Entscheidungsstichwort (Thema)

Berichtigungsbescheid gemäß § 212b Abs. 3 AO

 

Leitsatz (amtlich)

Gegen den gemäß § 212b Abs. 3 AO ergangenen Berichtigungsbescheid, der eine unanfechtbar festgesetzte Gewerbesteuer herabgesetzt hat, kann nicht mehr geltend gemacht werden, daß der verbliebenen Steuerfestsetzung die Rechtsgrundlage fehle (Ergänzung zu BVerwGE 29, 270).

Die Bekanntmachung der erstmaligen Festsetzung des Hebesatzes für die Gewerbesteuer ist auch noch nach Ablauf des Rechnungsjahres jedenfalls dann zulässig, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, bei deren Vorliegen sich ein Abgabengesetz rechtmäßig rückwirkende Kraft geben kann (Ergänzung zu BVerwGE 3, 45).

 

Normenkette

AO § 3 Abs. 3, § 212b Abs. 3, § 232 Abs. 1; EinfGRealStG § 2 Abs. 1; GewStG § 16; GG Art. 20 Abs. 3

 

Tatbestand

I.

Die beklagte Stadt zog mit Bescheid vom 7. Juli 1965 zur Gewerbesteuer für 1964 in Höhe von 7 188 DM und mit Bescheid vom 20. Oktober 1966 zur Gewerbesteuer für 1965 in Höhe von 10 443 DM heran. Der Heranziehung lagen die Haushaltssatzungen 1964 und 1965 der Beklagten zugrunde. Darin waren die Hebesätze für die Gewerbesteuer nach Gewerbeertrag und Gewerbekapital auf 300 % festgesetzt. Die Haushaltssatzungen wurden an der amtlichen Bekanntmachungstafel des Rathauses vom 8. bis 14. Februar 1964 bzw. vom 8. bis 20. April 1965 ausgehängt. Nachdem die Beklagte diese Veröffentlichung für nicht ordnungsgemäß befunden hatte, ließ sie die Satzungen in der Zeit vom 12. April bis 13. Mai 1966 erneut veröffentlichen.

Gegen den die Gewerbesteuer für das Jahr 1965 betreffenden Bescheid vom 20. Oktober 1966 legte der Kläger erfolglos Widerspruch ein und erhob anschließend Klage. Inzwischen änderte das FA den einheitlichen Steuermeßbetrag nach dem Gewerbekapital und Gewerbeertrag für die Jahre 1964 und 1965 zugunsten des Klägers. Dementsprechend setzte die Beklagte mit den Berichtigungsbescheiden vom 8. Februar 1967 die Gewerbesteuer für 1964 auf 3 936 DM und die Gewerbesteuer für 1965 auf 690 DM herab.

Der Kläger hat gegen die Berichtigungsbescheide nach erfolglosem Widerspruch ebenfalls Klage erhoben. Dabei hat er die gegen die Gewerbesteuer 1965 erhobene Klage, soweit die Beklagte ihr durch die Berichtigung abgeholfen hatte, im Einverständnis mit der Beklagten für erledigt erklärt. Er hat geltend gemacht:

Die Berichtigungsbescheide seien in vollem Umfang anfechtbar, obwohl er gegen den ursprünglichen Bescheid für das Rechnungsjahr 1964 kein Rechtsmittel eingelegt habe. Die Heranziehung zur Gewerbesteuer für die Jahre 1964 und 1965 sei rechtswidrig. Die Haushaltssatzungen hätten die Hebesätze für die Gewerbesteuer nicht wirksam festgesetzt. Sie seien nicht ordnungsgemäß veröffentlicht worden. Das gelte auch für die wiederholte Veröffentlichung. Zudem könne die ungültige erste Veröffentlichung der Haushaltssatzungen nicht rückwirkend durch erneute Bekanntgabe nach Ablauf des Rechnungsjahres geheilt werden. Zumindest hätte eine mit rückwirkender Kraft ausgestattete Satzung von der Kommunalaufsichtsbehörde besonders genehmigt werden müssen, was nicht geschehen sei.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage, soweit sie sich auf die Veranlagung zur Gewerbesteuer für 1964 bezogen hat, abgewiesen, ihr jedoch im übrigen stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Klage in vollem Umfange abgewiesen und im wesentlichen ausgeführt:

Die Klage gegen die Erhebung der Gewerbesteuer für 1964 könne keinen Erfolg haben, weil der diese Steuer festsetzende ursprüngliche Bescheid vom 7. Juli 1965 unanfechtbar geworden sei. Der Berichtigungsbescheid vom 8. Februar 1967 habe lediglich gemäß § 212b Abs. 3 AO der Änderung des Gewerbesteuermeßbescheides Rechnung tragen sollen. Er könne in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 234 AO a. F., § 232 Abs. 1 AO n. F., die einen allgemeinen Rechtsgedanken enthalte, mit dem Einwand, der Steuererhebung fehle die Rechtsgrundlage, nur dann erfolgreich angefochten werden, wenn die Berichtigung zu einer höheren Steuerfestsetzung geführt habe, was hier nicht der Fall sei.

Die Klage gegen die Erhebung der Gewerbesteuer für 1965 sei ebenfalls unbegründet. Diese Heranziehung, die der Kläger bereits vor Erlaß des Berichtigungsbescheides rechtzeitig angefochten habe, beruhe auf einer wirksamen Rechtsgrundlage, nämlich der den Hebesatz festsetzenden Haushaltssatzung 1965.

Die erste Bekanntmachung der Haushaltssatzung 1965 vom 8. bis 20. April 1965 sei zwar ungültig gewesen. Diesen Fehler habe aber die erneute Bekanntmachung in der Zeit vom 12. April bis 13. Mai 1966 geheilt. Damit sei der Bekanntmachungsvorschrift der Hauptsatzung vom 12. September 1963 Genüge geschehen. Diese sei ebenfalls ordnungsgemäß veröffentlicht worden. Zwar habe im Zeitpunkt des Erlasses der Hauptsatzung der beklagten Stadt kein wirksames Veröffentlichungsrecht zur Verfügung gestanden, weil die vorangegangenen Hauptsatzungen vom 28. April 1950 und vom 30. Juni 1955 nicht wirksam veröffentlicht worden seien und daher keine wirksame Grundlage für die Veröffentlichung späterer Hauptsatzungen hätten sein können. Wegen Fehlens eines gültigen Veröffentlichungsrechts habe aber die Hauptsatzung 1963 in der Form veröffentlicht werden dürfen, die sie selber vorgeschrieben habe.

Die Haushaltssatzung 1965 einschließlich der in ihr enthaltenen Hebesätze habe noch nach Ablauf des betreffenden Rechnungsjahres wirksam bekanntgemacht werden können. Weder die Realsteuergesetze noch die Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein forderten, die Jahreshebesätze bis zu einem bestimmten Zeitpunkt festzusetzen. Höherrangige Vorschriften seien nicht verletzt. Es sei fraglich, ob hier die Beklagte überhaupt mit echter (retroaktiver) rückwirkender Kraft Recht gesetzt habe. Die erneute Bekanntmachung der Haushaltssatzung und die in ihr enthaltene Hebesatzfestsetzung habe einen regelungsbedürftigen Gegenstand betroffen, der noch nicht abschließend geregelt gewesen sei. Jedenfalls verwehre die Gemeindeordnung den Gemeinden nicht, Abgabeordnungen mit rückwirkender Kraft zu erlassen, wenn das Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes des Bürgers beachtet werde. Der Kläger habe, wie alle Steuerpflichtigen, davon ausgehen müssen, daß die Gewerbesteuer - wie in den vergangenen Jahren - so auch im Jahre 1965 erhoben werde. Die landesrechtlichen Vorschriften über die aufsichtsbehördliche Genehmigung der Realsteuersätze und Haushaltssatzungen der Gemeinden seien erfüllt. Bedenken gegen die Berechnung der Gewerbesteuer im einzelnen habe der Kläger nicht geltend gemacht, solche seien auch nicht ersichtlich.

Im Revisionsverfahren trägt der Kläger vor: Der nach § 212b Abs. 3 AO ergangene Berichtigungsbescheid ersetze den ursprünglichen Steuerbescheid und sei daher unbeschränkt anfechtbar. Die Vorschrift des § 234 AO a. F., § 232 Abs. 1 AO n. F. könne auf die Realsteuern der Gemeinde nicht angewandt werden, sie sei in der erschöpfenden Aufzählung des § 3 Abs. 3 AO nicht genannt. Die Haushaltssatzungen 1964 und 1965 und die darin enthaltenen Hebesatzfestsetzungen seien rechtsunwirksam. Den Ausführungen, die das Berufungsgericht zur Frage ihrer Veröffentlichung gemacht habe, könne rechtlich nicht gefolgt werden. Zudem habe der Fehler der ungültigen Verkündung der Haushaltssatzung nur in demselben Rechnungsjahr geheilt werden können, für das die Haushaltssatzung gelten solle. Eine erst nach Ablauf des Rechnungsjahres bekanntgemachte Haushaltssatzung für das abgelaufene Jahr sei ungültig. Das ergebe der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit. Ferner fehle die ordnungsgemäße Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Die Erhebung der Gewerbesteuer neben der Einkommensteuer sei auch verfassungsrechtlich bedenklich.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des Urtels des Berufungsgerichts sowie der vorangegangenen Entscheidungen die Gewerbesteuerbescheide der Beklagten vom 8. Februar 1967 für die Jahre 1964 und 1965 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Gewerbesteuer für die Jahre 1964 und 1965 auf jeweils 0 DM festzusetzen.

Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil, dessen Ausführungen sie sich anschließt.

Der beteiligte Vertreter des öffentlichen Interesses hält die Revision ebenfalls für unbegründet.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

1. Die Ausführungen, mit denen das Berufungsgericht die Klage gegen den Berichtigungsbescheid der Beklagten vom 8. Februar 1967 für das Kalenderjahr 1964 abgewiesen hat, sind im Ergebnis nicht zu beanstanden.

a) Die angefochtenen Berichtigungsbescheide beruhen auf § 212b Abs. 3 AO in der seit dem 1. Januar 1966 geltenden Fassung (BGBl 1965 I S. 1477 [1497]) - AO -. Sie sind erlassen worden, weil die bisherigen Gewerbesteuermeßbeträge für die Jahre 1964 und 1965 durch das zuständige FA geändert worden sind. Gemäß § 212b Abs. 3 AO hat die Gemeinde, wenn ein Steuermeßbescheid nachträglich geändert wird, einen Realsteuerbescheid, der - wie hier (§ 212b Abs. 2 AO) - auf dem bisherigen Steuermeßbescheid beruht, von Amts wegen durch einen neuen Realsteuerbescheid zu ersetzen, der der Änderung des bisherigen Steuermeßbescheides Rechnung trägt. Das gilt auch dann, wenn der bisherige Realsteuerbescheid bereits unanfechtbar geworden war, wie das für den ursprünglichen Bescheid der Beklagten vom 7. Juli 1965 für das Kalenderjahr 1964 zutrifft.

b) Der erkennende Senat hat bereits zur Anfechtung eines gemäß § 212b Abs. 3 AO erlassenen Berichtigungsbescheides für die Fälle Stellung genommen, in denen die Anfechtung mit dem Einwand der Verfassungswidrigkeit der Zweigstellensteuer begründet wroden war. Er hat einer solchen Anfechtung, nachdem die ursprüngliche Festsetzung der Gewerbesteuer unanfechtbar geworden war, nur insoweit Erfolg gegeben, als der Berichtigungsbescheid eine höhere Gewerbesteuer als der vorangegangene - nicht angefochtene - Bescheid festgesetzt hatte (Urteil vom 29. März 1968 - BVerwG VII C 64.66 - [BVerwGE 29, 270 = KStZ 1968,134]). Er hat der mit dem gleichen Einwand vorgenommenen Anfechtung eines derartigen Berichtigungsbescheides keinen Erfolg gegeben, wenn die ursprüngliche Festsetzung der Gewerbesteuer unanfechtbar geworden war und die Berichtigung zu einer niedrigeren Festsetzung der Steuer geführt hatte (Urteil vom 29. März 1968 - BVerwG VII C 47.67 - [KStZ 1968, 137 - nur Leitsatz -]). Diese Rechtsprechung ist mit Urteil vom 18. September 1970 - BVerwG VII C 68.68 - (KStZ 1971, 10 = DGStZ 1971, 27) nochmals bestätigt worden. Dabei ist offengeblieben, ob § 232 Abs. 1 AO (früher § 234 AO) und § 42 Abs. 1 FGO vom 6. Oktober 1965 (BGBl I S. 1477) auf Gewerbesteuerbescheide der Gemeinden angewandt werden können, obwohl diese Vorschriften in der Aufzählung der nach § 3 Abs. 3 AO für Realsteuerbescheide sinngemäß geltenden Vorschriften nicht enthalten sind. Der erkennende Senat hat jene Entscheidungen wesentlich auf § 79 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951 (BGBl I S. 243) - BVerfGG - stützen können, da es bei ihnen allein um die Auswirkungen des die Verfassungswidrigkeit der Zweigstellensteuer feststellenden Urteils des Bundesverfassungsgerichts ging. Der hier gegen den Berichtigungsbescheid erhobene Klageeinwand, der Gewerbesteuererhebung fehle wegen ungültiger Hebesatzfestsetzung die Rechtsgrundlage, führt zu keinem anderen Ergebnis.

aa) Der genannten Rechtsprechung des Senats liegt die Auffassung zugrunde, daß berichtigende Steuerbescheide der Gemeinde, die gemäß § 212b Abs. 3 AO ergehen, ihrem Wesen nach Änderungsbescheide sind, da die Änderung der Steuerfestsetzung gemäß § 212b Abs. 3 AO durch die Änderung der für sie bindenden Feststellungen in dem zugrunde liegenden Steuermeßbescheid (§ 212b Abs. 2 AO) verursacht ist und dieser Rechnung zu tragen hat. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des BFH zu den gleichartigen Regelungen in § 218 Abs. 4 AO und § 35b GewStG (vgl. die Nachweise in BVerwGE 29, 270 [272]; ferner BFH vom 11. Oktober 1966, BFH 87, 290, BStBl 1967 III S. 131; vom 29. November 1969, BFH 99, 90, BStBl 1970 II S. 538) und ist auch im Schrifttum anerkannt (vgl. Strumpen KStZ 1966, 23 ff.; J. W. Schmidt KStZ 1965, 192, 194; L. Schmidt BB 1965, 1221, 1223; Becker-Riewald-Koch, Reichsabgabenordnung, 1965 II. Teil, Anm. 1 zu § 212b; Kühn, AO 9. Aufl., Anm. 4 zu § 212b; Blümich-Boyens-Steinbring-Klein-Hübl, Gewerbesteuergesetz, 8. Aufl. S. 876; Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung, 2. bis 4. Aufl., Anm. 3c zu § 212b). Die Gründe, die zur Änderung des Steuermeßbescheides geführt haben, sind für die rechtliche Natur des Berichtigungsbescheides, der lediglich der Änderung des Grundlagenbescheides Rechnung tragen soll, ohne Einfluß. Darum ist es entgegen der Ansicht des Klägers unerheblich, ob der Steuermeßbescheid auf Grund Bekanntwerdens neuer Tatsachen zugunsten des Steuerpflichtigen gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 2 AO oder aus anderen Gründen geändert worden ist.

bb) Die Qualifikation als Änderungsbescheid hat zur Folge, daß der Berichtigungsbescheid den bisherigen Steuerbescheid nur insoweit berührt, als erforderlich ist, um ihn dem geänderten Steuermeßbescheid des FA, auf dem die Änderung beruht, anzupassen. Eine Wiederaufrollung des gesamten Steuerfalles findet nicht statt (vgl. die obengenannte Rechtsprechung und Literatur). Führt daher - wie im vorliegenden Fall - der gemäß § 212b Abs. 3 AO ergangene Berichtigungsbescheid zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung, weil der Betrag des bisherigen Steuermeßbescheides herabgesezt worden ist, so wird der bisherige Gewerbesteuerbescheid nur insoweit beseitigt, als er dem zugrunde liegenden geänderten Steuermeßbescheid entgegensteht, also eine höhere Gewerbesteuer festgesetzt hat, als sie dem herabgesetzten Steuermeßbetrage entspricht. Im übrigen bleibt die bisherige Gewerbesteuerfestsetzung bestehen und damit auch ihre in der Vergangenheit eingetretene Wirkung der Unanfechtbarkeit. Soweit der Berichtigungsbescheid den nicht korrigierten Betragsteil der bisherigen Gewerbesteuerfestsetzung dem Steuerpflichtigen gegenüber nochmals geltend macht, stellt er sich - ungeachtet der ihm beigefügten Rechtsmittelbelehrung - nicht als neuer Sachbescheid, sondern lediglich als "wiederholende Verfügung" dar, die nicht mehr selbständig angefochten werden kann. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die zur Frage der Anfechtbarkeit mehrerer, denselben Sachverhalt regelnder Verwaltungsakte ergangen ist, hat anerkannt, daß der sogenannte Zweitbescheid nach Unanfechtbarkeit des Erstbescheides nur in den Grenzen gerichtlich überprüft werden kann, in denen die Behörde den Sachverhalt neu nachgeprüft und neu geregelt hat (BVerwGE 23, 175 [176]; 24, 115 [116] jeweils mit weiteren Nachweisen). Durch die Anfechtung des Berichtigungsbescheides - also des Änderungsbetrages - erlangt der Steuerpflichtige nicht den Rechtsschutz wieder, den er durch die Unanfechtbarkeit des bestehengebliebenen Teils des bisherigen Gewerbesteuerbescheides verloren hat. Soweit die Steuerfestsetzung unanfechtbar ist, kann ihre Fehlerhaftigkeit vom Adressaten nicht mehr geltend gemacht werden. Nur diesem Grundsatz der Rechtssicherheit trägt § 79 Abs.2 BVerfGG Rechnung, wenn er bestimmt, daß die Behörde sogar in dem Falle nicht zur Aufhebung eines unanfechtbar gewordenen fehlerhaften Verwaltungsaktes gezwungen ist, in dem seine Fehlerhaftigkeit auf der verfassungsgerichtlich festgestellten Verfassungswidrigkeit einer Norm beruht. Nichts anderes gilt, wenn die Fehlerhaftigkeit der unanfechtbaren Steuerfestsetzung oder ihres verbliebenen Teils aus anderen, weniger schwerwiegenden Gründen hergeleitet wird.

cc) Somit ergibt sich schon aus dem Wesen des nach § 212b Abs. 3 AO ergangenen Berichtigungsbescheides sowie aus der Wirkung der Unanfechtbarkeit des durch die Berichtigung (Änderung) nicht betroffenen Betragsteils des bisherigen Steuerfestsetzungsbescheides, daß der Kläger gegen den Berichtigungsbescheid, der die bereits unanfechtbar festgesetzte Gewerbesteuer herabgesetzt hat, nicht mehr erfolgreich geltend machen kann, der verbliebenen Steuerfestsetzung fehle die rechtliche Grundlage (so nunmehr auch OVG Münster vom 28. Juli 1970 - II A 46/69 -, KStZ 1971, 59 = DGStZ 1971, 42; ebenso Tipke-Kruse a. a. O., Anm. 3 zu § 212b; vor allem auch L. Schmidt, BB 1965, 1221 [1223]). Es ist deshalb hier bedeutungslos, daß § 232 Abs. 1 AO (§ 234 AO a. F.), der die Grenzen der Anfechtbarkeit von Änderungsbescheiden ausdrücklich gesetzlich festgelegt, in der Aufzählung der nach § 3 Abs. 3 AO für Realsteuerbescheide sinngemäß geltenden Vorschriften nicht enthalten ist.

dd) Der Kläger könnte bei der gegebenen Sachlage den Berichtigungsbescheid lediglich mit dem Einwand anfechten, die Beklagte habe ihre nach § 212 b Abs. 3 AO obliegende Pflicht, der Änderung (Herabsetzung) des Steuerfestsetzungsbetrages Rechnung zu tragen, zu seinen Ungunsten nicht richtig erfüllt; denn die Beständigkeit eines unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts ist ausnahmsweise durchbrochen, wenn und insoweit der Betroffene einen Anspruch auf erneute Sachentscheidung und damit Änderung des bisherigen Verwaltungsakts hat (BVerwGE 13, 99; 15, 153; 23, 25; 115; Wolff, Verwaltungsrecht I, 7.Aufl. , § 52 II c, S. 351; vgl. auch Tipke-Kruse, a.a.O., Anm. 3 zu § 212 b). Der Kläger hat jedoch nicht geltend gemacht, und es ist auch nicht ersichtlich, daß die Beklagte den Gewerbesteuerfestsetzungsbescheid für das Jahr 1964 nicht richtig dem geänderten Steuermeßbescheid angepaßt hat.

2. Das angefochtene Urteil verletzt auch Bundesrecht insoweit nicht, als es die Heranziehung des Klägers zur Gewerbesteuer für das Jahr 1965, die wegen rechtzeitiger Anfechtung des ursprünglichen Bescheides vom 20. Oktober 1966 gerichtlich voll nachprüfbar ist, für rechtmäßig erklärt hat.

a) Soweit der Kläger die Richtigkeit der Ausführungen anzweifelt, mit denen das Berufungsgericht die Rechtmäßigkeit der (zweiten) Veröffentlichung der die Hebesatzfestsetzung enthaltenen Haushaltssatzung 1965 begründet hat, verkennt er, daß sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Ortssatzung bekanntzumachen ist, nach Landesrecht beurteilt, das vom Revisionsgericht nicht überprüft werden kann. Das gilt auch für die vom Berufungsgericht bejahte Frage, ob die Hauptsatzung der beklagten Stadt, die das maßgebende Veröffentlichungsrecht enthält, ausnahmsweise dann in der Frage veröffentlicht werden konnte, die sie selbst für die Veröffentlichung vorschreibt, wenn seinerzeit im Bereich der Beklagten kein wirksames Veröffentlichungsrecht für Ortssatzungen vorhanden war (vgl. auch BVerwG IV B 7.67, Beschluß vom 26. Juli 1967). Revisibles Recht wird lediglich in dem Fall berührt, in dem eine rechtsstaatlichen Anforderungen entsprechende Bekanntmachung überhaupt gefehlt hat. Im Rechtsstaat bestehen über die Verlautbarung von Rechtsnormen gewisse Grundregeln der Rechtsetzung. Zu ihnen zählt das Erfordernis einer gehörigen, insbesondere einer für die Betroffenen zugänglichen und erkennbaren Verkündung; sie muß dem Bürger gestatten, von einer erlassenen Rechtsnorm ohne Schwierigkeit Kenntnis zu nehmen (BVerwG I C 127/60 vom 16. Januar 1964, DÖV 1964, 704 = NJW, 1964, 1433; BVerfG I B 10. 65 vom 30. Dezember 1965). Die vom Berufungsgericht festgestellte Veröffentlichung der Haushaltssatzung 1965 und der zugrunde liegenden Hauptsatzung 1963 durch dreißigtägigen Aushang an der amtlichen Bekanntmachungstafel der Stadtverwaltung und durch Hinweis auf diesen Anhang in der Landeszeitung hat diese Voraussetzungen erfüllt.

b) Die in der Haushaltssatzung 1965 enthaltene Hebesatzfestsetzung verstößt auch nicht deshalb gegen Bundesrecht, weil sie erst nach Ablauf des Rechnungsjahres, nämlich in der Zeit vom 12. April bis 13. Mai 1966 veröffentlicht worden ist, nachdem die erste Veröffentlichung vom 8. bis 20. April 1965 formell ungültig war.

aa)Nach der hier allein in Betracht kommenden bundesteuerrechtlichen Regelung des § 16 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes vom 1. Dezember 1936 (RGBl I S. 979) in der damals geltenden Fassung vom 31. Juli 1963 (BGBl I S. 567) - GewStG - und § 2 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zu den Realsteuergesetzen vom 1. Dezember 1936 (RGBl I S. 961) in der Fassung des Gesetzes vom 27. Dezember 1951 (BGBl I S. 996) - EinfGRealStG - werden die Hebesätze der Gewerbesteuer für jedes Rechnungsjahr neu festgesetzt. Diese Gewerbesteuergesetze regeln somit das Gewerbesteuerrecht nicht vollständig. Sie ermächtigen die Gemeinden, den Steuersatz durch Ortsgesetz zu bestimmen. Der Zeitpunkt, zu dem oder bis zu dem ein solches Jahresgesetz über die Neufestsetzung des Hebesatzes zu erlassen ist, ist in den bundesrechtlichen Realsteuergesetzen nicht festgelegt. Eine derartige zeitliche Bestimmung kann nicht aus § 2 Abs. 2 EinfGRealStG entnommen werden, der vorschreibt, daß die Hebesätze im Lauf eines Rechnungsjahres einmalig geändert werden können, und daß die Nachtragshaushaltssatzung über die Festsetzung der Hebesätze vor dem 1. Januar erlassen werden muß. § 2 Abs. 2 EinfGRealStG betrifft die Änderung des Hebesatzes und unterscheidet sich somit von § 2 Abs. 1 EinfGRealStG, der die Neufestsetzung der Hebesätze zum Gegenstand hat. Darauf, daß die Absätze 1 und 2 des § 2 EinfGRealStG verschiedene nicht miteinander vergleichbare Tatbestände regeln, hat das Bundesverwaltungsgericht bereits im Urteil vom 14. Dezember 1955 - BVerwG V C 295.54 - (BVerwGE 3, 45 [47] hingewiesen. Dort ist zum Ausdruck gebracht worden, daß die Änderung des Hebesatzes im Laufe des Steuerjahres in eine bereits geregelte Rechtsetzungslage eingreift, auf deren Fortbestand der Betroffene vertrauen kann, daß dagegen vor der erstmaligen Neufestsetzung durch Erlaß des Jahresgesetzes ein rechtlicher Schwebezustand besteht, den der Betroffene bei seinen Kalkulationen berücksichtigen muß. Demgemäß ist in dem genannten Urteil entschieden worden, daß Hebesätze festsetzende Jahresgesetze noch nach Beginn des Steuerrechnungsjahres mit Wirkung von dessen Beginn an ergehen können ( ebenso BFH, Urteil vom 19. Dezember 1952, BStBl 1953 III 61; ferner Urteil vom 29. August 1969, BStBl II 1970, 20; Scheerbarth, Die Anwendung von Gesetzen auf früher entstandene Sachverhalte, 1961, 76). Die gegen dieses Urteil erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen ( BVerfGE 13, 279 [282], BStBl 1962 I S. 490).

bb) Zwar betrafen die genannten Urteile Sachverhalte, in denen die Hebesätze noch innerhalb des maßgebenden Rechnungsjahres festgesetzt worden waren. Ebensowenig aber folgt aus der gesetzlichen Rahmenregelung des § 2 Abs. 1 EinfGRealStG, daß es ausnahmslos verboten wäre, die Neufestsetzung erst nach Ablauf des betreffenden Rechnungsjahres mit Wirkung auf dessen Beginn vorzunehmen. Der Ansicht der Revision, aus der Eigenschaft der Hebesatzfestsetzung als Jahressatzung ergebe sich, daß sie nach Ablauf des Rechnungsjahres, für dieses nicht mehr erlassen werden könne (so auch Surén, Die Gemeindeordnungen der Bundesrepublik; Bd. II S. 478 und Thiem, Schleswig-Holsteinische Anzeigen 1966, 241 [268], kann nicht zugestimmt werden. Die Vorschrift des § 16 GewStG, nach der in Verbindung mit § 2 Abs. 1 EinfGRealStG die Hebesätze " für jedes Rechnungsjahr" ortsgesetzlich festgesetzt werden, wirkt sich dahin aus, daß die Hebesatzfestsetzung kraft Gesetzes das ganze einheitliche Rechnungsjahr erfaßt, für das sie erlassen ist und nur für diesen Jahreszeitraum gilt (vgl. BVerfGE a.a.O. S. 282; ferner Wolff a.a.O. S. 129). Dies hat aber nicht zwingend zur Folge, daß sie zwar vor Beginn und während des betreffenden Rechnungsjahres, aber nicht mehr nach Ablauf des Rechnungsjahres für dasselbe ergehen könne. Letzteres könnte nur durch eine ausdrückliche gesetzliche Vorschrift bestimmt werden, die jedoch aus der gesetzlichen Rahmenregelung der §§ 16 GewStG und 2 Abs. 1 EinfGRealStG nicht zu entnehmen ist.

Daß dem Haushaltsrecht Regelungen, die sich auf ein vergangenes Rechnungsjahr beziehen, nicht völlig fremd sind, folgt auch aus Art. 111 GG. Darin sind zwischenwirtschaftliche Maßnahmen für den Fall zugelassen, daß sich die Verkündigung des vor Beginn des Rechnungsjahres zu erlassenden Haushaltsgesetzes (Art. 110 Abs. 2 GG) verzögert. Eine bestimmte Begrenzung des zeitlichen Überschreitens der Frist für den Erlaß des Haushaltsgesetzes ist dort nicht vorgesehen (vgl. Maunz-Dürig, Grundgesetz, 1970, Anm. 1 zu Art. 111).

cc) Verfassungsrechtliche Normen, die die hier streitige ortsgesetzliche Regelung ungültig machen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich. Das Gebot der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 GG) und des daraus folgenden Vertrauensschutzes ist nicht verletzt.

Das Berufungsgericht hat in Frage gestellt, ob die im April/Mai 1966 mit Wirkung für das Rechnungsjahr 1965 erfolgte Bekanntmachung der Haushaltssatzung echt rückwirkende Bedeutung hat, d.h. nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (BVerfGE 23, 12 [32]). Es hat unter Hinweis auf die Urteile in BVerfGE 13, 279 (282), BStBl 1962 I S. 490; BVerwGE 3, 45 (46) hervorgehoben, daß das Hebesatzgesetz nicht den früheren Rechtszustand ändere, sondern ein unvollständiges Gesetz ergänze, indem es die in der generellen gesetzlichen Regelung der §§ 16 GewStG und 2 Abs. 1 EinfGRealStG offengehaltene Lücke ausfülle, mithin einen bis dahin ungeregelten, noch nicht abgeschlossenen Tatbestand betreffe.

Aber auch wenn die im April/Mai 1966 erfolgte Bekanntmachung des Hebesatzgesetzes eine echte Rückwirkung begründen sollte, weil sie erst nach Ablauf des von ihr betroffenen Rechnungsjahres 1965 geschehen ist (vgl. PrOVG 54, 126; 60, 252 [256]; 78, 135), sind die Voraussetzungen gegeben, nach denen sich eine Rechtsnorm gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausnahmsweise rückwirkende Kraft beilegen kann. Das Berufungsgericht hat mit Recht auf BVerfGE 13, 261 (272), BStBl 1962 I S. 486), verwiesen. In dieser Entscheidung versagt das Bundesverfassungsgericht dem Bürger den Vertrauensschutz gegenüber der Rückwirkung eines Gesetzes dann, wenn er zu dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtswirkung vom Gesetz zurückbezogen wird, mit der getroffenen Regelung rechnen mußte (ferner BVerfGE 22, 330 [347]). Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Vertrauensschutz des Bürgers hier schon deshalb entfällt, weil die in der Haushaltssatzung enthaltene Hebesatzfestsetzung bereits vor Beginn des Rechnungsjahres 1965 beschlossen und zudem innerhalb dieses Rechnungsjahres, nämlich vom 8. bis 20. April 1965 - wenn auch nicht formell ausreichend - öffentlich bekanntgemacht worden war (vgl. BVerfGE 8, 274 [304]; 13, 261 [273] BStBl 1962 I S. 486). Jedenfalls mußten die Steuerpflichtigen davon ausgehen, daß sie für das Rechnungsjahr 1965 zur Gewerbesteuer herangezogen werden würden. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte die Gewerbesteuer in den vergangenen Jahren stets erhoben. Die Steuerpflichtigen hatten bei verständiger Vorausschau keinen Grund zu der Annahme, für das Rechnungsjahr 1965 keine Gewerbesteuer zahlen zu müssen. Dazu bestand umso weniger Anlaß, als der Kläger für das Rechnungsjahr 1965 bereits Gewerbesteuervorauszahlungen nach den Sätzen des Vorjahres gemäß § 19 GewStG geleistet hatte, wie das Berufungsgericht ebenfalls festgestellt hat. Allein die Tatsache, daß innerhalb des Rechnungsjahres die formgültige Bekanntgabe der für die Heranziehung erforderlichen Bestimmung der Hebesätze ausblieb, konnte den Steuerpflichtigen noch keinen Vertrauensschutz verschaffen. Vielmehr mußten sie jedenfalls in dem dem Rechnungsjahr 1965 folgenden Jahre mit einer ordnungsgemäßen Hebesatzbestimmung rechnen. Damit entfällt das entscheidende Bedenken gegen die vom Kläger geltend gemachte Rückwirkung des Hebesatzgesetzes, daß nämlich der Steuerpflichtige durch sie in eine für ihn unvorhersehbare ungünstige Lage gebracht wird.

c) Die Revisionsrüge des Klägers, das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, daß die Beklagte die Vorschriften über die aufsichtsbehördliche Genehmigung der Haushaltssatzung 1965 und der darin enthaltenen Hebesatzfestsetzung beachtet habe, betrifft die Anwendung von Landesrecht, nämlich der §§ 4 Abs. 1, 101 Abs. 1, 121 der Gemeindeordnung für Schleswig-Holstein und des § 1 Abs. 1a und b der Verordnung über die Genehmigungspflicht der Realsteuerhebesätze der Gemeinden vom 20. März 1954 (GVBl, Schl.-H. S. 89). Die Erfüllung der Genehmigungserfordernisse ist mithin im Revisionsverfahren nicht nachprüfbar (§ 137 Abs. 1 VwGO).

d) Die Verfassungsmäßigkeit der Gewerbesteuer, die der Kläger schließlich bezweifelt, hat das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung bejaht, und zwar auch im Hinblick auf das Nebeneinander von Einkommensteuer und Gewerbesteuer und den Grundsatz der Steuergerechtigkeit (BVerfGE 13, 290, BStBl 1962 I S. 492; 13, 331; 19, 101 [112], BStBl 1967 III S. 355; 21, 54 [63] BStBl 1967 III S. 743; 26, 1 [7] BStBl 1969 II S. 424). Ebenso hat dieser Senat entschieden (Urteile vom 22. September 1967 - BVerwG VII C 11.67 -, BVerwGE 27, 350 = NJW 1968, 419; vom 27. Juni 1969 - BVerwG VII C 57.67 -, BVerwGE 32, 257; Beschluß vom 5. Mai 1970 - BVerwG VII B 188.65 -, KStZ 1970, 175 = DGStZ 1970, 181). Hieran ist festzuhalten.

 

Fundstellen

Haufe-Index 412956

BStBl II 1971, 443

BVerwGE, 293

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