Entscheidungsstichwort (Thema)
Abgabenordnung: Schätzungsgrundlagen bei Einkünften aus gewerblicher Eigenprostitution
Leitsatz (amtlich)
1. Einkünfte aus sog. Eigenprostitution unterliegen der Gewerbesteuerpflicht.
2. Bei der Schätzung von Besteuerungsgrundlagen der gewerblichen Einkünfte aus Eigenprostitution kommt es maßgeblich auf die Arbeitszeiten der Prostituierten, die mögliche Anzahl der Kunden pro Arbeitstag und die Preise der jeweiligen Leistungen an. Im Rahmen der Schätzung können auch allg. Kenntnisse eines sog. Milieu-Beamten herangezogen werden.
Normenkette
AO §§ 162, 160, 158; FGO § 96 Abs. 1 S. 1; GewStG § 2 Abs. 1; EStG § 15 Abs. 2
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Höhe der im Wege der Schätzung ermittelten Einkünfte aus gewerblicher Tätigkeit.
Die Klägerin war in den Streitjahren 2008, 2009 sowie bis zum Oktober 2010 als Prostituierte im A in Hamburg tätig. In 2010 wurde unter anderem gegen die Klägerin ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, in dem sie beschuldigt wurde, mindestens seit 2008 fortlaufend einen gewerbs- und bandenmäßigen Betrug begangen zu haben, indem sie fortgesetzt eine große Anzahl von Opfern im A durch Betrugstaten (mit EC-/Kreditkarten) schädigte. Im Zuge dieser Ermittlungen wurde am 07.10.2010 u. a. die Wohnung und das der Klägerin auf Grund der Ermittlungen zugeordnete Zimmer Nummer XX im A durchsucht. Ausweislich der bei der Durchsuchung gemachten Lichtbilder war das Zimmer XX zum Teil mit persönlichen Gegenständen wie Kleidung, Perücken und Kosmetik ausgestattet. In dem Raum wurde zudem eine Quittung über 450 € für sexuelle Dienstleistungen gegenüber einem Freier sichergestellt. In der ebenfalls durchsuchten Wohnung der Klägerin in der Y-Straße in B wurden zwei Tüten mit insgesamt 20 Quittungsblöcken und weiteren Einzelquittungen sichergestellt, die vergleichbare Angaben enthielten. Ferner wurden bei der Durchsuchung weiterer Zimmer im A Notizzettel sichergestellt, auf denen die folgenden Preise festgehalten waren:
"30-50 |
Eintritt/Start |
+ zusätzlich / again |
|
50 € |
Blasen/Blow |
100 € |
Tittenfick / Sexgames |
150 € |
GX / Fuck Pussy |
200 € |
45 Min |
250 € |
1 Stunde / 1 hour |
300 € |
P ANAL |
500 € |
Alles" |
Ein weiterer Notizzettel enthielt die Angaben:
"50 € |
START |
100 € |
Blow |
150 € |
Sexgames |
200 € |
Fuck |
250 € |
45 Min |
300 € |
1 Hour |
350 € |
P ANAL |
500 € |
ALL SEX" |
Nach dem Ermittlungsbericht des Landeskriminalamtes (LKA) vom 15.11.2010 werden die Quittungen im Zusammenhang mit den Betrugstaten ausgestellt. Die Betrugstaten würden von Prostituierten im A in der folgenden Weise begangen: Die Freier würden auf dem Gang des A "angekobert". Das bedeute, dass die Frau den Freier anspreche und mit einem niedrigen Betrag, meist 30 € oder 50 € auf das Zimmer locke. Auf dem Zimmer werde dem Freier mitgeteilt, dass es für diesen Betrag keine sexuellen Leistungen gebe. Die Frau fordere nun nach und zwar einen Betrag, der das mitgeführte Bargeld übersteige. Sie schlage dann vor, dass der Restbetrag mittels einer EC- oder Kreditkarte beglichen werden könne. Die Frau lasse sich von den Freiern die EC- oder Kreditkarte aushändigen sowie die PIN-Nummer geben. Sie selbst oder eine Hilfsperson suche dann einen Geldautomaten auf und hebe einen höheren, als den vereinbarten Betrag ab. Zuvor würden Quittungen ausgestellt, die den vereinbarten Betrag bezeichneten und in der Regel von den Freiern unterschrieben würden. Diese Quittungen dienten dazu, dem Handeln den Anschein der Rechtmäßigkeit gegenüber den Freiern zu geben und um einen Beleg für die Berechtigung des einbehaltenen Betrags vorlegen zu können. Die Quittungen selbst würden häufig nach Abholung des Geldbetrages durch Anpassung an den tatsächlich abgehobenen Betrag gefälscht. Die Klägerin wurde durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom ... 2012 (...) wegen in dieser Weise ausgeführter Betrugstaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.
Das Finanzamt für Prüfungsdienste und Strafsachen wertete die vom LKA sichergestellten Quittungen aus, in dem zunächst Quittungen entsprechend dem Auffindeort der Klägerin zugeordnet wurden. Es wurde dann aus den vorgefundenen Quittungen die durchschnittliche Tageseinnahme ermittelt und unter Zugrundelegung von 230 Arbeitstagen pro Jahr auf die jeweilige Jahreseinnahme hochrechnet. Als Betriebsausgaben wurden 20 % der Bruttoeinnahmen berücksichtigt. Aufgrund dieser Ermittlungen schätzte der Beklagte mit Bescheid vom 27.04.2011 über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen die Einkünfte der Klägerin aus Gewerbebetrieb für 2008 auf 137.907 € und für 2009 auf 261.131 €. Den Gewerbesteuermessbetrag setzte er für 2008 auf 3.969 € fest und für 2009 auf 8.281 € sowie die Umsatzsteuer für 2008 auf 27.525,49 € und für 2009 auf 52.116,43 €. Des Weiteren setze der Beklagte mit Bescheiden vom 07.09.2011 den Gewerbesteuermessbetrag 201...