Praxisbeispiel Naturkostsafterei Voelkel

Zu gut, um wahr zu sein? Das Unternehmen Voelkel setzt auf ein konsequent wertebasiertes Wirtschaften nach den Prinzipien der Gemeinwohlökonomie. Das ist aufwändig – und sorgt für stabile Geschäfte.

Voelkel ist – bitte nicht falsch verstehen! – ein Vorzeigesaftladen. 1936 von Margret und Karl Voelkel gegründet, bietet die Naturkostsafterei aus Höhbeck im Wendland heute 250 Produkte in Demeter- und Bio-Qualität. Rund 350 Mitarbeitende arbeiten bei Voelkel, davon knapp 30 Azubis. Damit zählt Voelkel im strukturschwachen Nordostniedersachsen zu den bedeutenden Arbeitgebern.

Seit 2011 ist Voelkel kein Familienunternehmen im klassischen Sinne mehr: Vor 13 Jahren entschieden Vater Stefan Voelkel und seine vier erwachsenen Söhne, die Firma in eine Stiftung zu überführen. 90 Prozent der Unternehmensanteile flossen in die Voelkel-Stiftung, die sich die Weiterentwicklung des Unternehmens sowie die Förderung des ökologischen Landbaus auf die Fahnen geschrieben hat. Die restlichen zehn Prozent sind gemeinnützigen Zwecken vorbehalten. Mit diesem Konstrukt ist das Unternehmen unverkäuflich und vor einer Übernahme durch Dritte geschützt.

Die Unternehmensinfos auf der Website lesen sich ein bisschen wie ein Bericht von einer Wirtschaftsutopie: Voelkel betreibt einen erheblichen Aufwand, um in allen Nachhaltigkeitsbelangen vorbildlich zu sein: sei es im sozialen Bereich mit Ukraine-Hilfe, Förderung von Kindern und Jugendlichen oder der Unterstützung von Geflüchteten; sei es im ökologischen Bereich mit Initiativen für samenfestes Saatgut, Streuobstwiesen oder gegen Brandrodung; sei es im ökonomischen Bereich mit einer explizit nachhaltigen Unternehmensführung. „Der Glaube, etwas zum Guten bewegen zu können, ist für uns kein Ergebnis einer Firmenphilosophie. Es ist der Grund, warum es Voelkel gibt“, heißt es auf der Website.

Puh. So viel Güte macht, Verzeihung, erstmal stutzig. Ist es nicht das ureigene Ziel von Unternehmen, Gewinne zu erwirtschaften und davon gut zu leben? Ein Blick auf die gemeldeten Zahlen zeigt: Voelkel tut tatsächlich genau das.

Resilienz dank wertebasiertem Wirtschaften

Im Mai 2023 meldete das Unternehmen, es habe in dem durch Krieg, Inflation und Lieferkettenprobleme geprägten Krisenjahr 2022 die 100-Millionen-Umsatzgrenze geknackt. Für das Jahr 2023 prognostiziert Pressesprecher Ole Müggenburg erneutes Wachstum.

Dabei sind finanzielle Kennzahlen für Voelkel gar nicht das Maß aller Dinge: Das Unternehmen wirtschaftet seit 2019 nach den Prinzipien der Gemeinwohlökonomie (GWÖ). Denen zufolge bemisst sich der Erfolg einer Firma an ihrer Wirkung auf Menschen und Natur. Im Falle von Voelkel wird also zum Beispiel genau darauf geschaut, welche Auswirkungen Anbau und Verarbeitung der Rohwaren auf die Umwelt haben. Oder wie fair Voelkel mit seinen Mitarbeitenden, Lieferanten und Händlern umgeht. Es geht aber auch um die „Ethische Haltung im Umgang mit Geldmitteln“ oder um „Ethische Kund:innenbeziehungen“. Voelkels Gemeinwohl-Bilanz 2020-2021 umfasst 128 Seiten.

So eine GWÖ-Bilanz zu erstellen, kostet Zeit und ist aufwändig. Was das Unternehmen motiviert? Für die Außendarstellung ist das gemeinwohlorientierte Wirtschaften noch nicht relevant – bislang ist das Prinzip bei den Konsumenten noch zu unbekannt, als dass es eine Kaufentscheidung beeinflusst. Boris Voelkel, Geschäftsführer Einkauf, hat ein anderes gutes Argument parat: In erster Linie wirke die Erstellung der Gemeinwohl-Bilanz nach innen: „Sie zeigt uns unsere Schwachstellen und unser Entwicklungspotenzial und sie motiviert uns zu einem systematischen Reflektieren.“ Im Grunde handele es sich um ein kostenloses Coaching von außen.

Boris Voelkel

Mit der Gemeinwohl-Bilanz – die übrigens extern auditiert wird – ist immer wieder transparent, wo das Unternehmen bei welchem Projekt gerade steht, wo es besser geworden ist oder wo es besser werden muss. Voelkel schnitt in der letzten Bilanzierung mit 663 Punkten hervorragend ab – die GWÖ-Skala reicht von minus 3000 bis plus 1000 Punkte. Es zählt damit laut Eigenangaben zu den Top 5 jemals gemeinwohlbilanzierten Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden in Deutschland. Zum Vergleich: Hamburgs Kult-Club FC. St. Pauli, der im Dezember als erster Profi-Fußball-Club eine Gemeinwohl-Bilanz vorlegte, kam auf 527 Punkte – und schon das war sehr gut.

„Die GWÖ ist ein bisschen wie das Prinzip ‚Leben und leben lassen‘“

Boris Voelkel ist davon überzeugt, dass sich gemeinwohlorientiertes Handeln nicht nur für Natur und Gesellschaft, sondern auch wirtschaftlich auszahlt. Erstens, weil „das Profitmaximierungs- und Optimierungsdenken in Zukunft nicht mehr funktionieren wird“ und zweitens, weil wertebasiertes Wirtschaften ein Unternehmen resilienter und stabiler mache. „Es kommt dem Unternehmen über Bande zugute“, so der Einkaufs-Chef.

Dafür hat er gute Beispiele: So haben die Bio-Bauern im Alten Land – das große Obstanbaugebiet vor den Toren Hamburgs – die Zusage, dass Voelkel ihnen ihre Bioäpfel zu einem stabilen Preis abnimmt, egal ob die Ernte gut oder schlecht ausfällt. Damit haben beide Seiten eine hohe Planungssicherheit. Statt kurzfristig immer wieder die besten Konditionen herauszupressen, fußt die Zusammenarbeit auf langfristigen Verträgen und ist von hoher Zuverlässigkeit geprägt. Das nimmt die Schwankungen aus dem Geschäft und zahlt sich auf Dauer aus. Mitunter greift das Unternehmen den Bauern auch unter die Arme: Im Jahr 2022 hat es den Apfelbetrieben im Alten Land zum Beispiel deutlich mehr Ware abgenommen, als eigentlich benötigt. Laut Unternehmensangaben pflegt Voelkel zu 98 Prozent seiner Lieferanten langjährige Beziehungen.

„Die GWÖ ist ein bisschen wie das Prinzip ‚Leben und leben lassen‘ oder ‚Eine Hand wäscht die andere‘. Sie hilft, statt ‚Ich, Ich, Ich‘ ein ‚Wir‘ zu denken“, erklärt Boris Voelkel. So komme man „raus aus der Alphatier-Denke hin zu einer friedfertigeren Welt“. Das klingt zwar ein bisschen utopisch – aber auch absolut richtig und unbedingt wünschenswert.

Schlagworte zum Thema:  Unternehmensstrategie, Gemeinnützigkeit, CSR