Rz. 138

Die Angabepflichten gem. ESRS S1-15 zielen darauf ab, den Anspruch auf familienbedingte Freistellungen und die tatsächlich gelebte Realität bzw. Inanspruchnahme, insbes. mit Blick auf die Verteilung zwischen den Geschlechtern, darzustellen (ESRS S1.91 f.). Hierfür sind die folgenden Angaben zu tätigen:

  • der Prozentsatz der Beschäftigten, die Anspruch auf familienbedingte Freistellung haben (ESRS S1.93(a)); als Anspruch wird verstanden, dass Beschäftigte einschlägigen Regulierungen, Organisationsrichtlinien, Vereinbarungen, Verträgen oder Tarif-/Kollektivverträgen unterliegen, die Freistellungen unter gewissen Voraussetzungen vorsehen (die aber nicht notwendigerweise bereits eingetreten sein müssen); weiterhin ist es wichtig, dass die Beschäftigten ihren entsprechenden Anspruch dem Unternehmen melden oder dem Unternehmen der Anspruch auf andere Weise bekannt wird (ESRS S1.AR97);
  • der Prozentsatz jener Beschäftigten gem. ESRS S1.93(a), die diese familienbedingte Freistellung in Anspruch genommen haben, aufgeschlüsselt nach Geschlecht (ESRS S1.93(b)).

Wenn sämtliche Beschäftigte auf Basis von Tarifvereinbarungen oder sozialen Richtlinien berechtigt sind, familienbedingte Freistellungen in Anspruch zu nehmen, dann ist es ausreichend, auf diesen Umstand in den Angaben hinzuweisen (ESRS S1.94). Anzumerken ist weiterhin, dass die ESRS weder auf die Dauer der entsprechenden Freistellungen noch auf die Anforderung an eine Entgeltzahlung abstellen. Dies führt dazu, dass in Abwesenheit gesetzlicher Regelungen (insbes. außerhalb der EU) jegliches in Organisationsrichtlinien formulierte Angebot einer flexiblen Inanspruchnahme unbezahlten Urlaubs die Bedingungen von ESRS S1-15 erfüllt.

 

Rz. 139

In den ESRS wird die "Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben" definiert als zufriedenstellende Balance zwischen Berufs- und Privatleben einer Person. Es soll nicht ausschl. auf die Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben bei familiären oder pflegerischen Aufgaben abgestellt werden, sondern es ist auch die zeitliche Aufteilung zwischen Berufs- und Privatleben jenseits familiärer Pflichten in Betracht zu ziehen.[1]

Aus der Literatur geht hervor, dass der gängige Begriff der "Work-life Balance" synonym mit "Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben" verwendet wird und in einer Vielzahl von wissenschaftlichen Disziplinen Eingang findet, v.a. in der Soziologie, der Arbeits- und Organisationspsychologie sowie in den Politikwissenschaften, der Gender-Forschung und der Betriebswirtschaftslehre. Dies unterstreicht den interdisziplinären Charakter und weist auf umfang- und facettenreiche Interpretationsspielräume hin.[2] Analog zur Definition gem. ESRS umfasst "Work-life Balance" i. w. S. daher nicht nur die Vereinbarkeit mit familiären oder Betreuungspflichten, sondern auch die Aufteilung zwischen der am Arbeitsplatz und im Privatleben verbrachten Zeit, die über familiäre Verpflichtungen hinausgeht.[3]

 

Rz. 140

Obwohl die Definition des Begriffs "Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben" in der Literatur eine Vielzahl an Lebensbereichen und Tätigkeiten abseits der Arbeit umfasst, wird in den Angabepflichten gem. ESRS S1-15 einzig auf familienbezogene Freistellungen in Zusammenhang mit Mutter- und Vaterschaft, Elternzeit (Elternkarenz) oder Pflege abgestellt (ESRS S1.AR96). Dies ist darin begründet, dass auf europäischer Ebene eine bessere "Work-life Balance" für Frauen und Männer, unter Berücksichtigung fair verteilter Care-Arbeit, zu einer wichtigen politischen Zielsetzung geworden ist und so als entscheidendes Grundprinzip der ESRS gilt (ESRS S1.BC167).

 

Rz. 141

Die Angabepflicht ist so zu verstehen, dass anzugeben ist, wie viele Mitarbeiter den – abstrakten – Anspruch auf die entsprechenden Freistellungen haben, d. h. von einer entsprechenden Norm erfasst sind (unabhängig davon, ob sie von diesem Anspruch in ihrer konkreten Lebenssituation Gebrauch machen können). Irrelevant ist, ob die Freistellung bezahlt oder unbezahlt sein kann und wie lange eine solche Freistellung gewährt werden muss; lediglich ein Kündigungsschutz ist gefordert. Bei großen Unterschieden der in der Angabepflicht berücksichtigten Rahmenbedingungen für Freistellungen sind einzig entsprechende Kontextinformationen für die Berichterstattung zu fordern.

 

Rz. 142

Weiterhin ist gefordert, dass alle in ESRS S1-15 angeführten Freistellungen gleichzeitig gewährt sind; d. h., wird für Beschäftigte nur ein Teil dieser Freistellungen gewährt, dürfen sie nicht in die Berechnung des Parameters eingehen. Dies steht im Einklang mit den Forderungen der grundlegenden sozialrechtlichen Normen, an welche die Angabepflicht knüpft. U. E. kann eine gesonderte Angabe durch das Unternehmen geboten sein, wenn ein großer Teil der Beschäftigten deswegen nicht im Parameter berücksichtigt wird, weil bspw. ein einziger Freistellungstatbestand nicht erfüllt ist.

 

Rz. 143

Offen bleibt, ob ein Beschäftigter, der im selben Jahr z. B. erst Elternzeit und später noch Pflegeurlaub beansprucht, ein- od...

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