Entscheidungsstichwort (Thema)

Fortsetzung eines rechtshängigen Anfechtungsprozesses durch den Insolvenzverwalter. Insolvenzplan. Zulässigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

Auf der Grundlage des Insolvenzplans darf der Insolvenzverwalter nur einen bei Aufhebung des Verfahrens bereits rechtshängigen Anfechtungsprozess fortsetzen.

 

Normenkette

InsO § 259 Abs. 3

 

Verfahrensgang

OLG München (Urteil vom 17.04.2012; Aktenzeichen 5 U 3216/11)

LG München I (Urteil vom 26.07.2011; Aktenzeichen 6 O 10074/10)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des OLG München vom 17.4.2012 aufgehoben.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des LG München I vom 26.7.2011 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Klage als unzulässig abgewiesen wird.

Der Kläger trägt die Kosten der Rechtsmittelverfahren.

Von Rechts wegen

 

Tatbestand

Rz. 1

Der Kläger ist Verwalter in dem auf den Eigenantrag vom 22.10.2009 über das Vermögen der P. GmbH & Co. KG (nachfolgend: Schuldnerin) am 1.1.2010 eröffneten Insolvenzverfahren.

Rz. 2

Die Schuldnerin belieferte die Beklagte im Rahmen einer ständigen Geschäftsbeziehung mit Ware. Jener standen nach Maßgabe einer Konditionenvereinbarung umsatzabhängige Provisionen gegen die Schuldnerin zu. Gegen Kaufpreisforderungen der Schuldnerin über 125.835,37 EUR rechnete die Beklagte am 3.12.2009 mit Provisionsforderungen in entsprechender Höhe auf.

Rz. 3

Das AG hat das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin nach Rechtskraft der Bestätigung des Insolvenzplans durch Beschluss vom 5.7.2010 mit Wirkung zum 3.7.2010 aufgehoben. Der Insolvenzplan ermächtigt den Insolvenzverwalter, "anhängige Rechtsstreitigkeiten, die eine Insolvenzanfechtung zum Gegenstand haben, auch nach Aufhebung des Verfahrens fortzuführen".

Rz. 4

Mit der am 28.5.2010 eingereichten und am 22.7.2010 zugestellten Klage nimmt der Kläger die Beklagte auf Zahlung von 125.835,37 EUR in Anspruch. Nach Abweisung der Klage durch das LG hat das OLG dem Begehren stattgegeben. Mit der von dem Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

 

Entscheidungsgründe

Rz. 5

Die Revision ist begründet und führt zur Wiederherstellung des Urteils des LG.

I.

Rz. 6

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Kläger mache keinen insolvenzrechtlichen Anfechtungsanspruch, sondern den ursprünglichen Kaufpreis- oder Werklieferungsanspruch der Schuldnerin geltend. Er sei zur Verfolgung des Anspruchs befugt, weil er nach dem Inhalt des Insolvenzplans ermächtigt sei, anhängige Rechtsstreitigkeiten, die eine Insolvenzanfechtung zum Gegenstand haben, fortzuführen. Da die Klageforderung nur dann keinen Bestand habe, wenn die von der Beklagten erklärte Verrechnung wirksam sei, kämen hinsichtlich der Aufrechnung nur anfechtungsrechtliche Gesichtspunkte in Betracht. Der Rechtsstreit habe daher i.S.v. § 259 Abs. 3 InsO eine Insolvenzanfechtung zum Gegenstand. Die Aufrechnung sei hier gem. §§ 96 Abs. 1 Nr. 3, 130 InsO unwirksam.

II.

Rz. 7

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Klage ist bereits unzulässig. Wäre sie als allgemeine Leistungsklage anzusehen, fehlte dem Kläger mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens die aus § 80 Abs. 1 InsO herrührende Klagebefugnis. Ist die Klage als Anfechtungsklage anzusehen, ist der Kläger auch nicht gem. § 259 Abs. 3 Satz 1 InsO prozessführungsbefugt, weil die vorliegende Klage erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens erhoben wurde.

Rz. 8

1. Die zuletzt genannte Vorschrift verleiht dem Insolvenzverwalter nach Bestätigung des Insolvenzplans und Aufhebung des Insolvenzverfahrens die Befugnis, einen anhängigen Anfechtungsrechtsstreit fortzuführen, wenn dies im gestaltenden Teil des Planes vorgesehen ist. Zwar kann die Insolvenzanfechtung als spezifisches Instrument des Insolvenzverfahrens grundsätzlich nur während der Dauer des Verfahrens von dem Insolvenzverwalter kraft seines Amtes ausgeübt werden. In Durchbrechung dieses Grundsatzes wird ausnahmsweise durch § 259 Abs. 3 InsO aufgrund einer Entscheidung der Gläubiger in dem Plan die Prozessführungsbefugnis des Verwalters für schwebende Verfahren über die Dauer des Insolvenzverfahrens hinaus aufrechterhalten. Ist das Insolvenzverfahren aufgehoben worden, schließt das Gesetz eine Prozessführungsbefugnis des Insolvenzverwalters für neue, erst anhängig zu machende Anfechtungsklagen schlechthin aus (BGH, Urt. v. 10.12.2009 - IX ZR 206/08, WM 2010, 136 Rz. 10).

Rz. 9

2. Die am 28.5.2010 eingereichte Klage wurde der Beklagten am 22.7.2010 zugestellt. Da das Insolvenzverfahren durch Beschluss vom 5.7.2010 aufgehoben worden war, konnte durch die spätere Zustellung die gem. § 259 Abs. 3 Satz 1 InsO für den Zeitpunkt der Aufhebung verlangte Rechtshängigkeit nicht begründet werden.

Rz. 10

a) Der Verwalter kann nach dem Wortlaut der Regelung einen "anhängigen Rechtsstreit", der eine Insolvenzanfechtung zum Gegenstand hat, auf der Grundlage des Insolvenzplans auch nach Aufhebung des Verfahrens fortsetzen. Bereits zur Auslegung des § 240 ZPO hat der Senat erkannt, dass durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei eine Unterbrechung nur stattfindet, wenn ein durch Klagezustellung bewirktes rechtshängiges Verfahren vorliegt (BGH, Beschl. v. 11.12.2008 - IX ZB 232/08, WM 2009, 332 Rz. 9). Sowohl im Rahmen des § 240 ZPO als auch den darauf bezogenen konkurs- bzw. insolvenzrechtlichen Vorschriften wird Rechtshängigkeit vorausgesetzt (BGH, a.a.O.).

Rz. 11

b) Auf diesem Verständnis beruht auch die hier maßgebliche Regelung des § 259 Abs. 3 Satz 1 InsO. Ein "anhängiger Rechtsstreit" im Sinne dieser Vorschrift scheidet aus, wenn - wie im Streitfall - zum Zeitpunkt der Verfahrensaufhebung lediglich eine Anfechtungsklage eingereicht, aber noch nicht zugestellt ist. Durch die Verbindung des Tatbestandsmerkmals "anhängig" mit dem Begriff "Rechtsstreit" wird unmissverständlich verdeutlicht, dass eine Fortführung nur für eine im Zeitpunkt der Verfahrensaufhebung bereits zugestellte Anfechtungsklage in Betracht kommt (zutreffend Wollweber/Hennig, ZInsO 2013, 49, 50 ff.). Dieses Verständnis liegt auch den §§ 85, 86 InsO zugrunde, die "anhängig" im Sinne von "rechtshängig" begreifen. In Übereinstimmung hiermit ist auch der Senat davon ausgegangen, dass der Insolvenzverwalter spätestens im Zeitraum zwischen der Abstimmung über den Insolvenzplan und der Verfahrensaufhebung Anfechtungsklage zu erheben hat und nur einen bereits rechtshängigen Anfechtungsrechtsstreit fortsetzen kann (vgl. Urteil vom 10.12.2009, a.a.O.).

Rz. 12

c) Der Beschluss über die Aufhebung des Verfahrens zum 3.7.2010 wurde im Streitfall am 5.7.2010 erlassen und öffentlich bekannt gemacht. Die Aufhebung ist jedenfalls mit der Beschlussfassung am 5.7.2010 wirksam geworden (BGH, Beschl. v. 15.7.2010 - IX ZB 229/07, BGHZ 186, 223 Rz. 5 ff.) und damit vor Klageerhebung.

Rz. 13

Die Aufhebung unterliegt, wenn die Entscheidung von einem Richter getroffen wurde, gem. § 6 Abs. 1 InsO nicht der Beschwerde (MünchKomm/InsO/Huber, 2. Aufl., § 258 Rz. 19; HK-InsO/Flessner, 6. Aufl., § 258 Rz. 9; Uhlenbruck/Lüer, InsO, 13. Aufl., § 258 Rz. 2; HmbKomm-InsO/Thies, 4. Aufl., § 258 Rz. 20). Ergeht die Entscheidung - wie im Streitfall - durch einen Rechtspfleger, ist zwar nach § 11 Abs. 2 Satz 1 RpflG die befristete Erinnerung eröffnet (MünchKomm/InsO/Huber, a.a.O., Rz. 20; Uhlenbruck/Lüer, a.a.O.; HK-InsO/Flessner, a.a.O.; HmbKomm-InsO/Thies, a.a.O.). Gleichwohl ist ebenso wie bei einer Entscheidung durch den Richter auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Aufhebung abzustellen, weil der Erinnerung, wie der Beschwerde gem. § 570 Abs. 1 ZPO, keine aufschiebende Wirkung zukommt (BGH, Urt. v. 13.1.1975 - VII ZR 220/73, NJW 1975, 692; Ganter in MünchKomm/InsO, a.a.O., § 6 Rz. 51; im Ergebnis ebenso MünchKomm/Inso/Huber, a.a.O.). Bei dieser Sachlage ist die Regelung des § 259 Abs. 3 Satz 1 InsO vorliegend nicht einschlägig, weil die Anfechtungsklage der Beklagten erst nach Verfahrensaufhebung zugestellt wurde. § 167 ZPO ist insofern nicht einschlägig.

III.

Rz. 14

Das angefochtene Urteil ist, weil sich die Revision als begründet erweist, gem. § 562 Abs. 1 ZPO aufzuheben. Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, kann der Senat gem. § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden und die Berufung mit der Maßgabe zurückweisen, dass die Klage unzulässig ist.

 

Fundstellen

DB 2013, 1227

DB 2013, 16

EBE/BGH 2013

NJW-RR 2013, 822

EWiR 2013, 557

WM 2013, 938

ZIP 2013, 998

DZWir 2013, 437

JZ 2013, 385

MDR 2013, 1003

NZI 2013, 489

ZInsO 2013, 985

InsbürO 2013, 329

KSI 2013, 185

NJW-Spezial 2013, 373

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