Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 13.04.1954) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 13. April 1954 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
I.
Der Ehemann der Klägerin, der Schornsteinfeger F.X. H. war als Geselle bei dem Bezirksschornsteinfegermeister B. in Bischofswiesen bei Berchtesgaden beschäftigt. Am 7. Februar 1951 hatte er mit dem Bezirksschornsteinfegermeister R. in Attenkirchen bei Freising einen Vertrag geschlossen, wonach dieser ihm den Kehrbezirk Attenkirchen vom 1. April 1951 an „mit allen seinen Pflichten und Rechten verpachtete”, Durch Urkunde des Landratsamts in Freising vom 9. Februar 1951 war H. mit Wirkung vom 1. April 1951 widerruflich zum Stellvertreter des R. für den Kehrbezirk Attenkirchen bestellt worden. Am 9. und 10. März 1951 nahm H. Urlaub und fuhr mit seinem Motorrad von Berchtesgaden nach Attenkirchen, um dort den neuen Kehrbezirk zu besichtigen, sich von R. einweisen zu lassen und um auf dem Landratsamt in Freisung die Bestallungsurkunde in Empfang zu nehmen. Am 10. März suchte er außerdem die Geschäftsstelle der Kaminkehrerinnung in München auf zwecks Besprechung wegen der Übernahme des Geschäftsführerpostens in Attenkirchen. Schließlich wollte H. auf der Rückfahrt am 10. März an einer Versammlung der Landesgewerkschaft der Kaminkehrergesellen Bayerns in Rosenheim teilnehmen. Auf der Autobahn zwischen München und Rosenheim verunglückte er am Mittag des 10. März 1951 tödlich. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom 11. Februar 1952 die Gewährung von Hinterbliebenenentschädigung ab, weil nach ihrer Ansicht der Unfall mit dem Betrieb nicht im Zusammenhang stand; die Fahrt nach Attenkirchen habe ausschließlich persönlichen Zwecken gedient und sei nicht durch die Beschäftigung im Betrieb veranlaßt worden.
Das Oberversicherungsamt (OVA.) München hat die Beklagte am 25. September 1952 zur Gewährung von Sterbegeld und Hinterbliebenenrente an die Klägerin verurteilt: Die Fahrt des H. von Berchtesgaden nach Freising und zurück sei zwar nicht dem Unternehmen des B. zuzurechnen. H. sei jedoch im Interesse des Unternehmers R. tätig geworden. Als künftiger Geschäftsführer des Kehrbezirks Attenkirchen wäre er nicht selbständiger Kehrbezirksinhaber, sondern Angestellter des R. geworden. R. habe ihn zur Besprechung nach Attenkirchen bestellt, deshalb sei H. auf dieser Fahrt unfallversichert gewesen. Der geplante private Besuch der Gewerkschaftsversammlung sei ohne Bedeutung.
Mit ihrem fristgerecht beim Bayerischen Landesversicherungsamt eingelegten Rekurs, der nach § 215 Abs. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf das Landessozialgericht (LSG.) übergegangen ist, hat die Beklagte geltend gemacht, nach dem Pachtvertrag sei H. nicht als Angestellter des R. sondern als selbständiger Unternehmer anzusehen. Die Klägerin hat entgegnet, der Vertrag vom 7. Februar 1951 sei nichtig; im Falle einer Stellvertretung bleibe der Bezirksschornsteinfegermeister Inhaber des Kehrbezirks, sein Stellvertreter hingegen sei Angestellter. Mit Verfügung vom 30. März 1954 hat das LSG. Verhandlungstermin auf den 13. April 1954 angesetzt und zugleich die Beklagte aufgefordert, ihre Satzung zu überreichen und zur Frage der Unternehmerversicherung Stellung zu nehmen. Die Beklagte hat dieser Auflage mit Schriftsatz vom 3. April 1954 entsprochen. Darin hat sie zunächst auf § 42 ihrer Satzung verwiesen, wonach die Versicherungspflicht auf Unternehmer erstreckt wird, die jährlich nicht mehr als 250 Tagewerke durch Hilfskräfte gegen Entgelt verrichten lassen. Nachdem sodann ausgeführt wird, H. sei im Verhältnis zum Bezirksschornsteinfegermeister B. Angestellter gewesen, so daß aus diesem Grunde eine Unternehmerversicherung entfalle, heißt es in dem Schriftsatz weiter:
„Nur im Verhältnis zum Bezirkskaminkehrermeister R. in Attenkirchen war er Unternehmer. Doch wurde er infolge seines Unfalles in dem von ihm gepachteten Kehrbezirk Attenkirchen nicht mehr als Unternehmer tätig. Damit fehlt es also an der Voraussetzung für die Unternehmerversicherung. Abgesehen davon wäre auch die weitere Voraussetzung, daß er jährlich nicht mehr als 250 Tagewerke durch Hilfskräfte gegen Entgelt verrichten läßt, nicht gegeben gewesen. Denn sicherlich hätte er, wie schon Bezirkskaminkehrermeister R. das ganze Jahr vier Mann beschäftigt. Daß im Kehrbezirk Attenkirchen im Jahre 1950 vier Hilfskräfte mit einem Lohnaufwand von 5.500,– DM und im Jahre 1951 drei Hilfskräfte mit einem Lohnaufwand von 4394,– DM beschäftigt wurden, ergibt sich aus den für diese Jahre eingereichten Lohnnachweisen, Kommt schon aus den angeführten. Gründen die Unternehmerpflichtversicherung nicht in Frage, so entfällt bei den selbständigen Kaminkehrermeistern die Unternehmerpflichtversicherung auch deshalb, weil der Zentralinnungsverband des Schornsteinfegerhandwerkes mit Schreiben vom 22.12.1950 erklärte, daß durch die Zwangsmitgliedschaft der Bezirksschornsteinfegermeister zum Versorgungsverein der Bezirksschornsteinfegermeister die finanzielle Lage dieser Meister auch im Falle eines Unfalles gesichert ist, worauf unsere Berufsgenossenschaft von der Aufnahme der Kehrbezirksinhaber zur Zwangsselbstversicherung Abstand genommen hat.”
Die Klägerin, die inzwischen bereits auf die Terminsladung erwidert hatte, sie könne ihrer finanziellen Verhältnisse wegen nicht erscheinen, hat diesen Schriftsatz am 10. April 1954 erhalten und am gleichen Tage die Absetzung des Termins beantragt, da ihr eine Stellungnahme wegen der Kürze der Zeit nicht möglich sei; zugleich hat sie das Gericht um Bestimmung einer Frist zur Abgabe ihrer Gegenerklärung gebeten.
Das LSG., dem dieses Schreiben am 13. April 1954 zugegangen ist, hat dem Vertagungsantrag nicht stattgegeben, sondern in Abwesenheit der Klägerin verhandelt und die Entscheidung verkündet, mit der es das Urteil des OVA. aufgehoben und die Klage abgewiesen hat. In den Entscheidungsgründen billigt das LSG. die Auffassung der Vorinstanz, der unfallbringende Weg habe nicht mit der Beschäftigung des H. im Betrieb des B. zusammengehangen, und der beabsichtigte Besuch der Gewerkschaftsversammlung sei versicherungsrechtlich ohne Bedeutung, da er keine betriebliche Tätigkeit darstelle. Nach Ansicht des LSG. kann der Versicherungsschutz auch nicht daraus hergeleitet werden, daß H. beim Landrat in Freising die Bestallungsurkunde in Empfang nahm und bei der Innung in München vorsprach; auch diese beiden Verrichtungen hätten im persönlichen Interesse gelegen. Dagegen bejaht das LSG. einen inneren Zusammenhang mit dem Unternehmen bezüglich der Aussprache des H. mit R. und der Besichtigung des Kehrbezirks Attenkirchen (Seite 6 der der Entscheidungsgründe); Vor der eigentlichen Arbeitsaufnahme in Attenkirchen sei es nicht nur aus persönlichen, sondern auch aus betrieblichen Gründen erforderlich gewesen, die Einzelheiten der späteren Übergabe zu besprechen und den Kehrbezirk zu besichtigen. Derartige, zur Aufnahme der Betriebstätigkeit unerläßliche vorbereitende Tätigkeiten stünden unter Versicherungsschutz. Dieser hänge jedoch – abgesehen vom Vorliegen des inneren Zusammenhanges – noch von persönlichen Voraussetzungen ab. Es sei hierbei von Bedeutung, ob H. als künftiger Arbeitnehmer des R. oder als künftiger Unternehmer des Kehrbezirks in Attenkirchen zu erachten sei. Das LSG. prüft sodann unter dem Gesichtspunkt des § 633 Reichsversicherungsordnung (RVO) den Pachtvertrag und gelangt zu dem Ergebnis H. sei hiernach als Unternehmer anzusehen. Die Verpachtung eines Kehrbezirks sei in der Verordnung über das Schornsteinfegerwesen vom 28. Juli 1937 (VOSch) nicht verboten, auch habe der Schornsteinfegermeister B. in der Verhandlung vor dem OVA. bekundet daß der Geschäftsführer entweder vom Meister bezahlt werde oder den Bezirk pachten könne. Nach diesen Ausführungen befaßt sich das LSG. mit der Satzung der Beklagten und macht in diesem Zusammenhang den oben auszugsweise wiedergegebenen Schriftsatz der Beklagten vom 3. April 1954 zum Bestandteil der Entscheidungsgründe (Seite 8, 9). Abschließend hat das LSG. bemerkt, die Entscheidung hänge von der Beurteilung reiner Rechtsfragen ab, und weil der Senat den Sachverhalt rechtlich für hinreichend geklärt und spruchreif halte, sei eine Vertagung auf den Antrag der Klägerin nicht veranlaßt. Das LSG. hat die Revision nicht zugelassen.
Gegen das am 14. Juli 1954 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 12. August 1954 Revision eingelegt und diese am 10. September 1954 begründet: Durch die Ablehnung des Vertagungsantrages habe das LSG. der Klägerin das rechtliche Gehör versagt. Der Schriftsatz der Beklagten habe neues Vorbringen enthalten über den Umfang der Beschäftigung von Hilfskräften durch den Bezirksschornsteinfegermeister R. Mit diesem wortgetreu in die Urteilsgründe übernommenen Vorbringen habe das LSG. die Nichterstreckung der Unternehmerversicherung nach der Satzung der Beklagten auf H. begründet. Die auf dieses Vorbringen gestützte Schlußfolgerung des LSG., in dem Kehrbezirk seien zu der fraglichen Zeit drei bis vier Hilfskräfte beschäftigt gewesen, sei unrichtig. Nach dem Rohertrag des Kehrbezirks Attenkirchen für 1950 sei kaum die Beschäftigung eines Gesellen möglich gewesen. Die Klägerin habe die entsprechenden Zahlen in der kurzen Zeit bis zum Termin nicht mehr beibringen können. Deshalb hätte ihrem Vertagungsantrag stattgegeben werden müssen. Ferner wird unrichtige Anwendung der §§ 537 Nr. 1, 539, 633 RVO gerügt: Der Kehrbezirksinhaber R. sei bereits mit der Vollendung seines 70. Lebensjahres im Oktober 1949 gemäß § 54 VOSch verpflichtet gewesen, einen Stellvertreter zu bestellen. Da dies nicht rechtzeitig geschehen sei, habe das Landratsamt aus eigener Initiative den H. bestellt. Die Bezugnahme des Landratsamts auf § 32 VOSch sei unbeachtlich. Allein die Aufsichtsbehörde habe also Bestellung, Entlassung und Entschädigung des H. zu regeln gehabt. Für eine Vereinbarung zwischen R. und H. sei kein Raum mehr gewesen. Der Vertrag vom 7. Februar 1951 sei deshalb nichtig. Aber selbst bei Annahme seiner Wirksamkeit sei H. nicht als künftiger Unternehmer des Kehrbezirks Attenkirchen anzusehen gewesen. Aus dem Wesen der Stellvertretung folge 9 daß Unternehmer nur der Kehrbezirksinhaber sein könne. Dafür spreche auch das Beitragsrundschreiben der Beklagten vom 1. Januar 1954. Schließlich sei der Pachtvertrag vom 7. Februar 1951 außerdem noch wegen sittenwidriger Knebelung nach § 138 Bürgerliches Gesetzbuch nichtig. Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung von Sterbegeld und Hinterbliebenenrente zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt Verwerfung, hilfsweise Zurückweisung der Revision. Der Klägerin sei nicht das rechtliche Gehör versagt worden. Die Tatsache der Beschäftigung von vier bzw. drei Hilfskräften durch R. sei urkundlich durch die Lohnnachweise 1950/51 festgestellt worden. Diese Feststellung sei für die Entscheidung der streitigen Rechtsfragen nicht erheblich gewesen. Die Klägerin hätte sie außerdem auch bei früherer Kenntnisnahme nicht widerlegen können. Auch die materiellrechtlichen Rügen seien unbegründet. Nach dem Pachtvertrag hätte dem H. vom 1. April 1951 an das wirtschaftliche Ergebnis des Kehrbezirks Attenkirchen zum Vor- oder Nachteil gereicht. Der Vertrag sei auch aus keinem der vorgetragenen Gründe nichtig. Das Rundschreiben vom 1. Januar 1954 beziehe sich nur auf solche Stellvertreter, die in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Kehrbezirksinhaber stehen. H. wäre aber nach dem Pachtvertrag völlig unabhängig von Weisungen des R. gewesen. H. Versicherungsfreiheit folge auch aus einer Erklärung des Zentralinnungsverbandes des Schornsteinfegerhandwerks von 1950 betreffend Zwangsmitgliedschaft der Kaminkehrermeister zu einem Versorgungsverein. Irrig sei die Ansicht des LSG. über den Versicherungsschutz für Tätigkeiten, die der Vorbereitung der späteren Unternehmertätigkeit dienen
Die Klägerin meint in Erwiderung hierauf, der sogenannte Pachtvertrag sei nach seinem Inhalt in einen Dienstvertrag umzudeuten. Damit entfalle die Unternehmereigenschaft des H. Deshalb hätte H. auch nicht Mitglied des Schornsteinfegerversorgungsvereins werden können. Damit sei auch die Deutung irrig, die die Beklagte ihrem Rundschreiben vom 1. Januar 1954 gegeben habe.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist statthaft, da die Klägerin zutreffend einen wesentlichen Mangel des Verfahrens gerügt hat (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG).
Es bedeutet einen wesentlichen Verfahrensmangel, wenn das Gericht einen Antrag auf Terminsänderung (§ 227 Zivilprozeßordnung – ZPO – i.V.m. § 202 SGG) trotz Vorliegens eines erheblichen Grundes abgelehnt und dadurch das rechtliche Gehör versagt oder beschränkt hat (BSG. 1 S. 277 mit weiteren Nachweisen, S. 280; siehe auch Stein-Jonas-Schönke-Pohle, Kommentar zur ZPO, 18. Auflage Anm. III 1 zu § 227). Ein erheblicher Grund für eine Terminsänderung war – entgegen der Auffassung des LSG. – deshalb gegeben, weil der Schriftsatz der Beklagten vom 3. April 1954 neben rechtlichen Ausführungen auch für die Entscheidung wesentliche tatsächliche Behauptungen enthielt, und weil die Klägerin in ihrem Antrag auf Terminsverlegung und Bestimmung einer Frist zur Gegenerklärung glaubhaft angegeben hat, sie könne wegen der Kürze der Zeit nicht mehr rechtzeitig zu dem neuen Vorbringen Stellung nehmen. Die Gründe, mit denen das LSG. diesen Antrag abgelehnt hat, treffen nicht zu. Die Entscheidung des Rechtsstreits hing nicht allein von reinen Rechtsfragen sowie von den gerichtlichen Feststellungen und den Äußerungen der Beteiligten ab, die bis zum 3. April 1954 bereits vorlagen. Von ausschlaggebender Bedeutung hierfür war vielmehr gerade die im fraglichen Schriftsatz erstmals vorgetragene Behauptung der Beklagten, der Kehrbezirksinhaber R. habe 1950/51 mehrere Hilfskräfte beschäftigt. Den Standpunkt der Beklagten, einer Gegenäußerung der Klägerin hierzu habe es schon deshalb nicht bedurft, weil dies eine unwiderlegbare Tatsache sei, konnte der Senat nicht billigen. Denn damit wird einmal verkannt, daß der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG) in Verfahren mit Untersuchungsgrundsatz uneingeschränkt mit der Folge gilt, daß auch in diesen Verfahren den Beteiligten nicht zugemutet werden soll, sich darauf zu verlassen, daß das Gericht schon auf Grund der Offizialmaxime zu einer richtigen Entscheidung gelangen werde (BVerfGE. 7 S. 53 [57]) zum anderen übersieht die Beklagte, daß der Sinn des rechtlichen Gehörs nicht allein darin liegt, eine allseitige Aufklärung des Sachverhalts zu ermöglichen, sondern daneben auch die persönliche Würde der Rechtsgenossen zu wahren (vgl. Bundesverfassungsgericht – BVerfG. – NJW. 1958 S. 665).
Eng verknüpft mit dieser Verletzung des § 62 SGG ist der von der Revision gleichfalls gerügte Verfahrensmangel, daß das angefochtene Urteil die von der Beklagten vorgetragenen Tatsachen berücksichtigt hat, zu denen die Klägerin infolge Zeitmangels sich nicht mehr vor dem Verhandlungstermin äußern konnte. Indem das LSG. (Seite 9 der Entscheidungsgründe) das schriftsätzliche Vorbringen der Beklagten, R. habe in der fraglichen Zeit drei bis vier Hilfskräfte beschäftigt, für die Beurteilung der Frage der Unternehmerversicherung des H. heranzog, hat es gegen § 128 Abs. 2 SGG verstoßen, Wenn das LSG. diese Angaben bei seiner Entscheidung verwerten wollte, mußte es unbedingt der Klägerin die Möglichkeit geben, sich dazu vorher zu äußern (vgl. BVerfG. NJW. 1958 S. 297 Nr. 1).
Die infolge des zutreffend gerügten Verstoßes gegen §§ 62, 128 Abs. 2 SGG statthafte Revision ist auch begründet, denn das angefochtene Urteil beruht auf dieser Gesetzesverletzung (§ 162 Abs. 2 SGG). Von der Feststellung des LSG., R. habe mehrere Hilfskräfte beschäftigt und von der daran geknüpften Folgerung, auch H. würde bei Übernahme des Kehrbezirks sicherlich wie sein Vorgänger das ganze Jahr vier Mann beschäftigt haben, wird das angefochtene Urteil getragen. Zwar enthält die Urteilsbegründung (Seite 8) unmittelbar vor diesen Erörterungen über die Zahl der Hilfskräfte und die daraus nach § 42 der Satzung der Beklagten zu ziehenden Schlüsse die Bemerkung, H. sei vor dem Unfall in dem gepachteten Kehrbezirk nicht mehr als Unternehmer tätig geworden, und damit bereits fehle es an einer Voraussetzung für die Unternehmerversicherung. Diese Ausführungen, die das LSG. wörtlich aus dem Schriftsatz der Beklagten vom 3. April 1954 in die Urteilsgründe übernommen hat, widersprechen jedoch dem vom LSG. vorher (Seite 6 der Entscheidungsgründe) vertretenen Standpunkt, daß auch schon vorbereitende Tätigkeiten, die der späteren Aufnahme der Betriebstätigkeit dienen, den Versicherungsschutz begründen. Diesem, offenbar die wahre Meinung des LSG. darstellenden Standpunkt, pflichtete auch der erkennende Senat bei; die gegenteilige Auffassung der Beklagten findet in Rechtsprechung und Schrifttum keine Stütze (vgl. Iauterbach, Unfallversicherung, 2. Auflage, 4. Nachtrag S. 70, Anm. 3 II k zu § 542 RVO; OVA. München, Breithaupt 1951 S. 810).
Die Klägerin hat ferner die Annahme des LSG., H. würde nach Übernahme des Kehrbezirks drei oder vier Hilfskräfte beschäftigt haben, als irrig bezeichnet und sich hierfür auf die Ertragslage des Kehrbezirks berufen. Eine Nachprüfung der von der Revision hierzu vorgetragenen rechnerischen Angaben ist dem Senat verwehrt. Dies wäre Aufgabe des Vorderrichters gewesen, der indessen dazu nicht mehr gekommen ist, weil er die Gegenerklärung der Klägerin vor Fällung seines Urteils nicht abgewartet hat. Davon abgesehen erscheint der Revisionsangriff aber schon deshalb beachtlich, weil das LSG. bei seiner Schlußfolgerung den Umstand nicht berücksichtigt hat, daß der Kehrbezirksinhaber R. zu der fraglichen Zeit bereits über 70 Jahre alt war. Die Angaben der Beklagten über die für den Betrieb des Rösch vorliegenden Lohnnachweise rechtfertigten nicht die Unterstellung, der damals 37 Jahre alte H. würde bei Übernahme des Betriebes ebenso viele Hilfskräfte im Kehrbezirk Attenkirchen beschäftigt haben. Nach der Lebenserfahrung war vielmehr anzunehmen, daß H. der im Gegensatz zu seinem betagten Vorgänger sicherlich persönlich Kamine gekehrt haben würde, mit weniger Personal ausgekommen wäre. Für den Tatrichter hätte es nahegelegen, zur Frage des künftigen Personalbedarfs im Kehrbezirk anstelle der Lohnnachweise der Beklagten, die aus den dargelegten Gründen nur geringen Beweiswert haben konnten, eine Auskunft des zuständigen Landrats einzuholen, der als Aufsichtsbehörde u. a. nachzuprüfen hat, wieviel Gesellen für einen Kehrbetrieb erforderlich sind (vgl. Moelle-Philipp, Das Recht des Schornsteinfegerhandwerks, 4. Auflage 1952 S. 66, Anm. 8 zu § 2 VOSch). Das angefochtene Urteil war hiernach aufzuheben und – da eine Sachentscheidung durch den erkennenden Senat untunlich ist – die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Bei der erneuten Verhandlung wird das LSG. die Frage, wieviel Hilfskräfte H. bei Übernahme des Kehrbezirks Attenkirchen vom 1. April 1951 an wahrscheinlich beschäftigt haben würde und welche Folgerungen sich daraus bei Anwendung von § 42 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Beklagten ergeben, unter den oben erörterten Gesichtspunkten zu prüfen haben. Wird hierbei auf Grund des Wechsels in der Leitung des Kehrbezirks festgestellt, daß im Bezirk Attenkirchen nach der Übernahme durch H. nur noch ein Geselle erforderlich gewesen wäre – dies dürfte nach der gesetzlichen Regelung der Kehrbezirkseinteilung den Normalfall darstellen (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 2, § 3 VOSch; Nr. 3 Abs. 4, Nr. 5 und 6 der Ausführungsanweisung zur VOSch vom 28.7.1937; ferner Moelle-Philipp a.a.O. S. 67 Anm. 10 zu § 2 VOSch sowie neuerdings Nr. 2 Ab S. 1 der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministers des Innern zum Vollzug der VOSch vom 13.12.1956 – GVBl. S. 386) –, so erscheint die Voraussetzung für die Unternehmerpflichtversicherung nach § 42 Abs. 1 Satz 1 der Satzung erfüllt; denn unter „Verrichtung von nicht mehr als 250 Tagewerken durch Hilfskräfte” ist wohl die Beschäftigung von höchstens einer ständigen Hilfskraft während des Jahres zu verstehen.
Im übrigen wird das LSG. jedoch auch Anlaß haben, seine materielle Rechtsauffassung über die versicherungsrechtliche Stellung des H. von Grund auf zu überprüfen. Insoweit enthält das Vorbringen der Klägerin, ihr Ehemann wäre bei Antritt des Stellvertreterpostens nicht selbständiger Unternehmer, sondern Angestellter des Kehrbezirksinhabers R. geworden, eine Reihe von Gesichtspunkten, mit denen sich das LSG. bisher nicht hinreichend auseinandergesetzt hat.
So ist es von vornherein nicht frei von Bedenken, daß das LSG. in dem Vertrag zwischen R. und H. vom 7. Februar 1951 ohne weiteres einen regelrechten Pachtvertrag erblickt und daraus gefolgert hat, H. hätte das Unternehmerrisiko getragen und sei deshalb als Unternehmer im Sinne des § 633 RVO anzusehen. Die diesbezüglichen Ausführungen des. LSG. (Seite 7 der Entscheidungsgründe) tragen der eigenartigen Rechtsgestaltung des Schornsteinfegerhandwerks nicht genügend Rechnung, auf die neuerdings das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG.) hingewiesen hat (Urteil vom 19. Dezember 1957, DÖV. 1958 S. 127). Aber schon vor dem Bekanntwerden dieses Urteils gab es vielfachen Anlaß, die Zulässigkeit der entgeltlichen Überlassung eines Kehrbezirks zu bezweifeln. Das LSG. hat sich mit der Bemerkung begnügt, die VOSch enthalte kein ausdrückliches Verbot einer Verpachtung des Kehrbezirks an den Stellvertreter; es hat jedoch nicht geprüft, inwieweit etwa die Vorschriften der §§ 25 bzw. 14 Abs. 1 Nr. 3 VOSch der Wirksamkeit eines solchen Vertrages entgegenstehen (vgl. Moelle-Philipp a.a.O. S. 140 Anm. zu § 25). Nachdem ferner H. fast zur gleichen Zeit von B. den Kehrbezirk „gepachtet” hatte und von der Aufsichtsbehörde zum Stellvertreter bestellt worden war, hätte schon nach allgemeinen gewerberechtlichen Gesichtspunkten eine Prüfung nahegelegen, welchem dieser beiden, in der Regel sich gegenseitig ausschließenden Vorgänge (vgl. Rohlfing-Kiskalt, Handkommentar zur Gewerbeordnung, 2. Auflage S. 184 Abs. 3 der Anmerkung zu § 45) in der hier vorliegenden Sache die ausschlaggebende Bedeutung zukam. Vor allem ist indessen zu beanstanden, daß das LSG. sich mit dem Urteil des BVerfG. vom 30. April 1952 (BVerfGE. 1 S. 264 ff.) überhaupt nicht auseinandergesetzt hat. In diesem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz zur Ordnung des Schornsteinfegerwesens vom 22. Januar 1952 sind die für das Rechtsgebiet zuständigen Bundes- und Länderbehörden sowie die beteiligten Berufsverbände gehört worden (vgl. a.a.O. S. 269), was den Ausführungen des Gerichts, obwohl sie manchmal nicht näher begründet worden sind, besonderes Gewicht verleiht. Das BVerfG. legt nun (So 276/77) den § 54 VOSch dahin aus, daß nach dieser – durch das Gesetz vom 22. Januar 1952 teilweise aufgehobenen – Vorschrift die alten Kehrbezirksinhaber lebenslänglich ihre Einkünfte behielten und lediglich gehalten waren, bei Erreichung des 70. Lebensjahres einen Stellvertreter zu bestellen, den sie aus den Einkünften des Kehrbezirks zu besolden hätten. Diese Ausführungen sind für den vorliegenden Fall von erheblicher Bedeutung. § 54 VOSch dürfte auch für die Bestellung des H. als Rechtsgrundlage anzusehen sein, da der Tatbestand des in der Bestallungsurkunde angeführten § 32 VOSch wohl offensichtlich nicht vorlag. Allerdings kommt auch wohl nicht, wie die Klägerin meint, § 54 i.V.m. § 45 VOSch – Vollendung des 70. Lebensjahres durch R. – in Betracht, da § 45 durch die Verordnung über vorübergehende Maßnahmen auf dem Gebiet des Schornsteinfegerrechts vom 21. Oktober 1939 (RGBl. I S. 2073) aufgehoben und in Bayern bis zum 22. Januar 1952 nicht wieder eingeführt worden war (vgl. BVerfGE. 1 S. 267/68). Vielmehr dürfte es sich um eine Stellvertreterberufung nach § 54 in Verbindung mit § 47 Nr. 6 VOSch gehandelt haben. Auch für diesen Tatbestand sind indessen die Ausführungen des BVerfG. bedeutsam und geben Anlaß zu der Vermutung, daß der Stellvertreter eines Bezirksschornsteinfegermeisters mindestens im Regelfall, wenn nicht sogar ausnahmslos in einem Arbeitnehmerverhältnis steht. Wenn sodann anschließend das BVerfG. (a.a.O. S. 277/78) dem „freien” Handwerks- und Gewerbebetrieb, der für den Inhaber einen im Rechtsverkehr (durch Veräußerung, Verpachtung, Vererbung) verwertbaren Vermögensbestandteil darstellt, den Betrieb des Bezirksschornsteinfegermeisters gegenüberstellt, der im Rechtsverkehr nicht zu verwerten ist, so werden damit die Bedenken gegen die Wirksamkeit der Verpachtung eines Kehrbezirks verstärkt. Diesen Bedenken hätte das LSG. schon bei seiner Urteilsfindung Rechnung tragen sollen. Allerdings hat erst die Vollzugsbekanntmachung des Bayerischen Innenministeriums vom 13. Dezember 1956 ausdrücklich angeordnet (Nr. 12 Abs. 3), daß das Rechtsverhältnis zwischen dem Kehrbezirksinhaber und dem Stellvertreter durch einen Arbeitsvertrag zu regeln ist und daß die Verpachtung des Kehrbezirks unzulässig ist. Die Annahme liegt indessen nahe, daß damit nur eine bereits vorher in Bayern bestehende Rechtsauffassung amtlichen Ausdruck gefunden hat.
Der erkennende Senat ist auf Grund eigener Prüfung der einschlägigen Vorschriften mit dem BVerfG. und dem BVerwG. der Auffassung, daß der Betrieb eines Bezirksschornsteinfegermeisters durch ein erhebliches Zurücktreten der privatrechtlichen Wesenszüge und ein starkes Überwiegen der öffentlich-rechtlichen Elemente gekennzeichnet ist. Freilich macht diese grundsätzlich übereinstimmende Auffassung eine selbständige versicherungsrechtliche Prüfung der Rechtslage durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nicht etwa überflüssig. Jedoch muß andererseits auch die versicherungsrechtliche Beurteilung den aufgezeigten Besonderheiten des hier im Blickpunkt stehenden Berufsstandes Rechnung tragen. Das LSG. wird diese bisher unterbliebene Prüfung nachzuholen und dabei insbesondere festzustellen haben, ob der Umstand, daß die „Verpachtung” des Kehrbezirks Attenkirchen immerhin schon fast 6 Jahre vor der Bayerischen Vollzugsbekanntmachung zur VOSch vom 13. Dezember 1956 stattgefunden hat, es für die damalige Zeit erlaubt, einen Stellvertreter im Sinne des § 54 VOSch im Einzelfall ausnahmsweise als selbständigen Unternehmer anzusehen. Für die Klärung dieser Frage genügt keinesfalls die Äußerung des Bezirksschornsteinfegermeisters B. in der Verhandlung vor dem OVA., bei der es nicht einmal klar ist, ob es sich nur um dessen persönliche Meinung oder um den Standpunkt des Berufsverbandes gehandelt hat; vielmehr erscheint es unerläßlich, hierzu die höhere Verwaltungsbehörde sowie die beteiligten Berufsorganisationen anzuhören, da diese Steilen allein in der Lage sein dürften, über das etwaige Bestehen bestimmter, 1951 in Bayern herrschender Rechtsgepflogenheiten verbindlich Auskunft zu erteilen. Sollten sich in dieser Hinsicht keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Ausnahmetatbestandes ergeben, so muß auf Grund der oben angeführten allgemeinen Überlegungen davon ausgegangen werden, daß der vom BVerfG. bereits 1952 hervorgehobene Regelfall vorlag, d. h. daß H. in Aussicht genommene Anstellung in Attenkirchen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 537 Nr. 1 RVO erfüllte.
Schließlich vermag der Senat dem LSG. auch insoweit nicht zu folgen als es die Versicherungsfreiheit des H. daraus folgert, daß der Zentralinnungsverband des Schornsteinfegerhandwerks angeblich mit Schreiben vom 22. Dezember 1950 an die Beklagte erklärt haben soll, durch die Zwangsmitgliedschaft zum Versorgungsverein der Bezirksschornsteinfegermeister erübrige sich der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Den Wortlaut und die Tragweite dieses Schreibens hat das LSG. nicht festgestellt. Falls damit die Verordnung über die soziale Versorgung im Schornsteinfegerhandwerk vom 28. April 1942 (RGBl. I S. 257) gemeint sein sollte, so wird nicht verstündlich, inwieweit dadurch der Versicherungsschutz der Beklagten für H. berührt werden kann. Denn nach § 1 dieser Verordnung sind beitragspflichtig nur die Kehrbezirksinhaber, leistungsberechtigt dagegen nach § 3 nur deren Witwen und Waisen (vgl. auch Moelle-Philipp a.a.O. S. 148 Anm. 4 zu § 28 VOSch). Soweit das LSG. auf das Bayerische Gesetz über das öffentliche Versicherungswesen vom 7. Dezember 1933 Bezug nimmt, ist dem erkennenden Senat eine Nachprüfung der Anwendbarkeit dieser landesrechtlichen Vorschriften versagt (§ 162 Abs. 2 SGG). Das LSG. hat sich indessen nicht mit der Frage auseinandergesetzt, inwiefern durch etwaige Leistungsansprüche nach Art. 58 dieses Gesetzes (hierzu jetzt auch die Satzung der Versorgungsanstalt der Kaminkehrergesellen vom 18. Juni 1956 – GVBl. S. 108) ein auf § 537 Nr. 1 RVO gegründetes Versicherungsverhältnis überhaupt entfallen kann. Dies käme nur in Betracht, wenn einer der in § 541 RVO aufgeführten Tatbestände gegeben wäre Bezüglich der Unternehmerpflichtversicherung (§ 538 RVO) hingegen dürfte in diesem Zusammenhang § 42 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 der Satzung zu beachten sein, wonach eine unter gewissen Voraussetzungen zulässige Befreiung von der Versicherungspflicht einen Antrag des Unternehmers erfordert.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen