Rz. 13

[Autor/Stand] Im allgemeinen Bußgeldverfahren besteht die Pflicht der Verwaltungsbehörde, das Verfahren an die StA abzugeben, wenn sich bei ihren Ermittlungen wegen einer Ordnungswidrigkeit Anhaltspunkte für eine Straftat ergeben (§ 41 Abs. 1 OWiG ). Diese Regelung beruht auf dem vom OWiG postulierten Vorrang der Straftat vor der Ordnungswidrigkeit (vgl. § 21 Abs. 1 OWiG) und der daraus resultierenden Priorität des Strafverfahrens vor dem Bußgeldverfahren. Verneint die StA zureichende Anhaltspunkte für die Einleitung eines Strafverfahrens, so ist sie nach § 41 Abs. 2 OWiG verpflichtet, das Verfahren wieder an die Verwaltungsbehörde zurückzugeben. Bejaht sie dagegen konkrete Anhaltspunkte für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, so wird sie den Sachverhalt auch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt von Ordnungswidrigkeiten überprüfen (§ 40 OWiG).

 

Rz. 14

[Autor/Stand] Wegen der originären Ermittlungsbefugnis der FinB nach § 386 Abs. 2 AO besteht bei Zusammentreffen von Steuerstraftat und Steuerordnungswidrigkeit keine Abgabe pflicht (vgl. Nr. 110 Abs. 4 AStBV (St) 2020; s. AStBV Rz. 110)[3].

 

Beispiel

Die Nachforschungen der FinB (s. Beispiel in Rz. 10) ergeben, dass sich U mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur einer leichtfertigen, sondern einer vorsätzlichen Steuerverkürzung (§ 370 AO) schuldig gemacht hat. Wegen ihrer eigenen Ermittlungskompetenz (§ 386 Abs. 2, § 399 AO) braucht die FinB das Verfahren nicht an die StA abzugeben (zur fakultativen Abgabe vgl. § 386 Abs. 4 Satz 1 und 2 AO).

Eine Abgabe des Verfahrens kommt insoweit nur bei Zusammentreffen einer Steuerordnungswidrigkeit mit einer allgemeinen Straftat in Betracht (für das Strafverfahren s. § 386 Rz. 89 ff.). Hierbei ist jedoch das Steuergeheimnis (§ 30 AO, s. § 386 Rz. 130, 163 ff.) und das damit korrespondierende Verwendungsverbot des § 393 Abs. 2 AO (s. § 393 Rz. 185 ff.), das gem. § 410 Abs. 1 Nr. 4 AO auch im steuerlichen Bußgeldverfahren gilt (s. Rz. 42), zu beachten. Die Abgabe des Verfahrens an die StA wäre dabei gem. § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO (zwecks Durchführung eines Steuerordnungswidrigkeitenverfahrens) gerechtfertigt, an der Verfolgung der allgemeinen Straftat wäre die StA aber unter den Voraussetzungen der § 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a und b, § 393 Abs. 2 Satz 1 AO gehindert, es sei denn, es handelt sich um eine besonders schwerwiegende Straftat i.S.d. § 30 Abs. 4 Nr. 5 AO (zur Abgabe im Steuerstrafverfahren s. § 386 Rz. 163 ff., 169; § 393 Rz. 247 ff.). Praktisch werden dürfte ein solcher Kollisionsfall nur bei Tatmehrheit von Steuerordnungswidrigkeit und Allgemeindelikt.

 

Beispiel

Die FinB hat gegen S ein Bußgeldverfahren wegen leichtfertiger Steuerverkürzung (§ 378 AO) eingeleitet. S räumt zusätzlich ein, durch Veruntreuungen Einkünfte erzielt zu haben, die er – unterstellt leichtfertig mangels Irrtums über die diesbezügliche Steuerpflicht – nicht in der Einkommensteuererklärung angegeben hat. Im Hinblick auf die Straftat gem. § 266 StGB käme eine Abgabe an die StA in Betracht. Das Verwertungsverbot nach § 410 Abs. 1 AO i.V.m. § 393 Abs. 2 Satz 1 AO steht dem nicht entgegen, da die Erkenntnisse über die Straftat in einem Verfahren wegen einer Steuerordnungswidrigkeit erlangt wurden und S sie nicht in Erfüllung steuerlicher Pflichten und unter Verzicht auf sein Aussageverweigerungsrecht preisgegeben hat (§ 30 Abs. 4 Nr. 4 Buchst. a und b AO, s. § 386 Rz. 168).

[Autor/Stand] Autor: Hilgers-Klautzsch, Stand: 01.02.2022
[Autor/Stand] Autor: Hilgers-Klautzsch, Stand: 01.02.2022
[3] Ebenso Lipsky in JJR8, § 410 AO Rz. 10; Kemper in Rolletschke/Kemper, § 410 AO Rz. 14.

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