Gemeinwohl-Bilanz

Eine Gemeinwohl-Bilanz macht Unternehmen auskunftsfähig zu ihren Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft. Im Zuge der Nachhaltigkeitsberichterstattung wird dies für immer mehr Unternehmen wichtig. Veronika Sharonova zeigt in diesem Artikel, welche Vorteile eine Gemeinwohl-Bilanz bietet und wie Unternehmen in den Prozess starten können.

Die Anforderungen an Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen steigen aktuell sichtlich. Egal, wer etwas darüber erfahren möchte, wie eine Organisation wirtschaftet – Kund:innen, Mitarbeitende, Investoren – als Unternehmen man muss zunehmend auskunftsfähig sein. Auch rechtlich spiegelt sich das in zunehmenden Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung wider. Die Gemeinwohl-Bilanz ist ein etabliertes Instrument, das Unternehmen für diesen Zweck zur Verfügung steht. Sie bietet Unternehmen die Möglichkeit, einen Überblick über alle ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitsthemen zu bekommen.

Warum die Gemeinwohl-Bilanz?

Heute werden Unternehmen vor allem nach ihrem wirtschaftlichen Erfolg bewertet. Dabei wird aber nicht betrachtet, ob das Unternehmen auch ethische Verantwortung übernimmt – eine Dimension, die die Gemeinwohl-Ökonomie miteinbezieht. In einer Gemeinwohl-Bilanz wird das Unternehmen gesamtheitlich betrachtet, sie zeigt auf, welcher Beitrag zum Gemeinwohl durch das wirtschaftliche Handeln entsteht. Die Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz schafft Transparenz und sensibilisiert in Bezug auf die Verantwortung, die Unternehmen durch ihr Handeln haben. Durch die Analyse kann der Beitrag des Unternehmens zum Gemeinwohl systematisch bewertet werden. Die Gemeinwohl-Bilanz kann zur Nachhaltigkeitsberichterstattung genutzt werden und dient darüber hinaus auch als wirksames Tool für die Organisationsentwicklung, um das eigene Handeln langfristig nachhaltig auszurichten.

Die Entscheidung für die Gemeinwohl-Bilanz steht für den Beginn eines fortlaufenden Entwicklungsprozesses mit einer Werte-Orientierung. Durch die Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz kann ein Unternehmen sehen, wo es auf dem Weg zu einem gemeinwohl-orientierten Unternehmen steht und dabei Verbesserungspotentiale definieren. Viele Unternehmen setzen inzwischen auf die Gemeinwohl-Bilanz, um zu zeigen, dass ein anderes Wirtschaften möglich ist. Zu solchen Leuchttürmen gehören heute unter anderen Ecosia, Vaude, Sonnentor und Taifun-Tofu.

Gemeinwohl-Matrix als Grundlage

Die Erstellung der Gemeinwohl-Bilanz erfolgt anhand der Gemeinwohl-Matrix. Sie ist der Ausgangspunkt und Leitfaden im gesamten Prozess. Die Matrix besteht aus 20 Themen, die sich durch die Anwendung von vier verfassungsrechtlichen Grundwerten auf die fünf wichtigsten Berührungsgruppen von Unternehmen ergeben. Mit den Berührungsgruppen werden alle Bereiche einer wirtschaftlichen Einheit abgedeckt:

  • Die erste Berührungsgruppe umfasst direkte Lieferant:innen von Unternehmen wie auch deren Lieferant:innen und somit die gesamte Zulieferkette.
  • Neben den Eigentümer:innen mit Verfügungsrechten, Verantwortung und Haftung gehören auch Finanzpartner:innen zur zweiten Berührungsgruppe. Damit sind sowohl Geldgeber:innen als auch Finanzdienstleister:innen gemeint.
  • Mitarbeitende werden – als wesentlicher Teil von Unternehmen – als dritte Berührungsgruppe abgebildet.
  • Zu vierten Berührungsgruppe gehören Kund:innen sowie Mitunternehmen, die ähnliche Zielgruppen ansprechen. Unter Kund:innen werden neben den Endkund:innen auch Händler:innen einbezogen.
  • Die Gemeinwohl-Bilanz ist aktuell der einzige Standard, der auch das gesellschaftliche Umfeld eines Unternehmens ausgiebig mitbetrachtet. Bei dieser Berührungsgruppe bekommen so alle Aufmerksamkeit, die nur mittelbar die Auswirkungen des unternehmerischen Handelns spüren, insbesondere auch zukünftige Generationen, das Gemeinwesen, das globale ökologische Umfeld sowie Anrainer:innen und NGOs.

Ein Unternehmen erstellt den sogenannten Gemeinwohl-Bericht anhand von qualitativen und quantitativen Fragen innerhalb der einzelnen Themenfelder aus der Matrix. Auf Basis der Bewertung wird eine Gemeinwohl-Punktezahl ermittelt. Die Skala reicht von -3.600 Punkten bis hin zu 1.000 Gemeinwohl-Punkten. Dabei entspricht die Nulllinie einem Handeln im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben. Die derzeit höchste Punktzahl erreicht das Berliner Unternehmen soulbottles mit 872 Punkten (Stand April 2023).

Der Gemeinwohl-Bericht wird evaluiert und ergibt zusammen mit der offiziellen Bestätigung seitens der Gemeinwohl-Ökonomie die finale Gemeinwohl-Bilanz. Diese ist zwei Jahre gültig, danach wird eine Rebilanzierung empfohlen.

GWÖ-Matrix goodbalancer

Der Bilanzierungsprozess

Bevor mit der Erstellung der Gemeinwohl-Bilanz begonnen werden kann, gibt es in der Orientierungsphase einige Entscheidungen für den weiteren Verlauf des Prozesses zu treffen.

Selbstständig, begleitet oder zusammen mit anderen?

Es gibt drei Möglichkeiten, um einen Gemeinwohl-Bericht zu erstellen:

  1. Eigenständig und unternehmensintern. Dafür braucht es ein gutes Verständnis des Bilanzierungsprozesses sowie der abgefragten Inhalte.
  2. In Begleitung eine:r GWÖ-Berater:in. Das hat den Vorteil, dass auf Seite der Berater:innen bereits umfassende Kenntnisse über den Bilanzierungsvorgang bestehen und sie die Unternehmen dadurch unterstützend durch den Prozess führen können. Sie wissen, wie die Fragen und Indikatoren zu verstehen und zu beantworten sind. GWÖ-Berater:innen begleiten Unternehmen individuell durch den Prozess.
  3. Gemeinsam mit anderen Unternehmen in einer Peer-Gruppe. Die Gruppe aus mehreren Unternehmen, die gemeinsam den Bilanzierungsprozess durchlaufen, wird dabei von eine:r erfahrenen GWÖ-Berater:in begleitet. Diese Variante hat den Vorteil, dass Unternehmen bei der Erstellung des Berichts miteinander sowie voneinander lernen können. Durch den Austausch in der Gruppe ergeben sich wertvolle Impulse sowie Feedback zu dem eignen Status Quo.

Was braucht ein Unternehmen für die Bilanzierung?

Für die verschiedenen inhaltlichen Fragen werden Informationen aus unterschiedlichen Bereichen eines Unternehmens benötigt. Es bietet sich an, für die Erstellung einer Gemeinwohl-Bilanz Vertreter:innen insbesondere aus den Bereichen Personal, Einkauf, Produktion, Marketing und Finanzen miteinzubeziehen. Der Bilanzierungsprozess stößt stets auch einen Entwicklungsprozess im Unternehmen an, daher ist das Commitment der Unternehmensleitung zur Auseinandersetzung mit der Fragestellung und den dadurch angeregten Veränderungen entscheidend.

Die Berichterstellung erfolgt auf Basis der offiziellen Unterlagen der Gemeinwohl-Ökonomie. Der Bericht selbst kann in einem einfachen Text-Dokument verfasst werden, wofür entsprechende Vorlagen zur Verfügung gestellt werden. Allerdings kann die Arbeit damit schnell unübersichtlich werden. Hierbei unterstützt (zum Teil cloudbasierte) Software, die die Berichterstellung vereinfacht und übersichtlicher gestaltet. Je nach Anbieter stehen dabei das integrierte Datenmanagement, die gleichzeitige Bearbeitung durch mehrere Nutzer:innen, sowie die gemeinsame Zusammenarbeit mit Peer-Unternehmen im Fokus.

goodbalancer-Leitfaden

Zertifizierung und Veröffentlichung

Nach Fertigstellung des Gemeinwohl-Berichts erfolgt die Anmeldung zu einer externen Prüfung (Audit). Von unabhängigen Auditor:innen wird in diesem Schritt überprüft, ob die vom Unternehmen berichteten Angaben vollständig und wahrheitsgemäß sind sowie ob die eigene Punkte-Einschätzung auch extern bestätigt werden kann. Damit stellt das Audit die Glaubwürdigkeit des Gemeinwohl-Berichts sicher.

Hat das Unternehmen den Bericht in einer Peer-Gruppe erstellt, erfolgt eine Evaluierung durch die Peer-Unternehmen untereinander. Im Anschluss reichen die zuständigen GWÖ-Berater:innen die Ergebnisse ein und die Unternehmen erhalten ein sogenanntes Peer-Zertifikat. Ein anschließendes Audit ist zusätzlich freiwillig möglich.

Sobald ein Unternehmen das Audit erfolgreich abgeschlossen oder im Falle einer Peer-Evaluierung das Peer-Zertifikat erhalten hat, darf die Gemeinwohl-Bilanz offiziell veröffentlicht werden. Für Unternehmen kann es sinnvoll sein, die Gemeinwohl-Bilanz für die eigene Kommunikation entsprechend aufzubereiten und zu nutzen. So kann allen Anspruchsgruppen und Interessierten dargelegt werden, wie das Unternehmen mit seinem Handeln zum Gemeinwohl beiträgt und was es tut, um zu einem nachhaltigeren Wirtschaften beizutragen.

Die Gemeinwohl-Ökonomie in Kombination mit internationalen Ansätzen

Besonders in den letzten Jahren ergeben sich auch auf rechtlicher Ebene zunehmend neue Vorgaben für Unternehmen. So etwa in Form der CSRD, einer neuen Richtlinie der EU für Nachhaltigkeitsberichterstattung, wodurch in den nächsten Jahren rund 15.000 Unternehmen in Deutschland berichtspflichtig werden – deutlich mehr, als bisher. Die zu berichtenden Themen überschneiden sich in Hinblick auf die Inhalte und Daten mit der Gemeinwohl-Bilanz. Daher haben Unternehmen, die bereits eine Gemeinwohl-Bilanz erstellt haben, einen großen Vorteil, wenn sie berichtspflichtig werden, da sie sowohl in ihren Prozessen als auch bei der Datenerhebung bereits Grundlagen gelegt haben. Die Gemeinwohl-Bilanz kann daher als eine gute Vorbereitung auf die CSRD gesehen werden.

Einen weiteren, international anerkannten Ansatz bilden die Sustainable Development Goals, kurz SDGs, der Vereinten Nationen. Die 17 „Ziele für nachhaltige Entwicklung“ sollen dabei helfen, bis zum Jahr 2030 den globalen ökonomischen, ökologischen und sozialen Herausforderungen begegnen zu können. Auch die Gemeinwohl-Ökonomie orientiert sich an einer nachhaltigen Entwicklung – in jedem Feld der Gemeinwohl-Matrix wird mindestens ein SDG adressiert. Die ganzheitliche Betrachtungsmethode der Gemeinwohl-Bilanz zeigt auf, wie das Handeln des Unternehmens negative Auswirkungen verringern und positive Auswirkungen verbessern kann. Somit kann sie Unternehmen auch dabei helfen, das eigene Handeln auf die Unterstützung der SDGs auszurichten.