Entscheidungsstichwort (Thema)
Nach Ablauf der Festsetzungsfrist keine Änderung bestandskräftiger Umsatzsteuerbescheide betreffend die Behandlung von Geldspielautomatenumsätzen aufgrund geänderter Rechtslage infolge eines Urteils des EuGH. Umsatzsteuer 1979–1986
Leitsatz (redaktionell)
1. Es verstößt auch unter Berücksichtigung des Emmott-Urteils weder gegen den Grundsatz der Effektivität noch der Gleichwertigkeit des Gemeinschaftsrechts, wenn die nationale Rechtsordnung eine Änderung im Widerspruch zur Gemeinschaftsrechtsordnung stehender Steuerbescheide dann versagt, wenn nach den Vorschriften der § 169 ff. AO Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Das nach Ablauf der Festsetzungsfrist eintretende Änderungsverbot der deutschen Abgabenordnung gilt gleichermaßen, wenn sich nachträglich eine bessere Rechtserkenntnis durch Ergehen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, durch eine Änderung der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes oder durch Bekanntwerden eines der seitherigen Rechtsanwendung zuwider laufenden Erkenntnisses des Europäischen Gerichtshofes ergibt.
2. Im Streitfall: Nach Ablauf der Festsetzungsfrist keine Änderung bestandskräftiger Umsatzsteuerbescheide des Betreibers von Geldspielautomaten aufgrund der nachträglich geänderten Rechtslage infolge des „Glawe”-Urteil des Europäischen Gerichtshofes (vom 5.5.1994 C-38/93, BStBl II 1994, 548).
Normenkette
AO §§ 169-170, 110 Abs. 3; UStG § 10 Abs. 1; EWGRL 388/77 Art. 13 Teil. B Buchst. f
Nachgehend
Tenor
1. Die Vertagung des Verfahrens, bis der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache C-453/02 „Linneweber” entscheiden hat, wird abgelehnt.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
4. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob bereits bestandskräftige Umsatzsteuer-Festsetzungen geändert werden können, weil sich die Rechtsprechung zugunsten des Steuerpflichtigen gewandelt hat.
I. Der Kläger (Kl) erzielte unter anderem Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeiten. Entsprechend den Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF-Schreiben) vom 21. Juni 1978 bzw. 7. Juni 1991 ermittelte der Beklagte (Bekl) die Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer unter Anwendung eines Vervielfältigers von 1,5 bzw. 2,0 auf den Kasseninhalt der Geldspielautomaten. Für die Streitjahre waren zuletzt am 3. November 1988 Umsatzsteuer-Änderungsbescheide für 1984, 1985 und 1986 ergangen. Sämtliche Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1979 bis 1986 sind endgültig und in Bestandskraft erwachsen. Mit Ablauf des 31. Dezember 1991 trat für die Umsatzsteuer 1986 als letzten der streitbefangenen Steueransprüche Festsetzungsverjährung ein. Auf die Umsatzsteuerbescheide, die nur noch für die Jahre ab 1984 vorhanden sind, wird Bezug genommen.
Am 5. Mai 1994 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache C-38/93 „Glawe” (Bundessteuerblatt – BStBl – II 1994, 548), dass die Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten lediglich nach dem Kasseninhalt zu ermitteln seien.
Mit Schreiben seines Steuerberaters vom 21. Juni 1995 legte der Kl gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Jahre 1979 bis 1986 Einspruch ein, wobei er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Einspruchsfrist beantragte. Der Kl wollte erreichen, dass seine Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielautomaten nach den Grundsätzen des EuGH-Urteils vom 5. Mai 1994 bemessen werden, was eine Umsatzsteuer-Erstattung von 634.245,79 DM zur Folge gehabt hätte.
Mit Entscheidung vom 12. Juni 2002 lehnte der Bekl die beantragte Wiedereinsetzung ab und verwarf den Einspruch als unzulässig, weil verspätet. Nach § 110 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) könne einem Antragsteller nur dann Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, wenn er ohne Verschulden gehindert gewesen sei, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Eine Verhinderung in diesem Sinne sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht anzunehmen, wenn ein Steuerpflichtiger erst nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist von einer Steuervergünstigung erfahre, ihm erst nach Eintritt der Bestandskraft eine ihm günstige gerichtliche Entscheidung bekannt werde oder er sich durch die fehlerhafte Auskunft eines Betriebsprüfers von der Einlegung eines Einspruchs habe abhalten lassen. Außerdem könne gemäß § 110 Abs. 3 AO nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich gewesen sei. Höhere Gewalt hätte der rechtzeitigen Einlegung des Einspruchs jedoch nicht im Wege gestanden. Auch die sog. Emmott'sche Fristenhemmung verpflichte den Bekl nicht zur Änderung der bestandskräftigen Umsatzsteuer-Festsetzungen. Im Fall Emmott habe der EuGH mit Urteil vom 25. Juli 1991 Rs.C-208/90 (EuGHE 1991, I-4269, 4...