Entscheidungsstichwort (Thema)
Statthaftigkeit der Revision
Orientierungssatz
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs kann eine nichtverkündete Rechtsmittelzulassung im Wege des Berichtigungsbeschlußes zwar nach § 319 ZPO nachgeholt werden. Ein Berichtigungsbeschluß, der die nachträgliche Zulassung der Revision ausspricht, ist jedoch unwirksam und für das Revisionsgericht nicht bindend, wenn die offenbare Unrichtigkeit nicht aus dem Urteil selbst oder aus den Vorgängen seiner Verkündigung erkennbar ist und deshalb in Wahrheit eine Berichtigung nach § 319 ZPO nicht vorliegt.
Normenkette
ZPO §§ 311, 319, 554 a Abs. 1 S. 2; ArbGG § 72 Abs. 1 Fassung: 1979-07-02
Verfahrensgang
LAG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 14.09.1979; Aktenzeichen 7 Sa 219/79) |
ArbG Koblenz (Entscheidung vom 23.02.1979; Aktenzeichen 4 Ca 1274/78) |
Tatbestand
Die Klägerin macht Lohnansprüche von ca. 90 Mitgliedern geltend, die diese nach dem Arbeitskampf in der Druckindustrie im Jahre 1978 an die Klägerin abgetreten haben. Sie hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, 42.506,31 DM
brutto nebst 4 % Zinsen auf den hierauf
entfallenden Nettobetrag seit 23. August
1978 an sie, hilfsweise an die mit der zu
beanspruchenden Lohnforderung einzeln auf-
geführten Mitglieder zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht im Termin vom 14. September 1979 am Schluß der Sitzung nach Beratung folgendes Urteil verkündet:
"Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil
des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.02.1979
- 4 Ca 1274/78 - wird kostenfällig zurück-
gewiesen."
Diese Urteilsformel entspricht der von der Kammer des Landesarbeitsgerichts schriftlich niedergelegten und von sämtlichen Richtern unterschriebenen Urteilsformel. Nach der Sitzungsniederschrift ist der wesentliche Inhalt der Entscheidungsgründe den Parteien nicht mitgeteilt worden.
Mit Schreiben vom 3. Oktober 1979 wies der Kammervorsitzende des Landesarbeitsgerichts die Prozeßbevollmächtigten der Parteien darauf hin, daß die Nichtzulassung der Revision auf einem Versehen des Gerichts beruhe. Weiter hieß es:
"Da eine Berichtigung nicht möglich sein dürf-
te, bleibt Ihnen anheimgestellt, um die Ergän-
zung des Urteils nachzusuchen."
Mit am 12. Oktober 1979 eingegangenem Schriftsatz beantragte die Klägerin, das Urteil vom 14. September 1979 dahingehend zu ergänzen, daß die Revision zugelassen werde. Da es sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handele, hätte das Gericht die Zulassung der Revision aussprechen müssen; aus Tatbestand und Begründung sei zu erkennen, daß das Gericht bei seiner Entscheidung die Frage der Zulassung der Revision übergangen habe, so daß der Antrag begründet sei.
Am 31. Oktober 1979 teilte der Kammervorsitzende den Prozeßbevollmächtigten der Parteien mit, nach nochmaliger Überprüfung sei er zu der Auffassung gelangt, daß die unterbliebene Zulassung der Revision eine offenbare Unrichtigkeit darstelle, die gemäß § 319 ZPO zu berichtigen sei. Er bitte deshalb um Rücksendung der zugeleiteten Urteilsausfertigungen.
Durch einen nichtdatierten Beschluß hat der Kammervorsitzende sodann das Urteil vom 14. September 1979 dahingehend berichtigt, daß die Urteilsformel um den Satz erweitert wird "Die Revision wird zugelassen". Zur Begründung ist ausgeführt:
"Wie sich aus den Entscheidungsgründen ergibt
(S. 21), entsprach es der Absicht der Kammer,
die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeu-
tung der Rechtssache zuzulassen. Dies war
auch in mehreren vorausgegangenen, mit den
im wesentlichen gleichen Sachverhalt befaßten
Entscheidungen geschehen. An dieser Praxis
wollte die Kammer festhalten. Daran ließ das
Gericht auch in der mündlichen Verhandlung
keinen Zweifel. Unter diesen Umständen stellt
die unterbliebene Zulassung der Revision eine
nicht nur für das Gericht, sondern auch für
die Parteien erkennbare und damit offenbare
Unrichtigkeit i.S. des § 319 Abs. 1 ZPO dar
(vgl. BAG AP Nr. 17 zu § 319 ZPO)."
Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihre Sachanträge weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist nicht zulässig; sie ist nicht statthaft, weil sie vom Landesarbeitsgericht nicht wirksam zugelassen worden war.
Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht nur statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in einem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72 a Abs. 5 Satz 2 ArbGG zugelassen worden ist (§ 72 Abs. 1 ArbGG). Das ist hier nicht der Fall.
1. Die Zulassung der Revision muß vom Landesarbeitsgericht mitverkündet werden. Das Urteil wird dadurch erlassen, daß es verkündet wird (§ 310 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Mit der Verkündung ist das Urteil existent (BGH, VersR 1984, 1192). Nach dem Sitzungsprotokoll vom 14. September 1979 wurde die Zulassung der Revision nicht verkündet. Die verkündete Urteilsformel enthält keinen Ausspruch über die Zulassung der Revision.
Ob eine Zulassung der Revision in den - mitverkündeten - Gründen möglich ist, kann offenbleiben. Bisher hat das Bundesarbeitsgericht angenommen, eine Zulassung in den Gründen genüge dann, wenn die Gründe hinsichtlich der Zulassung zugleich mit der Beschlußformel verkündet werden (BAG Beschluß vom 21. März 1974 - 1 ABR 19/74 - AP Nr. 13 zu § 92 ArbGG 1972, mit weiteren Nachweisen). Gegen diese Auffassung spricht § 311 Abs. 2 ZPO. Nach dieser Bestimmung wird das Urteil durch Vorlesung der Urteilsformel verkündet. Das ist der entscheidende Vorgang. Die Entscheidungsgründe brauchen nicht in allen Fällen mitverkündet zu werden (vgl. § 311 Abs. 3 und 4 ZPO). Doch kann der Senat diese Frage im vorliegenden Fall offenlassen. Denn die Entscheidungsgründe sind nach der Sitzungsniederschrift nicht mitverkündet worden. Von den Entscheidungsgründen haben die Parteien erst später Kenntnis erhalten.
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs kann eine nicht verkündete Rechtsmittelzulassung im Wege des Berichtigungsbeschlusses zwar nach § 319 ZPO nachgeholt werden. Ein Berichtigungsbeschluß, der nachträglich die Zulassung der Revision ausspricht, ist jedoch unwirksam und für das Revisionsgericht nicht bindend, wenn die offenbare Unrichtigkeit nicht aus dem Urteil selbst oder aus den Vorgängen bei seiner Verkündung erkennbar ist und deshalb in Wahrheit eine Berichtigung nach § 319 ZPO nicht vorliegt (vgl. BAG Urteil vom 23. Mai 1973 - 4 AZR 364/72 - AP Nr. 17 zu § 319 ZPO, mit weiteren Nachweisen; BGHZ 78, 22 = AP Nr. 19 zu § 319 ZPO, ebenfalls mit weiteren Nachweisen; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 43. Aufl., § 546 Anm. 2 C b und § 319 Anm. 2 D a).
a) Eine Berichtigung nach § 319 ZPO ist nur zulässig, wenn die Tatsache, daß die Revisionszulassung beschlossen und nur versehentlich nicht verkündet worden war, aus dem Zusammenhang des Urteils selbst oder mindestens aus den Vorgängen bei seiner Verkündung nach außen hervorgetreten ist. Ein nur gerichtsintern gebliebenes Versehen, das meist nicht ohne weitere Beweiserhebung überprüft werden könnte, ist keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne von § 319 ZPO. Da diese Vorschrift erlaubt, daß das Urteil durch einen Beschluß berichtigt werden kann, der von keinem der an jenem Urteil mitwirkenden Richter gefaßt wird, wird deutlich, daß die Unrichtigkeit des Urteils für die am Berichtigungsbeschluß mitwirkenden Richter ohne weiteres erkennbar sein muß. Ist dies nicht der Fall, so hat ein auf § 319 ZPO gestützter Berichtigungsbeschluß keine bindende Wirkung (vgl. BAG Urteil vom 23. Mai 1973, aaO; BGHZ 78, 22).
b) Im vorliegenden Fall sind solche für den Außenstehenden "offenbaren" Umstände, aus denen sich das Versehen des Berufungsgerichts zweifelsfrei ergibt, aus den Vorgängen bei der Verkündung nicht hervorgetreten. Nach dem Berichtigungsbeschluß hat die Kammer zwar die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung beschlossen. Sie hat aber vergessen, die Zulassung zu verkünden. Aus der Verkündung von Urteilen in anderen Verfahren konnte sich für den Inhalt der Verkündung in diesem Verfahren schon deshalb nichts ergeben, weil die angesprochenen Urteile vorausgegangen waren. Auch Äußerungen des Gerichts in der mündlichen Verhandlung, die darauf hindeuten könnten, die Kammer werde - vermutlich - die Revision zulassen, begründen noch keine offenbare Unrichtigkeit im Sinne von § 319 ZPO. Denn die Zulassung der Revision muß zunächst von der Kammer beraten werden. Tatsächlich hat sie nach dem Inhalt des Berichtigungsbeschlusses auch die Absicht gehabt, die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Das reicht allein jedoch nicht aus. Die Vorgänge bei der Verkündung müssen den Rückschluß zulassen, daß die Zulassung der Revision nicht nur versehentlich unterblieben ist, sondern daß die Verlesung der Urteilsformel, die die Zulassung der Revision nicht enthielt, eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne von § 319 ZPO darstellt.
Weitere Umstände, die für eine offenbare Unrichtigkeit des verkündeten Urteils sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Die Urteilsformel, die von allen Richtern der Kammer unterschrieben wurde, enthält ebenfalls keine Zulassung der Revision. Der Vorsitzende der Kammer ist deshalb - zu Recht - zunächst davon ausgegangen, daß die Nichtzulassung der Revision nur auf einem Versehen des Gerichts beruhe und daß eine Berichtigung nicht möglich sei. Das schriftlich abgesetzte Urteil ist nach der Verkündung diktiert und niedergeschrieben worden und kann schon deshalb keinen Anhaltspunkt für eine offenbare Unrichtigkeit im Sinne des § 319 ZPO geben.
c) Damit liegt in Wahrheit kein Berichtigungsbeschluß vor, an den der Senat gebunden wäre. Läßt der Berichtigungsbeschluß nicht erkennen, daß die Voraussetzungen des § 319 ZPO vorliegen, kann er für das Revisionsgericht nicht bindend sein. Ein solcher Beschluß ist nur dem äußeren Anschein nach ein Berichtigungsbeschluß; der Sache nach wird die Urteilsformel nachträglich ergänzt. Der Berichtigungsbeschluß muß deshalb vom Revisionsgericht daraufhin nachgeprüft werden können, ob er offensichtlich gesetzwidrig ist und damit die Revisionsinstanz nicht eröffnen kann (vgl. BGHZ 20, 188, 190 f.; BAG Urteil vom 23. Mai 1973, aaO; a.A. Grunsky, ArbGG, 4. Aufl., § 72 Rz 21; Baumgärtel, SAE 1960, 171). § 70 ArbGG steht dieser Auffassung nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung findet gegen einen Berichtigungsbeschluß des Landesarbeitsgerichts kein Rechtsmittel statt. Damit wird im Interesse der Prozeßökonomie der Instanzenzug beschränkt. Dieser Zweck würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn durch die Bindungswirkung eines solchen Berichtigungsbeschlusses, der noch nach Jahr und Tag ergehen könnte, der Instanzenzug eröffnet würde (vgl. BAG, aaO, mit weiteren Nachweisen).
3. Da die Revision nicht statthaft war, mußte sie als unzulässig verworfen werden (§ 72 Abs. 5 ArbGG in Verb. mit § 554 a Abs. 1 Satz 2 ZPO).
Dr. Kissel Dr. Heither Matthes
Heisler Lappe
Fundstellen