Entscheidungsstichwort (Thema)

Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit

 

Leitsatz (NV)

1. Ein Verfahrensfehler ergibt sich nicht daraus, daß über ein Ablehnungsgesuch nicht umgehend nach dessen Anbringung entschieden worden ist.

2. Ein Befangenheitsantrag kann nicht erfolgreich darauf gestützt werden, daß ein Richter eine dem Beteiligten nachteilige Rechtsauffassung vertritt.

3. Hinweise auf den voraussichtlichen Ausgang des Prozesses sind nicht geeignet, objektiv Mißtrauen in die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen.

 

Normenkette

FGO § 51 Abs. 1; ZPO § 42 Abs. 2

 

Tatbestand

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) begehrt in dem dem Ablehnungsverfahren zugrunde liegenden Rechtsstreit, Unterhaltsleistungen an Angehörige in der Türkei gemäß § 33a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu berücksichtigen. Im Laufe des Verfahrens - nach Anberaumung des Termins zur mündlichen Verhandlung - hat er seine Ehefrau als Zeugin dafür benannt, daß Geldbeträge an einen Verwandten zur Verteilung an die unterstützten Personen übersandt und übergeben worden seien. Daraufhin hat sich Richter am Finanzgericht (FG) . . . als Berichterstatter mit Schreiben vom 10. März 1987 wie folgt an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers gewandt:

,,Es wird Ihnen anheim gestellt, die Ehefrau des Klägers in der mündlichen Verhandlung als Zeugin zur Verfügung zu stellen. Es wird aber vorsorglich darauf hingewiesen, daß auf ihre Vernehmung verzichtet wird, weil die Klage aus anderen Gründen keinen Erfolg haben kann.

Nach Auffassung des Gerichts bestehen nämlich Zweifel, ob für die angegebenen Unterhaltsempfänger ausreichende Bedürftigkeitsbescheinigungen vorgelegt worden sind. Abgesehen davon, daß die amtlichen Siegel unleserlich sind, ist festgestellt worden, daß sie nach Aktenlage teilweise falsche und sich teilweise widersprechende Angaben bestätigen."

Nach zwei Aktenvermerken hat der Berichterstatter am 13. März 1987 gegenüber dem Büro des Prozeßbevollmächtigten des Klägers klargestellt, daß auf die Vernehmung der Ehefrau des Klägers nur möglicherweise verzichtet werden solle. In einem weiteren Telefongespräch hat der Berichterstatter die Angelegenheit an demselben Tage mit dem Prozeßbevollmächtigten . . . persönlich besprochen, dabei das Versehen in dem Schreiben vom 10. März 1987 klargestellt und die Bedenken hinsichtlich der ,,Bedürftigkeitsbescheinigungen" konkretisiert.

In der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 17. März 1987 hat der Prozeßbevollmächtigte des Klägers den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Berichterstatter habe im Schreiben vom 10. März 1987 zu erkennen gegeben, daß seine Ansicht bereits vor der mündlichen Verhandlung unumstößlich festgestanden habe und er Argumenten und ggf. Richtigstellungen einschließlich Beweisantritten kein Gehör mehr schenken wolle. Zudem ziehe der Berichterstatter einen unleserlichen Stempel auf eingereichten amtlichen Bestätigungen als Beweisindiz hinzu, obgleich das FG im Schreiben vom 10. März 1987 selbst einen unleserlichen Stempel verwendet habe. Der Kläger müsse befürchten, daß mit zweierlei Maß gemessen werde. Zwar habe der Berichterstatter telefonisch die schriftliche Äußerung abgemildert, gleichzeitig aber völlig überraschend bislang zwischen den Parteien umstrittige Punkte - Bedürftigkeit der Eltern - in Abrede gestellt. Dem Kläger sei dadurch fast jede Möglichkeit genommen, auf die neuen, vom Beklagten bislang nicht vorgetragenen Punkte zu reagieren.

Die ursprünglich ebenfalls gegen die übrigen Berufsrichter des FG gestellten Ablehnungsanträge sind vom Kläger zwischenzeitlich zurückgenommen worden. Der Berichterstatter hat sich zum Ablehnungsantrag am 18. März 1987 dienstlich geäußert und sich als nicht befangen erklärt. Das FG lehnte das Ablehnungsgesuch ab.

Mit der Beschwerde gegen diesen Beschluß, der das FG nicht abgeholfen hat, macht der Kläger sinngemäß geltend, es sei bereits fraglich, ob die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch noch nach fast eineinhalb Jahren habe gefällt werden können. Aller Wahrscheinlichkeit nach habe sich zu diesem Zeitpunkt keiner der entscheidenden Richter mehr an den die Ablehnung begründenden Vorfall erinnern können. Im übrigen hätten die objektiven Sachverhaltsumstände für ihn - den Kläger - nur den Schluß zugelassen, daß er kein faires Verfahren bei dem wegen Befangenheit abzulehnenden Richter finden werde.

 

Entscheidungsgründe

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Nach § 51 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 42 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) findet eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nur statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. z. B. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555) kommt es für die Entscheidung über ein Ablehnungsgesuch darauf an, ob ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Gründe für ein solches Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Entscheidung wirklich von Voreingenommenheit beeinflußt ausfiele (vgl. BFH-Beschluß vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12 mit weiteren Nachweisen). Ausschlaggebend ist vielmehr, ob der Beteiligte, der das Ablehnungsgesuch angebracht hat, von seinem Standpunkt aus bei Anlegung des angeführten objektiven Maßstabes Anlaß hat, Voreingenommenheit zu befürchten (vgl. BFH in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555; BFH-Beschluß vom 25. November 1986 V B 75/86, BFH/NV 1988, 572).

2. Der Auffassung des Klägers, die angefochtene Entscheidung sei schon deshalb rechtswidrig, weil sie erst nach fast eineinhalb Jahren nach Anbringung des Ablehnungsgesuches getroffen worden sei und sich die Richter deshalb im wesentlichen nicht mehr an den Vorgang hätten erinnern können, vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen. Wird - wie im Streitfall - über ein Ablehnungsgesuch nicht umgehend nach dessen Anbringung entschieden, ergibt sich daraus nicht ohne weiteres und stets ein Verfahrensfehler. Im Streitfall steht der Annahme eines Verfahrensfehlers entgegen, daß sich wegen der zeitnahen dienstlichen Äußerung des abgelehnten Berichterstatters und des feststehenden Sachverhalts eine Entscheidung des Gerichts über das Ablehnungsgesuch nicht erschwerte.

3. Das Schreiben des Berichterstatters vom 10. März 1987 war nach Form und Inhalt bei objektiver Beurteilung nicht geeignet, beim Kläger Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Berichterstatters zu begründen.

Soweit der Berichterstatter dem Kläger zunächst anheimgestellt hat, die Ehefrau in der mündlichen Verhandlung als Zeugin zur Verfügung zu stellen, entsprach dies dem Antrag des Klägers. Soweit der Berichterstatter zugleich vorsorglich darauf hingewiesen hat, daß auf die Vernehmung der Zeugin verzichtet werde, weil die Klage aus anderen Gründen keinen Erfolg haben könne, läßt sich dem Schreiben bei objektiver Beurteilung nicht entnehmen, daß die Ansicht des Berichterstatters bereits unumstößlich festgestanden habe und er Argumenten bzw. Beweisantritten kein Gehör mehr habe schenken wollen. Nach der Rechtsprechung des BFH sind Rechtsbelehrungen, Hinweise und Fragen an einen Beteiligten nicht zu beanstanden, wenn sie sich im Rahmen der richterlichen Aufklärungspflicht halten (vgl. Beschluß vom 5. März 1971 VI B 64/70, BFHE 102, 10, BStBl II 1971, 527). Hinweise eines Richters auf seine - vorläufige - Meinung über den voraussichtlichen Ausgang des Prozesses liegen im allgemeinen im wohlverstandenen Interesse der Beteiligten. Diesen wird auf diese Weise häufig erst ermöglicht, den Sinn bestimmter gerichtlicher Auflagen richtig zu erfassen (vgl. BFH-Beschluß in BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555 mit weiteren Rechtsprechungshinweisen). Im Streitfall gab der vorsorgliche Hinweis des Berichterstatters, daß es auf die Zeugenvernehmung nicht ankomme, dem Kläger die Möglichkeit, die Zweifel des Gerichts an dem Beweiswert der Bedürftigkeitsbescheinigungen rechtzeitig zu erkennen und sich auf diese für ihn neue Situation einzustellen.

An dieser Beurteilung ändert nichts, daß durch den Hinweis auf Zweifel hinsichtlich des Beweiswerts der vorgelegten Bedürftigkeitsbescheinigung auch eine dem Kläger gegenüber nachteilige Rechtsansicht des Berichterstatters zum Ausdruck kam. Denn ein Befangenheitsantrag kann grundsätzlich nicht allein darauf gestützt werden, daß ein Richter eine dem Beteiligten nachteilige Rechtsauffassung vertritt (vgl. BFH-Beschluß vom 14. Juni 1985 V B 81/84, BFH/NV 1986, 162, 163 mit weiteren Nachweisen).

Besorgnis der Befangenheit läßt sich auch nicht auf den Umstand stützen, daß der Berichterstatter den Beweiswert der Bedürftigkeitsurkunden wegen unleserlicher Stempel bezweifelt hat. Auch insoweit diente das Schreiben des Berichterstatters nur der Erfüllung des gesetzlichen Gebots, den Sachverhalt aufzuklären. Soweit aber der Richter sich im Rahmen der ihm zugewiesenen Aufgaben hält - wozu auch Hinweise über den voraussichtlichen Ausgang des Prozesses gehören -, kann dieses Verhalten objektiv Mißtrauen in seine Unparteilichkeit nicht rechtfertigen.

Es kommt hinzu, daß der Berichterstatter in zwei Telefongesprächen am 13. März 1987 u. a. ausdrücklich klargestellt hat, daß auf die Vernehmung der Ehefrau als Zeugin nur möglicherweise verzichtet werde.

 

Fundstellen

Haufe-Index 424314

BFH/NV 1989, 591

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