Entscheidungsstichwort (Thema)
Wartezeit bei vorzeitiger Invalidisierung
Orientierungssatz
Nach ständiger Rechtsprechung darf eine betriebliche Ruhegeldordnung den Versorgungsfall der Invalidität von der doppelten Voraussetzung abhängig machen, daß nicht nur Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, sondern daß darüber hinaus auch das Arbeitsverhältnis beendet wird oder die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erschöpft sind.
Normenkette
BGB § 242; BetrAVG § 1
Verfahrensgang
LAG Köln (Entscheidung vom 18.04.1985; Aktenzeichen 3 Sa 757/84) |
ArbG Köln (Entscheidung vom 24.05.1984; Aktenzeichen 5 Ca 282/84) |
Tatbestand
Der 1927 geborene, schwerbehinderte Kläger war vom 1. Oktober 1941 bis zum 28. März 1944 und vom 21. Februar 1949 bis zum 31. März 1956 bei der Papierfabrik S AG beschäftigt. Am 1. Juli 1973 trat er erneut in deren Dienste als technischer Leiter. Diese erteilte ihm am 27. März 1973 eine Versorgungszusage. Darin heißt es:
§ 3 - Beginn der Altersversorgung
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Der Anspruch auf Ruhegehalt entsteht mit Beginn
des Monats, für den der Versorgungsberechtigte
keine laufenden Bezüge mehr von der Firma erhält,
a) nach Überschreiten der Altersgrenze von 65
Jahren,
b) nach Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit
im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung.
Darüber, ob ein Fall der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit
im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung
vorliegt, entscheidet im Zweifel das Gutachten
des zuständigen Amtsarztes.
Der Anspruch auf Witwengeld entsteht mit dem Tode
des Versorgungsberechtigten.
...
§ 8 - Fälligkeit der Zahlung
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Die Beträge der Altersversorgung werden monatlich
nachträglich gezahlt. Die Zahlung erfolgt durch
Überweisung; die Kosten der Überweisung trägt die
Firma.
Am 29. Oktober 1981 beantragte der Kläger Berufsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Am 2. November 1981 wurde über das Vermögen der S AG das Konkursverfahren eröffnet. Deren Rechtsnachfolgerin ist die Streithelferin. Am 12. Februar 1982 kündigte der Konkursverwalter das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Zustimmung der Hauptfürsorgestelle zum 30. Juni 1982. Wegen dieser Kündigung erhob der Kläger Kündigungsschutzklage. Am 12. Februar 1983 schlossen der Kläger, der Konkursverwalter und die Rechtsnachfolgerin einen außergerichtlichen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1982 sein Ende gefunden hat. Zugleich verpflichtete sich der Konkursverwalter, eine Abfindung in Höhe von 55.000,-- DM an den Kläger zu zahlen. Davon sollte der Kläger 8.500,-- DM zurückzahlen, wenn er von dem Beklagten oder einer sonstigen Stelle eine Entschädigung wegen seiner Betriebsrentenanwartschaft erhalten sollte. Der Kläger erkannte an, daß er zu keiner Zeit bei der Rechtsnachfolgerin der Papierwarenfabrik S AG in einem Arbeitsverhältnis gestanden hat. Am 13. Januar 1983 bewilligte die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte aufgrund eines am 29. Oktober 1981 eingetretenen Versicherungsfalles Erwerbsunfähigkeitsrente ab 1. November 1981.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, daß ihm der Beklagte als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung die Zahlung einer Betriebsrente schulde. Nach der Versorgungsordnung hänge deren Zahlung allein von dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit ab. Im Zeitpunkt der Konkurseröffnung sei er aber bereits erwerbsunfähig gewesen, wie die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte festgestellt habe.
Der Kläger hat beantragt
festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet
ist, an ihn Ruhegehalt nach Maßgabe des zwischen-
ihm und der Firma S
AG geschlossenen Vertrages vom 27. März 1973
zu zahlen.
Der Beklagte und die Streithelferin haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben die Ansicht vertreten, daß der Kläger bei Eröffnung des Konkursverfahrens noch keinen Anspruch auf Betriebsrente erworben habe, weil ihm noch Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zugestanden hätten. Eine unverfallbare Versorgungsanwartschaft besitze er nicht, weil die Fristen noch nicht zurückgelegt worden seien, von deren Ablauf die Unverfallbarkeit abhänge. Im übrigen sei der Kläger am 29. Oktober 1981 noch nicht erwerbsunfähig gewesen. Die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte habe insoweit keine Feststellungen getroffen. In dem Kündigungsschutzverfahren habe der Kläger auch beständig vorgetragen, daß er jede andere Arbeit verrichten könne. Schließlich stehe dem Betriebsrentenanspruch die Einrede der Arglist entgegen. Der Kläger habe seine Sozialversicherungsrente zum 1. November 1981 erschlichen. Er habe den Konkursverwalter nicht über die Erwerbsunfähigkeit in Kenntnis gesetzt und diesen zur Zahlung einer Abfindung von 55.000,-- DM veranlaßt, obwohl er nicht mehr einsatzfähig gewesen sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten und der Streithelferin hat das Landesarbeitsgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe
Der Kläger kann von dem Beklagten keine Erwerbsunfähigkeitsrente verlangen.
I. Der Beklagte als Träger der gesetzlichen Insolvenzsicherung ist verpflichtet, Versorgungsempfängern, deren Ansprüche aus einer unmittelbaren Versorgungszusage nicht erfüllt werden, weil über das Vermögen des Arbeitgebers das Konkursverfahren eröffnet worden ist, Leistungen in der Höhe zu erbringen, die der Arbeitgeber aufgrund der Versorgungszusage zu erbringen hätte. Der Arbeitgeber des Klägers hat diesem am 27. März 1973 ein Ruhegeld versprochen. Über das Vermögen des Arbeitgebers ist auch am 2. November 1981 das Konkursverfahren eröffnet worden. Aus der Versorgungszusage ergibt sich aber keine Verpflichtung der S AG, bereits ab 29. Oktober 1981 Ruhegeldleistungen an den Kläger zu erbringen.
II. Der Kläger hatte am 2. November 1981 die Versorgungsvoraussetzungen noch nicht erfüllt.
1.a) Nach § 3 der einzelvertraglich dem Kläger erteilten Versorgungszusage entsteht ein Anspruch auf Ruhegeld mit Beginn des Monats, für den der Versorgungsberechtigte keine laufenden Bezüge mehr von der Firma erhält, nach Eintritt der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit im Sinne der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Landesarbeitsgericht hat diese Zusage dahin ausgelegt, daß die Entstehung des Anspruchs auf Erwerbsunfähigkeitsrente von zwei Voraussetzungen abhängt, und zwar einmal von der Beendigung der arbeitsvertraglichen Ansprüche und zum anderen von dem Eintritt der Erwerbsunfähigkeit. Diese Auslegung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
b) Der Senat ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, daß eine betriebliche Ruhegeldordnung den Versorgungsfall der Invalidität von der doppelten Voraussetzung abhängig machen darf, daß nicht nur Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit eingetreten ist, sondern darüber hinaus auch das Arbeitsverhältnis beendet wird oder die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erschöpft sind (BAG Urteil vom 5. Juni 1984 - 3 AZR 376/82 - AP Nr. 3 zu § 1 BetrAVG Invaliditätsrente, zu II der Gründe, mit zust. Anm. von Höfer/Küpper = DB 1984, 2412 = NZA 1985, 60). Der Arbeitgeber will bei einer solchen vertraglichen Regelung im allgemeinen erst dann die Versorgung Berufs- und Erwerbsunfähiger übernehmen, wenn die Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erschöpft sind und das Arbeitsverhältnis in ein Ruhestandsverhältnis umgewandelt worden ist (BAG Urteil vom 15. Oktober 1985 - 3 AZR 93/84 - zu 2 der Gründe; Urteil vom 14. Januar 1986 - 3 AZR 473/84 - zu II der Gründe; beide Urteile zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). In diesem Sinn haben der Kläger und die Papierfabrik S AG auch die Versorgungszusage des Klägers ausgestaltet.
c) Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts weist entgegen der Auffassung der Revision keinen Rechtsfehler auf. Der Inhalt der Versorgungszusage ergibt sich aus einer auch vom Revisionsgericht auszulegenden Urkunde vom 27. März 1973. In § 3 wird die Entstehung des Versorgungsanspruchs bei Erwerbsunfähigkeit von der Erschöpfung der arbeitsvertraglichen Ansprüche und der Erwerbsunfähigkeit abhängig gemacht. Die Vertragsbestimmung ist überdies noch mit "Beginn der Altersversorgung" überschrieben. Die Fälligkeit der Ruhegehaltsansprüche ist gesondert geregelt, so daß eine Auslegung ausscheidet, die in der Erschöpfung der arbeitsvertraglichen Ansprüche eine bloße Fälligkeitsregelung sieht. Die Versorgungszusage verpflichtet den Arbeitgeber des Klägers, erst dann die Versorgung zu übernehmen, wenn arbeitsvertragliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nicht mehr bestehen.
Der Kläger hatte aber bei Eröffnung des Konkursverfahrens noch Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis. Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis bis zum 30. Juni 1982 fortbestanden hat. Es hat weiter festgestellt, daß dem Kläger noch Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis zustanden und diese pauschaliert im Rahmen der Abfindung abgegolten worden sind. Hiergegen sind Verfahrensrügen nicht erhoben (§ 554 Abs. 3 ZP0), so daß der Senat daran gebunden ist.
2. Der Kläger besaß bei Konkurseröffnung keine unverfallbare Versorgungsanwartschaft, aus der zu einem späteren Zeitpunkt ein Ruhegeldanspruch hätte erwachsen können (§ 7 Abs. 2 BetrAVG). Eine Versorgungsanwartschaft wird unverfallbar, wenn das Arbeitsverhältnis des Arbeitnehmers vor Eintritt des Versorgungsfalles endet, sofern in diesem Zeitpunkt der Arbeitnehmer mindestens das 35. Lebensjahr vollendet hat und entweder für ihn die Versorgungszusage mindestens zehn Jahre bestanden hat oder der Beginn der Betriebszugehörigkeit mindestens zwölf Jahre zurückliegt und die Versorgungszusage für ihn mindestens drei Jahre bestanden hat. Das Arbeitsverhältnis und mit ihm die Versorgungszusage haben lediglich neun Jahre bestanden. Für eine Einbeziehung der Vordienstzeit sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich.
3. Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten der Revision zu tragen (§ 97 ZP0). Der Senat ist davon ausgegangen, daß zu den Kosten der Revision auch die der Streithilfe gehören, da deren Kosten notwendig dem Gegner aufzuerlegen sind, wenn er unterliegt. Einer Urteilsergänzung bedarf es daher nicht.
Schaub Dr. Freitag Griebeling
Fieberg Schoden
Fundstellen