Leitsatz (redaktionell)
(Senioritätsrang bei Lufthansa nach Wehrdienst) Ein Anspruch eines Co-Piloten auf Aufnahme in bestehende Senioritätslisten unter einer bestimmten Nummer besteht nicht, da er von den Tarifvertragsparteien in zulässiger Weise durch § 5 Abs. 7 Förderungstarifvertrag ausgeschlossen ist. Das gilt auch dann, wenn die Anrechnung von Wehrdienstzeiten nach § 8 SVG geltend gemacht wird.
Normenkette
SVG § 8; TVG § 1
Verfahrensgang
Hessisches LAG (Entscheidung vom 14.12.1983; Aktenzeichen 10 Sa 1517/82) |
ArbG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 29.09.1982; Aktenzeichen 11 Ca 60/82) |
Tatbestand
Der 41-jährige Kläger war vor seinem Eintritt in die Dienste der beklagten Fluggesellschaft zehn Jahre Soldat auf Zeit bei der Bundeswehr. Dort wurde er im Anschluß an eine fliegerische Ausbildung im Auftrage des Bundesverteidigungsministeriums ausschließlich zur Personenbeförderung, z. B. für die Bundesregierung, mit Passagierflugzeugen ziviler Flugzeugmuster, - ab Juli 1970 ausschließlich auf dem Typ Boeing B-707 - eingesetzt.
Seit 1. Januar 1974 ist der Kläger bei der Beklagten als Co-Pilot beschäftigt. Er ist Mitglied der Deutschen Angestellten- Gewerkschaft (DAG), die für das Bordpersonal der Beklagten mehrere Tarifverträge abgeschlossen hat.
Aufgrund seiner Bundeswehrzugehörigkeit rechnete die Beklagte dem Kläger nach § 8 Soldatenversorgungsgesetz (SVG) fünf Jahre und zwölf Tage auf seine persönliche Dienst- und Beschäftigungszeit an, die für verschiedene tarifliche Leistungen maßgebend ist. Danach ermittelte die Beklagte ein sogenanntes "technisches Eintrittsdatum" des Klägers mit dem 19. Dezember 1968 für die Berechnung der Krankenbezüge, Kündigungsfrist, Loss-of-licence-Versicherung, Zusatz-Rentenversicherung sowie Jubiläum und mit dem 1. Januar 1969 für die Berechnung seiner Dienstbezüge. In die bei der Beklagten geführten, jährlich neu aufgestellten Flugzeugführer-Senioritätslisten wurde der Kläger hingegen erst mit dem Eintrittsdatum 1. Januar 1974 aufgenommen. Hiergegen legte der Kläger seit 1975 Jahr für Jahr erfolglos Einspruch ein.
Seit 1975 bewarb sich der Kläger bei allen Kapitäns-Ausschreibungen für die Flugzeugmuster B-737, B-727 und B-707. Diese Bewerbungen lehnte die Beklagte jeweils mit der Begründung ab, senioritätsältere Kollegen müßten den Vorrang erhalten.
Mit der Klage erstrebt der Kläger in den Senioritätslisten der Beklagten einen Senioritätsrang, der dem Eintrittsdatum 19. Dezember 1968 entspricht. Hierzu hat er vorgetragen, seine Bundeswehrzeit sei auch im Rahmen der Senioritäts-Einstufung zu berücksichtigen, da die Seniorität eine besondere Art des Dienstalters sei, das sich aus der Dauer der Betriebszugehörigkeit ergebe. Die Senioritätsfolge bilde die Grundlage für die Beförderung zum Kapitän oder für die Übernahme eines höher bewerteten Flugzeugmusters. Die Verpflichtung der Beklagten zur Anrechnung seiner Bundeswehrzeit folge aus der zwingenden Vorschrift des § 8 SVG, deren Anwendung auch durch tarifliche Vorschriften nicht ausgeschlossen werden könne. Darüber hinaus könne er auch nach dem Gleichbehandlungsgrundsatz die Anrechnung seiner Bundeswehrzeit verlangen, da die Beklagte in mindestens neun Fällen Mitgliedern des Bordpersonals ihre Wehrdienstzeit auf die Seniorität angerechnet habe.
Der Kläger hat demgemäß beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, den Klä-
ger in die Senioritätsliste vom 1. Ju-
li 1981 mit dem Eintrittsdatum 19. De-
zember 1968 unter der Nr. 628 aufzu-
nehmen,
2. festzustellen, daß die Beklagte ver-
pflichtet ist, den Kläger auch in der
Senioritätsliste 1982/83 vom 1. April
1982 mit dem Eintrittsdatum 19. Dezem-
ber 1968 unter der Nr. 624 aufzuneh-
men.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, über die Senioritätslisten könnten nach den Vorschriften des Tarifvertrags über den Förderungsaufstieg für das Bordpersonal der Beklagten vom 10. April 1979 (TV Förderungsaufstieg) nur Arbeitgeber und Personalvertretung in der tariflich vorgeschriebenen Verfahrensform bestimmen. Ansprüche der einzelnen Arbeitnehmer auf eine bestimmte Position in den Senioritätslisten seien durch tarifliche Vorschrift ausdrücklich ausgeschlossen. Darüber hinaus seien eventuelle Ansprüche des Klägers verwirkt. Im übrigen richte sich die Senioritätsfolge nicht nach der bloßen Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten, sondern nach einer bestimmten fliegerischen Tätigkeit in den Diensten der Beklagten.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat der Kläger auch seinen zweiten Klageantrag als Leistungsantrag gestellt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine in der Berufungsinstanz gestellten Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage mit Recht abgewiesen. Der Kläger kann von der Beklagten nicht verlangen, daß sie ihn in die bei ihr geführten Senioritätslisten mit einem bestimmten Eintrittsdatum unter einer bestimmten Nummer aufnimmt. Denn einen solchen Anspruch schließen die vorliegend anzuwendenden tariflichen Vorschriften ausdrücklich aus.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden kraft beiderseitiger Organisationszugehörigkeit die Vorschriften des Tarifvertrags über den Förderungsaufstieg für das Bordpersonal der Beklagten vom 10. April 1979 (TV Förderungsaufstieg), der zwischen der Arbeitsrechtlichen Vereinigung Hamburg und der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft (DAG) abgeschlossen wurde, mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Der Kläger erstrebt mit seiner Klage eine Änderung der Senioritätsliste, deren Aufstellung und Fortschreibung im TV Förderungsaufstieg geregelt ist. In § 5 TV Förderungsaufstieg ist auch bestimmt, auf welche Weise eine von der Beklagten aufgestellte Senioritätsliste geändert werden kann. Danach steht der Mitarbeitervertretung bei der Beklagten ein Einspruchsrecht zu; über den Einspruch hat gegebenenfalls eine Einigungsstelle verbindlich zu entscheiden. In § 5 Abs. 7 TV Förderungsaufstieg heißt es dann abschließend: "Ansprüche aus diesem Tarifvertrag stehen nur der nach den Abs. 1 und 2 zuständigen Mitarbeitervertretung zu". Damit hat der Tarifvertrag Ansprüche der betroffenen Arbeitnehmer auf einen bestimmten Senioritätsrang in bestehenden Senioritätslisten ausdrücklich ausgeschlossen. Ein solcher Ausschluß ist rechtlich unbedenklich zulässig. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, bestimmte Ansprüche für Arbeitnehmer zu normieren. Deshalb steht es ihnen auch frei, zugunsten von Arbeitnehmern Normen zu schaffen, aber individuelle Ansprüche der Arbeitnehmer aus den Normen gleichwohl auszuschließen.
Dementsprechend hat der Senat bereits in seinem Urteil vom 28. März 1973 - 4 AZR 271/72 - (AP Nr. 2 zu § 319 BGB mit zust. Anmerkung von Herschel) zu einem zwischen der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) und der Beklagten abgeschlossenen Senioritätstarifvertrag mit der Vorschrift: "Ansprüche aus diesem Tarifvertrag stehen nur der Betriebsvertretung zu" entschieden, daß danach individuelle Ansprüche der tarifunterworfenen Arbeitnehmer, die unmittelbar den Gegenstand des Tarifvertrags, nämlich die Festsetzung der Seniorität, betreffen, ausgeschlossen sein sollen. Wenn dann die Tarifvertragsparteien des vorliegenden Tarifvertrags in Kenntnis der Senatsrechtsprechung zu einem anderen Senioritätstarifvertrag für das Bordpersonal der Beklagten eine fast wörtlich übereinstimmende Regelung getroffen haben, daß Ansprüche aus dem Tarifvertrag nur der Mitarbeitervertretung zustehen, ist davon auszugehen, daß sie damit individuelle Ansprüche der Arbeitnehmer, die die Festsetzung der Seniorität betreffen, ausschließen wollten. Deshalb ist auch im vorliegenden Fall ein Anspruch des Klägers auf Aufnahme in bestehende Senioritätslisten unter einer bestimmten Nummer von den Tarifvertragsparteien ausgeschlossen worden, so daß die Klage schon aus diesem Grunde unbegründet ist. Dies hat auch das Landesarbeitsgericht im Ergebnis so gesehen.
Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 5 Abs. 7 TV Förderungsaufstieg auch dann nicht unanwendbar oder unwirksam, wenn entgegen der Senatsrechtsprechung (vgl. BAG Urteil vom 28. September 1983 - 4 AZR 130/81 -, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seniorität) Wehrdienstzeiten bei der Festsetzung der Seniorität nach § 8 SVG berücksichtigt werden müßten. § 8 SVG stellt keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, sondern ist eine Ergänzungsnorm, die auf bestimmte andere Rechtsvorschriften mit Anspruchscharakter einwirkt, dann allerdings mit unmittelbarer und zwingender Wirkung (vgl. BAG Urteil vom 28. September 1983 - 4 AZR 130/81 -, AP Nr. 1 zu § 1 TVG Tarifverträge: Seniorität, und BAG Urteil vom 10. September 1980 - 4 AZR 719/78 -, AP Nr. 125 zu § 1 TVG Auslegung). Die Anwendung von § 8 SVG setzt eine Anspruchsnorm voraus, ohne daß § 8 SVG die Schaffung entsprechender Anspruchsnormen vorschreibt. § 8 SVG zwingt weder die Parteien des Arbeitsvertrags noch die Tarifvertragsparteien, irgendwelche Ansprüche von Arbeitnehmern nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit oder der Dauer der Berufszugehörigkeit zu staffeln oder überhaupt an die Dauer der Betriebszugehörigkeit oder die Dauer der Berufszugehörigkeit anzuknüpfen. Sehen Tarifvertragsparteien oder Arbeitsvertragsparteien davon ab, die Betriebszugehörigkeit oder Berufszugehörigkeit zum Kriterium irgendeines Anspruchs von Arbeitnehmern zu machen, geht § 8 SVG insoweit ins Leere. Wenn daher Tarifvertragsparteien bestimmte Ansprüche von Arbeitnehmern, die auf die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit gestützt werden, ausschließen, gilt dies auch in den Fällen, in denen Wehrdienstzeiten nach § 8 SVG auf die Betriebszugehörigkeit anzurechnen sind.
Im übrigen führt der tarifliche Ausschluß individueller Ansprüche der Flugzeugführer auf einen bestimmten Senioritätsrang nicht dazu, daß ein unzutreffend ermittelter Senioritätsrang für die Beklagte rechtlich folgenlos bleiben müßte. Denn § 5 Abs. 7 TV Förderungsaufstieg schließt Ansprüche der tarifunterworfenen Arbeitnehmer gegen die Beklagte, die sich nicht unmittelbar auf einen bestimmten und gegen einen festgesetzten Senioritätsrang richten, nicht aus. Die Beklagte hat vielmehr den Senioritätsrang unter Beachtung der tariflichen und gesetzlichen Vorschriften zu ermitteln. Geschieht dies nicht, könnte der Kläger verlangen, bestimmte Vordienstzeiten zu berücksichtigen und wegen eines unzutreffend festgesetzten Senioritätsrangs Schadenersatzansprüche gegen die Beklagte geltend machen (vgl. BAG Urteil vom 28. März 1973 - 4 AZR 271/72 -, AP Nr. 2 zu § 319 BGB). Solche Ansprüche hat der Kläger im vorliegenden Rechtsstreit in verfahrensrechtlich zulässiger Weise jedoch nicht verfolgt, so daß hierüber nicht zu entscheiden war.
Schließlich können sich auch Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte auf Förderung im Sinne des TV Förderungsaufstieg daraus ergeben, daß die im Einzelfall festgelegten Beförderungsbedingungen, soweit sie der Kläger nicht erfüllt, offenbar unbillig sind (vgl. BAG Urteil vom 28. März 1973 - 4 AZR 271/72 -, AP Nr. 2 zu § 319 BGB). Beförderungsbedingungen aus Ausschreibungen der Beklagten sind aber vorliegend nicht im Streit.
Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Dr. Neumann Dr. Feller Dr. Etzel
Dr. Kiefer Wax
Fundstellen
BlStSozArbR 1985, 325-325 (T) |
AP § 1 TVG, Nr 4 |
AR-Blattei, ES 1800 Nr 20 (LT1) |
AR-Blattei, Wehrdienst Entsch 20 (LT1) |
RiA 1986, 82-83 (LT1) |