Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. Januar 1992 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.

 

Gründe

I

Streitig ist, ob der Kläger wegen Schwerpflegebedürftigkeit Anspruch auf sog. Urlaubspflege hat (§ 56 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches [SGB V]).

Der 1932 geborene, seit 1948 ununterbrochen bei der Beklagten versicherte Kläger leidet seit 1965 an einer Querschnittslähmung vom 4. Brustwirbelkörper an mit Blasen- und Mastdarmlähmung. Er wird seit 1967 von Frau L. (L.) in seinem Haushalt gepflegt. Da Frau L., die als Krankengymnastin tätig ist, vom 10. Juni bis 10. Juli 1989 in Urlaub gehen wollte, beantragte der Kläger am 9. Juni 1989 die Gewährung von Urlaubspflege bzw. die Übernahme der Kosten für eine Ersatzpflegekraft in Höhe von 64,– DM täglich. Diesen Antrag lehnte die Beklagte nach Einholung vertrauensärztlicher Gutachten mit der Begründung ab, daß die Voraussetzungen der Schwerpflegebedürftigkeit nicht gegeben seien (Bescheid vom 9. August 1989; Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 1990). Auf die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) Lübeck nach Anhörung eines medizinischen Sachverständigen die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, gemäß § 56 SGB V für das Jahr 1989 Leistungen für die Urlaubsvertretung bei der Pflege zu gewähren (Urteil vom 16. April 1991). Auf die Berufung der Beklagten hat das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) nach Anhörung des Chirurgen Dr. E. (E.) das vorinstanzliche Urteil dahin abgeändert, daß die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger 1.792,– DM zu zahlen, und im übrigen die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 28. Januar 1992). Zur Begründung ist im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe gemäß § 13 Abs. 2 SGB V anstelle des ursprünglich geltend gemachten Sachleistungsanspruchs auf häusliche Pflegehilfe nach § 56 SGB V einen Kostenerstattungsanspruch, weil die Beklagte die notwendige häusliche Pflegehilfe zu Unrecht abgelehnt habe und dem Kläger Kosten in der – im Tenor konkretisierten – Höhe von 1.792,– DM für eine selbstbeschaffte Pflegeperson entstanden seien. Der Kläger, der die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 54 SGB V erfülle, sei schwerpflegebedürftig i.S. von § 53 Abs. 1 SGB V. Die dort geforderte Pflegebedürftigkeit „in sehr hohem Maße” liege in der Regel dann vor, wenn dauerhaft auf allen oder nahezu allen Lebensbereichen (Mobilität, Hygiene, Ernährung und Kommunikation) nach einer wertenden Gesamtbetrachtung fremde Hilfe nötig sei. Sie sei aber im Einzelfall auch dann zu bejahen, wenn bei einer Gesamtbetrachtung in einzelnen Lebensbereichen ein außergewöhnlich hoher Pflegeaufwand erforderlich und für die gesamte Lebenssituation des Versicherten derart prägend sei, daß er erst dadurch in die Lage versetzt werde, zu existieren und sich in anderen Bereichen zu helfen. Dabei werde die Intensität der Pflege nicht nur durch den zeitlichen Aufwand, sondern auch durch die Qualität des Pflegeprogramms bestimmt. Hiervon ausgehend sei beim Kläger Schwerpflegebedürftigkeit gegeben. Denn es bestehe ein sehr großer Unterstützungsbedarf im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung, insbesondere bei der Wäschepflege, vor allem aber im hygienischen Bereich, in dem die Pflege wegen der Vermeidung des ständig drohenden Aufbrechens von Dekubitalgeschwüren und wegen der erforderlichen Hilfe bei der Blasenentleerung besonders sorgfältig sein müsse und hohe Anforderungen stelle. Insgesamt habe der Senat die intensive Pflege von täglich mindestens vier bzw. sechs Stunden bei zusätzlicher Versorgung von Dekubitalgeschwüren im Anschluß an das Gutachten des Dr. E. als ein sehr hohes Maß gewertet. Ein Ausschlußgrund i.S. des § 53 Abs. 2 SGB V sei im übrigen nicht gegeben, weil das zur fraglichen Zeit bestehende Dekubitalgeschwür keine Behandlungsbedürftigkeit in einem Krankenhaus i.S. von § 37 SGB V bewirkt habe. Auch seien alle sonstigen Voraussetzungen der häuslichen Pflegehilfe erfüllt, so daß dem Kläger die durch die Pflegeperson entstandenen und angemessenen Kosten zu erstatten seien.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 53 Abs. 1 SGB V und meint, das LSG habe den Begriff der Schwerpflegebedürftigkeit verkannt. Dieser Begriff setze sowohl nach dem Wortlaut der gesetzlichen Definition als auch nach der Begründung zum Regierungsentwurf voraus, daß sich die hilfsbedürftige Person in ihrem Alltag nahezu in allen Bereichen, d.h. in dem weit überwiegenden Teil der Bereiche „Mobilität, Hygiene, Ernährung und Kommunikation” nicht selbst versorgen könne, sondern auf ständige intensive Hilfe und regelmäßig auch auf hauswirtschaftliche Versorgung angewiesen sei. Dies schließe zwar nicht aus, daß auch Schwerpflegebedürftige in einzelnen Gebieten noch in begrenztem Umfang Aktivitäten entfalten könnten. Jedoch reiche die Unfähigkeit zur Ausübung lediglich einzelner Funktionen bzw. die Notwendigkeit intensiver Hilfe in nur einem – wenn auch wichtigen – Bereich nicht aus. Zwar sei mit dem LSG davon auszugehen, daß eine Gesamtwürdigung aller für die Pflege erforderlichen Faktoren – einschließlich der individuellen Verhältnisse – zu erfolgen habe. Gleichwohl rechtfertigten die Feststellungen des LSG die Annahme der Schwerpflegebedürftigkeit des Klägers nicht. Denn bei ihm bestehe ein hoher Hilfebedarf lediglich im hygienischen Bereich (einschließlich Dekubitus-Prophylaxe) und bei der hauswirtschaftlichen Versorgung. Geringer Unterstützungsbedarf bestehe in den Bereichen der Ernährung und Mobilität. In den Lebensbereichen Kommunikation und geistige Betätigung lägen keine Funktionsausfälle vor. Auch im psychosozialen Bereich sei der Kläger voll integriert. Im Hinblick hierauf und auch unter Berücksichtigung des täglichen Pflegeaufwandes von zwei bis vier Stunden sei der Kläger jedenfalls nicht so hilflos, daß von einem sehr hohen Maß der Hilfebedürftigkeit gesprochen werden könne. Der im hygienischen Bereich erforderliche Pflegebedarf auf hohem Niveau könne allein nicht ausreichen, zumal es sich bei der Versorgung bzw. Behandlung von Dekubitalgeschwüren um einen Teil der Behandlungspflege handele, der nach § 53 Abs. 2 SGB V nicht berücksichtigt werden könne. Es verbleibe mithin ein täglicher Pflegeaufwand von ca zwei Stunden (Gutachten vom 1. August 1990 und 16. April 1991) bzw. von etwa vier Stunden nach Angaben des Klägers.

Die Beklagte beantragt,

die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 28. Januar 1992 und des Sozialgerichts Lübeck vom 16. April 1991 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist ergänzend darauf hin, daß sich die Richtigkeit der Beurteilung des LSG auch bei einem – vorsichtigen – Vergleich mit den Regelungen in § 35 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und § 68 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) ergebe. Nach dem BVG würde er, der Kläger, Pflegegeld nach der höchsten Stufe VI erhalten und habe auch tatsächlich eine Zeitlang erhöhtes Pflegegeld nach dem BSHG bezogen.

II

Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Zwar war ihre Berufung zulässig, weil sie nach § 150 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugelassen war. Die Berufung ist jedoch zu Recht zurückgewiesen worden, weil die Voraussetzungen des § 56 SGB V erfüllt sind.

Nach dieser mit Wirkung ab 1. Januar 1989 geltenden Neuregelung wird die häusliche Pflegehilfe über den Rahmen des § 55 SGB V hinaus im erforderlichen Umfang für längstens vier Wochen je Kalenderjahr erbracht, wenn die Pflege und Versorgung schwerpflegebedürftiger Versicherter wegen Erholungsurlaubs oder anderweitiger Verhinderung der Pflegeperson zeitweise nicht erbracht werden können und die Pflegeperson den Schwerpflegebedürftigen vor der Verhinderung mindestens 12 Monate gepflegt hat (Satz 1). Die Aufwendungen der Krankenkasse für die Leistung nach Satz 1 dürfen im Einzelfall 1.800, 00 DM nicht überschreiten (Satz 2).

Dem Kläger stand wegen des Erholungsurlaubs seiner Pflegerin in der Zeit vom 10. Juni bis 10. Juli 1989 für vier Wochen häusliche Pflegehilfe (sog Urlaubspflege) in dem vom LSG angenommenen Umfang zu. Seine Pflegerin hatte ihn vor dem Urlaub bereits mindestens zwölf Monate lang gepflegt. Die entstandenen Aufwendungen der Krankenkasse, die das LSG mit 64, 00 DM pro Tag als erforderlich angesehen hat, überschreiten nicht den in § 56 Satz 2 SGB V vorgesehenen Höchstbetrag. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 54 Abs. 1 SGB V sind ebenfalls erfüllt. Darin besteht Übereinstimmung zwischen den Beteiligten. Das gilt auch insoweit, als der noch vor Urlaubsbeginn geltend gemachte, zunächst auf Sachleistung gerichtete Anspruch auf Urlaubspflege sich nach § 13 Abs. 2 SGB V (seit 1. Januar 1993 Abs. 3) in einen Kostenerstattungsanspruch umgewandelt hat, nachdem die Beklagte den Sachleistungsanspruch – zu Unrecht – abgelehnt hatte. Diesen Anspruch hat das LSG zutreffend auf 1792,– DM (64 DM × 28 Tage) festgesetzt.

Die allein streitige Frage, ob der an einer Querschnittslähmung mit Blasen- und Mastdarmlähmung leidende Kläger zum Kreis der „Schwerpflegebedürftigen” gehört, ist vom LSG zutreffend bejaht worden; dessen Gesetzesauslegung und – anwendung sind frei von Rechtsfehlern. Seine Tatsachenfeststellungen sind nicht mit Revisionsrügen angegriffen und somit für den Senat bindend (§ 163 SGG). Nach § 53 Abs. 1 SGB V sind Schwerpflegebedürftige diejenigen Versicherten, die nach ärztlicher Feststellung wegen einer Krankheit oder Behinderung so hilflos sind, daß sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in sehr hohem Maße der Hilfe bedürfen. Die nach § 53 Abs. 3 SGB V von den Spitzenverbänden der Krankenkassen zu beschließenden Richtlinien zur Abgrenzung des Personenkreises der Schwerpflegebedürftigen sind am 9. August 1989 verabschiedet worden und am 1. September 1989 in Kraft getreten (abgedruckt u.a. in BABl 1989, 43 = BKK 1989, 595, 596); sie haben also im vorliegenden Fall noch nicht gegolten. Das schließt jedoch nicht aus, sie hier als Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs der Schwerpflegebedürftigkeit mit heranzuziehen. Ob und welche Bedeutung den Richtlinien darüber hinaus zukommt, bedarf hier keiner Entscheidung.

Zutreffend hat das LSG zunächst ausgeführt, daß der Gesetzgeber den erstmals in § 53 SGB V verwandten Begriff der Schwerpflegebedürftigkeit bewußt selbständig definiert hat, so daß ein unmittelbarer Rückgriff auf Regelungen über Pflegeleistungen in anderen Rechtsbereichen nicht in Betracht kommt. Gleichwohl steht der Begriff nicht in einem bisher rechtsfreien Raum, sondern zeigt – wie sich insbesondere auch aus den Materialien des Gesetzgebers zum Gesundheits-Reformgesetz –GRG– (BT-Drucks 11/2237 S. 183 zu § 52 Abs. 1 des Entwurfs) ergibt -Verbindungen zu solchen Regelungen, insbesondere im BVG und BSHG, auf, so daß Erkenntnisse aus diesen für das Rechtsgebiet der Krankenversicherung nutzbar gemacht werden können. So knüpft der Begriff der Schwerpflegebedürftigkeit an den Begriff der Hilflosigkeit an, zu dessen Umschreibung der Gesetzgeber in § 53 Abs. 1 SGB V wesentliche Elemente aus § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG und § 69 Abs. 3 Satz 1 BSHG (allerdings nicht die Pflegestufen) übernommen hat. Danach bemißt sich die Hilflosigkeit nach den gleichen Kriterien wie in den vorgenannten Regelungen: Es kommt auf die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens an, die für die physische Existenz des Behinderten unerläßlich sind und der Erfüllung seiner Grundbedürfnisse einschließlich der auf seine Person bezogenen hauswirtschaftlichen Versorgung dienen. Bezüglich dieser Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens unterscheiden die Richtlinien der Spitzenverbände der Krankenkassen (a.a.O. Nr. 4.1) vier Bereiche, nämlich die Bereiche der Mobilität/Motorik, der Hygiene, der Ernährung und der Kommunikation, bei denen jeweils die wesentlichen Verrichtungsarten aufgeführt sind.

Obwohl sich die Richtlinien mit dieser Umschreibung weitgehend mit den Entscheidungen des Bundessozialgerichts (BSG) und des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zum Hilflosigkeitsbegriff in anderen Sozialrechtsbereichen decken (vgl. die Nachweise bei Jürgens, Pflegeleistungen für Behinderte, 1986, S. 97ff.), bedürfen sie in einzelnen Punkten, insbesondere auch im Hinblick auf § 55 Abs. 1 Satz 3 SGB V, der Ergänzung: So gehören etwa im Bereich der Ernährung nicht nur die Nahrungszubereitung und -aufnahme zu den durch „Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung” sicherzustellenden Grundbedürfnissen, sondern auch das Besorgen der Nahrung und der sonstigen Gebrauchsgegenstände, die für die Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens benötigt werden (so auch Eicher, SGb 1990, 129, 134; Jürgens, a.a.O., S. 121). Dazu gehören ferner auch – was das LSG zutreffend hervorgehoben hat – die Reinigung und Pflege der Wäsche, die gerade in Fällen der vorliegenden Art zeit- und arbeitsaufwendig sein kann, aber auch die Verrichtung sonstiger hauswirtschaftlicher Arbeiten, die nicht mit dem Begriff der Reinigung der Wohnung erfaßt sind, etwa das Ein- und Ausräumen von Vorrats- bzw. Kühlschränken, Geschirrspülen uä. Allerdings ist hierbei nur der Anteil der Hilfe zu berücksichtigen, der auf die Person des Versicherten entfällt und dessen Umfang die Hilfebedürftigkeit eines Gesunden gleichen Alters überschreitet.

Auch bezüglich des geforderten Hilfebedarfs „in sehr hohem Maße” läßt die Auslegung des LSG keinen Rechtsfehler erkennen. Zwar bietet das SGB V – anders als das BVG und das BSHG – kein bestimmtes Bezugssystem für die Zuordnung „in sehr hohem Maße”. Aus diesem Begriff selbst läßt sich lediglich entnehmen, daß ein sehr hohes Maß mehr als ein hohes Maß (und erst Recht mehr als ein erhebliches Maß) bedeutet, andererseits aber auch nicht das höchste Maß erreicht sein muß. Ob mit dem Merkmal „in sehr hohem Maße” ein Ausschnitt von pflegebedürftigen Personen erfaßt werden soll, die – bezogen auf eine Skala von 1 bis 100 – etwa im Bereich des oberen Drittels dieser Skala (ab 66, 6) anzusiedeln sind (so Igl in seinem Gutachten „Rechtsprobleme bei Pflegebedürftigkeit”, S. 13f.) mag hier offenbleiben. Denn der Gesetzgeber läßt in der Begründung zu § 53 SGB V (a.a.O.) eigene Maßstäbe erkennen, die jedenfalls in Fällen der vorliegenden Art eine Zuordnung erleichtern:

Dort heißt es zunächst allgemein, daß die gesetzliche Definition der Schwerpflegebedürftigkeit in § 53 Abs. 1 SGB V Personen erfaßt, die sich in ihrem Alltag nahezu in allen Bereichen nicht selbst versorgen können, sondern auf ständige, intensive Pflege und in der Regel auch auf hauswirtschaftliche Versorgung angewiesen seien; dies schließe nicht aus, daß auch Schwerpflegebedürftige in einzelnen Gebieten noch in begrenztem Umfang Aktivitäten entfalten könnten; dauernde Bettlägerigkeit werde nicht vorausgesetzt (BT-Drucks 11/2237 S. 183 zu § 52 Abs. 1). Dieser allgemeinen Umschreibung, die in ähnlicher Form auch in den Richtlinien wiederkehrt (Nr 5.2 a.a.O.), ist im Grundsatz zu folgen; sie entspricht der Rechtsprechung zu § 35 Abs. 1 Satz 2 BVG, wonach die Unfähigkeit zur Ausübung einzelner Verrichtungen keinesfalls genügt; vielmehr ist Maßstab für die Prüfung der (dort geforderten außergewöhnlichen) Pflegebedürftigkeit das Verhältnis der Funktionsdefizite zu der Gesamtheit der gewöhnlichen Verrichtungen (BSG SozR 3100 § 35 Nr. 16 S. 58 m.w.N.), so daß als Schwerpflegebedürftige i.S. von § 53 SGB V grundsätzlich nur Personen in Betracht kommen, die hinsichtlich der Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse weitaus überwiegend der Hilfe anderer bedürfen (Höfler in KassKomm, § 53 SGB V RdNr 22). Dieses Verhältnis ist allerdings nicht rein quantitativ – nach Menge und zeitlichem Umfang der erforderlichen Verrichtungen – zu bestimmen, obwohl der erforderliche Zeitaufwand regelmäßig eine entscheidende Rolle spielen wird (so auch Eicher, a.a.O. S. 135). Vielmehr sind neben den quantitativen auch qualitative Momente des erforderlichen Pflegeaufwands zu berücksichtigen. Insofern gehen auch die Richtlinien davon aus, daß die Verrichtungen untereinander nicht gleichwertig, sondern entsprechend den Verhältnissen des Einzelfalles unterschiedlich zu bewerten seien; auch seien besondere Belastungen bei der Pflege mit in die Beurteilung einzubeziehen (Nrn 5.2 und 5.3 der Richtlinien). Schon diese Formulierungen verdeutlichen, daß insoweit nur eine grobe Orientierungshilfe geboten wird und daß auch das Erfordernis des Hilfebedarfs „in nahezu allen Bereichen” nicht rein schematisch verstanden werden darf, schon weil nicht alle der genannten Bereiche bei den unterschiedlichen Behinderungsarten für die Beurteilung des Hilfebedarfs gleich relevant sind (zB ist bei Querschnittsgelähmten der Bereich Kommunikation – Sprechen, Hören, Sehen – im allgemeinen nicht betroffen). Dieses Erfordernis umschreibt vielmehr, wovon auch die Richtlinien ausgehen, nur den Regelfall und schließt nicht aus, daß in Einzelfällen auch die Hilfebedürftigkeit in einigen Lebensbereichen ausreichen kann, wenn dort nach Art, Intensität und Umfang ein besonders hoher Hilfebedarf besteht, der für die gesamte Lebensführung des Versicherten prägend ist und ihn überhaupt erst in die Lage versetzt, sich in anderen Bereichen selbst zu helfen. Dafür spricht insbesondere auch die weitere Begründung des Gesetzgebers zu § 53 SGB V, in der auf bestimmte, im Entschädigungsrecht berücksichtigte Gruppen von Behinderungen Bezug genommen und auf die dazu bestehende Praxis als weitere Orientierungshilfe verwiesen wird.

Zwar ist dort in Abgrenzung zu § 35 BVG zunächst ausgeführt, daß der in seinem Abs. 1 in sechs Pflegestufen gestaffelte Grad der Pflegebedürftigkeit und die Formulierungen dieser Regelung („in erheblichem Umfang”, „außergewöhnliche Pflege”) nicht übernommen worden seien; diese Differenzierung richte sich auch nach der Entstehung und der Art der Behinderung des leistungsberechtigten Personenkreises. Die Krankenversicherungsleistungen zielten hingegen auf eine begrenzte Unterstützung der häuslichen Pflege in allen schweren Fällen ab, so daß eine so differenzierte Abstufung weder erforderlich noch eine sehr enge Anbindung der Leistung an eine bestimmte Behinderungsart angezeigt sei. Liege jedoch eine im Entschädigungsrecht berücksichtigte Behinderung vor, könne die dort geübte langjährige Praxis ebenso wie die Praxis im Sozialhilferecht Anhaltspunkte für die Bestimmung und Abgrenzung der Schwerpflegebedürftigen im Sinne des § 53 Abs. 1 SGB V bieten. Dabei sei diese Bestimmung enger als die Voraussetzungen der Stufe III und weiter als die Voraussetzungen der Stufe VI in § 35 Abs. 1 Satz 2 BVG anzusehen. Die Anforderungen dieser Regelung und des § 69 Abs. 4 Satz 1, 2. Halbsatz BSHG für die erhöhte Pflegezulage bzw. das erhöhte Pflegegeld dürften jedoch in der Mehrzahl der Fälle den Anforderungen des § 53 Abs. 1 SGB V entsprechen. Die Entscheidungspraxis bei den häuslichen Pflegeleistungen im Unfallversicherungsrecht (§ 558 RVO) könne ebenfalls herangezogen werden (BT-Drucks, a.a.O., S. 183).

Zwar läßt sich auch bei der Zugehörigkeit zu einer solchen Behinderten-Gruppe, zu der u.a. auch Querschnittsgelähmte gehören, die Pflegebedürftigkeit „in sehr hohem Maße” nicht unmittelbar durch Übernahme der in § 35 Abs. 1 Satz 2 BVG vorgesehenen Pflegestufen bestimmen. Gleichwohl ergeben sich daraus wichtige Anhaltspunkte. Denn der Gesetzgeber wollte mit § 53 SGB V offensichtlich – i.S. einer gewissen Schematisierung und Typisierung – zumindest diejenigen pflegebedürftigen Versicherten erfassen, die so hilfebedürftig sind, daß sie nach der Verwaltungspraxis zu § 35 BVG regelmäßig eine Pflegezulage in einer höheren Stufe als Stufe III, also nach Stufen IV bis VI erhalten. Dafür spricht auch die dem Richtliniengeber empfohlene Bildung von entsprechenden Fallgruppen (vgl. BT-Drucks a.a.O., S. 183 zu § 52 Abs. 4 des Entwurfs). Beispiele für die Pflegestufen V und VI sind in den Verwaltungsvorschriften Nr. 5 und 6 zu § 35 BVG beschrieben. Danach kommt die Stufe V in Betracht, wenn ein außergewöhnlicher Leidenszustand vorliegt und die Pflege besonders hohe Aufwendungen erfordert. Das trifft nach Nr. 5 immer zu bei Querschnittsgelähmten mit Blasen- und Mastdarmlähmung. Entsprechendes gilt für das Sozialhilferecht nach § 69 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 i.V.m. § 24 Abs. 2 BSHG und § 1 der Verordnung zur Durchführung des § 24 Abs. 2 Satz 1 BSHG (vom 28. Juni 1974, BGBl. I S. 1365). Wenn danach das Beschädigtenrecht und – ihm folgend – das Sozialhilferecht Querschnittsgelähmte mit den beschriebenen weiteren Lähmungen ungeachtet der Besonderheiten des konkreten Falles der Pflegestufe V zuordnet, so ist dies ein wichtiger Anhaltspunkt dafür, daß gem § 53 Abs. 1 SGB V von einer Schwerpflegebedürftigkeit selbst dann noch auszugehen ist, wenn die Pflegebedürftigkeit im konkreten Fall nach dem Maß der tatsächlich erforderlichen Pflege nur der Pflegestufe IV zuzuordnen wäre.

Dafür, daß der Gesetzgeber Querschnittsgelähmte jedenfalls dann, wenn sie – wie hier – an Blasen- und Mastdarmlähmung leiden, grundsätzlich dem Kreis der Schwerpflegebedürftigen zuordnen wollte, spricht ferner auch der in der Begründung zu § 53 Abs. 1 SGB V (a.a.O.) enthaltene Hinweis auf die Verwaltungspraxis zu § 558 RVO. Nach den von den Unfallversicherungsträgern hierzu aufgestellten „Anhaltspunkten für die Bemessung des Pflegegeldes” sind „Paraplegiker mit Blasen- und Mastdarmlähmung sowie Dekubitalgeschwüren” in die höchste Kategorie A (100 v.H. des Höchstbetrags nach § 558 Abs. 3 Satz 2 RVO), „Paraplegiker mit Blasen- und Mastdarmlähmung” in die zweithöchste Kategorie B (90 vH) von insgesamt sechs Kategorien eingestuft. Im Hinblick auf diese Typisierung geht auch die Literatur zu § 53 SGB V davon aus, daß Querschnittsgelähmte mit Blasen-und Mastdarmlähmung zum Kreis der Schwerpflegebedürftigen gehören (vgl. Höfer in Kasseler Komm, § 53 SGB V Rz 23; Zipperer in Maaßen/Schermer/Wiegand/Zipperer, SGB V, § 53 Rz 16a; Kesselheim in Hauck/Haines, SGB V, § 53 Rz 19).

Von den vorgenannten Maßstäben ausgehend ist der Kläger zu Recht als schwerpflegebedürftig angesehen worden. Nach den Feststellungen des LSG, die nicht mit Revisionsrügen angegriffen und daher für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), wirken sich die beim Kläger durch die Querschnittslähmung mit einer zusätzlichen Blasen- und Mastdarmlähmung bedingten Defizite zwar nicht dergestalt aus, daß er einer regelmäßigen und intensiven Pflege in „nahezu allen Bereichen” bedarf. So liegen im Lebensbereich Kommunikation einschließlich geistiger Betätigung keine Funktionsausfälle vor. Auch die Mobilität des Klägers ist jedenfalls insoweit gewährleistet, als er aufgrund der guten Beweglichkeit der oberen Extremitäten die ihm zur Verfügung stehenden Krankenfahrstühle und auch seinen PKW – abgesehen von den erforderlichen Hilfen beim Ein- und Aussteigen – selbständig fahren kann. Er kann ferner seine Nahrung teilweise selbst zubereiten und selbständig aufnehmen. Soweit seine Arme reichen, ist auch das An- und Auskleiden und im hygienischen Bereich ein Teil der Verrichtungen selbständig möglich. Gleichwohl reichen die bestehenden Defizite in den Bereichen Mobilität/Motorik, Hygiene und Ernährung – einschließlich dem Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung – aus, um Schwerpflegebedürftigkeit anzunehmen. Dabei hat das LSG zutreffend auf eine Gesamtbetrachtung abgestellt und hervorgehoben, daß die bestehende Blasen- und Mastdarmlähmung mit ihren Folgen und vor allem die Neigung zu Dekubitalgeschwüren zu einem extrem hohen und qualitativ anspruchsvollen Pflegeprogramm führen, das unter Berücksichtigung des sehr großen Unterstützungsbedarfs auch im Bereich der hauswirtschaftlichen Versorgung sowie des ständigen Hilfebedarfs auch im Bereich der Mobilität bei einem zeitlichen Pflegebedarf von mindestens vier Stunden täglich (bei zusätzlich bestehenden Dekubitalgeschwüren von sechs Stunden täglich) als sehr hoch zu bewerten sei. Das ist schlüssig damit begründet, daß die Pflege im Intimbereich nicht nur extrem sorgfältig erfolgen, sondern auch Rücksicht auf die seelischen Empfindungen des Klägers nehmen müsse, daß er insbesondere bei der vollständigen Blasenentleerung ständig fremder Hilfe bedürfe, um Entzündungen zu vermeiden, und daß die Pflege im hygienischen Bereich zur Vermeidung ständig drohender Dekubitalgeschwüre auf optimalem Niveau erfolgen müsse. Darüberhinaus hat das LSG unangegriffen festgestellt, daß beim Kläger auch bei der hauswirtschaftlichen Versorgung ein sehr großer Unterstützungsbedarf besteht, insbesondere die Wäschepflege besonders umfangreich ist, da es angesichts der bestehenden Blasen- und Mastdarmlähmung mit Inkontinenz zu einem erhöhten Wäscheverbrauch kommt. Auch der erkennende Senat hält angesichts dieser Besonderheiten den festgestellten Bedarf an fremder Hilfe für ausreichend, um Schwerpflegebedürftigkeit anzunehmen. Es ist nicht erkennbar, daß die Hilfebedürftigkeit des Klägers das Maß der bei der Gruppe der Querschnittsgelähmten mit Blasen- und Mastdarmlähmung bestehenden üblichen Hilfebedürftigkeit derart unterschreitet, daß bei ihm nicht einmal eine Einstufung in die Pflegestufe IV in Betracht zu ziehen wäre. Daß der Kläger nicht das denkbar schwerste, einem ständig bettlägerigen vergleichbare Maß an Pflegebedürftigkeit erreicht, ist nicht erforderlich und steht der Annahme von Schwerpflegebedürftigkeit nicht entgegen.

Ein Anspruch auf Urlaubspflege nach § 56 SGB V entfällt schließlich auch nicht deshalb, weil zur streitigen Zeit wegen des damals bestehenden Dekubitalgeschwürs ein Anspruch nach § 37 SGB V auf häusliche Krankenpflege bestanden hätte. Der insoweit in § 53 Abs. 2 SGB V vorgesehene Leistungsausschluß beruht darauf, daß die Leistungen nach §§ 53ff. SGB V nach ihrem Zweck dann entbehrlich sind, wenn die umfassendere häusliche Krankenpflege zu gewähren ist, die neben der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung (vgl. zu den Leistungen der Pflegehilfe § 55 Abs. 1 Satz 3 SGB V) auch die Behandlungspflege einschließt (vgl. BT-Drucks a.a.O., S. 183 zu § 52 Abs. 3 des Entwurfs). Das LSG hat einen Leistungsauschluß nach § 53 Abs. 2 SGB V mit der Begründung verneint, daß sämtliche Fallgruppen der häuslichen Krankenpflege in § 37 SGB V eine Behandlungsbedürftigkeit in einem Krankenhaus voraussetzten, die aber beim Kläger nach den getroffenen Feststellungen nicht bestanden habe. Ob nur die häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs. 1 SGB V (häusliche Krankenpflege anstelle von Krankenhausbehandlung) eine Behandlungsbedürftigkeit in einem Krankenhaus voraussetzt oder ob dies auch für die häusliche Krankenpflege nach Abs. 2 Satz 1 dieser Bestimmung gilt, die „zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich sein muß” (so BSGE 63, 140, 141 = SozR 2200 § 185 Nr. 5), kann letztlich offenbleiben. Denn auch wenn die sog. Sicherungspflege nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V eine stationäre Krankenhausbehandlung nicht erfordert, auch nicht in der eingeschränkten Form der „Pflege in einer Klinik”, führt diese Regelung hier nicht zu einem Ausschluß der Urlaubspflege. Denn es ist weder vom LSG festgestellt noch auch nur von der Beklagten dargelegt worden, daß eine spezielle, über die Grundpflege hinausgehende Behandlungspflege zur Sicherung einer ärztlichen Behandlung erforderlich gewesen und entsprechend ärztlich angeordnet worden ist.

Nach allem konnte die Revision der Beklagten keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 261

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