Rz. 118

Stand: 5. A. Update 1 – ET: 10/2019

Der BFH hat in einem Grundsatzurteil den insbesondere für den Versandhandel typischen "Kauf auf Probe" umsatzsteuerlich eingeordnet:

 

Sachverhalt:

Ein in den USA ansässiges Unternehmen (U) handelte mit Damenfeinstrumpfhosen, die es über ein besonderes Vertriebssystem direkt an die Kunden in Deutschland verkaufte. U warb für ihre Produkte vorrangig in Zeitschriftenbeilagen, aber auch im Internet. Interessenten konnten durch Ausfüllen eines Formulars ein "Gratis-Exemplar" anfordern und damit für eine Anknüpfung der Geschäftsbeziehung sorgen (im Weiteren: Erstbestellung). In den Anzeigentexten hieß es: "WICHTIGER HINWEIS FÜR DIE NEUE INTERESSENTIN! Der S. . .  Liefer-Service ohne Kaufverpflichtung: Zusammen mit Ihrem GRATIS-Paar . . .  erhalten Sie zusätzlich zwei weitere Paare, die wir Ihnen zum attraktiven Einführungspreis von nur je 1,50 EUR (zzgl. Porto und Verpackungsanteil) anbieten! Wenn Sie sie nicht behalten möchten, schicken Sie sie einfach binnen 10 Tagen zurück – Sie schulden uns dann nicht das Geringste. Jedes Mal, wenn Sie von jetzt an S. . . .  kaufen, senden wir Ihnen vier weitere Paare (die Sie nur bei Gefallen behalten) zu einem besonders günstigen Preis."

Hatten Kunden die Erstbestellung aufgegeben, leitete eine "Anlaufadresse" in Deutschland das Bestellformular weiter an U in die USA. U fügte entsprechend den Angaben im ersten Formular dem Gratis-Exemplar zwei weitere Paare bei, welche die Interessenten bei Gefallen erwerben konnten. In dem mit der Warensendung darüber hinaus ebenfalls verschickten zweiten Formularsatz stellte U entsprechend der Ankündigung bei der ersten Bestellung nunmehr in Aussicht, nach Bezahlung der jetzt übersandten Ware automatisch vier weitere Paare – zunächst wiederum "zur Ansicht" – zu liefern. Im Abschnitt "Bestell-Änderung" hieß es dann: "UNSER KAUF-OHNE-RISIKO-ANGEBOT: Nachdem wir Ihren Zahlungseingang bzgl. unserer Rechnung über die Strumpfwaren festgestellt haben, werden wir Ihnen die gleiche Lieferung noch einmal senden. . . .  Sollte eine Lieferung einmal nicht zu Ihrer Zufriedenheit ausfallen, können Sie diese vor Ablauf der Zahlungsfrist zurücksenden." U "wird dann auf weitere Forderungen verzichten, und es sind keine weiteren Verpflichtungen für Sie damit verbunden". Die Lieferung künftiger Warensendungen – vier weitere Paare wie angekündigt – erfolgte in der nämlichen Weise.

Die Waren wurden überwiegend in den USA hergestellt und dann entsprechend den Bestellungen in ein Warenverteilzentrum in der Schweiz versandt. Das FA nahm im Inland steuerbare und steuerpflichtige Umsätze an und zog hiervon Vorsteuerbeträge ab. Das FG gab der Klage der U statt. Das FG meinte, die Umsätze seien nicht steuerbar, weil der Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 6 UStG (1999) in der Schweiz sei; § 3 Abs. 7 UStG komme nicht zur Anwendung. Die Umsätze seien als "Kauf auf Probe" nach § 454 BGB zu qualifizieren. Nach wirtschaftlichen Aspekten hätten die Kunden die Verfügungsmacht nicht erst mit der erklärten Billigung erhalten, sondern bereits, als sie Besitzer der Gegenstände geworden seien.

 

Rz. 119

Stand: 5. A. Update 1 – ET: 10/2019

Der BFH hob die vorinstanzliche Entscheidung des FG Köln (Urteil vom 27.01.2005, Az: 2 K 6226/04, EFG 2005, 817) auf und wies die Klage ab. Führt eine Versendung oder Beförderung zu einer Lieferung, so bestimmt sich der Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 6 S. 1 UStG 1999, ansonsten nach § 3 Abs. 7 S. 1 UStG 1999. Der Ort der Lieferung bei einem Kauf auf Probe ist nach § 3 Abs. 7 S. 1 UStG 1999 zu beurteilen. Entgegen der Vorentscheidung unterlagen die streitigen Lieferungen damit im Inland der Umsatzsteuer (BFH vom 06.12.2007, Az: V R 24/05, BStBl II 2009, 490).

 

Rz. 120

Stand: 5. A. Update 1 – ET: 10/2019

Bestimmungen zum Lieferort normieren auch den Lieferzeitpunkt: Der BFH hat zunächst darauf erkannt, dass in § 3 Abs. 6 und Abs. 7 UStG

  1. mit der ausdrücklichen Regelung des Lieferorts
  2. zugleich auch der Lieferzeitpunkt

festgelegt wird. Das war lange Zeit umstritten, da das UStG selbst seit dem 01.01.1997 – anders als seine Vorgängerversionen (vgl. zuletzt § 3 Abs. 7 UStG 1993, Abschn. 177 Abs. 2 UStR 1996) – keine ausdrückliche Aussage zum Zeitpunkt der Lieferung mehr trifft. Die Gesetzesbegründung zu § 3 Abs. 6 f. UStG meint daher, insoweit auf die Vorgaben des Zivilrechts abstellen zu müssen: "Lieferungen . . .  sind ausgeführt, wenn der Leistungsempfänger die Verfügungsmacht über den zu liefernden Gegenstand erlangt" (vgl. BT-Drucks. 390/96). Nach dieser Auffassung entspricht der Lieferzeitpunkt dem zivilrechtlichen Zeitpunkt des Gefahrübergangs und des Übergangs von Nutzen und Lasten (vgl. §§ 446, 447 BGB). Damit wäre in Versendungs- oder Beförderungsfällen der Lieferzeitpunkt nicht zwangsläufig identisch mit dem Zeitpunkt des Beginns der Versendung oder Beförderung (so noch Abschn. 177 Abs. 2 S. 1 UStR 2008). Der Praxis bereitete diese "alte" Auffassung insbesondere dann Schwierigkeiten, wenn das Zivilrecht auf den Er...

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