Rz. 3

[Autor/Stand] Seit ihrem erstmaligen Erscheinen in den Partikular-Gesetzen der deutschen Länder ist die gesetzliche Fassung der Selbstanzeige mehrfach geändert worden. Eine kurze Darstellung dieser wechselvollen Entstehungsgeschichte gibt Aufschluss über die Absichten, die der Gesetzgeber mit dem Institut der Selbstanzeige in seiner heutigen Gestalt verfolgt.

 

Rz. 4

[Autor/Stand] Bevor mit § 374 RAO 1919 erstmals eine allgemeine Vorschrift über die strafbefreiende Selbstanzeige in das Steuerstrafrecht eingeführt wurde, war die Selbstanzeige in zahlreichen Einzelgesetzen der Länder und des Reiches geregelt[3].

Vor dem Hintergrund der ursprünglich geltenden Einzelvorschriften und den darin zum Ausdruck kommenden gegensätzlichen Auffassungen über Inhalt und Grenzen der Selbstanzeige stellte sich § 374 RAO i.d.F. vom 13.12.1919[4] als eine Regelung dar, die sich in ihrem Wortlaut deutlich zu jener Auffassung bekannte, die die Wirksamkeitsvoraussetzungen der Selbstanzeige möglichst eng fassen wollte: An positiven Handlungen forderte § 374 RAO 1919 von dem Täter außer der Berichtigungserklärung die Nachzahlung der verkürzten Steuern, wobei die Erfüllung der Nachzahlungspflicht durch die Einräumung einer Frist erleichtert wurde. Die negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen enthielten sowohl objektive (Anzeige, Einleitung) als auch subjektive Momente ("Entdeckungsgefahr").

 

Rz. 5

[Autor/Stand] Als § 410 RAO 1931 wurde § 374 RAO 1919 – sachlich unverändert – mit folgendem Wortlaut bekannt gemacht:

„1. Wer in den Fällen der §§ 396, 402, 407409, bevor er angezeigt oder eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet ist (§ 441 Abs. 2), unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Steuerbehörde, ohne dazu durch eine unmittelbare Gefahr der Entdeckung veranlaßt zu sein, berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, bleibt insoweit straffrei. Sind in den Fällen der §§ 396, 407 Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile gewährt oder belassen, so tritt die Straffreiheit nur ein, wenn der Täter die Summe, die er schuldet, nach ihrer Festsetzung innerhalb der ihm bestimmten Frist entrichtet; das gleiche gilt im Falle des § 402.

2. Wird die im § 117 vorgeschriebene Anzeige rechtzeitig und ordnungsgemäß erstattet, so werden diejenigen, welche die dort bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben haben, dieserhalb nicht strafrechtlich verfolgt, es sei denn, daß vorher gegen sie Strafanzeige erstattet oder eine Untersuchung eingeleitet worden ist.”

 

Rz. 6

[Autor/Stand] Durch VO vom 4.7.1939[7] wurde der Anwendungsbereich des § 410 RAO auf die Vergehen des Bannbruchs (§ 401a RAO) und des gewerbsmäßigen, bandenmäßigen und gewaltsamen Schmuggels (§ 401b RAO) ausgedehnt. Im Übrigen erfuhr die ursprüngliche Fassung von § 410 RAO bis 1949 keine nennenswerten Änderungen.

 

Rz. 7

[Autor/Stand] Durch das 2. Gesetz zur vorläufigen Neuordnung von Steuern vom 20.4.1949[9] wurde der Abs. 1 Satz 1 des § 410 RAO in der bis dahin geltenden Fassung mit Wirkung für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet wie folgt neu gefasst:

"Wer in den Fällen der §§ 396, 401a, 401b und 402, bevor ihm die Einleitung einer Untersuchung gegen ihn durch die Steuerbehörde eröffnet worden ist, unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Steuerbehörde berichtigt oder ergänzt oder unterlassene Angaben nachholt, bleibt insoweit straffrei."

Die Neufassung verfolgte offensichtlich die Tendenz, die Bedingungen für eine wirksame Selbstanzeige wesentlich zu erleichtern: Die Berichtigungserklärung wurde von ihrer Bindung an die bisherige, sehr allgemein gehaltene subjektive Voraussetzung ("Entdeckungsgefahr") befreit. Das früher objektiv gefasste Merkmal "Einleitung eines Strafverfahrens" wurde zum Vorteil des Stpfl. insoweit subjektiviert, als dem Täter die Straffreiheit nur versagt werden konnte, wenn ihm die Einleitung eröffnet worden war. Weitere Ausschlussgründe sah das Gesetz nicht mehr vor.

 

Rz. 8

[Autor/Stand] Das Ziel, das der Gesetzgeber mit dieser Gesetzesänderung anstrebte – Hebung der in der Nachkriegszeit stark abgesunkenen Steuermoral, Erhöhung der Zahl der dem Staat zu neuen Einnahmen verhelfenden Selbstanzeigen –, wurde in der Praxis nicht erreicht. Im Gegenteil fühlten sich viele Steuerhinterzieher durch § 410 RAO i.d.F. vom 4.7.1939 dazu ermuntert, mit der Selbstanzeige so lange zu warten, bis sie mit der Einleitung eines Verfahrens rechnen mussten[11]. Eine vielfach kritisierte Entscheidung des OLG Stuttgart[12] erklärte, "aufgrund des Wortlauts" des § 410 RAO 1949 eine Selbstanzeige sogar dann noch für zulässig, wenn der Täter die Feststellungen des Betriebsprüfers abgewartet und diese dem FA als "Berichtigung" mitgeteilt hatte. Der Gesetzgeber reagierte auf die in diesem Urteil zum Ausdruck kommende Fehlentwicklung mit der bundeseinheitlichen Neufassung des § 410 RAO durch die Novelle vom 7.12.1951[13], durch die die negativen Wirksamkeitsvoraussetzungen der Selbstanzeige in objektiver und subjektiver ...

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