Leitsatz (amtlich)
Führt ein Steuerpflichtiger eine Privatreise mit einem geliehenen oder aus Gefälligkeit überlassenen PKW durch, der anläßlich dieser Fahrt durch einen von ihm nicht verschuldeten Unfall beschädigt wird, so sind die Reparaturkosten nicht deshalb als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG anzusehen, weil der Steuerpflichtige zur Beseitigung des Schadens verpflichtet war oder sich verpflichtet fühlte.
Normenkette
EStG § 33
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) führte im Jahre 1969 mit dem geliehenen PKW seines Vaters eine private Reise nach Paris durch. Dort wurde der am Straßenrand geparkte Wagen von einem Tankwagen gerammt und erheblich beschädigt. Ein unter Alkoholeinfluß stehender Hilfsarbeiter hatte den ordnungsmäßig abgestellten und verschlossenen Tankwagen entwendet und gewaltsam in Fahrt gesetzt. Der Kläger hat den ihm entstandenen Schaden selbst tragen müssen. Die gesamten Kosten einschließlich der Aufwendungen für Taxi, für eine zweite notwendig gewordene Parisfahrt, Anwaltskosten usw. betrugen 4 048,91 DM, die der Kläger bei der Veranlagung zur Einkommensteuer 1969 als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG geltend machte. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) verneinte die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen mit der Begründung, daß dem Kläger der Abschluß einer Kaskoversicherung hätte zugemutet werden können.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG bejahte die sittliche Verpflichtung des Klägers, den beschädigten Wagen reparieren zu lassen. Zwar beruhe die Reise und damit letztlich die Ursache des Schadens auf einer freien Willensentschließung des Klägers. Ein derartiges Zurückgreifen innerhalb der Kausalkette sei aber nur zulässig, wenn das eigene Verhalten aus dem üblichen Rahmen falle. Davon könne bei einer Autofahrt nach Paris aber nicht die Rede sein. Auch der Abschluß einer zusätzlichen Kaskoversicherung sei dem Kläger nicht zumutbar gewesen. Dabei sei darauf abzustellen, wie sich die große Mehrzahl der Autofahrer verhalten hätte. Diese hätte von dem Abschluß einer teuren Kaskoversicherung neben der immer teurer werdenden Haftpflichtversicherung abgesehen. Die Außergewöhnlichkeit der Aufwendungen des Klägers als weitere Voraussetzung für die Anwendung des § 33 EStG sei ohne weiteres erkennbar.
Mit der vom FG wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision rügt das FA Verletzung des § 33 EStG. Unter Berücksichtigung der Tatsachen, daß es sich um einen geliehenen PKW und um eine Auslandsfahrt gehandelt habe, sei dem Kläger der Abschluß einer Kaskoversicherung zuzumuten gweesen. Der Kläger habe durch den unterlassenen Versicherungsschutz das Schadensrisiko freiwillig auf sich genommen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
Es kann dahinstehen, ob die Überlassung des PKW auf einer echten Leihe (§ 598 BGB) oder auf einer reinen Gefälligkeit des Vaters gegenüber seinem Sohn beruhte. Auch ist es für die Entscheidung unerheblich, ob der Sohn wegen des von ihm nicht verschuldeten Unfalls aus rechtlichen (§ 599 BGB) oder aus sittlichen oder tatsächlichen Gründen zur Reparatur des beschädigten Wagens verpflichtet war. Ebenso mißt der Senat der Frage nach der Notwendigkeit einer Vollkaskoversicherung keine Bedeutung bei; denn jedenfalls sind die Aufwendungen des Klägers, um deren Berücksichtigung nach § 33 EStG es im vorliegenden Fall geht, entgegen der Ansicht des FG nicht zwangsläufig.
Bei der Entscheidung über die Zwangsläufigkeit und damit über die Außergewöhnlichkeit von Aufwendungen hat der erkennende Senat sowohl bei Bürgschaftsverpflichtungen (Urteil vom 25. Oktober 1963 VI 246/62, StRK, Einkommensteuergesetz, § 4, Rechtsspruch 618), als auch bei der Aufnahme von Schulden überhaupt (Urteil des BFH vom 19. Juli 1957 VI 80/55 U, BFHE 65, 399, BStBl III 1957, 385) auf die Vorgänge zurückgegriffen, die die Verpflichtung ausgelöst haben. Nur dann, wenn die Begründung der Verpflichtung selbst außergewöhnlich i. S. von § 33 EStG war, wurden die damit zusammenhängenden Aufwendungen nach § 33 EStG berücksichtigt. Dabei hat der Senat betont, daß es wesentlich auf die Umstände des Einzelfalles ankomme (Urteil vom 12. Mai 1967 VI R 123/66, BFHE 88, 551, BStBl III 1967, 489).
Unstreitig hat der Kläger mit dem PKW seines Vaters eine Privatreise nach Paris gemacht, wie sie von einer großen Anzahl von Steuerpflichtigen in jedem Jahr durchgeführt wird und der nichts Außergewöhnliches anhaftet. Wie der Senat mit Urteil vom 17. Oktober 1973 VI R 84/70 (BStBl II 1974, 104) entschieden hat, können Aufwendungen im Zusammenhang mit unverschuldeten Autounfällen, die sich auf Privatfahrten ereignet haben, nicht nach § 33 EStG berücksichtigt werden, weil es sich auch heute noch bei einem PKW nicht um ein Wirtschaftsgut des lebensnotwendigen Bedarfs handelt. Es würde zu einer ungleichen Behandlung und damit zu einem nicht vertretbaren Ergebnis führen, wenn man bei einem geliehenen oder aus Gefälligkeit überlassenen PKW einen Unfallschaden steuerlich geltend machen könnte. Wie der Senat bereits wiederholt entschieden hat (Urteil VI R 123/66) soll § 33 EStG ebenso wie § 131 AO, dazu dienen, unbillige Härten abzuwenden, die sich bei einer Besteuerung ergeben könnten. Diese Beurteilung setzt aber eine Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles voraus, wozu hier auch die Feststellung gehört, daß der Wagen für die Durchführung einer durch keine außergewöhnlichen Umstände motivierten Reise entliehen wurde.
Fundstellen
Haufe-Index 70725 |
BStBl II 1974, 105 |
BFHE 1974, 65 |