Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung von Umsätzen; Beendigung einer Organschaft bei Insolvenz der Organgesellschaft
Leitsatz (NV)
1. Kommt das FG bei der Schätzung von Umsätzen zu einem unzutreffenden Ergebnis, liegt darin kein zur Revisionszulassung führender Verfahrensmangel.
2. Eine fehlerhafte Schätzung kann aber die Zulassung der Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern. Dies setzt voraus, dass die Schätzung des FG willkürlich oder greifbar gesetzwidrig ist.
3. Eine umsatzsteuerrechtliche Organschaft bleibt regelmäßig bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Organgesellschaft erhalten.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 2-3; UStG § 2 Abs. 2 Nr. 2; InsO § 21 Abs. 2
Verfahrensgang
Niedersächsisches FG (Urteil vom 02.12.2004; Aktenzeichen 16 K 257/03) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine GmbH & Co. KG. Sie wurde zum 1. Januar 1999 gegründet. Komplementärin war die X-Beteiligungsgesellschaft. Kommanditisten waren die Eheleute A und B, die zugleich gesetzliche Vertreter der Komplementärin waren.
Die Kommanditistin A erbrachte ihre Kommanditeinlage durch Einbringung aller aktiven und passiven Vermögensgegenstände ihres bisherigen steuerrechtlichen Besitzunternehmens W-GmbH. Dazu gehörte auch das in ihrem Alleineigentum stehende bebaute und an die W-GmbH vermietete Grundstück, auf dem diese bisher ihre Tätigkeit ausgeübt hatte. An der W-GmbH waren A zu 60 %, B zu 33,33 % und eine Erbengemeinschaft nach der verstorbenen Frau W zu 6,67 % beteiligt. Die Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin führten gleichzeitig die Geschäfte der W-GmbH. Die Klägerin überließ der W-GmbH das Grundstück zur Nutzung.
Am 5. März 1999 ordnete das zuständige Amtsgericht (AG) über das Vermögen der W-GmbH die vorläufige Insolvenzverwaltung an. Es bestellte einen vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Insolvenzordnung (InsO) an, "dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind".
Am 30. April 1999 ordnete das AG das Insolvenzverfahren über das Vermögen der W-GmbH an.
In ihrer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1999 (Streitjahr) erklärte die Klägerin --ohne Berücksichtigung von Umsätzen der W-GmbH-- Umsätze in Höhe von 0 DM und Vorsteuerbeträge aus ihrer Gründung in Höhe von 2 438,56 DM. Die W-GmbH hatte für Januar 1999 Umsätze in Höhe von 1 120 797 DM und für Februar 1999 in Höhe von 812 594 DM --sowie jeweils Vorsteuerbeträge-- erklärt.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) stimmte der Umsatzsteuererklärung der Klägerin nicht zu. Das FA ging davon aus, dass die Klägerin Organträgerin der W-GmbH sei und rechnete ihr deshalb die von der W-GmbH für Januar und Februar 1999 erklärten Umsätze sowie geschätzte Umsätze der W-GmbH für März und April von jeweils 850 000 DM zu.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage der Klägerin (nur) teilweise statt. Es legte im Einzelnen dar, die Klägerin sei seit dem 1. Januar 1999 Organträgerin der W-GmbH gewesen. Entgegen der Auffassung der Klägerin habe diese Organschaft über den Zeitpunkt der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters am 5. März 1999 hinaus fortbestanden.
Soweit die W-GmbH für das Jahr 1999 keine Umsätze erklärt habe, seien diese zu schätzen. Abweichend vom FA gehe das FG in Wahrnehmung der eigenen Schätzungsbefugnis davon aus, dass mit dem Beschluss über die Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens und die zunehmende Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Insolvenz die Auftragslage und damit die Umsatztätigkeit spürbar geringer gewesen sei. Dies ergebe sich auch anhand des Umsatzrückgangs von Januar (1 120 797 DM) auf Februar (812 594 DM) von ca. 72 %. Mangels anderer Anhaltspunkte gehe das FG von monatlichen weiteren Umsatzrückgängen von jeweils 70 % der Umsätze der Vormonate aus. Daraus ergäben sich geschätzte Umsätze für März in Höhe von 568 860 DM (70 % von 812 594 DM) und für April in Höhe von 398 171 DM (70 % von 568 816 DM), gerundet in Höhe von insgesamt 967 000 DM.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Sie beantragt, die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) wegen eines Verfahrensmangels, gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
1. Nach § 115 Abs. 2 FGO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). In der Beschwerdeschrift müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Nr. 3 FGO).
2. Die Revision kann nicht gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO zugelassen werden.
Die Klägerin sieht einen Verfahrensmangel darin, dass das FG im Rahmen der Schätzung zur Höhe der Umsatzsteuer für die Monate März und April 1999 von Annahmen ausgegangen sei, die der ständigen Rechtsprechung zur Schätzung widersprächen. Insbesondere habe das FG nicht begründet, warum mehr für diese Annahmen spräche, als für die Überlegungen, die jedenfalls nahe gelegen hätten und von ihr ausgeführt worden seien.
Sollte das FG zu einem unzutreffenden Schätzungsergebnis gekommen sein, läge darin kein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. Dezember 2001 V B 148/01, BFH/NV 2002, 682; vom 25. Februar 2002 V B 107/00, BFH/NV 2002, 931; vom 18. März 2003 I B 98/02, BFH/NV 2003, 1191).
3. Die Revision kann auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen werden.
a) Die gerügte Divergenz zum BFH-Urteil vom 1. April 2002 V R 24/03 (BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905) liegt nicht vor. Nach diesem Urteil bleibt eine Organschaft regelmäßig bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhalten, wenn der Organträger Geschäftsführer einer von der Insolvenz bedrohten Organgesellschaft ist und dieser nach Beantragung des Insolvenzverfahrens kein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird. Dies gilt auch dann, wenn --wie im Streitfall-- das Insolvenzgericht gemäß § 21 Abs. 2 2. Alternative InsO anordnet, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind.
Im Streitfall fehlt es an der Herausarbeitung eines bestimmten abstrakten und entscheidungserheblichen Rechtssatzes aus der angegriffenen FG-Entscheidung, der von einem Rechtssatz aus dem BFH-Urteil in BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905 abweicht, wie dies zur Darlegung einer Divergenz erforderlich ist (vgl. dazu BFH-Beschluss vom 14. Oktober 2003 X B 26/03, BFH/NV 2004, 82).
b) Zwar kann eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch dann erforderlich sein, wenn dem FG ein Rechtsanwendungsfehler von einigem Gewicht im Sinne einer willkürlichen oder greifbar gesetzwidrigen Entscheidung unterlaufen ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 28. Juli 2003 V B 72/02, BFH/NV 2003, 1597; vom 8. Januar 2004 V B 37-39, 57/03, BFH/NV 2004, 829; vom 5. Juli 2005 VI B 150/04, BFH/NV 2005, 2025).
Dies kann auch bei einer Entscheidung eines FG zur Rechtmäßigkeit einer Schätzung der Fall sein (vgl. BFH-Beschluss vom 13. Oktober 2003 IV B 85/02, BFHE 203, 404, BStBl II 2004, 25). Die dafür erforderlichen Voraussetzungen sind im Streitfall aber nicht gegeben. Die Schätzung des FG liegt nicht weit außerhalb der Wahrscheinlichkeit. Der Schätzungsrahmen ist nicht offensichtlich verlassen worden. Dass die Klägerin ihre eigenen Überlegungen für wahrscheinlicher hält, genügt insoweit nicht.
4. Schließlich scheidet eine Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO aus.
a) Zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung ist es erforderlich, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formuliert und auf deren Klärungsbedürftigkeit und Klärbarkeit im angestrebten Revisionsverfahren sowie auf deren über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung eingeht. Ferner sind zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtsfrage Angaben dazu notwendig, inwiefern die richtige Antwort auf die im angestrebten Revisionsverfahren zu klärende Rechtsfrage zweifelhaft ist, in welchem Umfang und aus welchen Gründen sie umstritten ist und welche unterschiedlichen Auffassungen zu dieser Frage in der Rechtsprechung oder im Schrifttum vertreten werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 14. März 2002 V B 119/01, BFH/NV 2002, 1038; vom 18. Dezember 2002 VII B 110/02, BFH/NV 2003, 659; vom 7. April 2005 V B 39/04, BFH/NV 2005, 1585).
b) Die Klägerin meint, es bleibe auch nach dem BFH-Urteil in BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905 fraglich, "welche Wirkung die Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens in dem Fall hat, dass die finanzielle Eingliederung allein auf einer sogenannten mittelbaren Beteiligung der Personengesellschaft an der Kapitalgesellschaft beruht".
Das BFH-Urteil in BFHE 204, 520, BStBl II 2004, 905 betrifft die Frage, welche Auswirkungen die Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens auf die organisatorische Eingliederung einer GmbH in das Unternehmen des Organträgers hat. Ausführungen dazu, dass diese Wirkungen von der jeweils gegebenen finanziellen Eingliederung abhängen, enthält das Urteil nicht. Dass hierzu unterschiedliche Auffassungen in Rechtsprechung oder Literatur vertreten würden, hat die Klägerin nicht dargelegt.
Fundstellen
Haufe-Index 1514435 |
BFH/NV 2006, 1366 |