Beteiligte

Klägerin und Revisionsklägerin

Beklagte und Revisionsbeklagte

 

Tatbestand

I

Streitig ist der Anspruch auf Erstattung der von der Klägerin getragenen Aufwendungen für von der Beklagten als Träger der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gewährten Einmalwindeln.

Der 1963 geborene Sohn Uwe (U.) des 1979 verstorbenen D…. H… , der bei der Beklagten krankenversichert war und dessen Rechtsnachfolgerin die Klägerin ist, leidet an Mongolismus. Dies äußert sich seit der Geburt u.a. in Harn- und Stuhlinkontinenz sowie in der Unfähigkeit, sich bei Harn- oder Stuhlabgang bemerkbar zu machen.

Am 15. Dezember 1977 verordnete die behandelnde Ärztin eine Kranken- und Blasenhose, 120 Einmalwindeln und eine Bett-Gummieinlage. Die Beklagte lehnte es durch Bescheid vom 6. Februar 1978 ab, diese Leistungen zu gewähren, weil es sich nicht um Heil- oder Hilfsmittel i.S. der Reichsversicherungsordnung (RVO), sondern um Kleidungs- und Wäschestücke des häuslichen Bedarfs handele. Dem Widerspruch half die Beklagte wegen der Kranken- und Blasenhose ab, wies ihn im übrigen aber durch Bescheid vom 19. Dezember 1978 zurück. Der Versicherte beschaffte die ärztlich verordneten Gegenstände selbst.

Das Sozialgericht (SG) Ulm hat mit Urteil vom 2. August 1979 der Klage auf Kostenerstattung wegen der Einmalwindeln stattgegeben, sie aber wegen der Gummieinlage abgewiesen. Auf die zugelassene Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg durch Urteil vom 19. Dezember 1980 das Urteil des SG dahin geändert, daß die Klage in vollem Umfang abgewiesen wurde. Das LSG hat einen Anspruch auf die allein noch streitigen Einmalwindeln verneint, da diese weder Arzneimittel, noch Verbandmittel, noch Heilmittel und auch keine Hilfsmittel i.S. der §§ 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchstaben b und c und 182 b RVO seien. Hilfsmittel seien die Einmalwindeln deshalb nicht, weil durch ihren Gebrauch die gestörte Körperfunktion der kontrollierten Ausscheidungsvorgänge nicht einmal mittelbar ersetzt, sondern nur die Folgen des Funktionsausfalls beseitigt würden.

Mit der zugelassenen Revision rügt die Klägerin sinngemäß eine Verletzung der §§ 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchstaben b und c und 182 b RVO. Sie ist der Auffassung, die Einmalwindeln seien hier sowohl als Verbandmittel wie auch als Heil- und als Hilfsmittel anzusehen. Das gehe aus den Hinweisen des Finanzministeriums Baden-Württemberg zu § 4 Abs. 1 Nr. 6 der Beihilfeverordnung (GABl. 1977 S. 173) , aus dem Urteil des AG Rheinland-Pfalz vom 31. März 1977 in Breithaupt 1978 S. 308 und aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) hervor. Deshalb müsse die Beklagte der Klägerin die Kosten der selbstbeschafften Einmalwindeln erstatten.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 19. Dezember 1980 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Ulm vom 2. August 1979 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).

II

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des LSG ist dahin abzuändern, daß die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen wird. Das SG hat die Beklagte zu Recht zur Erstattung der der Klägerin durch Beschaffung der Einmalwindeln entstandenen Kosten verurteilt, weil die Beklagte ihrer Pflicht, für den Sohn U. Einmalwindeln zu gewähren, nicht nachgekommen ist.

Der Senat läßt dahingestellt, ob und unter welchen Voraussetzungen Einmalwindeln als Verbandmittel oder Heilmittel anzusehen sind (vgl. hierzu für das Versorgungsrecht das Rundschreiben des BMA vom 16. März 1981 in ErsK 1982, 179). Für den Anspruch der Klägerin genügt es, daß hier die Einmalwindeln "andere Hilfsmittel" i.S. von § 182 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe c RVO sind, auf die der Versicherte gemäß § 182 b RVO Anspruch hat, weil sie erforderlich sind, um eine körperliche Behinderung auszugleichen.

Der Anspruch auf Gewährung der Einmalwindeln als Hilfsmittel für den Sohn U., der nicht selbst Mitglied der Beklagten ist, stand dem bei der Beklagten versicherten Vater für U. gemäß § 205 Abs. 1 Satz 1 RVO unter den gleichen Voraussetzungen und im gleichen Umfang wie einem Versicherten zu. Dieser Anspruch ist auf die Klägerin als Rechtsnachfolgerin des Versicherten übergegangen.

Die körperliche Behinderung des U. besteht in der Unfähigkeit, Harn und Stuhl in kontrollierter Weise abzugeben oder sich doch insoweit wenigstens bemerkbar machen und dadurch eine längere Einwirkung von Harn und Stuhl auf bestimmte Hautpartien vermeiden zu können. Diese durch das Gebrechen mit Krankheitswert gestörte Körperfunktion kann durch die Verwendung von Einmalwindeln insoweit teilweise ersetzt werden, als dadurch die aus Harn und Stuhl auf die Haut einwirkende Feuchtigkeit wesentlich herabgesetzt und auf diese, Weise ein Zustand erreicht wird, der der kontrollierten oder doch wenigstens der bemerkbar gemachten Harn- und Stuhlabgabe in der Belastung der Haut mit Schadstoffen näher kommt, als es bei unkontrollierter und nicht bemerkbar gemachter Harn- und Stuhlabgabe ohne die Verwendung flüssigkeitsaufsaugender Einmalwindeln der Fall ist.

Daß das Hilfsmittel eine körperliche Behinderung hier nur in geringem Umfang auszugleichen vermag, schließt den Anspruch auf Ausstattung mit dem Hilfsmittel der Einmalwindeln nicht aus. Denn begrifflich muß ein Hilfsmittel nicht dazu dienen, die natürlichen Funktionen eines nicht oder nicht mehr voll funktionsfähigen Körperorgans wiederherzustellen; es genügt vielmehr, daß das Hilfsmittel die beeinträchtigte oder erschwerte Funktion ermöglicht, ersetzt, erleichtert oder ergänzt (BSGE 51, 206, 207; SozR 2200 § 182 b Nrn. 12, 13 und 17). Dabei ist der Ersatz der Funktion nicht im Sinne der unmittelbaren Wiederherstellung zu verstehen, es genügt vielmehr auch der mittelbare Ersatz der Funktion, wie etwa bei der verlorengegangenen Gehfähigkeit die begrenzte Beweglichkeit durch den Rollstuhl oder bei der verlorengegangenen Sehfähigkeit das verbesserte Zurechtfinden in der Umwelt durch den Blindenführhund. Schließlich muß das Hilfsmittel nicht alle Funktionen eines Körperorgans ersetzen. Es genügt vielmehr schon, wenn es die ausfallenden Funktionen wenigstens zum geringen Teil, wie etwa beim Blattwendegerät (BSGE 50, 77), auszugleichen vermag. Jedenfalls muß es die Krankenkasse dem behinderten Versicherten ermöglichen, körperliche Grundbedürfnisse wie die elementare Körperpflege und die Nahrungsaufnahme zu befriedigen (SozR 2200 § 182 b Nr. 12 und BSGE 50, 77, 79). Ist das wegen der Art der Behinderung nicht vollständig erreichbar, so müssen doch die körperlichen Grundbedürfnisse durch den Einsatz geeigneter Hilfsmittel wenigstens so weit befriedigt werden, wie dies nach Art der Behinderung und Beschaffenheit der Hilfsmittel irgend möglich ist.

Da der unter den Folgen des Mongolismus leidende- U. die Harn- und Stuhlabgabe nicht kontrollieren, sich insoweit auch nicht bemerkbar machen und sich deshalb vor Schäden aus längerer Einwirkung von Harn und Stuhl auf die Haut nicht bewahren kann, müssen diese Einwirkungen durch stark saugende Einmalwindeln auf das geringstmögliche Maß reduziert werden. Deshalb sind die Einmalwindeln für U. Hilfsmittel zum Ausgleich einer körperlichen Behinderung i.S. von § 182 b RV0, die ihm die Beklagte grundsätzlich zu gewähren und deren Kosten sie wegen Verweigerung der Gewährung nach Selbstbeschaffung zu übernehmen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.8 RK 8/81

Bundessozialgericht

 

Fundstellen

Breith. 1982, 934

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