Kommentar: Unternehmen und Menschenrechte brauchen die CSDDD

Die als europäisches Lieferkettengesetz bekannte Richtlinie „CSDDD“ wird am Mittwoch, den 28. Februar, erneut im Rat der Europäischen Union diskutiert. Michaela Streibelt und Daniel Schönfelder kommentieren, warum die Richtlinie aus ihrer Sicht im Sinne der Wirtschaft wäre.

Die EU-Richtlinie über unternehmerische Nachhaltigkeitspflichten (CSDDD) steht für Mittwoch wieder auf der Agenda des Rats. Wahrscheinlich ist dies die letzte Chance dieser dringend benötigten Richtlinie vor der Europawahl angenommen zu werden. In der medialen Auseinandersetzung scheint es an inhaltlichem Verständnis der kritischen Argumente gegen die Richtlinie zu fehlen. Diese stellen sich bei näherer Betrachtung als irreführend und falsch heraus. Wir wollen diese aus der Perspektive der Praxis näher beleuchten.

In diesem Zusammenhang sei auf die Studie über Sorgfalt in Lieferketten der EU Kommission (" study on due diligence through the supply chain") verwiesen, nach der die weit überwiegende Mehrheit der Stakeholder (Unternehmen, Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Regierungsvertreter:innen) sich für die Einführung gesetzlicher Sorgfaltspflichten auf europäischer Ebene aussprachen damit Unternehmen nachteilige Auswirkungen in ihren eigenen Aktivitäten und ihren Lieferketten auf Menschenrechte und Umwelt identifizieren, verhindern und adressieren. Dies wurde als regulatorische Möglichkeit mit den größtmöglichen positiven Auswirkungen auf Gesellschaft, Umwelt und Menschenrechte verstanden. Interessanterweise waren nur Industrieverbände gegen die Einführung von gesetzlichen Sorgfaltspflichten auf EU-Ebene. Auch jetzt sprechen sich Verbände am deutlichsten gegen die Richtlinie aus. Im Gegensatz dazu sahen alle anderen Stakeholdergruppen, Unternehmen und Mitgliedsunternehmen in Verbänden eingeschlossen, die Vorteile einer europäischen Regelung. Tatsächlich gingen fast 70 Prozent der befragten Unternehmen davon aus, dass Unternehmen von gesetzlichen Sorgfaltspflichten profitieren, weil Rechtsklarheit und ein „level playing field“ geschaffen würden, das alle Wettbewerber in der EU am selben Maßstab messen würde.

Die Studie betonte auch das Potenzial einer solchen Regulierung, den Zugang zu Abhilfe für Betroffene und Gemeinschaften sowie die Umsetzung von Sorgfaltsprozessen und -praktiken durch Unternehmen zu verbessern. Die Studie, für die mehr als 600 Rückmeldungen von zentralen Stakeholdern ausgewertet wurden, unterstrich zudem die Limitationen von freiwilligen Standards in der Regulierung von unternehmerischen Aktivitäten in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt: Nur knapp über ein Drittel der Rückmeldungen von Unternehmen gaben an, dass sie menschenrechts- und umweltbezogene Sorgfaltsprozesse umsetzen. In den meisten der Fälle war diese zudem begrenzt auf direkte Zulieferer. Auch gegenwärtig spricht sich eine immer größer werdende Gruppe von Unternehmen und Unternehmensverbände öffentlich für die CSDDD aus, vgl. business-humanrights.org.

Ein Bürokratiemonster, das Unternehmen schadet?

Manche politischen Parteien und Verbände lehnen die Richtlinie ab, weil sie angeblich Unternehmen überbelastet, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und es wurde fälschlicherweise behauptet, die Richtlinie verpflichte Unternehmen zu garantieren, es gäbe keine nachteiligen Auswirkungen in ihren Lieferketten. Das wäre in der Tat unmöglich. Bei genauerer Betrachtung stellt sich heraus, dass die Richtlinie dies auch nicht verlangt. Stattdessen und im Einklang mit internationalen Standards sieht sie Bemühenspflichten und keine Garantiepflichten vor. Die Richtlinie verpflichtet Unternehmen schlicht dazu, Sorgfaltspflichten angemessen zu ihrer Größe und ihrem Einflussvermögen einzuhalten, einschließlich der Möglichkeit die schwersten Auswirkungen zu priorisieren. In anderen Worten sieht die Richtlinie einen Verhaltensstandard vor, der beschreibt, was die Gesellschaft von einem vernünftigen Unternehmen erwartet, das sich verantwortlich und nachhaltig verhält. Nicht mehr und nicht weniger. Von Unternehmen wird nicht erwartet, perfekt zu sein, sie müssen nur zeigen, dass sie ihr bestmögliches tun, um Menschenrechts- und Umweltverletzungen zu vermeiden und sie zu adressieren, wenn sie dennoch eintreten. Weiter und ebenfalls im Einklang mit internationalen Standards setzt die Richtlinie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit um. Von leistungsfähigeren Unternehmen (also größere Unternehmen) wird mehr verlangt.

Zudem sieht die CSDDD den Schutz von KMU ausdrücklich vor: sie verlangt einen fairen Umgang und verbietet eine Überlastung. In der Praxis sehen sich KMU zunehmend Erwartungen ihrer größeren Kunden in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt ausgesetzt, werden aber wenig unterstützt. Mit der Richtlinie soll dies geändert werden und gerade KMU würden hiervon profitieren.

Level playing field und einheitliche Standards statt Flickenteppich

Die CSDDD würde einen einheitlichen Standard für den Binnenmarkt der EU schaffen und so einen Flickenteppich aus verschiedenen nationalen Gesetzen verhindern. Dies fördert den Wettbewerb und erleichtert den Marktzugang. Auch in der zitierten Studie gaben 70 Prozent der befragten Unternehmen an, ein einheitlicher europäischer Standard statt einem Flickenteppich wäre gut für die Wirtschaft.

Gegenwärtig haben Deutschland, Frankreich und Norwegen Lieferkettengesetze, die Niederlande hat ein Gesetz gegen Kinderarbeit 2019 verabschiedet (das jedoch noch nicht in Kraft getreten ist) und mehrere Staaten arbeiteten an ähnlichen Gesetzen. Es ist zu erwarten, dass andere Mitgliedsstaaten ähnliche Gesetze verabschieden werden, sollte die CSDDD scheitern. Die CSDDD ermöglicht Effizienz und Kohärenz.

Die CSDDD verhindert Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen gegenüber Konkurrenten aus Drittstaaten, da sie auch Sorgfaltspflichten für Drittstaatsunternehmen vorsieht, die einen Umsatz in bestimmter Höhe oder Einnahmen aus Franchise- oder Lizenzverträgen in der EU erwirtschaften. Dies schafft bessere Wettbewerbsbedingungen für EU-Unternehmen, die mit Drittstaatsunternehmen konkurrieren.

Rückzug aus schwierigen Regionen?

Die CSDDD verpflichtet europäische Unternehmen nicht dazu, sich aus schwierigen Ländern, Regionen, Lieferketten oder Lieferbeziehungen zurückzuziehen. Stattdessen und im Einklang mit internationalen Standards sieht die Richtlinie Rückzug nur als letztes Mittel vor. Die Beispiele aus Frankreich und Deutschland zeigen, dass die Angst, Zulieferer aus dem globalen Süden könnten sich weigern mit europäischen Unternehmen Handel zu treiben, vollkommen unbegründet ist. Tatsächlich bereiten sich viele dieser Zulieferer auf die erwarteten Anforderungen ihrer europäischen Kunden vor, die bereits Sorgfaltsprozesse umsetzen. Der komparative Vorteil geringerer Produktionskosten bleibt und die Mehrkosten durch Sorgfalt heben diesen nicht auf. Auch gibt es viele Rohstoffe gar nicht bei uns (zum Beispiel Kakao, Kaffee, Kobalt, Koltan). Die CSDDD priorisiert Prävention und Abhilfe vor Rückzug. Nur als letztes Mittel bei schweren Verletzungen müssen Unternehmen Geschäftsbeziehungen beenden, dies aber auch nur im Rahmen eines „Responsible Exit“.

Grenzenlose Haftung?

Eine der irreführendsten Behauptungen rund um die CSDDD ist, dass sie Unternehmen vor nicht zu bewältigende und unbegründete Haftungsrisiken stellt. Das Gegenteil ist jedoch der Fall, denn die Umsetzung angemessener Sorgfalt ist der beste Schutz gegen Haftungsrisiken. So hilft die CSDDD durch klare Anforderungen an die Unternehmen diesen, Haftungsrisiken zu managen.

Bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, dass Unternehmen von der Haftungsregel der CSDDD profitieren, weil sie eine klare, ausgewogene, einheitliche und vor allem (fast) immer anwendbare Haftungsnorm schafft. Auch gegenwärtig bestehen Haftungsrisiken für Unternehmen wie zum Beispiel die Verfahren gegen Shell in den Niederlanden oder La Poste in Frankreich als zwei Beispiele von vielen zeigen. Unternehmen sind möglicherweise zivilrechtlich haftbar nach verschiedenen nationalen Haftungsnormen, denn das auf Schadensfälle anwendbare Recht ist in der Regel das Recht des Landes, in dem der Schaden eingetreten ist. Das bedeutet, dass europäische Unternehmen Haftungsrisiken nach verschiedenen Rechtsordnungen in verschiedenen Sprachen bewerten müssen, was möglicherweise auch die Inanspruchnahme von Rechtsberatung in verschiedenen Ländern erfordert.

Die CSDDD sieht eine Haftung von Unternehmen nur für Schäden vor, die kausal durch die Verletzung der Pflicht zu Prävention oder Abhilfe, entstanden sind. Sind sie ihren Sorgfaltspflichten nachgekommen, haften sie nicht, was Haftungsrisiken vorhersehbarer macht und leichter bewältigen lässt. Diese Haftungsnorm wäre eine sogenannte Eingriffsnorm, so dass die Anwendung anderer Haftungsnormen ausgeschlossen wäre. Entsprechend sieht die CSDDD eine klare und faire Haftungsnorm vor und würde Rechtssicherheit und –klarheit sowohl für Unternehmen als auch Betroffene schaffen.

Unternehmerische Nachhaltigkeit – mit oder ohne die CSDDD

Auch wenn die CSDDD nicht angenommen wird, sehen sich Unternehmen bereits jetzt zunehmenden Anforderungen in Bezug auf menschenrechts- und umweltbezogene Sorgfaltsprozesse ausgesetzt. Internationale Standards wie die Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationalen, die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen und die ILO Trilaterale Grundsatzerklärung der ILO zu multinationalen Unternehmen und zur Sozialpolitik werden von immer mehr Unternehmen umgesetzt. Auf ihrer Grundlage verabschieden mehr und mehr Staaten entsprechende Gesetze. Zudem sehen sich Unternehmen zunehmend unter Druck von Verbraucher:innen und Investor:innen, verantwortlich und nachhaltig zu handeln. Aktuelle Studien schätzen, dass 160 Millionen Kinder (also jedes zehnte weltweit) Kinderarbeit leisten. Eine Zahl, die in den letzten Jahren größer wurde, insbesondere unter Kindern im Alter von fünf bis elf Jahren, die gefährliche Arbeit verrichten. Die ILO schätzt, dass 18 Millionen Menschen in der Privatwirtschaft durch Zwangsarbeit ausgebeutet werden. Andere Studien haben wiederholt gezeigt, dass Unternehmen negative Auswirkungen auf alle international anerkannten Menschenrechte haben können.

Prävention und Abhilfe durch Policies und Praktiken sind Kern einer nachhaltigen Entwicklung gemäß den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, die die Menschenrechte in den Mittelpunkt aller 17 Ziele und 169 Unterziele stellen. Die CSDDD setzt letztlich nur bereits existierende internationale Standards und gesellschaftliche Erwartungen an unternehmerisches Handeln in Recht um. Damit soll sichergestellt werden, dass Unternehmen auf der richtigen Seite der Geschichte stehen.

Update 28.02.:

Nach der Abstimmung im Ausschuss der Ständigen Vertreter steht das EU-Lieferkettengesetz vorerst vor dem Aus. Es gab keine qualifizierte Mehrheit für die CSDDD.

Die belgische Ratspräsidentschaft kommentierte dazu: „Wir müssen nun den Stand der Dinge prüfen und werden sehen, ob es möglich ist, die von den Mitgliedstaaten vorgebrachten Bedenken in Absprache mit dem Europäischen Parlament auszuräumen.“

Schlagworte zum Thema:  Lieferkette, Menschenrecht