Entscheidungsstichwort (Thema)

Mittelpunkt der Lebensinteressen in der Türkei bei fünf Heimfahrten im Jahr. Einkommensteuer 1998

 

Leitsatz (amtlich)

Sucht ein Steuerpflichtiger, seine in der Türkei liegende, den Mittelpunkt seiner Lebensinteressen bildende Wohnung fünfmal im Jahr und damit nicht nur gelegentlich auf, sind die Fahrtkosten als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 EStG 1997 abzugsfähig (Entgegen Abschnitt 42 abs. 3 Satz 5 LStR 1996).

 

Normenkette

LStR 1996 Abschn. 42 Abs. 3 S. 5; EStG 1997 § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 3

 

Nachgehend

BFH (Urteil vom 26.11.2003; Aktenzeichen VI R 152/99)

 

Tenor

1. Der Einkommensteuerbescheid 1998 vom 12.05.1999 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 16.06.1999 wird geändert. Die Berechnung der Einkommensteuer sowie des Solidaritätszuschlags unter Berücksichtigung der Gründe dieses Urteils wird nach § 100 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung dem beklagten Finanzamt aufgegeben. Ihm wird ferner gemäß § 100 Abs. 2 Satz 3 Finanzgerichtsordnung aufgegeben, das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich dem Kläger mitzuteilen und den Bescheid nach Rechtskraft des Urteils mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

3. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 Finanzgerichtsordnung zugelassen.

4. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Streitig ist, ob die Aufwendungen eines türkischen Arbeitnehmers für Fahrten zwischen seiner in der Türkei gelegenen Familienwohnung und der Arbeitsstätte in der Bundesrepublik als Werbungskosten nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Einkommensteuergesetz (EStG) bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen sind.

Der Kläger ist verheirateter türkischer Staatsangehöriger; seine Ehefrau wohnte im Streitjahr zusammen mit der Tochter … in der Familienwohnung in der Türkei; die Söhne … und … waren mit Hauptwohnsitz in der Familienwohnung und mit Nebenwohnsitz am Studienort in der Türkei gemeldet.

In der beim beklagten Finanzamt –FA– am 01.03.1999 eingereichten Einkommensteuererklärung 1998 machte der Kläger als Familienheimfahrten Flugkosten für fünf Flüge i.H. von insgesamt 3.878 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend. Im Bescheid für 1988 über Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag vom 08.03.1999 wurden unter Berufung auf Abschnitt 42 Abs. 3 Satz 5 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) keine Flugkosten anerkannt, da der Kläger nur fünfmal in die Türkei geflogen sei. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Während des außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens hat das FA einen nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid am 12.05.1999 erlassen.

Mit Einspruchsentscheidung vom 16.06.1999, auf die wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. In den Gründen ist im wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger die Voraussetzungen für den Werbungskostenabzug nach Abschnitt 42 LStR nicht erfülle.

Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 02.07.1999 erhobene Klage, die am 06.07.1999 bei Gericht einging. Im wesentlichen wird folgendes vorgetragen: Die Regelung des Abschnitt 42 Abs. 3 LStR sei nur auf den Fall anwendbar, dass im Inland mehrere Wohnungen vorhanden wären. Im Streitfall sei aber zu berücksichtigen, dass die Familienwohnung in der Türkei sei. Hier müsse auch eine geringere Zahl von Heimfahrten ausreichen, um die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 EStG zu erfüllen.

Der Kläger hat schriftsätzlich sinngemäß beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 1998 vom 12.05.1999 in der Form der Einspruchsentscheidung vom 16.06.1999 dahingehend abzuändern, dass bei der Ermittlung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit weitere 3.878 DM als Werbungskosten anerkannt werden.

Das FA hat schriftsätzlich beantragt,

die Klage abzuweisen.

Unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung trägt es vor, daß nach Abschnitt 42 Abs. 3 Satz 5 LStR mindestens 6 Familienheimfahrten erforderlich seien, damit sämtliche Aufwendungen als Werbungskosten anzuerkennen seien.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze, die sich in der finanzgerichtlichen Akte befinden, sowie die vom FA vorgelegte Steuerakte Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet.

Nach der im Streitjahr gültigen Fassung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 3 EStG sind Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei mehreren Wohnungen von der Wohnung, die nicht der Arbeitsstätte am nächsten liegt, dann steuerlich als Werbungskosten anzuerkennen, wenn

  1. diese Wohnung den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers bilden, und
  2. nicht nur gelegentlich aufgesucht wird.

Dass die Familienwohnung in der Türkei, in der Ehefrau und Tochter mit Hauptwohnsitz sowie die studierenden Söhne zumindest noch gelegentlich leben, den Mittelpunkt der Lebensinteressen bildet, ist zwischen d...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Steuer Office Gold. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge