Rz. 163

Nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. a FRL kann vorgesehen werden, dass die Spaltung steuerwirksam ist, wenn der hauptsächliche Beweggrund oder einer der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder Steuerumgehung ist. Von einem solchen Beweggrund kann ausgegangen werden, wenn die Spaltung nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen, insbesondere der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften beruht. Eine Spaltung mit dem Ziel der Veräußerung dürfte keine "Umstrukturierung und Rationalisierung" i. S. d. Art. 15 Abs. 1 Buchst. a FRL sein. Der Zweck der Missbrauchsregelung des § 15 Abs. 2 UmwStG stimmt insofern grundsätzlich mit Art. 15 Abs. 1 Buchst. a FRL überein.

 

Rz. 164

Problematisch ist jedoch die typisierende Annahme des Missbrauchs bei einer Veräußerung von mehr als 20 % der Anteile innerhalb von 5 Jahren (Rz. 203ff.). Art. 15 Abs. 1 Buchst. a FRL lässt eine Vermutungsregelung zu; die Formulierung "… kann ausgegangen werden" entspricht der Formulierung in § 15 Abs. 2 S. 4 UmwStG ("Davon ist auszugehen…"). Allerdings sind zwingende typisierende Missbrauchsannahmen europarechtlich nicht zulässig; es muss zumindest eine Möglichkeit der Widerlegung der Vermutung durch den Stpfl. eröffnet werden.[1] Der Ausdruck "Davon ist auszugehen" in § 15 Abs. 2 S. 4 UmwStG ist daher im Wege der europarechtskonformen Interpretation als widerlegbare Vermutung auszulegen. Soweit dieser Ausdruck als unwiderlegbare Vermutung interpretiert wird (Rz. 203), verstößt dies gegen die FRL.

 

Rz. 165

Bedenken bestehen auch gegen die Veräußerungsfrist von 5 Jahren. Da es sich um eine typisierende Definition von Missbrauch handelt, ist zu fragen, ob man typisierend annehmen kann, dass eine Veräußerung innerhalb von 5 Jahren nach der Spaltung die Vermutung rechtfertigt, die Spaltung sei nur oder hauptsächlich zur Ermöglichung dieser Veräußerung durchgeführt worden. Das ist zu verneinen. Ein Zeitraum von 5 Jahren überschreitet jeden Planungshorizont für konkrete Veräußerungsprojekte. Die typisierende Missbrauchsannahme entbehrt damit der tatsächlichen Grundlage. M. E. kann eine typisierende Missbrauchsannahme nur auf einen Zeitraum von einem Jahr, maximal von 2 Jahren gestützt werden. Im Übrigen sind europarechtlich unwiderlegbare Missbrauchsvermutungen unzulässig. Zumindest muss dem Stpfl. die Möglichkeit eröffnet werden, einen Gegenbeweis zu erbringen.

 

Rz. 166

Dagegen ist die Grenze von 20 % der Anteile m. E. sachgerecht.[2] Die Veräußerung von 20 % der Anteile stellt die Veräußerung eines substanziellen Teils einer Beteiligung dar und kann daher als Indiz für eine Missbrauchsabsicht gewertet werden. Allerdings ist europarechtlich auch insoweit eine unwiderlegbare Missbrauchsvermutung unzulässig. Daher muss auch bei der Grenze von 20 % dem Stpfl. die Möglichkeit des Gegenbeweises eröffnet werden.

[1] Grundlegend hierzu EuGH v. 12.9.2006, C-196/04 (Cadbury Schweppes), IStR 2006, 670, ECLI:EU:C:2006:544 konkret zur FRL EuGH v. 8.3.2017, C-14/16 (Euro Park Service), Haufe-Index 10535271, ECLI:EU:C:2017:177; EuGH v. 20.12.2017, C-504/16, C-613/16 (Deister Holding und Juhler Holding), BFH/NV 2018, 319, DStR 2018, 119.
[2] Im ursprünglichen Gesetzesentwurf zum UmwStG 1995 war zunächst eine Grenze von 10 % vorgesehen worden, die aber auf Empfehlung des Finanzausschusses auf 20 % angehoben wurde, BT-Drs. 12/7945, 15, 61.

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