und Programme betrifft – da sollten wir uns raushalten. Aber das gilt, siehe oben, nicht für die AfD. Dass diese Partei bei uns ein so zentrales Thema ist, hat mit der Situation vor der Haustür in Sachsen zu tun. Deshalb wollen wir über Demokratie sprechen und darüber, wie wir ein gutes gesellschaftliches Miteinander erreichen und bewahren.

Die Wirtschaft hat sich meines Erachtens zu lange hinter Floskeln versteckt. Da wurde immer wieder das bekannte Zitat bemüht, „the Business of Business is Business”. Doch wirtschaftliches Handeln ist ja ohnehin immer politisch. Mal geht es um Fachkräfte, mal um Energiepreise und Subventionen, mal um Steuerentlastungen. Nun geht es eben mal um die Demokratie, die die Grundlage unseres unternehmerischen Handelns ist.

Fragen Sie Ihre Mitarbeitenden also danach, was sie wählen?

Nein. Wir haben kein Recht zu wissen, was unsere Beschäftigten wählen. Wir wollen Vorbild sein, Haltung zeigen, Demokratie im Kleinen üben. Denn natürlich besteht auch die Gefahr, dass Mitarbeitende potenziell Opfer werden können von rechter Gesinnung – zum Beispiel Menschen mit einer Behinderung, mit „fremdländischem“ Aussehen oder anderer sexueller Orientierung. Als Arbeitgebende haben wir eine Fürsorgepflicht. Wir müssen alle schützen.

Nomos Glashütte Headquarter

Zuletzt haben sich viele CEOs und Vorstände in öffentlichen Statements gegen Rassismus und Ausgrenzung positioniert. Was bringt das aus Ihrer Sicht? Beim Herzeigen von Regenbogenfahnen sieht man bisweilen, dass dies kaum Auswirkungen auf die gelebte Vielfalt in Unternehmen hat.

Ehrlich gesagt: Ich freue mich riesig darüber, dass sich jetzt so viele Top-Managerinnen und -Manager artikulieren. Ob das möglicherweise nur der Versuch ist, political correct zu wirken, es vielleicht nicht nachhaltig wirkt, kann ich nicht beurteilen. Aber ich empfinde es persönlich als Entlastung, wenn sich jetzt viele zu Demokratie bekennen und die AfD als ein Risiko für unseren Standort erkennen. Vorher waren wir ziemlich allein auf weiter Flur – vor allem hier in Sachsen.

Aber kann man durch Bekenntnisse Mitarbeitende wirklich vor Rassismus und Ausgrenzung schützen?

Sie sind zumindest ein wichtiges Signal. Beschäftigte müssen wissen, welche Haltung das Unternehmen hat, in dem sie arbeiten. In der Familie und im Freundeskreis ist es ja auch so: Es hilft, wenn man weiß, für welche Haltung jemand steht. Als Arbeitgeber bieten wir damit Orientierung, aber wir erwarten nicht, dass alle zu 100 Prozent unsere Haltung teilen. Es hilft auch schon, wenn alle wissen, dass Hass und Herabwürdigung Schwächerer unerwünscht sind. Das schafft ein anderes Arbeitsklima. Da nachlesbar ist, wofür Nomos steht, werden sich manche Menschen nicht mehr bei uns bewerben. Und andere – oft vor allem jüngere – wollen gerade deshalb zu uns.

Sie persönlich sind nach der Wende erstmal nach Dresden gezogen, kommen aber aus dem Westen. Ihr Büro ist in Berlin. Inwiefern sehen die Mitarbeitenden an ihrem Werksstandort in Sachsen sich durch Ihre Haltung repräsentiert?

Repräsentiert vielleicht nicht, aber sie akzeptieren mich trotzdem, hoffe ich. Viele wissen, dass ich schon vor der Wende viel in der DDR war und Ende 1989 direkt in den Osten kam. Außerdem ist unserer CEO aus dem Osten und Mitglied im Stadtrat und Kreistag. Somit ist unsere dreiköpfige Geschäftsführung divers aufgestellt – ebenso wie unsere Belegschaft. Wir haben neben dem Büro in Berlin auch weitere kleinere Standorte in New York, Shanghai, Hongkong und Como. Bei uns arbeiten Menschen mit sehr verschiedenen Herkünften, Bildungshintergründen und unterschiedlichen Alters. Und: In Berlin sehen wir teils besser, wie der Standort Sachsen von außen wahrgenommen wird.

Dennoch müssen Sie davon ausgehen, dass einige Menschen in Ihrer Firma AfD wählen…

In Glashütte und im Osterzgebirge bekam die AfD bisher 35 bis 41 Prozent der Stimmen. Es wäre naiv anzunehmen, dass wir keine AfD-Sympathisanten im Unternehmen haben. Dass der Anteil bei uns geringer ist, da bin ich dennoch sicher. Das begreife ich ein wenig als Lohn dafür, dass wir uns schon so lang um die Demokratie bemühen.

Ist das nur ein ostdeutsches Problem?

Nein, natürlich nicht. Ein Erstarken der Rechten sehen wir derzeit ja weltweit. Aber dennoch ist die Vehemenz in Ostdeutschland meist noch größer als im Westen. Und die Bereitschaft, dagegen zu halten, ist in Ostdeutschland aus meiner Sicht geringer. Die Gründe sind vielfältig: etwa eine historisch bedingt andere soziodemografische Zusammensetzung der Bevölkerung, eine oft mangelnde Aufarbeitung beider deutscher Diktaturen, mehr Misstrauen gegenüber Staat und Medien. Und natürlich wurden auch – vor allem von westdeutscher Seite – nach der Wende viele Fehler begangen. Die deutsche Vereinigung ist friedlich geglückt, aber viele Herausforderungen sind ungelöst. Auch deshalb können viele Menschen die Demokratie noch nicht als das Geschenk begreifen, das sie natürlich ist.

Roland Hartwig, der für die AfD im Bundestag saß und bis vor Bekanntwerden des Gemeintreffens in Potsdam Referent von Parteichefin Alice Weidel war, hat bei Bayer Karriere gemacht und war Chefsyndikus – direkt unter dem Vorstand. Wäre bei Ihnen im Unternehmen jemand mit AfD-Parteibuch in so einer Position tragbar?

Nein, nie.

Unternehmen als sozialer Raum

Welche Methoden finden Sie sinnvoll, um antidemokratischen Entwicklungen gegenzusteuern?

Wir setzen seit Jahren auf Workshops zu Demokratiethemen für Beschäftigte, die sie freiwillig während der Arbeitszeit besuchen können. Und ich finde, es ist wichtig, dass ein Unternehmen Haltung zeigt, dass Mitarbeitende wissen, wofür wir stehen. Drittens geht es natürlich  immer auch um den Ton im Miteinander: Aus meiner Sicht müssen wir viel mehr fragen, viel mehr wahrnehmen, viel mehr wertschätzen, was Mitarbeitende bewegt und was sie mitbringen. Auch das in der DDR verbrachte Leben will wertgeschätzt werden: Hier das Persönliche zu trennen von der Kritik am System, scheint mir essentiell. Unternehmen sind ein sozialer Raum, der davon profitieren kann, dass wir unterschiedlich sind. Weiter ist es sicherlich auch relevant, dass wir praktische Probleme unserer Mitarbeitenden und in unserem Umfeld lösen – ob es um Kinderbetreuung, den Öffentlichen Nahverkehr oder andere Dinge geht, die im Alltag wichtig sind.

Worum geht es in den Workshops, die Sie anbieten?

Da geht es zum Beispiel um das Erkennen von Verschwörungserzählungen, um Fake News und Hate Speech. Wie wehre ich mich gegen Hass im Netz? Wie kann ich lernen, gut zu argumentieren, wie mache ich eine Bilderrückwärtssuche?

Ab 2018 haben wir Workshops durchgeführt, mit Hilfe der Initiative Open Saxony in Dresden. Das war ein Programm, das aus der Jugend- und Demokratiearbeit kam und das wir für Erwachsene umgestrickt haben. 2021 haben wir uns dann dem Business Council for Democracy, kurz: BC4D, angeschlossen – ein tolles Demokratieprojekt für die Wirtschaft von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, dem Institute for Strategic Dialogue und der Robert Bosch Stiftung. Heute sind dort rund 140 Unternehmen dabei, die meisten wesentlich größer als Nomos.

Wie viele und welche Mitarbeitenden nehmen an den Kursen teil – immer die gleichen?

Ungefähr die Hälfte der Beschäftigten hat bis dato teilgenommen. Wir versuchen möglichst viele anzusprechen, aber wir wollen niemanden zwingen.

Nomos Glashütte Montage Uhrwerk

Vertrauen die Beschäftigten darauf, dass sie in diesen Workshops frei über ihre Erlebnisse und Erfahrungen sprechen können?

Ja, das ist ein geschützter Raum. Ohne Vorgesetzte, Personalabteilung, Geschäftsführung. Die Kurse leiten professionelle Trainerinnen aus der politischen Bildung. Bislang waren die Nomos-Beschäftigten unter sich. Das hatte aus meiner Sicht Vorzüge. Manchmal ist es aber sicherlich auch gut, über den Tellerrand zu schauen und sich zu informieren, was andere so machen. Dafür gibt es im Rahmen von BC4D auch unternehmensübergreifende Kurse.

Auf Social Media wurde unter anderem die Idee diskutiert, sich einen Wertekodex von Mitarbeitenden unterschreiben lassen. Was halten Sie davon?

Das ginge mir für unser Unternehmen einen Schritt zu weit. Ich glaube, dass das manche als übergriffig empfinden würden und ich würde befürchten, dass dies eher zu Abwehr führen könnte. Mit einer positiven Positionierung für Demokratie und Weltoffenheit kann man mehr erreichen. Aber es ist ein schmaler Grat. Wir sagen zwar nicht ungefragt, dass wir gegen die AfD sind. Aber wir wollen uns auch nicht darum herumdrücken.

Der Arbeitsplatz als Ort außerhalb der persönlichen Blase?

Viele Menschen, die demokratische Werte hochhalten, möchten nichts mit AfD-Anhängern und Anhängerinnen zu tun haben. Inwiefern kann man am Arbeitsplatz diese Lagerbildung aufbrechen?

Die Gräben sind tiefer geworden. Kürzlich hat mir ein Mitarbeiter unter Tränen berichtet, dass er mit einigen seiner Freunde gebrochen habe, nachdem er gesehen habe, was diese auf Facebook gepostet hätten. Er wisse nicht mehr, wem er noch trauen könne. Skepsis und Misstrauen sind sicherlich größer geworden. Deshalb versuchen wir gegenzusteuern. Wir hatten etwa das „Sachsensofa“ zu Besuch in Glashütte, eine Veranstaltung der Katholischen Akademie und der Evangelischen Akademie des Landes. Da war Ricarda Lang von den Grünen da und ein Politiker aus Dresden für die CDU – während draußen auf der Straße die freien Sachsen einen Autokorso dagegen veranstalteten – und das ist eine Partei, für die die AfD nahezu linksliberal ist.

Dass wir diese und andere Demokratieräume schaffen, Diskussion fördern, loben viele unserer Mitarbeitenden. Insgesamt habe ich schon den Eindruck, dass unser Klima intern offener geworden ist. Und das ist so wichtig: Unternehmen sind für viele die letzten Orte, wo Menschen sich noch außerhalb ihrer Blase bewegen. Hier trifft man auf Kollegen anderer Generationen und Herkunft, auf Menschen mit anderem Bildungshintergrund. Früher waren hier auch Sportvereine, Kirchen, Parteien und Gewerkschaften wichtig – doch die Zahl der Mitglieder dort nimmt ja eher ab.

Haben Sie ein Beispiel aus dem Alltag, wo Sie mitbekommen haben, dass Mitarbeitende über politische Themen sprechen?

Vieles im Alltag bekomme ich als Geschäftsführerin wohl gar nicht mit. Aber vergangenen Sommer etwa war Katrin Göring-Eckardt auf ihrer Radtour durch den Osten bei uns zu Besuch. Ein Mitarbeiter hat sich darüber lustig gemacht, dass sie als Grüne mit dem E-Bike kam und nicht mit einem Fahrrad, bei dem man in die Pedale treten muss. Da gab es schon Kollegen, die gegengehalten haben. Eine Petitesse, doch irgendwo fängt das Stellungbeziehen an.

Am 29. Februar war Bundeskanzler Olaf Scholz bei Ihnen zu Besuch, am 4. März Staatsminister Carsten Schneider. Sie waren vom Bundespräsidenten eingeladen. Werten Sie die Aufmerksamkeit der Politik als gutes oder schlechtes Zeichen?

Wir freuen uns über diese Rückenstärkung! Doch gleichzeitig ist es natürlich ein bisschen traurig: Wir sind mit unseren 200 Beschäftigten ja kein großes Unternehmen. Es ist schade, dass die Wirtschaft bislang recht verhalten war und wir auch deshalb so im Fokus stehen. Nun scheint sich ja in der Wirtschaft etwas zu tun, die Notwendigkeit einer Corporate Political Responsibility scheint anzukommen. Und natürlich müssen wir fair bleiben: Manche Unternehmen haben es einfach auch schwerer als wir, sich politisch zu artikulieren. Wer Sorge haben muss, Mitarbeitende oder Kunden zu verlieren und damit vielleicht auch Arbeitsplätze, ist automatisch vorsichtiger. Muss es sein.

Wer ist bei Ihnen dafür verantwortlich, dass demokratische Werte gewahrt bleiben und Mitarbeitende keiner Form von Rassismus oder Ausgrenzung ausgesetzt sind – HR, CSR-Verantwortliche, Geschäftsführung, alle...?
Wenn es um die Haltung geht, ist es zunächst Sache der Geschäftsführung. Wir tragen hierfür die Verantwortung. Zum Glück waren wir uns hierin stets auch einig. 2015, mit dem Aufkommen von Pegida und Montagsdemonstrationen auch vor unserer Haustür, haben wir in der Geschäftsführung beschlossen, dass wir diesen antidemokratischen und auch menschenfeindlichen Geist nicht in unserem Unternehmen haben wollen. Heute ist oft auch unsere Unternehmenskommunikation involviert, wenn wir nach außen auftreten. Und intern HR für Fragen der Weiterbildung. Aber natürlich: Letztlich sind für die Demokratie immer alle verantwortlich.

Schlagworte zum Thema:  Politik, Unternehmenskultur, Diskriminierung