Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine rückwirkende Korrektur von bestandskräftigen Umsatzsteuerbescheiden wegen der Umsatzsteuerfreiheit von Geldspielautomatenumsätzen

 

Leitsatz (redaktionell)

1) Die nicht ordnungsgemäße nationalgesetzliche Umsetzung des Art. 13 Teil B Buchst. f der 6. EG-RL (nach Ergehen des EuGH, Urt. v. 17.2.2005 - Rs. C-453/02, Rs. 462/02 - Linneweber und Akriditis, UR 2005, 194 = BFH/NV Beilage 2005, 94) führt nicht zur Nichtigkeit, sondern allenfalls zur (Gemeinschafts)-Rechtswidrigkeit der Umsatzsteuerfestsetzungen.

2) Bestandskräftige Umsatzsteuerbescheide bleiben nicht wegen einer Frist-Anlaufshemmung aufgrund des Effektivitätsgebots aus Art. 10 EG anfechtbar.

3) Eine Aufhebung eines rechtswidrigen, belastenden, bestandskräftigen Verwaltungsakts kommt nach der Rechtsprechung des EuGH nur dann in Betracht, wenn es hierfür eine nationale Regelung gibt. Die §§ 172 ff. AO ermöglichen das jedoch nicht.

4) Das Ergebnis des EuGH-Verfahren Emmot (Slg. 1991, I-4269 = UR 1993, 315) ist auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen sich die Behörde unter Verstoß gegen Treu und Glauben auf die Nichteinhaltung einer Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelfrist berufen hat.

5) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 AO oder im Billigkeitswege kommt nicht in Betracht, da ein Stpfl. nicht durch höhere Gewalt an der Einlegung eines Rechtsbehelfs gehindert war, sondern durch Unkenntnis der zutreffenden Rechtslage.

6) Es besteht kein gemeinschaftsrechtlicher Erstattungsanspruch und auch kein solcher aus § 37 Abs. 2 AO, da Rechtsgrund der Umsatzsteuerzahlung die betreffenden Umsatzsteuerbescheide sind.

7) Die Fragen der Durchbrechung der Bestandskraft gemeinschaftsrechtswidriger belastender Verwaltungsakte ist nach Ergehen der Entscheidung des EuGH v. 12.2.2008 - Rs. C-2/06 - Kempter, DStRE 2008, 1163 geklärt und Bedarf keiner weiteren Vorlage an den EuGH mehr.

 

Normenkette

AO §§ 172, 110, 355 Abs. 1 S. 1; UStG § 4 Nr. 9 Buchst. b, Nr. 9 b; RL 77/388/EWG Art. 13 Teil B Buchst. f; AO § 125 Abs. 1

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 01.12.2010; Aktenzeichen XI R 39/09)

BFH (Urteil vom 01.12.2010; Aktenzeichen XI R 39/09)

 

Tatbestand

Streitig ist die Änderung bestandskräftiger USt-Festsetzungen aufgrund der EuGH-Entscheidung zur Steuerfreiheit von Geldspielautomatenumsätzen.

Der Kläger betrieb in den Streitjahren 1987 bis 1996 eine Spielhalle und erzielte dabei u.a. Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit.

Der Beklagte erließ für die Streitjahre folgende USt-Bescheide (bei Erlass von mehreren Bescheiden für ein Streitjahr ist jeweils nur der zuletzt ergangene Bescheid aufgeführt), in denen die Einnahmen aus Geldspielgeräten mit Gewinnmöglichkeit der Umsatzsteuer unterworfen wurden:

Jahr

Abgabe der USt-Erklärung

Bescheid

festgesetzte USt

1987

keine Steuerakten mehr vorhanden

(für 1988 bis 1994 sind ebenfalls keine Steuerakten vorhanden, jedoch ein Veranlagungsspiegel)

1988

18.12.1989

26.02.1996

1989

12.02.1991

26.02.1996

1990

05.09.1991

26.02.1996

1991

11.11.1992

23.02.1996

1992

20.01.1994

01.03.1996

97.020,– DM

1993

29.05.1995

01.03.1996

60.631,– DM

1994

12.10.1995

01.03.1996

38.496,– DM

1995

03.12.1996

27.01.1997 Zustimmung

18.097,50 DM

1996

10.10.1997

28.10.1997 Zustimmung

42.206,90 DM

Die Festsetzungen wurden bestandskräftig.

Mit Schreiben vom 15. Mai 2002 beantragte der Kläger die Änderung der USt-Festsetzungen für die Jahre 1996 bis 2000 gem. § 164 Abs. 2 AO und mit Schreiben vom selben Tag legte er Einspruch gegen die Umsatzsteuerabrechnungen für die Jahre 1996 bis 2000 ein.

Nach Ergehen des EuGH-Urteils vom 17. Februar 2005 (Rs. C-453/02 und Rs. C-462/02 – Linneweber und Akritidis –, BFH/NV Beilage 2005, 94) legte der Kläger mit Schreiben vom 15. März 2005 gegen alle ab 1978 bzw. ab Gewerbeaufnahme erlassenen USt-Festsetzungen Einspruch ein und beantragte, die Festsetzungen dahingehend zu ändern, dass Umsätze aus dem Betrieb von Glückspielgeräten umsatzsteuerfrei zu belassen seien.

Zur Begründung führte er aus, dass der Einspruch – unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 25. Juli 1991 Rs. C-208/90 – Emmott – (Slg. 1991, I-4269, HFR 1993, 137, UR 1993, 315) – zulässig sei, denn die Rechtsbehelfsfrist sei gehemmt, da Art. 13 Teil B Buchtst. f der 6. EG-RL nicht ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden sei.

Mit Schreiben vom 29. August 2005 wies der Beklagte darauf hin, dass die Einsprüche betreffend die Jahre 1988 bis 2000 verspätet eingegangen seien und die sog. Emmott'sche Fristenhemmung vorliegend nicht greife. Mit weiterem Schreiben vom 15. November 2005 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass bezüglich des Änderungsantrags vom 15. Mai 2002 eine Änderung der USt-Festsetzung für das Jahr 1996 wegen Festsetzungsverjährung nicht mehr in Betracht komme, jedoch eine Änderung der Jahre 1997 bis 2001 möglich sei, weil diese Festsetzungen noch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stünden.

Mit Schreiben vom 7. Mai 2008 (Eingang beim FA am 9. Mai 2...

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