1 Grundlagen

1.1 Begriff

 

Rz. 1

§ 331 AO beschreibt zwei unterschiedliche Formen unmittelbaren Zwangs. Dieser kann zum einen dadurch ausgeübt werden, dass die Finanzbehörde den Pflichtigen durch physische Gewalt zu der gebotenen Handlung, Duldung oder Unterlassung zwingt. Zum anderen kann er darin bestehen, dass die Finanzbehörde die dem Pflichtigen obliegende Handlung selbst vornimmt (Selbstvornahme). Im ersten Fall kann sich der unmittelbare Zwang auf die Durchsetzung aller Arten von Handlungs-, Duldungs- und Unterlassungspflichten richten. Im zweiten Fall kommen nur vertretbare Handlungen in Betracht, die auch Gegenstand einer Ersatzvornahme i. S. d. § 330 AO sein könnten[1]. Von dieser unterscheidet sich die Selbstvornahme allein dadurch, dass die Ausführung der dem Pflichtigen obliegenden Handlung nicht durch einen Dritten, sondern durch die Finanzbehörde selbst erfolgt[2]. Ebenso wie die Ersatzvornahme ist auch der unmittelbare Zwang auf die unmittelbare Erfüllung der dem Pflichtigen obliegenden Verhaltenspflicht gerichtet.

 

Rz. 2

§ 331 AO regelt nur die Voraussetzungen, unter denen die Anwendung unmittelbaren Zwangs zulässig ist. Die Einzelheiten seiner Ausübung sind in dem Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes (UZwG)[3] bzw. in den entsprechenden Gesetzen der Länder geregelt. § 2 Abs. 1 UZwG definiert unmittelbaren Zwang als die Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen[4]. Unter körperlicher Gewalt ist jede unmittelbare körperliche Einwirkung auf Personen und Sachen zu verstehen[5]. Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind insbesondere Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde und Dienstfahrzeuge[6]. Waffen sind die dienstlich zugelassenen Hieb- und Schusswaffen, Reizstoffe und Explosivmittel[7].

[1] Hohrmann, in HHSp, AO/FGO, § 331 AO Rz. 6.
[2] Vgl. § 330 AO Rz. 1.
[3] BGBl I 1961, 165, zuletzt geändert durch VO v. 31.10.2006, BGBl I 2006, 2407.
[4] § 1 Abs. 1 UZwG.
[5] § 2 Abs. 2 UZwG.
[6] § 2 Abs. 3 UZwG.
[7] § 2 Abs. 4 UZwG.

1.2 Anwendungsbereich

 

Rz. 3

Der unmittelbare Zwang ist ein von den Finanzbehörden nur in Ausnahmefällen angewendetes Zwangsmittel zur Durchsetzung von Verwaltungsakten. In Betracht kommt er etwa

  • zur Durchsetzung einer Augenscheinseinnahme gem. § 92 Nr. 4 AO oder des Rechts zum Betreten von Grundstücken und Räumen gem. § 99 AO und § 210 AO[1],
  • zur Erzwingung des Erscheinens des Auskunftspflichtigen zur Erteilung einer mündlichen Auskunft an Amtsstelle gem. § 93 Abs. 5 AO[2],
  • zur Erzwingung der Herausgabe einer zurückgeforderten Urkunde gem. § 133 AO[3],
  • zur Erzwingung der Vorlage von Aufzeichnungen, Büchern, Geschäftspapieren und anderen Urkunden im Rahmen einer Außenprüfung oder im Rahmen der Steueraufsicht gem. § 200 Abs. 1 AO bzw. gem. § 211 Abs. 1 AO[4].
[1] Hohrmann, in HHSp, AO/FGO, § 331 AO Rz. 17; Neumann, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 331 AO Rz. 9; Kruse, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 331 AO Rz. 3.
[2] Hohrmann, in HHSp, AO/FGO, § 331 AO Rz. 17; Kruse, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 331 AO Rz. 3.
[3] Hohrmann, in HHSp, AO/FGO, § 331 AO Rz. 17.
[4] Hohrmann, in HHSp, AO/FGO, § 331 AO Rz. 17; Kruse, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 331 AO Rz. 3; Neumann, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 331 AO Rz. 9.

1.3 Sonderfälle

 

Rz. 4

Als Sonderfall besonders geregelt sind die Zwangsbefugnisse des Vollziehungsbeamten gem. § 287 AO. Die in § 336 AO geregelte Erzwingung einer Sicherheitsleistung durch Pfändung stellt eine besondere Form der Selbstvornahme dar[1].

[1] S. § 336 AO Rz. 1.

2 Voraussetzungen

 

Rz. 5

Die Anwendung unmittelbaren Zwangs ist nach § 331 AO nur zulässig, wenn das Zwangsgeld oder die Ersatzvornahme nicht zum Ziel führen oder wenn sie untunlich sind.

Nicht zum Ziel führen andere Zwangsmittel insbesondere dann, wenn zumindest eines von ihnen bereits erfolglos angewandt worden ist. Andere Zwangsmittel führen aber auch dann nicht zum Ziel, wenn sie ihrer Natur nach zur Durchsetzung der zu erzwingenden Verpflichtung ungeeignet sind[1]. Die Gegenansicht, dass die Feststellung der Erfolglosigkeit stets voraussetzt, dass zumindest ein anderes Zwangsmittel erfolglos geblieben ist[2], steht im Widerspruch zum Wortlaut des § 331 AO. Dieser verwendet das Verb "führen" nicht im Perfekt, sondern im Präsens. Es ist also gerade nicht erforderlich, dass die anderen Zwangsmittel nicht zum Erfolg "geführt haben".

Untunlich ist der Gebrauch anderer Zwangsmittel, wenn diese unpraktisch, unzweckmäßig oder unverhältnismäßig sind[3]. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn ihre vorherige Anwendung die Durchsetzung der Verpflichtung gefährden würde, Gefahr im Verzug ist oder die Gefahr besteht, dass die Behörde im Fall einer Ersatzvornahme keinen Kostenersatz von dem Pflichtigen erlangen würde.

Die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für die Anwendung unmittelbaren Zwangs sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die gerichtlich uneingeschränkt überprüfbar sind[4].

[1] Hohrmann, in HHSp, AO/FGO, § 331 AO Rz. 10; Kruse, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 331 AO Rz. 1.
[2] Neumann, in Beerman...

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