Leitsatz (amtlich)

1. § 212b Abs. 3 AO gilt entsprechend auch für den Fall, daß ein Zerlegungsbescheid geändert worden ist.

2. § 212b Abs. 3 Satz 1 AO verpflichtet die Behörde nicht, eine unanfechtbar gewordene Steuerfestsetzung, die den Zweigstellensteuerzuschlag enthält, zu ändern, wenn der dieser Steuerfestsetzung zugrunde liegende Zerlegungsbescheid in der Weise geändert worden ist, daß der hebeberechtigten Gemeinde ein höherer Zerlegungsanteil zugewiesen worden ist, sich aber gleichwohl auf Grund der Nichtigerklärung des § 17 GewStG eine niedrigere Gewerbesteuer als im ursprünglichen Gewerbesteuerbescheid ergeben würde.

 

Normenkette

AO §§ 3, 212b Abs. 3 S. 1, § 232 Abs. 1, § 382 ff.; GewStG §§ 4, 14, 28 ff.

 

Tatbestand

Gegen die Klägerin und Revisionsklägerin - eine AG - hat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) aufgrund einer Zerlegungsmitteilung (§ 386 Abs. 4 AO), die auf einem für vorläufig erklärten Zerlegungsbescheid (§ 28 GewStG, §§ 382 ff. AO) beruhte, durch Bescheid vom 12. Januar 1954 für die im Bereiche des FA belegene Betriebstätte der Klägerin in B Gewerbesteuer für 1952 festgesetzt. Von der festgesetzten Gewerbesteuer entfielen auf die Zweigstellensteuer (§ 17 GewStG) 9 715 DM. Der Gewerbesteuerbescheid 1952, den das FA nicht für vorläufig erklärt hat, ist unanfechtbar geworden.

Nachdem das BVerfG durch Urteil 1 BvR 771/59 u. a. vom 13. Juli 1965 (BVerfGE 19, 101) den § 17 Abs. 1 GewStG für nichtig erklärt hat, soweit er es zuläßt, daß für Wareneinzelhandelsunternehmen, die in einer Gemeinde eine Betriebstätte unterhalten, ohne in dieser ihre Geschäftsleitung zu haben, der Hebesatz bis zu 3/10 erhöht werden kann, beantragte die Klägerin bei dem beklagten FA, den Gewerbesteuerbescheid 1952 zu berichtigen und die durch diesen festgesetzte Zweigstellensteuer zu erstatten. Im November 1966 hat das zur Festsetzung des einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrages zuständige FA (§ 73 Abs. 2 in Verbindung mit § 72 Nr. 2 Buchst. a AO) den endgültigen Gewerbesteuermeßbescheid für 1952 erlassen. Durch den für endgültig erklärten Zerlegungsbescheid hat es der Gemeinde B im Verhältnis zu dem vorläufigen Zerlegungsbescheid einen höheren Zerlegungsanteil zugewiesen.

Durch den den Gegenstand des Rechtsstreits bildenden Bescheid vom 21. November 1966 lehnte es das beklagte FA unter Berufung auf § 232 Abs. 1 AO ab, den Gewerbesteuerbescheid vom 12. Januar 1954 zu berichtigen, weil bei Anwendung des allgemeinen Hebesatzes von 240 v. H. (ohne Zuschlag für Zweigstellensteuer) eine niedrigere Gewerbesteuer festzusetzen gewesen wäre als im Bescheid vom 12. Januar 1954.

Nach erfolglosem Einspruch hat das FG die Klage mit der Maßgabe abgewiesen, daß der Einspruch als unzulässig zu verwerfen sei. Mit der Revision beantragt die Klägerin,

"unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung des beklagten Finanzamts vom 14. Februar 1967 und des dieser zugrunde liegenden Bescheides vom 21. November 1966 den Gewerbesteuerbescheid vom 12. Januar 1954 für das Kalenderjahr 1952 aufzuheben, soweit in ihm ein Zweigstellensteuerzuschlag von 9 715 DM enthalten ist,

hilfsweise,

unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung des beklagten Finanzamts vom 14. Februar 1967 und des dieser zugrunde liegenden Bescheides vom 21. November 1966 dieses zu verpflichten, der Klägerin gegenüber einen Gewerbesteuerbescheid für den Erhebungszeitraum 1952 zu erlassen, der den Gewerbesteuerbescheid vom 12. Januar 1954 ersetzt und in welchem die gesamte Zweigstellensteuer außer Ansatz bleibt".

Die Klägerin rügt zunächst, das FG habe im Rahmen der Klageabweisung zu Unrecht die Einspruchsentscheidung in der Weise geändert, daß es - abweichend von dem beklagten FA, das den Einspruch als unbegründet zurückgewiesen hatte - den Einspruch als unzulässig verworfen habe. Im übrigen meint die Klägerin, § 232 Abs. 1 AO sei im Streitfall nicht anzuwenden.

Die beklagte Behörde beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Beide Prozeßbeteiligte sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Aus den Gründen:

Die Revision ist im Ergebnis unbegründet.

I. Die Auslegung des Haupt- und des Hilfsantrages der Klägerin ergibt, daß beide Anträge auf das gleiche Ziel gerichtet sind. Für die Auslegung prozessualer Anträge kommt nur der durch die Erklärung vorkörperte Wille in Betracht. Bei der Ermittlung des wirklichen Willens ist nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdruckes zu haften. Mangels anderer Anhaltspunkte ist der Prozeßzweck zu berücksichtigen (Beschluß des BFH III B 21/61 vom 30. Juni 1967, BFH 89, 92 [95 f.] -, BStBl III 1967, 533, mit Nachweisen).

Die Klägerin will erreichen, daß das beklagte FA auf der Grundlage des neuen Zerlegungsbescheides, dessen Inhalt dem FA, soweit es sich um die Gemeinde B handelt, bekanntgegeben worden ist (§ 386 Abs. 4 AO), einen neuen Gewerbesteuerbescheid erläßt, bei dem der im Gewerbesteuerbescheid vom 12. Januar 1954 berücksichtigte Zuschlag für die Zweigstellensteuer außer Ansatz bleibt. Sie erstrebt trotz Erhöhung des Zerlegungsanteils die Festsetzung einer niedrigeren Gewerbesteuer als in dem unanfechtbar gewordenen Bescheid vom 12. Januar 1954.

Da das FA es abgelehnt hat, einen neuen Gewerbesteuerbescheid zu erlassen, kann die Klage angesichts der dargestellten Zielrichtung nur eine Verpflichtungsklage sein (§§ 40 Abs. 1, 101 FGO). Der als Hauptantrag der Klägerin bezeichnete Antrag kann als mit dem aus dem sonstigen Vorbringen der Klägerin ersichtlichen Ziel unvereinbar außer Betracht bleiben. Einen Ausspruch des Gerichts über die Aufhebung des unanfechtbar gewordenen Gewerbesteuerbescheides vom 12. Januar 1954, soweit in ihm Zweigstellensteuer in Höhe von 9 715 DM enthalten ist, kann die Klägerin nicht erreichen, weil dieser Bescheid nicht Prozeßgegenstand ist.

II. Die Verpflichtungsklage hat das FG im Ergebnis mit Recht abgewiesen. Die angefochtene Entscheidung kann jedoch insoweit nicht aufrechterhalten bleiben, als das FG den Einspruch als unzulässig angesehen hat; der Einspruch war unbegründet.

1. Entgegen der Ansicht des FG muß das Begehren der Klägerin nicht deshalb erfolglos bleiben, weil § 232 Abs. 1 AO in der Fassung des § 162 Nr. 40 FGO dem entgegensteht; diese Vorschrift bezieht sich nicht auf den vorliegenden Fall, kann auch nicht sinngemäß auf ihn angewandt werden.

a) Dies gilt nicht schon deshalb, weil § 232 Abs. 1 AO in § 3 Abs. 3 Nr. 6 AO in der Fassung des § 162 Nr. 2 FGO nicht genannt ist. Für die Verwaltung der Gewerbesteuer im Bereich des Landes X gilt gemäß § 3 Abs. 1 AO die AO in vollem Umfange. Von der Möglichkeit, die Verwaltung der Gewerbesteuer ganz oder zum Teil den Gemeinden zu übertragen (Art. 108 Abs. 3 Satz 4 GG a. F.; Art. 108 Abs. 4 Satz 2 GG n. F.), hat das Land X keinen Gebrauch gemacht. Die durch § 1 Abs. 1 der Verordnung über die Erhebung der Gewerbesteuer in vereinfachter Form vom 31. März 1943 - GewStVV - RGBl I, 237) den FÄ übertragene Pflicht zur Festsetzung und Erhebung der Gewerbesteuer ist im Bereich des Landes X bei den FÄ verblieben und nicht durch Landesrecht den Gemeinden zurückübertragen worden (vgl. das Urteil des BFH I R 81, 82, 92-94/68 vom 21. Oktober 1970, BFH 100, 295 [298 f.], BStBl II 1971, 30).

b) Da § 232 Abs. 1 AO im Streitfall nicht anwendbar ist, braucht sich der Senat nicht mit der Frage auseinanderzusetzen, ob - wie das FG im Anschluß an Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, 2.-5. Aufl., § 42 FGO, Rdnr. 1 angenommen hat - ein Rechtsbehelf, mit dem eine niedrigere als die bisher festgesetzte Steuer erstrebt wird, unzulässig ist. Im Streitfall richtet sich die Klage gegen die Verfügung des FA, durch die es abgelehnt wurde, einen Bescheid zu erlassen. Der Einspruch gegen diese Verfügung kann nicht aus Gründen des § 232 Abs. 1 AO unzulässig sein. Andere Gründe, aus denen die Unzulässigkeit des Einspruchs folgt, sind nicht ersichtlich.

c) Gemäß § 232 Abs. 1 AO können Verfügungen, die unanfechtbare Verfügungen der in § 229 AO bezeichneten Art ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht. Eine Verfügung im Sinne des § 232 Abs. 1 AO hat die Klägerin nicht angefochten. Durch die den Gegenstand des Rechtsstreites bildende Verfügung vom 21. November 1966 hat es die beklagte Behörde abgelehnt, den Gewerbesteuerbescheid vom 21. Januar 1954 in entsprechender Anwendung des § 212b Abs. 3 AO (vgl. §§ 28 ff. GewStG in Verbindung mit §§ 382 ff. AO) durch einen neuen Bescheid zu ersetzen, der der Änderung des Zerlegungsanteils (und der Nichtigkeit des § 17 Abs. 1 GewStG) Rechnung trägt. Diese ablehnende Verfügung (§ 229 Nr. 3 AO), nicht aber eine Verfügung, die eine unanfechtbar gewordene Verfügung der in § 229 AO bezeichneten Art geändert hat, ist von der Klägerin angegriffen worden. Fehlt es aber an einer ändernden Verfügung, die von der Klägerin angegriffen wäre, so ist § 232 Abs. 1 AO seinem Wortlaut nach nicht einschlägig.

2. Die Klage kann gleichwohl keinen Erfolg haben. Aus § 212b Abs. 3 AO kann die Klägerin einen Anspruch auf Erlaß eines Gewerbesteuerbescheides, durch den eine niedrigere Gewerbesteuer als durch den unanfechtbar gewordenen Gewerbesteuerbescheid vom 12. Januar 1954 festgesetzt wird, im Streitfall nicht ableiten. Andere Vorschriften kommen für einen Anspruch der Klägerin nicht in Betracht.

a) Gemäß § 212b Abs. 3 Satz 1 AO wird ein Realsteuerbescheid, der auf einem Steuermeßbescheid beruht, der nachträglich durch Rechtsbehelfsentscheidung oder durch Berichtigungsbescheid geändert worden ist, von Amts wegen durch einen neuen Realsteuerbescheid ersetzt, der dieser Änderung Rechnung trägt. § 212b Abs. 3 AO bezieht sich wortlautgemäß auf den Fall der Änderung von Meßbescheiden, nicht auch auf den von Zerlegungsbescheiden (§§ 382 ff. AO). Doch ist die Vorschrift entsprechend auch auf den Fall der Änderung von Zerlegungsbescheiden anzuwenden. Der Zerlegungsbescheid, der nur ergeht, wenn im Hinblick auf einen Gewerbebetrieb nicht nur einer Gemeinde das Recht zusteht, Gewerbesteuer zu erheben, hat für die Festsetzung der Gewerbesteuer die gleiche Funktion wie der Gewerbesteuermeßbescheid. Der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag (§ 14 GewStG), der durch den Gewerbesteuermeßbescheid festgesetzt wird, bildet die Grundlage für die Steuerfestsetzung, wenn nur eine Gemeinde hebeberechtigt ist (§ 4 Abs. 1 Satz 1 GewStG). Befinden sich Betriebstätten desselben Cewerbebetriebes in mehreren Gemeinden oder erstreckt sich eine Betriebstätte über mehrere Gemeinden, so wird die Gewerbesteuer in jeder Gemeinde nach dem Teil des Meßbetrages erhoben, der auf sie entfällt (§ 4 Abs. 1 Satz 2 GewStG). Dieser Teil wird im Zerlegungsverfahren (§§ 28 ff. GewStG) durch Zerlegungsbescheid (§§ 382 ff. AO) festgestellt (§ 386 Abs. 2 Nr. 2 AO).

b) § 212b Abs. 3 Satz 1 AO schreibt unter den genannten Voraussetzungen den Erlaß eines der Änderung des früheren Meßbescheides (hier: Zerlegungsbescheides) durch den neuen Meßbescheid (Zerlegungsbescheid) Rechnung tragenden Realsteuerbescheides vor. Um der Änderung Rechnung zu tragen, muß die zur Festsetzung der Steuer berufene Behörde die Steuer auf der Grundlage des (neuen) einheitlichen Gewerbesteuermeßbetrages (Zerlegungsanteils - §§ 4 Abs. 1 Satz 2, 16, 28 GewStG, § 386 Abs. 2 Nr. 2 AO) nach dem für das betreffende Rechnungsjahr geltenden Hebesatz festsetzen. Der neue Gewerbesteuerbescheid trägt der Änderung des bisherigen Gewerbesteuermeßbescheides (Zerlegungsbescheides) jedoch nur dann Rechnung, wenn er im Falle der Erhöhung des einheitlichen Gewerbesteuerbetrags (-anteils) zu einer Erhöhung und im Falle der Herabsetzung des Meßbetrags (-anteils) zu einer Herabsetzung der Steuer führt. Durch den neuen Realsteuerbescheid müssen die Konsequenzen aus der Änderung des Meßbetrags (-anteils) gezogen werden; nur unter dieser Voraussetzung kann man davon sprechen, daß ein früherer Realsteuerbescheid durch einen neuen Bescheid ersetzt wird, der der Änderung Rechnung trägt. Änderungen der Steuerfestsetzung, die nicht ihre Ursache in der Änderung des Meßbetrags (-anteils) haben, sind nur in dem Umfange erlaubt, als eine besondere Norm den Eingriff in die Bestandskraft über den durch § 212b Abs. 3 AO gebotenen Umfang hinaus vorsieht. Eine solche besondere Norm, die eine weitergehende Durchbrechnung der Bindungswirkung des ursprünglichen Gewerbesteuerbescheides erlaubt, besteht für Fälle der vorliegenden Art nicht.

Für dieses Ergebnis spricht im Hinblick auf den systematischen Zusammenhang die dem § 232 Abs. 1 AO zugrunde liegende gesetzgeberische Wertung. Diese Vorschrift beschränkt grundsätzlich (vgl. wegen der Ausnahmen die Urteile des BFH V 299/60 S vom 14. August 1963, BFH 77, 418, BStBl III 1963, 472; II 64/62 vom 17. März 1970, BFH 99, 393, BStBl II 1970, 702) die Möglichkeit, durch Rechtsbehelf gegen einen Änderungsbescheid eine günstigere Regelung zu erreichen, als sie in dem unanfechtbar gewordenen geänderten Bescheid ausgesprochen war. Eine niedrigere Gewerbesteuerfestsetzung als in dem ursprünglichen Bescheid hätte die Klägerin auch dann nicht erreichen können, wenn die Voraussetzungen dieser Vorschrift vorgelegen hätten.

Der hier vertretenen Rechtsauffassung steht § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG nicht entgegen (vgl. auch - zu § 222 Abs. 1 Nr. 4 AO - BFH-Urteil I 109/65 vom 21. Juni 1967, BFH 89, 174, BStBl III 1967, 577). § 212b Abs. 3 Satz 1 AO ist keine besondere gesetzliche Regelung im Sinne jener Vorschrift, regelt vielmehr nur die Realsteuerfestsetzung auf der Grundlage eines geänderten Realsteuermeßbescheids (Zerlegungsbescheides).

 

Fundstellen

Haufe-Index 413337

BStBl II 1972, 920

BFHE 1973, 102

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