Leitsatz (amtlich)
1. Für die Frage, ob Kontokorrentschuldverhältnisse der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals eines Unternehmens dienen, sind solche Schuldverhältnisse mit verschiedenen Kreditgebern grundsätzlich für sich zu betrachten.
2. Eine Ausnahme gilt nicht schon dann, wenn ein Steuerpflichtiger bei mehreren Banken Kontokorrentkredite in Anspruch nimmt und die Abwicklung dieser Kredite so steuert, daß mindestens zeitweilig auf jedem dieser Konten ein Guthaben entsteht.
Normenkette
GewStG § 8 Nr. 1, § 12 Abs. 2 Nr. 1
Tatbestand
Bis zu seinem Tode am 23. August 1964 betrieb der Kaufmann H. S. (im folgenden Erblasser) einen Großhandel mit Rundfunk- und Fernsehgeräten, Kühlschränken, Waschmaschinen und sonstigen Elektrogeräten. Das Einzelunternehmen führte die Firmenbezeichnung S.-O. Nach seinem Tode gründeten seine Erben die S.-O. KG (Klägerin) und führten in dieser Rechtsform das bisherige Einzelunternehmen fort. Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit der Gewerbesteuermeßbescheide für die Zeiträume 1959 bis 1963 und vom 24. August bis 31. Dezember 1964. Soweit ursprünglich auch der Zeitraum 1. Januar 1964 bis 24. August 1964 streitig war, über den ein gesonderter Bescheid erging, ist die Hauptsache nach Erlaß eines berichtigenden Gewerbesteuermeßbescheids erledigt. Insoweit ist das Verfahren zur gesonderten Entscheidung über die Kosten abgetrennt.
Der Erblasser bzw. die Klägerin (die Steuerpflichtigen) hatten an allen Bilanzstichtagen hohe Bankverbindlichkeiten (regelmäßig über 3 Mio. DM). Diese beruhten darauf, daß die Steuerpflichtigen Teilzahlungsgeschäfte ihrer Einzelhändler finanzierten, indem sie den Kunden dieser Unternehmer Darlehen gewährten. Zur Finanzierung der Darlehnsgeschäfte nahmen die Steuerpflichtigen Kredite bei zwei Banken in Anspruch. Mit beiden Kreditinstituten bestanden vom Erblasser abgeschlossene Mantelzessionsverträge. Danach hatte der Erblasser zur Absicherung der Kredite den Banken laufend Forderungen, die ihm gegen den Banken genehme Drittschuldner auf Grund der Teilzahlungskaufverträge zustanden, abzutreten. Neben den Forderungen galten alle für sie haftenden Sicherheiten wie Eigentumsvorbehalte und Sicherungseigentum ebenfalls als auf die Banken übertragen. Die abgetretenen Forderungen müßten ständig auf einer Höhe gehalten werden, daß sie die jeweils in Anspruch genommenen Kredite um einen gewissen Vomhundertsatz überstiegen. Der Erblasser verpflichtete sich, die bei ihm eingehenden Teilzahlungsraten auf die abgetretenen Forderungen mindestens wöchentlich einmal an die Bank abzuführen. Dieses Finanzierungsverfahren und die damit zusammenängenden Kreditabkommen mit den beiden Banken bestanden bereits vor dem ersten Streitjahr (1959). In einem Rechtsstreit, der die Gewerbesteuer des Erblassers für das Jahr 1957 betraf, entschied der BFH hierzu mit Urteil vom 7. Dezember 1965 I 131/64 HFR 1966, 174), daß die mit den beiden besonderen Kreditabkommen gewährten langfristigen Mindestkredite Dauerschulden seien, da keine enge wirtschaftliche Verbindung der Kredite mit den eigenen laufenden Warengeschäften bestanden hätte.
Wegen der günstigen Aufwärtsentwicklung des Unternehmens des Erblassers waren die Banken mindestens seit dem Streitjahr 1959 nicht mehr daran interessiert, daß der Erblasser seine Verpflichtungen strikt einhielt. Sie begnügten sich damit, daß der Erblasser in regelmäßigen Abständen die Zu- und Abgänge der abgetretenen Forderungen mitteilte. Den Banken kam es nur noch darauf an, daß der Höhe des Kreditlimits entsprechende Sicherheiten durch Abtretung von Forderungen vorhanden waren. Auf diese Weise hatten es die Steuerpflichtigen erreicht, daß im Laufe eines Kalenderjahres sich zeitweilig ein Guthaben auf dem Kontokorrentkonto entweder der einen oder der anderen Bank befand. In den Jahren 1962 bis 1964 erzielten der Erblasser bzw. die Klägerin durch Steuerung der Bankeinzahlungen sowie der Überweisungen an Lieferanten zeitweilig ein Guthaben auf einem der beiden Kreditkonten. Guthaben bestanden in den einzelnen Jahren bei jeweils jeder Bank für einen Zeitraum von 12 bis 54 Tagen.
Nach einer Betriebsprüfung für die Erhebungszeiträume 1959 bis 1964 vertrat der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) die Ansicht, daß im Hinblick auf die Art der Abwicklung beider Kreditverhältnisse wirtschaftlich ein einheitliches Kreditgeschäft zur Finanzierung der Teilzahlungskredite vorgelegen habe, dessen Aufteilung auf zwei Banken nur formale Bedeutung gehabt haben. Das FA rechnete daher die beiden Bankkonten zusammen. Es erließ am 9. Juni 1967 zusammengefaßte Gewerbesteuermeß- und Gewerbesteuerbescheide für die Erhebungszeiträume 1959 bis 1963 und am selben Tag einen gesonderten Gewerbesteuermeß- und Gewerbesteuerbescheid für die Zeit vom 24. August bis 31. Dezember 1964. Sämtliche Bescheide wurden gegen die Firma S.-O. gerichtet. Für die Zeit vom 24. August bis 31. Dezember 1964 rechnete das FA Dauerschuldzinsen in Höhe von 15 700 DM und Dauerschulden in Höhe von 641 000 DM bei der Ermittlung des Gewerbeertrags bzw. Gewerbekapitals hinzu.
Die gemäß § 45 FGO unmittelbar zum FG erhobene Klage, mit der die Klägerin begehrte, die beiden Kreditgeschäfte bei den Banken getrennt zu behandeln, hatte keinen Erfolg. Das FG, das die Klägerin für die Zeit bis zum Tode des Erblassers als dessen Rechtsnachfolgerin ansah, führte zur Begründung seiner Entscheidung im wesentlichen aus:
Zwar sei nach der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung jedes selbständige Kreditgeschäft grundsätzlich für sich zu betrachten (Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. Januar 1930 VIII G. St. 267/29, OVGE 85, 106; des RFH vom 11. März 1942 VI 20/42, RFHE 51, 255, RStBl 1942, 716 und des BFH vom 31. Juli 1962 I 255/61 U, BFHE 75, 751, BStBl III 1962, 540). Dies setze aber nicht nur verschiedene, voneinander unabhängige Kreditgeber voraus, sondern auch, daß die bei verschiedenen Kreditgebern aufgenommenen Kredite unabhängig und getrennt voneinander abgewickelt würden. Im Streitfall habe es hingegen im Belieben der Steuerpflichtigen gestanden, sich durch ihre Kredittaktik Zins- und andere Konditionsvorteile zu verschaffen. Wirtschaftlich betrachtet habe das Verhalten der Steuerpflichtigen dazu geführt, daß ihnen ein einheitlicher Kredit zur Verfügung gestanden habe. Schon daß die Steuerpflichtigen die Bedingungen in den Mantelzessionsverträgen nicht eingehalten hätten, jeweils oder mindestens wöchentlich die bei ihnen eingehenden Teilzahlungsraten an diese oder jene Bank abzuführen, beweise dies. Sie hätten es in der Hand gehabt, jeweils mit Krediten der einen Bank Kredite der anderen Bank abzudecken und Guthaben bei einer Bank entstehen zu lassen. Durch diesen stillschweigenden Verzicht der Kreditgeber auf die ursprünglich vereinbarten Bedingungen sei die wirtschaftliche Einheit der Kredite für die Steuerpflichtigen rechtlich gesichert gewesen.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzung von § 8 Nr. 1 und § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG. Sie ist der Ansicht, es widerspreche der höchstrichterlichen Rechtsprechung, wenn das FG verlange, daß die bei verschiedenen Kreditgebern aufgenommenen Kredite unabhängig und getrennt voneinander abgewickelt werden müßten.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die festgesetzten einheitlichen Gewerbesteuermeßbeträge entsprechend zu ermäßigen. Ferner beantragt sie, den Wert des Streitgegenstandes auf 139 711 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es tritt der Entscheidung der Vorinstanz bei.
Entscheidungsgründe
I.
Die Revision ist begründet.
1. Bescheide für den Erhebungszeitraum 1. Januar 1959 bis 31. Dezember 1963.
Soweit gegen die Klägerin für die Erhebungszeiträume 1. Januar 1959 bis 31. Dezember 1963 zusammengefaßte Gewerbesteuermeß- und Gewerbesteuerbescheide unter der Bezeichnung "Firma S.-O." ergangen sind, ist die Klägerin zur Erhebung der Anfechtungsklage befugt. Die Klägerin ist gemäß § 40 Abs. 2 FGO in ihren Rechten verletzt. Trotz des fehlenden Zusatzes "KG" im Sammelbescheid mußte die Klägerin diesen als gegen sich selbst gerichtet betrachten.
Die zusammengefaßten Gewerbesteuermeß- und Gewerbesteuerbescheide sind jedoch zu Unrecht an die Klägerin gerichtet worden. Geht ein Gewerbebetrieb im ganzen auf einen anderen Unternehmer über (§ 2 Abs. 5 GewStG), so ist der bisherige Unternehmer bis zum Zeitpunkt des Übergangs, der andere Unternehmer von diesem Zeitpunkt an Steuerschuldner. Das bedeutet für den Streitfall, daß die Klägerin nur insoweit Gewerbesteuer schuldet, als diese auf die Zeit ab 24. August 1964 entfällt. Die Gewerbesteuerschuld, die auf Grund der Tätigkeit des Einzelunternehmens des Erblassers zu zahlen war, ist mit dem Tode des Erblassers gemäß § 8 Abs. 1 StAnpG im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf dessen Erben übergegangen. An diese hätten daher die Gewerbesteuermeß- und Gewerbesteuerbescheide gerichtet werden müssen. Die zu Unrecht an die Klägerin gerichteten (zusammengefaßten) Bescheide sind ersatzlos aufzuheben. Die Frage der Hinzurechnung der Dauerschuldzinsen und Dauerschulden ist daher insoweit gegenstandslos.
2. Erhebungszeitraum 24. August bis 31. Dezember 1964.
Dem Gewinn aus Gewerbebetrieb (§ 7 GewStG) werden Zinsen für Schulden, die der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dienen (sog. Dauerschulden), wieder hinzugerechnet (§ 8 Nr. 1 GewStG). Ebenso werden bei der Ermittlung des Gewerbekapitals dem Einheitswert des Betriebsvermögens Dauerschulden wieder hinzugerechnet, soweit sie bei der Feststellung des Einheitswerts abgezogen worden sind (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG). Dauerschulden in diesem Sinne können auch Kontokorrentschulden (§§ 355 bis 357 HGB) sein, wenn ein während eines längeren Zeitraums bestehender Mindestkredit dem Steuerpflichtigen als langfristiger allgemeiner Geschäftskredit zur Verfügung steht (vgl. BFH-Urteile vom 23. Februar 1967 IV 344/65, BFHE 88, 134, BStBl III 1967, 322; I 131/64). Die hinzuzurechnenden Dauerschuldzinsen (§ 8 Nr. 1 GewStG) sind aus dem Mindestbetrag der Schuld des Wirtschaftsjahres zu errechnen, soweit dieser niedrigste Schuldstand nicht nur während weniger Tage bestanden hat. Die gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 1 GewStG hinzuzurechnenden Dauerschulden bestimmen sich -- gleichbleibende Verhältnisse vorausgesetzt -- nach dem Mindestbetrag der Schuld in der Zeit von etwa einem Jahr vor und einem Jahr nach dem Stichtag (vgl. BFH-Urteil vom 28. Januar 1970 I R 12/68, BFHE 98, 186, BStBl II 1970, 336). Besteht in diesen Zeiträumen nicht nur während weniger Tage ein Guthaben, so kann nicht davon gesprochen werden, daß dem Steuerpflichtigen ein Mindestkredit zur nicht nur vorübergehenden Verstärkung seines Betriebskapitals zur Verfügung gestanden hat.
Im Streitfall liegen keine Dauerschulden vor.
a) Der Senat hat bereits im Urteil vom 12. Juni 1968 I 278/63 (BFHE 93, 154, BStBl II 1968, 715) mit näherer Begründung ausgeführt, daß auch für die Frage, ob eine Schuld der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals dient, grundsätzlich jede einzelne Verbindlichkeit für sich zu betrachten ist. Indes kann der Gesetzeszweck des § 8 Nr. 1 und des § 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG im einzelnen Fall eine abweichende Beurteilung gebieten. Dieser ist darauf gerichtet, die objektive Wirtschaftskraft eines Unternehmens zu erfassen, wie sie durch den erzielten Ertrag und durch die Mittel, die zur Erzielung des Ertrags eingesetzt werden, repräsentiert wird (Beschluß des BVerfG vom 13. Mai 1969 1 BvR 25/65, BVerfGE 26, 1, BStBl II 1969, 424). Stehen mehrere Schuldverhältnisse in einem wirtschaftlichen Zusammenhang, so kann demgegenüber die privatrechtliche Begründung mehrerer Schuldverhältnisse als mehr formaler Gesichtspunkt in den Hintergrund treten (vgl. die Grundsätze im BFH-Urteil vom 6. Juni 1973 I R 257/70, BFHE 109, 465, BStBl II 1973, 670). Eine einheitliche Beurteilung mehrerer privatrechtlicher Schuldverhältnisse muß indes in aller Regel auf Schuldverhältnisse zwischen denselben Vertragsparteien beschränkt bleiben. Es steht dabei der Gedanke im Vordergrund, daß eine am Gesetzeszweck orientierte wirtschaftliche Betrachtungsweise nicht auf Äußerlichkeiten abstellen darf, die -- wie etwa die rein formale Trennung eng zusammengehöriger Schuldverhältnisse -- von den vertragschließenden Parteien beliebig gestaltet werden können. Dieser Grundgedanke ist auf Kreditverhältnisse eines Steuerpflichtigen mit mehreren Kreditgebern in der Regel nicht übertragbar. Eine Ausnahme könnte indes auch hier dann gelten, wenn die Bedingungen, nach denen ein Kredit abzuwickeln ist, durch das Zusammenwirken mehrerer Kreditgeber zustande gekommen sind.
b) Davon ist auch bei der Prüfung der Frage, ob Kontokorrentschulden der nicht nur vorübergehenden Stärkung des Betriebskapitals dienen, auszugehen. Kontokorrentverhältnisse mit verschiedenen Kreditgebern sind -- entsprechend ihrer schon durch die Verschiedenheit von Gläubiger und Schuldner gekennzeichneten Individualisierung -- auch gewerbesteuerrechtlich als selbständige Kreditgeschäfte anzusehen. Der Umstand, daß ein Steuerpflichtiger -- wie im Streitfall die Klägerin -- die Möglichkeit hat, die Abwicklung mehrerer Kreditverhältnisse in der Weise zu steuern, daß zeitweilig Guthaben auf den beiden Kreditkonten entstehen und dazu von dieser Möglichkeit auch Gebrauch macht, rechtfertigt es noch nicht, die beiden Kontokorrentverhältnisse einheitlich zu beurteilen. Die gegenteilige Rechtsauffassung müßte darauf hinauslaufen, sämtliche Kreditverhältnisse eines Steuerpflichtigen, deren Abwicklung der "Steuerung" des Unternehmers unterliegt, zu einer Einheit zusammenzufassen. Hätte der Gesetzgeber dem Gedanken der nicht nur vorübergehenden Verstärkung des Betriebskapitals in dieser Weise Geltung verschaffen wollen, so hätte er nicht an Begriffe wie "Schulden" (§ 8 Nr. 1 GewStG) und "Verbindlichkeiten" (§ 12 Abs. 2 Nr. 1 GewStG) anknüpfen dürfen. Ein Zusammenwirken der beiden Banken bei der Einräumung der Kreditbedingungen hat nach den Feststellungen des FG im Streitjahr nicht vorgelegen.
II.
Der Gewerbesteuermeß- und Gewerbesteuerbescheid für die Zeit vom 24. August bis 31. Dezember 1964 ist danach -- unter Aufhebung der Vorentscheidung -- gemäß § 100 Abs. 2 FGO im Rahmen des Revisionsbegehrens der Klägerin zu ändern und -- wie im Schriftsatz der Klägerin vom 22. September 1970 beantragt -- der einheitliche Gewerbesteuermeßbetrag auf 49 764 DM festzusetzen.
Fundstellen
BStBl II 1974, 388 |
BFHE 1974, 425 |