Entscheidungsstichwort (Thema)

Verzögerung des Eröffnungsverfahrens duch Insolvenzgericht. Laufzeit der Abtretungserklärung bei Restschuldbefreiung

 

Leitsatz (amtlich)

Restschuldbefreiung kann unabhängig von der Dauer des Eröffnungsverfahrens regelmäßig erst sechs Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erteilt werden. Zeiten einer vom Insolvenzgericht zu vertretenden Verzögerung des Eröffnungsverfahrens sind auf die Laufzeit der Abtretungserklärung nicht anzurechnen.

 

Normenkette

InsO § 287 Abs. 2, §§ 299, 300 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Oldenburg (Beschluss vom 07.06.2013; Aktenzeichen 17 T 312/13)

AG Oldenburg (Oldenburg) (Entscheidung vom 15.03.2013; Aktenzeichen 8 IN 31/07)

 

Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 17. Zivilkammer des LG Oldenburg vom 7.6.2013 wird auf Kosten des Schuldners zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Rz. 1

Im Januar 2007 beantragte das Finanzamt W. die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Am 26.6.2007 stellte der Schuldner Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Zugleich beantragte er die Stundung der Verfahrenskosten und Restschuldbefreiung. Der Antrag erfolgte vorbehaltlich eines vorangegangenen Schreibens des Schuldners. In diesem hatte er u.a. eingewandt, das Insolvenzgericht sei international unzuständig, weil er seinen Wohnsitz nach Frankreich verlegt habe. Nach Durchführung von Ermittlungen zur internationalen und örtlichen Zuständigkeit verband das Gericht die beiden Verfahren und holte ein Gutachten zum Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners und zu einer die Verfahrenskosten deckenden Masse ein.

Rz. 2

Am 29.1.2010 wies das Gericht den Insolvenzantrag des Finanzamtes mangels einer die Kosten des Verfahrens deckenden Masse ab. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Schuldners blieb ohne Erfolg. Auf seine Rechtsbeschwerde hob der Senat durch Beschluss vom 9.2.2012 (IX ZB 86/10, WM 2012, 519) die Entscheidungen der Vorinstanzen auf. Am 31.7.2012 stundete das Insolvenzgericht dem Schuldner antragsgemäß die Verfahrenskosten. Mit Beschluss vom 2.8.2012 eröffnete es auf den Eigenantrag des Schuldners das Insolvenzverfahren.

Rz. 3

Bereits am 18.4.2012 hatte der Schuldner mit Blick auf die verzögerte Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt, die Erteilung der Restschuldbefreiung spätestens am 31.7.2013 auszusprechen. Diesen Antrag hat das Insolvenzgericht zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des Schuldners ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Schuldner seinen Antrag weiter.

II.

Rz. 4

Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 4, 6 Abs. 1 InsO, § 300 Abs. 3 Satz 2 InsO a.F. analog, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthaft und auch im Übrigen (§ 575 ZPO) zulässig. In der Sache ist sie jedoch unbegründet.

Rz. 5

1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, über die Restschuldbefreiung könne gem. § 300 Abs. 1 InsO erst entschieden werden, wenn die Laufzeit der Abtretungserklärung verstrichen sei. Die Laufzeit betrage gem. § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO sechs Jahre beginnend mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Sie ende nur dann vorzeitig, wenn die Restschuldbefreiung nach Maßgabe der in § 299 InsO benannten Bestimmungen versagt werde. Eine Erteilung der Restschuldbefreiung vor dem Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung komme nur in Betracht, wenn der Schuldner die Insolvenzgläubiger vollständig befriedigt und die Verfahrenskosten ausgeglichen habe. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor. Eine verzögerte Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtfertige keine vorzeitige Restschuldbefreiung. Zudem habe der Schuldner die Verzögerung jedenfalls bis zum 29.1.2010 selbst zu vertreten.

Rz. 6

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand.

Rz. 7

a) Maßgeblich sind, weil das Insolvenzverfahren vor dem 1.7.2014 beantragt worden ist, gem. Art. 103h Satz 1 EGInsO die Vorschriften der Insolvenzordnung in der bis dahin geltenden Fassung. Das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013 (BGBl. I, 2379) findet noch keine Anwendung.

Rz. 8

b) Für das danach anwendbare Recht scheitert der Antrag des Schuldners, ihm zum 31.7.2013 die Restschuldbefreiung auszusprechen, an §§ 300 Abs. 1, 287 Abs. 2 Satz 1 InsO.

Rz. 9

aa) Nach diesen Bestimmungen ist über den Antrag auf Restschuldbefreiung zu entscheiden, wenn die Laufzeit der Abtretungserklärung ohne vorzeitige Beendigung verstrichen ist, mithin grundsätzlich sechs Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dies gilt auch dann, wenn das Insolvenzverfahren noch nicht abschlussreif ist (BGH, Beschl. v. 3.12.2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rz. 14 ff., 28; v. 16.2.2012 - IX ZB 209/11, ZInsO 2012, 597 Rz. 7; v. 11.10.2012 - IX ZB 230/09, WM 2012, 2161 Rz. 8; v. 11.4.2013 - IX ZB 94/12, WM 2013, 1029 Rz. 5; jeweils m.w.N.). Das Insolvenzverfahren ist am 2.8.2012 eröffnet worden. Über den Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung ist deshalb nicht vor dem 2.8.2018 zu entscheiden.

Rz. 10

bb) Das Gesetz sieht in § 299 InsO ein vorzeitiges Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung nur dann vor, wenn es zu einer vorzeitigen Versagung der Restschuldbefreiung nach § 296, § 297 oder § 298 InsO kommt. § 299 InsO ist entsprechend anzuwenden, wenn der Schuldner seinen Restschuldbefreiungsantrag zurücknimmt, der Antrag für erledigt erklärt wird oder das Verfahren durch den Tod des Schuldners sein Ende findet (BGH, Beschl. v. 17.3.2005 - IX ZB 214/04, WM 2005, 1129, 1130 m.w.N.). Keiner dieser Fälle liegt hier vor.

Rz. 11

cc) Der Senat hat eine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung außerdem in entsprechender Anwendung von § 299 gebilligt, wenn keine Gläubiger Forderungen zur Tabelle angemeldet haben oder alle Gläubiger des Schlussverzeichnisses vollständig befriedigt und keine Verfahrenskosten oder sonstige Masseverbindlichkeiten offen sind (BGH, Beschl. v. 17.3.2005, a.a.O., S. 1130 f.; v. 8.11.2007 - IX ZB 115/04, nv Rz. 5; v. 29.1.2009 - IX ZB 290/08, nv Rz. 2; vgl. Ehricke in MünchKomm/InsO, 3. Aufl., § 299 Rz. 13, 17; HK-InsO/Waltenberger, 7. Aufl., § 299 a.F. Rz. 5; Weinland in Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO, 2. Aufl., § 299 Rz. 7 f.). Diese Rechtsprechung hat in § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO in seiner ab dem 1.7.2014 geltenden Fassung Eingang gefunden (vgl. BT-Drucks. 17/11268, 30). Die Voraussetzungen dieser Ausnahme liegen hier ebenfalls nicht vor.

Rz. 12

dd) Eine verzögerte Eröffnung des Insolvenzverfahrens rechtfertigt demgegenüber keine vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist für den Beginn der Abtretungsfrist nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem das Insolvenzverfahren ohne Verzögerung eröffnet worden wäre. Die Voraussetzungen einer entsprechenden Anwendung der Regelung in §§ 287 Abs. 2 Satz 1, 299, 300 Abs. 1 InsO liegen insoweit nicht vor. Eine Analogie ist zulässig und geboten, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht soweit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (vgl. BGH, Beschl. v. 14.6.2007 - V ZB 102/06, WM 2007, 1791 Rz. 11; v. 18.9.2014 - IX ZB 68/13, WM 2014, 2094 Rz. 14; jeweils m.w.N.). Hieran fehlt es.

Rz. 13

(1) Es besteht schon keine planwidrige Regelungslücke. Nach der ursprünglichen Fassung des Gesetzes begann die Laufzeit der Abtretungserklärung mit der Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 287 Abs. 2 Satz 1 InsO a.F.). Durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung vom 26.10.2001 (BGBl. I, 2710) wurde - neben einer Verkürzung der Laufzeit von sieben auf sechs Jahre - der Beginn der Laufzeit der Abtretungserklärung an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geknüpft. Mit der Lösung des Zeitpunkts der Erteilung der Restschuldbefreiung von der Dauer des eröffneten Verfahrens (BGH, Beschl. v. 3.12.2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rz. 16) wollte der Gesetzgeber der Erkenntnis Rechnung tragen, dass es bei der Dauer von Insolvenzverfahren große Unterschiede gab. Er wollte die für den Schuldner unbefriedigende Situation beseitigen, dass sich in Einzelfällen die Restschuldbefreiung durch überlange Insolvenzverfahren unangemessen verzögerte, ohne dass nennenswerte Vermögensmassen feststellbar wären oder der Schuldner für diese Verfahrensverzögerung verantwortlich wäre (BT-Drucks. 14/6468, 18; Gottwald/Ahrens, Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Aufl., § 77 Rz. 42). Der Lauf der Abtretungserklärung sollte unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten mit dem Ereignis der Insolvenzeröffnung beginnen, das leicht feststellbar und von der Dauer des Insolvenzverfahrens unabhängig ist (BT-Drucks., a.a.O.; BGH, Beschl. v. 18.7.2013 - IX ZB 11/13, WM 2013, 1569 Rz. 15). Der Gesetzgeber hat sich mithin im Zuge dieser Gesetzesänderung mit der Frage, zu welchem Zeitpunkt die Restschuldbefreiung erteilt werden kann, befasst und sich für den Zeitpunkt des Ablaufs der Abtretungsfrist sechs Jahre nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entschieden. Es kann deshalb nicht festgestellt werden, dass die gefundene Regelung insoweit planwidrig unvollständig wäre, als sie den Beginn der Abtretungsfrist nicht bereits an den Zeitpunkt knüpft, zu dem das Insolvenzverfahren hätte eröffnet werden können.

Rz. 14

(2) Auch die weiteren Voraussetzungen einer Analogie sind nicht gegeben. Es ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber den Zeitraum einer Verzögerung der Verfahrenseröffnung in die Laufzeit der Abtretungserklärung einbezogen hätte, wenn er eine solche Fallgestaltung bedacht hätte.

Rz. 15

Die Restschuldbefreiung soll dem redlichen Schuldner einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglichen (BGH, Beschl. v. 3.12.2009 - IX ZB 247/08, BGHZ 183, 258 Rz. 21). Sie findet ihre innere Rechtfertigung zum einen darin, dass das pfändbare Vermögen des Schuldners, insb. der pfändbare Teil seines Arbeitseinkommens, über einen angemessenen Zeitraum zugunsten der Insolvenzgläubiger verwertet wird; dies ermöglicht während der Dauer des Insolvenzverfahrens die Vorschrift des § 35 Abs. 1 InsO, die auch Neuerwerb dem Insolvenzbeschlag unterwirft, und während der Wohlverhaltensperiode die Abtretung der pfändbaren Forderungen auf Bezüge nach § 287 Abs. 2 InsO. Zum anderen setzt die Restschuldbefreiung voraus, dass der Schuldner nicht die Obliegenheiten verletzt, die ihm § 290 InsO für die Zeit vor und nach der Verfahrenseröffnung und § 295 InsO für die Wohlverhaltensperiode auferlegen.

Rz. 16

Diese Voraussetzungen gelten allerdings nicht uneingeschränkt. Die Anknüpfung der Abtretungsfrist an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt dazu, dass über den Antrag auf Restschuldbefreiung schon vor der Aufhebung des Insolvenzverfahrens zu entscheiden sein kann, wenn die Frist vor diesem Zeitpunkt abläuft (BGH, Beschl. v. 3.12.2009, a.a.O., Rz. 14). Dann entfällt die Wohlverhaltensperiode, die Abtretung läuft leer und die Obliegenheiten des Schuldners nach § 295 InsO entfallen (BGH, Beschl. v. 3.12.2009, a.a.O., Rz. 19). Die Interessen der Insolvenzgläubiger werden in diesem Fall dadurch gewahrt, dass das bei Verfahrenseröffnung vorhandene und das in den sechs Jahren danach hinzukommende Vermögen des Schuldners verwertet wird und bei einem Verstoß gegen die Obliegenheiten des § 290 InsO die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt werden kann. Während des Eröffnungsverfahrens ist die Situation demgegenüber eine andere. Zwar kann auch die Dauer dieses Verfahrensabschnitts vom Schuldner oft nicht beeinflusst werden. Anders als im eröffneten Verfahren ist aber das Vermögen des Schuldners, insb. sein laufendes Einkommen, nicht zugunsten der Gläubiger beschlagnahmt, und die Versagungsgründe des § 290 InsO knüpfen nur teilweise an ein Fehlverhalten des Schuldners im Eröffnungsverfahren an. Wegen dieser Unterschiede muss eine Abwägung der Interessen der Gläubiger und des Schuldners nicht dazu führen, die Zeit des Eröffnungsverfahrens in gleicher Weise in die Laufzeit der Abtretungserklärung einzubeziehen wie die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Rz. 17

Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber bei der Novellierung des § 287 Abs. 2 InsO erklärtermaßen die Laufzeit der Abtretung mit einem leicht feststellbaren Ereignis beginnen lassen wollte (BT-Drucks. 14/6468, 18). Dieses Ziel würde verfehlt, wenn, wie es die Rechtsbeschwerde befürwortet, in die Abtretungsfrist auch eine vom Gericht zu verantwortende Verzögerung des Eröffnungsverfahrens eingerechnet werden müsste, sei es generell oder wenigstens dann, wenn das Befriedigungsinteresse der Gläubiger zurücktritt, weil der Schuldner über kein pfändbares Einkommen oder Vermögen verfügt.

 

Fundstellen

BB 2015, 769

NWB 2015, 1038

EBE/BGH 2015

NJW-RR 2015, 681

EWiR 2015, 613

StuB 2015, 360

WM 2015, 618

ZIP 2015, 27

DZWir 2015, 422

JZ 2015, 258

MDR 2015, 486

NJ 2015, 6

NZI 2015, 328

NZI 2015, 6

Rpfleger 2015, 491

ZInsO 2015, 691

InsbürO 2015, 240

NJW-Spezial 2015, 245

NWB direkt 2015, 334

ZVI 2015, 185

FMP 2015, 73

VIA 2015, 36

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